Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Arbeitsrecht»Koalitionsfreiheit

Koalitionsfreiheit


Begriff und rechtliche Einordnung der Koalitionsfreiheit

Die Koalitionsfreiheit ist ein zentrales Grundrecht im deutschen und europäischen Recht, das Einzelpersonen und Vereinigungen das Recht garantiert, zur Wahrung und Förderung ihrer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, diesen beizutreten oder fernzubleiben. Dieses Recht ist elementarer Bestandteil der demokratischen Grundordnung und zählt zugleich zu den grundlegenden Prinzipien des Arbeitsrechts. Die Koalitionsfreiheit bildet die Grundlage für die Tätigkeit von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und ist eng mit dem System der Tarifautonomie verbunden.


Verfassungsrechtliche Grundlagen

Koalitionsfreiheit im Grundgesetz

Die rechtliche Verankerung der Koalitionsfreiheit erfolgt in Deutschland durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG). Dort heißt es:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu beeinträchtigen suchen, sind nichtig; hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Die Koalitionsfreiheit wird somit als individuelles und kollektives Freiheitsrecht ausgestaltet. Sie schützt Arbeitnehmerinnen, Arbeitgeberinnen und ihre Vereinigungen vor staatlichen und einseitigen Eingriffen Dritter.

Koalitionsfreiheit im europäischen und internationalen Recht

Die Koalitionsfreiheit ist ebenfalls in zentralen internationalen Konventionen gewährleistet, insbesondere:

  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Artikel 11: Schützt das Recht, Vereinigungen zur Wahrung gemeinsamer Interessen zu bilden.
  • Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt), Artikel 8: Verankert das Recht auf Gründung von Gewerkschaften.
  • ILO-Übereinkommen Nr. 87 und Nr. 98: Normieren das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen im Bereich der Internationalen Arbeitsorganisation.

Persönlicher und sachlicher Schutzbereich

Persönlicher Schutzbereich

Die Koalitionsfreiheit steht gemäß ihrer Formulierung „für jedermann“ allen natürlichen und juristischen Personen offen, die im Arbeitsleben stehen. Dazu zählen:

  • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeden Berufsstands
  • Selbstständige, sofern sie in arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen stehen
  • Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
  • Zusammenschlüsse wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und vergleichbare Vereinigungen

Sachlicher Schutzbereich

Der sachliche Schutzbereich umfasst alle Maßnahmen, die zur Bildung, zum Beitritt, zur Mitgliedschaft oder zur Betätigung in Vereinigungen dienen, welche die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern sollen. Geschützt sind insbesondere:

  • Die Gründung neuer Vereinigungen (z.B. von Gewerkschaften)
  • Der Betrieb und die Verwaltung bestehender Vereinigungen
  • Der Beitritt zu und Austritt aus bestehenden Vereinigungen
  • Die Durchführung und Organisierung gemeinschaftlicher Aktionen, einschließlich Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen (wie Streik und Aussperrung)

Einschränkungen und Schranken der Koalitionsfreiheit

Die Koalitionsfreiheit ist nicht grenzenlos gewährleistet. Artikel 9 Absatz 3 Satz 2 GG enthält eine Schranke, indem ausdrücklich Abreden und Maßnahmen untersagt werden, die das Recht einschränken oder beeinträchtigen wollen. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus dem Schranken-Schranken-Prinzip des Grundgesetzes.

Zulässige Beschränkungen und deren Grenzen

Beschränkungen sind nur unter sehr engen verfassungsrechtlichen Anforderungen zulässig, etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der Rechte Dritter. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass Eingriffe in die Koalitionsfreiheit nur dann legitim sind, wenn sie ein besonders gewichtiges öffentliches Interesse verfolgen und verhältnismäßig sind.

So können zum Beispiel Einschränkungen für bestimmte Berufsgruppen erfolgen (z.B. für Beamtinnen und Beamte hinsichtlich Streikmaßnahmen), wenn dies zur Sicherung des Gemeinwohls erforderlich ist.


Praktische Auswirkungen: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Tarifautonomie

Bedeutung für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände

Die Koalitionsfreiheit bildet das Fundament der Gewerkschaftstätigkeit. Sie gewährleistet, dass Arbeitnehmerinnen betriebsübergreifend ihre Interessen gegenüber Arbeitgeberinnen vertreten können. Umgekehrt steht sie auch Arbeitgebern und deren Verbänden zu.

