Begriff und rechtliche Grundlagen der Kreditgenossenschaft
Die Kreditgenossenschaft ist eine besondere Form der Genossenschaft, die sich im deutschen Recht sowie in zahlreichen weiteren Staaten durch spezifische rechtliche Rahmenbedingungen auszeichnet. Kreditgenossenschaften sind als Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen zur Förderung ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb organisiert. Sie gehören zum sogenannten genossenschaftlichen Bankensektor und sind als wirtschaftliche Vereinigung mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestaltet.
Historische Entwicklung und gesetzliche Grundlagen
Die Entstehung der Kreditgenossenschaft ist eng verbunden mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts, in dem diese Form erstmals von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch in Deutschland konzipiert wurde. Das Ziel war die Selbsthilfe durch Solidarität und gegenseitige Unterstützung, insbesondere für landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe.
Genossenschaftsgesetz (GenG)
Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden in Deutschland maßgeblich durch das Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelt. Nach § 1 GenG ist die Genossenschaft eine Gesellschaft mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern.
Bankaufsichtsrechtliche Vorschriften
Kreditgenossenschaften, die Bankgeschäfte betreiben, unterliegen zusätzlich den bankaufsichtsrechtlichen Normen, insbesondere dem Kreditwesengesetz (KWG) und der laufenden Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Rechtsform und Organisationsstruktur
Rechtspersönlichkeit und Eintragung
Kreditgenossenschaften sind als eingetragene Genossenschaften (eG) organisiert. Die Rechtsfähigkeit entsteht mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister. Die Genossenschaft ist als juristische Person Träger eigener Rechte und Pflichten.
Organe der Genossenschaft
Die Kreditgenossenschaft wird im Regelfall durch folgende Organe repräsentiert:
- Vorstand: Leitendes und geschäftsführendes Organ mit Vertretungsmacht nach innen und außen.
- Aufsichtsrat: Überwachendes Organ, das die Tätigkeit des Vorstands kontrolliert.
- General- oder Vertreterversammlung: Höchstes Organ, das in bestimmten, gesetzlich geregelten Fällen die grundlegenden Beschlüsse trifft.
Mitgliedschaft und Mitgliederrechte
Die Mitgliedschaft steht grundsätzlich einem breiten Personenkreis offen, sofern die satzungsgemäß festgelegten Voraussetzungen erfüllt werden. Mitgliederrechte umfassen insbesondere das Stimmrecht in der Generalversammlung, das Recht auf Nutzung der Leistungen der Genossenschaft, auf Rückerstattung des Geschäftsanteils bei Austritt und auf Dividende.
Nachschusspflicht und Haftung
Die Haftung der Mitglieder ist regelmäßig auf die im Genossenschaftsvertrag eingetragenen Geschäftsanteile begrenzt. Eine weitergehende Nachschusspflicht besteht nur, wenn diese ausdrücklich in der Satzung vereinbart wird.
Geschäftsbetrieb und zulässige Tätigkeiten
Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz (KWG)
Kreditgenossenschaften, die Bankgeschäfte betreiben, benötigen gemäß § 32 KWG eine Erlaubnis der BaFin. Zu den Bankgeschäften zählen insbesondere die Annahme von Einlagen, die Gewährung von Krediten und andere banktypische Geschäfte.
Genossenschaftliche Förderungspflicht
Aus dem Genossenschaftsgesetz ergibt sich die Verpflichtung, den Geschäftsbetrieb ausschließlich auf die Förderung der Mitglieder auszurichten. Die Tätigkeit ist nicht auf Gewinnerzielung, sondern insbesondere auf das Prinzip der Mitgliederförderung ausgerichtet.
Rechnungslegung und Prüfung
Kreditgenossenschaften sind zur ordnungsgemäßen Buchführung und Erstellung von Jahresabschlüssen verpflichtet (§§ 336 ff. HGB, § 38 GenG). Eine Besonderheit ist die gesetzlich vorgeschriebene regelmäßige Prüfung durch Prüfungsverbände (§§ 53 ff. GenG), deren Beauftragung und Durchführung zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Geschäftsführung dient.
Rechtliche Abgrenzung und Besonderheiten
Abgrenzung zu anderen Kreditinstituten
Im Unterschied zu Aktiengesellschaften und GmbHs sind Kreditgenossenschaften durch das Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung sowie der Mitgliederförderung geprägt. Ihr Kunde ist in der Regel auch Mitglied und damit Mitunternehmer. Zudem gelten abweichende Stimmrechte (oftmals „ein Mitglied – eine Stimme“ statt Kapitalgewichtung).
Insolvenz und Gläubigerschutz
Die Insolvenzordnung findet uneingeschränkt Anwendung. Die Haftung der Mitglieder ist auf den gezeichneten Anteil oder auf einen satzungsgemäß festgelegten Nachschuss begrenzt. Im Fall der Insolvenz gelten die allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften, eine Nachhaftung kann auf maximal zwei Jahre nach dem Austritt des Mitglieds begrenzt sein (§ 22 GenG).
