Kettenarbeitsvertrag und Kettenarbeitsverhältnis
Begriff und Definition
Der Begriff Kettenarbeitsvertrag (auch: Kettenarbeitsverhältnis) bezeichnet im Arbeitsrecht die aufeinanderfolgende, wiederholte Befristung von Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer. Charakteristisch ist, dass nach Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags unmittelbar ein weiterer, erneut befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Ziel ist es häufig, den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.
Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Regelungen in Deutschland
Die rechtliche Grundlage für befristete Arbeitsverträge und deren Zulässigkeit bildet in Deutschland insbesondere § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Das TzBfG regelt, unter welchen Bedingungen eine Befristung rechtswirksam vereinbart werden kann und wann ein befristeter Vertrag als unbefristet gilt.
- Befristung mit Sachgrund (§ 14 Abs. 1 TzBfG): Die wiederholte Befristung ist zulässig, sofern für jede Befristung ein sachlicher Grund im Sinne des Gesetzes vorliegt.
- Befristung ohne Sachgrund (§ 14 Abs. 2 TzBfG): Eine Befristung ohne Sachgrund ist nur unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb einer Maximaldauer zulässig (z. B. maximal zwei Jahre, höchstens dreimalige Verlängerung innerhalb dieses Zeitraumes).
Europarechtliche Vorgaben
Die Richtlinie 1999/70/EG über befristete Arbeitsverträge und die dazugehörige Rahmenvereinbarung verpflichten die EU-Mitgliedstaaten, Kettenbefristungen zu begrenzen und den Missbrauch befristeter Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Diese Vorgaben werden durch das TzBfG in nationales Recht umgesetzt.
Voraussetzungen und Grenzen der Kettenbefristung
Sachlicher Grund
Ein sachlicher Grund für die Befristung kann zum Beispiel vorliegen bei:
- Vertretung eines anderen Arbeitnehmers (Elternzeit, Krankheit)
- Projektarbeit
- Vorübergehender betrieblicher Bedarf
Jede erneute Befristung erfordert einen eigenständigen, sachlichen Grund. Mehrfache Befristungen ohne gravierend neuen Sachgrund können im Einzelfall als unzulässig angesehen werden.
Missbrauchskontrolle nach der Rechtsprechung
Insbesondere das Bundesarbeitsgericht (BAG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben in verschiedenen Entscheidungen festgelegt, dass eine missbräuchliche Kettenbefristung nicht hingenommen wird. Kriterien für einen Missbrauch sind etwa:
- Große Anzahl von aufeinanderfolgenden befristeten Verträgen mit demselben Arbeitgeber
- Lange Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses
Im Ergebnis kann ein sachgrundloser oder missbräuchlich begründeter Kettenarbeitsvertrag zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis führen.
Rechtsfolgen unzulässiger Kettenarbeitsverträge
Wird eine unzulässige Befristung festgestellt, insbesondere aufgrund von Missbrauch oder fehlender sachlicher Grundlage, gilt das Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen (§ 16 TzBfG). Der Arbeitnehmer kann Entfristungsklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben.
Anwendungsbeispiele
Typische Anwendungsbereiche von Kettenarbeitsverträgen sind:
- Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Öffentlicher Dienst
- Befristete Projektstellen in Unternehmen
In diesen Bereichen wird das Instrument der wiederholten Befristung häufig genutzt, um betriebliche Flexibilität oder projektgebundene Beschäftigung sicherzustellen.
Rechtsprechung zu Kettenarbeitsverträgen
Das Thema Kettenarbeitsverträge wurde vielfach von den Arbeitsgerichten behandelt. So hat beispielsweise das Bundesarbeitsgericht in mehreren Leitentscheidungen (u.a. BAG 18.07.2012 – 7 AZR 443/09; BAG 26.10.2016 – 7 AZR 135/15) und der Europäische Gerichtshof (z.B. Urteil vom 26. Januar 2012, C-586/10 – „Kücük“) Maßstäbe für die Kontrolle und Einschränkung von Kettenarbeitsverhältnissen gesetzt. In diesen Urteilen werden insbesondere die Anforderungen an den Sachgrund und die Notwendigkeit zur Begrenzung der Kettenbefristung betont.