Tarifautonomie und Arbeitskampfmaßnahmen

Aus der Koalitionsfreiheit leitet sich die Tarifautonomie ab, d.h. das Recht, Tarifverträge selbstständig und ohne staatliche Einflussnahme auszuhandeln. Gleichfalls umfasst sie das Recht, zur Durchsetzung von Tarifverhandlungen Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks und Aussperrungen zu ergreifen (mit gewissen Einschränkungen insbesondere für den öffentlichen Dienst).


Ausgewählte Rechtsprechung zur Koalitionsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht und die Arbeitsgerichte haben die Koalitionsfreiheit in einer Vielzahl von Grundsatzurteilen konkretisiert. Wichtige Leitentscheidungen sind u.a.:

  • BVerfG, Urteil vom 4. März 1957 (1 BvR 253/56): Klare Betonung des Schutzes zur Gründung und Betätigung von Arbeitnehmervereinigungen.
  • BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2014 (1 BvR 3185/09 – Überparteilichkeit und Streikrecht): Präzisierung der Reichweite des Streikrechts und seiner unionsrechtlichen Grenzen.

Verhältnis zu anderen Grundrechten und Rechtsfragen

Abgrenzung zu Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit

Die Koalitionsfreiheit ist Teil der allgemeinen Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 Absatz 1 GG), jedoch mit dem spezifischen Zweck der Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Sie überschneidet sich in bestimmten Fällen mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG), bleibt aber in ihrer Zielrichtung autonom.

Diskriminierungsverbot und Schutz vor Benachteiligung

Ein zentrales Element ist das Verbot, Beschäftigte wegen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Vereinigung (z.B. Gewerkschaft) zu benachteiligen. Tarifvertragsgesetze, das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sichern diesen Schutz ab.


Bedeutung und aktuelle Herausforderungen

Die Koalitionsfreiheit bleibt im deutschen und internationalen Arbeitsrecht ein elementares Schutzgut und ist essentiell für die Funktionsfähigkeit sozialer Marktwirtschaften und die Wahrung sozialer Gerechtigkeit. Im Zuge neuer Beschäftigungsformen, insbesondere in der Plattformökonomie und durch Digitalisierung, ergeben sich neue Herausforderungen für die Reichweite und den Schutz dieses Grundrechts.


Literaturhinweise

  • Dieterich, Tschöpe, Gallner, Arbeitsrecht, Kommentar
  • Däubler/Klebe/Wedde, Tarifvertragsgesetz, Kommentar
  • Sievers/Henssler, Handbuch Tarifrecht

Weblinks


Hinweis: Dieser Artikel stellt eine allgemeine Übersicht zu Begriff und Rechtslage der Koalitionsfreiheit dar und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Für Detailfragen sollte stets der aktuelle Stand der Rechtsprechung und Gesetzgebung zugrunde gelegt werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen schützen die Koalitionsfreiheit in Deutschland?

Die Koalitionsfreiheit ist ein in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verankertes Grundrecht, das sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber gilt. Es schützt das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden, hierzu beizutreten oder fernzubleiben. Darüber hinaus wird die Koalitionsfreiheit durch verschiedene internationale Übereinkommen – etwa die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – abgesichert. Insbesondere das Übereinkommen Nr. 87 der ILO zur Vereinigungsfreiheit und zum Schutz des Vereinigungsrechtes sowie das Übereinkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen konkretisieren die Koalitionsfreiheit auf völkerrechtlicher Ebene. Relevante einfachgesetzliche Regelungen finden sich außerdem im Tarifvertragsgesetz (TVG), im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und im Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), welche die institutionelle Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit im Arbeitsleben weiter spezifizieren.

Gibt es rechtliche Schranken oder Einschränkungen der Koalitionsfreiheit?

Trotz der verfassungsrechtlichen Garantie unterliegt die Koalitionsfreiheit gewissen Schranken. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG sind Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, strafgesetzwidrige Ziele zu verfolgen oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung beziehungsweise den Gedanken der Völkerverständigung zu verstoßen, nicht geschützt. Zudem kann die Ausübung der Koalitionsfreiheit kollidierende Grundrechte oder Rechtsgüter berühren, wie das Eigentumsrecht oder das Recht auf unternehmerische Freiheit. In solchen Fällen erfolgt regelmäßig eine Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz. Außerdem können allgemeine Gesetze zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Koalitionsfreiheit einschränken, beispielsweise während Streiks. Überdies gilt das Grundrecht nicht uneingeschränkt für Angehörige des öffentlichen Dienstes, insbesondere für Streitkräfte und Beamte mit hoheitlichen Aufgaben, wo spezielle gesetzliche Regelungen Anwendungsbereich und Ausgestaltung modifizieren.

Inwieweit sind Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe durch die Koalitionsfreiheit gedeckt?