Genossenschaftlicher Prüfungsverband
Nach § 54 GenG ist jede Kreditgenossenschaft verpflichtet, einem Prüfungsverband anzugehören. Die Aufgabe des Prüfungsverbands ist es, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.
Steuerliche Behandlung
Kreditgenossenschaften unterliegen der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, wobei steuerliche Vergünstigungen für gemeinnützige oder besonders förderungswürdige Genossenschaften möglich sind. Die besonderen Regeln der steuerlichen Gewinnermittlung für Genossenschaften sind zu beachten.
Europäische und internationale Rechtsentwicklung
Mit dem europäischen Binnenmarkt und der Bankenregulierung nach EU-Recht haben Kreditgenossenschaften auch unionsrechtliche Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf Kapitalanforderungen, Aufsichtsstruktur und Verbraucherschutz zu beachten (u.a. CRR, CRD IV, Einlagensicherung).
Zusammenfassung
Kreditgenossenschaften sind wirtschaftlich bedeutende und rechtlich durchdachte Organisationen mit spezieller Rechtsform, die durch das Genossenschaftsgesetz und das Kreditwesengesetz strukturiert werden. Besonderheit ist die Kombination aus unternehmerischem Handeln und solidarischer Mitgliederförderung, ergänzt durch spezifische Prüfungs- und Aufsichtsmechanismen. Durch ihre traditionsreiche Entwicklung und ihre zentrale Rolle in der regionalen und überregionalen Kreditversorgung leisten sie einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Selbsthilfe und zum Mittelstand.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Tätigkeit von Kreditgenossenschaften in Deutschland?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Kreditgenossenschaften in Deutschland ergeben sich primär aus dem Genossenschaftsgesetz (GenG) und dem Kreditwesengesetz (KWG). Das Genossenschaftsgesetz regelt die Organisationsform, die Gründungsvoraussetzungen, die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Organe der Genossenschaft sowie die Anforderungen an die Rechnungslegung und Revision. Insbesondere werden die demokratische Mitbestimmung („ein Mitglied, eine Stimme“) und die Förderung der Mitglieder als satzungsgemäßer Zweck festgelegt. Zusätzlich unterliegen Kreditgenossenschaften als Kreditinstitute den speziellen Vorgaben des Kreditwesengesetzes, das die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung, die Mindestanforderungen an die Eigenmittelausstattung, die laufende Bankenaufsicht sowie die Zulässigkeit von Bankgeschäften regelt. Diese Bestimmungen werden durch Verordnungen und Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie ergänzende europarechtliche Vorschriften, insbesondere aus der Kapitaladäquanzverordnung (CRR) und der Eigenkapitalrichtlinie (CRD IV), konkretisiert und erweitert. Ferner haben Kreditgenossenschaften Vorschriften zur Sicherung der Einlagen aus dem Einlagensicherungsgesetz (EinSiG) zu beachten.
Welche Organe sind gesetzlich für eine Kreditgenossenschaft vorgeschrieben und welche Aufgaben haben sie?
Gemäß Genossenschaftsgesetz müssen alle Kreditgenossenschaften mindestens mit den Organen Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung (bzw. Vertreterversammlung bei größeren Genossenschaften) ausgestattet sein. Der Vorstand ist für die Geschäftsführung und die Vertretung der Genossenschaft nach außen zuständig; er trägt die Verantwortung für die ordnungsgemäße Verwaltung und die Durchführung der Bankgeschäfte gemäß den gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben. Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung des Vorstands, bestellt und entlastet diesen und prüft, ob die genossenschaftlichen und gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Die Generalversammlung ist das oberste Organ und entscheidet über grundlegende Angelegenheiten, insbesondere Satzungsänderungen, Gewinnverwendung, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Bestellung des Prüfungsverbands. Bei größeren Genossenschaften kann die Generalversammlung durch die Vertreterversammlung ersetzt werden. Alle Organe sind verpflichtet, im Interesse der Mitglieder sowie zur Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen zu handeln. Sie unterliegen genauen organisatorischen Anforderungen, deren Missachtung sowohl zivilrechtliche als auch aufsichtsrechtliche Folgen nach sich ziehen kann.
Welche aufsichtsrechtlichen Pflichten ergeben sich für Kreditgenossenschaften?
Kreditgenossenschaften werden in Deutschland einer laufenden Bankenaufsicht unterzogen, die durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank wahrgenommen wird. Sie müssen umfangreiche Melde- und Anzeigepflichten erfüllen, beispielsweise im Hinblick auf Eigenkapitalquoten, Liquidität, Großkredite und wesentliche Beteiligungen. Die Einhaltung dieser Anforderungen wird durch regelmäßige Prüfungen und Berichte überwacht. Ferner müssen alle Kreditgenossenschaften einem genossenschaftlichen Prüfungsverband angehören, der regelmäßig die wirtschaftliche Lage und die ordnungsgemäße Geschäftsführung prüft. Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben können zu empfindlichen Sanktionen führen, etwa zur Anordnung von Geschäftsleitungsmaßnahmen, zum Entzug der Bankerlaubnis oder zu Bußgeldern. Überdies sind Kreditgenossenschaften zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems verpflichtet (vgl. MaRisk), das eine kontinuierliche Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung aller wesentlichen Risiken des Geschäftsbetriebs gewährleistet.