Abgrenzung zu anderen Vertragsformen
- Unbefristeter Arbeitsvertrag: Das reguläre Arbeitsverhältnis ohne zeitliche Begrenzung.
- Befristeter Arbeitsvertrag: Arbeitsvertrag, der auf eine bestimmte Zeit oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses geschlossen wird, ohne dass eine Kette von Verträgen gebildet wird.
- Arbeitsverhältnis auf Probe: Insbesondere im Rahmen von Kettenbefristungen ist die missbräuchliche Koppelung von Probezeiten mit wiederholten Befristungen rechtlich problematisch.
Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen
Mit Blick auf die zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gewinnt das Thema Kettenarbeitsverhältnis an Bedeutung. Gesetzgeber und Gerichte versuchen, einen Ausgleich zwischen Arbeitgeberinteressen an Flexibilität und dem Grundrecht der Arbeitnehmer auf Dauerbeschäftigung zu schaffen. Die Entwicklung der Rechtsprechung und die Auslegung der europäischen Vorgaben werden fortlaufend angepasst.
Fazit
Der Kettenarbeitsvertrag ist ein arbeitsrechtlich relevantes Thema, das einer strengen Kontrolle unterliegt. Wiederholte Befristungen sind grundsätzlich möglich, müssen jedoch durch berechtigte Gründe gestützt werden und dürfen nicht missbräuchlich eingesetzt werden. Die Rechtsprechung hat hierfür klare Kriterien entwickelt, um einen angemessenen Schutz für Arbeitnehmer sicherzustellen und missbräuchliche Praktiken zu unterbinden. Arbeitgeber sind daher gehalten, Kettenarbeitsverhältnisse sorgfältig zu begründen und die gesetzlichen Grenzen zu beachten.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt nach rechtlicher Auffassung ein unzulässiger Kettenarbeitsvertrag vor?
Ein unzulässiger Kettenarbeitsvertrag liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn ein Arbeitgeber mit demselben Arbeitnehmer mehrfach befristete Arbeitsverträge abschließt, ohne dass hierfür jeweils ein sachlicher Grund gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) besteht. Zwar erlaubt das Gesetz die Befristung von Arbeitsverhältnissen bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren auch ohne sachlichen Grund (§ 14 Abs. 2 TzBfG); werden aber wiederholt – insbesondere nahtlos anschließende – befristete Verträge abgeschlossen (sogenannte Kettenbefristungen), prüfen Arbeitsgerichte in jedem Einzelfall, ob ein Rechtsmissbrauch zu vermuten ist. Die Gerichte berücksichtigen dabei Faktoren wie die Gesamtdauer der Befristungen, die Anzahl der Verlängerungen und ob tatsächlich immer neue Sachgründe vorliegen. Liegt Rechtsmissbrauch vor, wird das Arbeitsverhältnis als unbefristet eingestuft.
Welche Faktoren berücksichtigen Gerichte bei der Bewertung von Kettenarbeitsverträgen?
Gerichte ziehen insbesondere die folgenden Kriterien heran: Die Anzahl und Gesamtdauer der aufeinanderfolgenden befristeten Verträge, das zeitliche Muster und die Unterbrechung oder Kontinuität der Beschäftigung sowie den Vorhandensein oder Fehlen von Sachgründen für jede einzelne Befristung. Auch das Verhalten des Arbeitgebers, insbesondere ob die Befristung der Umgehung des Kündigungsschutzes dient, spielt eine Rolle. Die Rechtsprechung hebt hervor, dass bei auffällig langen Gesamtlaufzeiten und zahlreichen Vertragsverlängerungen ein Missbrauch naheliegt. Besonders kritisch wird es, wenn über Jahre hinweg aufeinanderfolgende befristete Verträge ohne überzeugende Sachgründe erfolgen.