Die Koalitionsfreiheit umfasst nicht nur das bloße Bestehen und die Mitgliedschaft in Vereinigungen (z.B. Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden), sondern schützt ausdrücklich auch deren Betätigung, insbesondere das Führen von Tarifverhandlungen und die Teilnahme an Arbeitskämpfen wie Streiks und Aussperrungen. Dies umfasst das Recht auf kollektive Regelung von Arbeitsbedingungen durch Abschluss von Tarifverträgen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sowie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben mehrfach betont, dass effektive Tarifautonomie ohne die Möglichkeit zu Arbeitskämpfen nicht denkbar ist. Art und Umfang von Arbeitskampfrechten werden allerdings durch Richterrecht und die jeweils einschlägigen Gesetze (insbesondere das TVG) näher bestimmt. Rechtliche Grenzen ergeben sich aus dem Übermaßverbot, der Friedenspflicht und allgemeinen Schranken, etwa bei der Aufrechterhaltung von Mindestdienstleistungen in bestimmten Bereichen der Daseinsvorsorge.

In welcher Form ist der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit rechtlich ausgestaltet?

Die negative Koalitionsfreiheit, also das Recht, einer Koalition nicht beizutreten oder aus dieser auszutreten, wird ebenso umfassend von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wie die positive Koalitionsfreiheit. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben verdeutlicht, dass niemand gezwungen werden darf, Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes zu sein. Maßnahmen wie der sogenannte „Closed Shop“, bei dem eine Mitgliedschaft in einer bestimmten Koalition zur Voraussetzung für die Beschäftigung gemacht wird, sind in Deutschland unzulässig und verstoßen gegen das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit. Ebenso sind Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis aufgrund der (Nicht-)Mitgliedschaft rechtlich nicht zulässig. Der Schutz zieht sich durch verschiedene arbeitsrechtliche Regelungen und wird durch den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt.

Welche Bedeutung kommt der Koalitionsfreiheit im europäischen und internationalen Recht zu?

Im europäischen und internationalen Kontext ist die Koalitionsfreiheit durch verschiedene Rechtsquellen abgesichert. Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert die Vereinigungsfreiheit einschließlich der Freiheit, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und solchen beizutreten. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 12) enthält ein gleichlautendes Recht. Auch zahlreiche Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), insbesondere die Nr. 87 und 98, legen den Mitgliedsstaaten die Verpflichtung auf, die Koalitionsfreiheit zu achten und zu fördern. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat die Bedeutung der Koalitionsfreiheit immer wieder betont und in Einzelfällen auch konkrete Anforderungen an nationale Gesetzgebungen formuliert. Deutschland ist als Vertragsstaat verpflichtet, die Vorgaben dieser internationalen Übereinkommen in seinem Rechtssystem zu berücksichtigen und umzusetzen.

Wie grenzt sich die Koalitionsfreiheit gegenüber anderen Grundrechten ab?

Die Koalitionsfreiheit steht oft in einem Spannungsverhältnis zu anderen Grundrechten und Rechtsgütern, insbesondere zu Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 GG (Eigentumsschutz). Kollisionen können beispielsweise entstehen, wenn kollektive Arbeitskampfmaßnahmen gezielt in betriebliche Abläufe eingreifen. In diesen Fällen ist eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten notwendig. Die Rechtsprechung entwickelt hierfür das Prinzip der praktischen Konkordanz, das darauf zielt, die verschiedenen Grundrechte möglichst so zur Geltung zu bringen, dass keines von ihnen unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Besonders im Rahmen von Arbeitskämpfen wird die Abwägung regelmäßig individual- und kollektivrechtlich sowie mit Blick auf das Allgemeinwohl vorgenommen.

Sind bestimmte Personengruppen von der Koalitionsfreiheit ausgenommen?

Grundsätzlich gilt die Koalitionsfreiheit für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Bestimmte Einschränkungen treffen jedoch Beamte, insbesondere diejenigen mit hoheitlichen Aufgaben, sowie Soldaten und Richter. Diese Gruppen unterliegen besonderen gesetzlichen Regelungen, die teilweise eine Beteiligung an Arbeitskämpfen ausschließen (z. B. Streikverbot für Beamte). Ziel dieser besonderen Einschränkungen ist die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit und Neutralität des Staates sowie der öffentlichen Ordnung. Die konkrete Ausgestaltung der Koalitionsrechte für diese Personengruppen wird in dienstrechtlichen und speziellen kollektivrechtlichen Gesetzen geregelt und unterliegt sowohl nationaler Rechtsprechung als auch internationalen Beobachtungen – etwa durch die ILO, die in der Vergangenheit Einschränkungen für Beamte kritisch betrachtet hat.