Inwieweit unterliegen Mitglieder einer Kreditgenossenschaft besonderen gesetzlichen Schutzvorschriften?
Die Rechte und Pflichten der Mitglieder sind umfassend im Genossenschaftsgesetz geregelt. Jedes Mitglied hat das Recht auf Teilnahme an der Generalversammlung und eine gleichberechtigte Stimmabgabe, unabhängig von der Zahl seiner Geschäftsanteile (Ausnahmen regelt die Satzung). Genossenschaftsmitglieder werden durch die Pflicht zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen geschützt, die als zentraler Zweck der Genossenschaft im GenG niedergeschrieben ist. Im Insolvenzfall sind Mitglieder mit ihrem Geschäftsanteil beteiligt, haften aber nur bis zur Höhe der in der Satzung bestimmten Nachschussverpflichtungen. Ferner regelt das GenG detailliert das Verfahren zur Aufnahme, zum Ausscheiden und zur Kündigung der Mitgliedschaft sowie die Modalitäten der Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben. Bestimmte Informations- und Auskunftsrechte sowie die Möglichkeit zur Anfechtung und Beschlusskontrolle (etwa im Rahmen der Generalversammlung) bieten zusätzlichen Schutz.
Welche Gesetze und Vorschriften regeln die Einlagensicherung bei Kreditgenossenschaften?
Die Einlagen der Kreditgenossenschaften sind durch das Einlagensicherungsgesetz (EinSiG) geschützt. Zusätzlich sind Genossenschaftsbanken Mitglied im Bankenverband der Volks- und Raiffeisenbanken, der ein eigenes Institutssicherungssystem (BVR-ISG) betreibt. Dieses Sicherungssystem erfüllt die gesetzlichen Anforderungen an die Institutssicherung gemäß § 43 EinSiG und schützt damit nicht nur die Einlagen der Kunden, sondern auch die wirtschaftliche Existenzfähigkeit der Mitgliedsinstitute. Im Rahmen des EinSiG ist gesetzlich vorgeschrieben, dass pro Einleger und Kreditinstitut bis zu 100.000 Euro gesichert werden. Das Institutssicherungssystem der Volksbanken und Raiffeisenbanken geht jedoch in seinem Schutzniveau erfahrungsgemäß deutlich darüber hinaus, da es die Insolvenz einer angeschlossenen Bank durch Stützungsmaßnahmen möglichst verhindern will.
Wie erfolgen die Prüfung und Überwachung von Kreditgenossenschaften durch den genossenschaftlichen Prüfungsverband?
Kreditgenossenschaften sind kraft Gesetzes (§ 53 GenG, § 340k HGB) verpflichtet, einem zugelassenen genossenschaftlichen Prüfungsverband anzugehören, der regelmäßig (mindestens jährlich) eine umfassende Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung durchführt. Diese Pflichtprüfung umfasst die Jahresabschlussprüfung, Bewertung der Geschäfts- und Risikostruktur sowie die Überprüfung der Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften und aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Der Prüfungsbericht wird sowohl der Genossenschaft als auch der zuständigen Aufsichtsbehörde (BaFin) vorgelegt. Der Prüfungsverband hat im Prüfungsfall weitgehende Auskunfts-, Einsichts- und Prüfungsrechte gegenüber allen Organen und Mitarbeitern der Genossenschaft. Ziel ist es, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls entsprechende Sanierungsmaßnahmen einzuleiten. Verstöße oder Mängel können einen aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf auslösen.
Welche Besonderheiten sind bei der Haftung der Organe von Kreditgenossenschaften zu beachten?
Die gesetzlichen Vertreter und Mitglieder der Aufsichtsorgane einer Kreditgenossenschaft, insbesondere der Vorstand und der Aufsichtsrat, unterliegen einer erhöhten Sorgfaltspflicht bei der Führung der Geschäfte. Verstöße gegen die gesetzlichen, satzungsmäßigen oder aufsichtsrechtlichen Pflichten können sowohl zivilrechtliche Schadensersatzansprüche der Genossenschaft selbst, der Mitglieder oder Dritter nach sich ziehen als auch strafrechtliche Konsequenzen (z.B. im Falle von Untreue oder Bilanzdelikten gemäß § 266 StGB und § 400 AktG). Die Haftung ist auf vorsätzliche und grob fahrlässige Pflichtverletzungen beschränkt, doch sind die Anforderungen an die Sorgfalt und Überwachung nach Maßgabe der besonderen Verantwortung eines Kreditinstitutsleiters besonders hoch. Für beide Organe gelten zudem besondere Anzeigepflichten gegenüber der Aufsicht, deren Missachtung sanktioniert werden kann. Die Haftungsfrage kann durch den Abschluss von D&O-Versicherungen abgefedert werden, ersetzt aber nicht die primäre persönliche Haftung der Organmitglieder.