Welche rechtlichen Folgen hat ein unzulässiger Kettenarbeitsvertrag für das Arbeitsverhältnis?
Wird ein Kettenarbeitsvertrag wegen Rechtsmissbrauchs oder wegen Fehlens eines zulässigen Sachgrundes für die Befristung als unzulässig eingestuft, gilt das Arbeitsverhältnis gemäß § 16 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der Arbeitnehmer erwirbt somit den Kündigungsschutz eines unbefristeten Arbeitsvertrages (§§ 1 ff. KSchG). Der Arbeitgeber kann die Beendigung nicht mehr allein an das Auslaufen der Befristung knüpfen, sondern ist auf die gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten verwiesen. Eventuell ausgesprochene Befristungen werden in diesem Fall als unwirksam betrachtet.
Welche Ansprüche hat der Arbeitnehmer bei einer erfolgreichen Klage gegen einen Kettenarbeitsvertrag?
Gelingt es dem Arbeitnehmer, vor Gericht die Unwirksamkeit der Befristung – beispielsweise durch Missbrauch mehrerer Kettenarbeitsverträge – festzustellen, kann er auf die Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses klagen. In diesem Fall bestehen sämtliche Ansprüche wie bei einem regulären, unbefristeten Arbeitsverhältnis fort, einschließlich Entgelt-, Urlaubs- und gegebenenfalls Annahmeverzugslohnansprüche für die Dauer der gerichtlichen Auseinandersetzung, sofern zwischenzeitlich keine Arbeitsleistung erbracht wurde.
Wie verhält es sich mit Kettenarbeitsverträgen im öffentlichen Dienst?
Im öffentlichen Dienst kommen Kettenarbeitsverträge besonders häufig vor, da Arbeitgeber regelmäßig projektbezogene oder durch Haushaltsmittel beschränkte Stellen zeitlich begrenzen. Dennoch sind auch hier die gesetzlichen Vorgaben des TzBfG strikt zu beachten. Die Gerichte legen bei öffentlichen Arbeitgebern mitunter sogar einen strengeren Maßstab an, da der Missbrauchspotenzial hier wegen der institutionellen Prägung als höher angesehen wird. Auch die Richtlinien und Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Bekämpfung des Missbrauchs befristeter Arbeitsverträge in der öffentlichen Verwaltung sind zu beachten.
Wie unterscheidet sich die Rechtslage bei Kettenarbeitsverträgen im Vergleich zur einmaligen Befristung?
Während bei der einmaligen Befristung zumeist nur die sachliche Rechtfertigung oder die Einhaltung der Zweijahresfrist (bei sachgrundloser Befristung) geprüft wird, wird bei Kettenarbeitsverträgen zusätzlich untersucht, ob die Mehrfachbefristungen einen Rechtsmissbrauch darstellen. Besonders nach mehreren Vertragsverhältnissen folgt eine strengere gerichtliche Kontrolle als bei einer erstmaligen Befristung, gerade hinsichtlich der Motivlage des Arbeitgebers und der Kausalität der Sachgründe.
Gibt es in Bezug auf Kettenarbeitsverträge relevante Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs?
Ja, sowohl das Bundesarbeitsgericht (BAG) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben wiederholt Grundsatzentscheidungen zur Zulässigkeit von Kettenarbeitsverträgen getroffen. Das BAG verlangt insbesondere, dass jeder Befristungsgrund eigenständig, konkret und nachvollziehbar dargelegt werden muss. Der EuGH hat zudem hervorgehoben, dass wiederholte Vertragsverlängerungen, die auf demselben Sachgrund erfolgen, unter Missbrauchsgesichtspunkten unzulässig sein können. Diese Rechtsprechung verpflichtet nationale Gerichte zu einer intensiven Missbrauchskontrolle, insbesondere im öffentlichen Dienst.