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Kausalität im Strafrecht

Begriff und Funktion der Kausalität im Strafrecht

Kausalität beschreibt im Strafrecht den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer menschlichen Handlung und einem eingetretenen Erfolg. Sie beantwortet die Grundfrage, ob ein bestimmtes Verhalten für den Erfolg mitverantwortlich war. Erst wenn ein solcher Zusammenhang bejaht werden kann, kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Erfolgstatbestand in Betracht. Kausalität ist damit eine notwendige, aber nicht stets hinreichende Voraussetzung: Neben der Kausalität bedarf es typischerweise weiterer Wertungen, etwa zur sogenannten objektiven Zurechnung.

Grundlagen der Kausalität

Natürlicher Ursachenzusammenhang

Ausgangspunkt ist ein naturwissenschaftlich verstandener Ursachenverlauf. Eine Handlung gilt als kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg in seiner Gestalt entfiele. Diese Betrachtung stellt auf den tatsächlichen Ablauf ab und fragt, welche Rolle die Handlung im Geschehenszusammenhang gespielt hat.

Die „conditio-sine-qua-non“-Formel

Praktisch wird die Kausalität häufig mit der „Bedingungsformel“ geprüft: Eine Handlung ist Ursache des Erfolges, wenn der Erfolg bei Hinwegdenken der Handlung entfallen wäre. Diese Formel bildet das Kerninstrument, um die Ursächlichkeit festzustellen, und wird fallbezogen auf den gesamten Kausalverlauf angewendet.

Besondere Konstellationen der Kausalität

Mehrere Ursachen und komplexe Verläufe

Im Alltag treffen oft mehrere Bedingungen zusammen. Das Strafrecht verfügt über differenzierte Begriffe, um solche Lagen zu ordnen:

Alternative Kausalität

Mehrere voneinander unabhängige Handlungen sind jeweils für sich geeignet, den Erfolg herbeizuführen; tatsächlich tritt der Erfolg ein, lässt sich aber nicht sicher einer einzelnen Handlung zuordnen. Aus rechtlicher Sicht kann in solchen Fällen jede Handlung als ursächlich bewertet werden, wenn sie nach ihrem eigenen Verlauf den Erfolg herbeigeführt hätte.

Kumulative Kausalität

Mehrere Beiträge sind erst in ihrer Summe erfolgsverursachend, während jeder Einzelbeitrag für sich allein nicht genügt hätte. Jeder Beitrag gilt dann als kausal, weil der Erfolg ohne ihn entfallen wäre.

Überholende Kausalität

Eine erste Handlung setzt einen Gefahrenverlauf in Gang, der Erfolg tritt aber letztlich durch eine später eintretende, stärkere Ursache ein. Hier verliert der Erstbeitrag seine tatsächliche Erfolgsrelevanz, wenn der Erfolg auch ohne ihn in gleicher Weise eingetreten wäre.

Abgebrochene Kausalität

Der ursprünglich begonnene Ursachenzusammenhang wird durch neue, selbstständig wirkende Faktoren so unterbrochen, dass der Erfolg auf der neuen Ursache beruht. In der Folge fehlt es an der Kausalität des Erstbeitrags für den konkreten Erfolg.

Kausalität beim Unterlassen (Quasi-Kausalität)

Bei Erfolgen, die auf einem Unterlassen beruhen, lautet die Kernfrage: Wäre der Erfolg bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben? Die hypothetische Betrachtung ersetzt die konkrete Handlung und prüft, ob diese den Erfolg verhindert hätte. Damit wird das Unterlassen wie eine „negative“ Ursache verstanden.

Kausalität bei Beteiligung mehrerer Personen

Bei Mitwirkung mehrerer Personen ist maßgeblich, ob der jeweilige Beitrag den Erfolg gefördert hat. Handlungen, die die Haupttat ermöglichen, erleichtern oder verstärken, können kausal sein. Auch psychische Beiträge, etwa das Bestärken eines Tatentschlusses, kommen in Betracht, sofern sie den Geschehensablauf tatsächlich fördern.

Abgrenzung: Kausalität und objektive Zurechnung

Kausalität klärt, ob ein Verhalten naturhaft zum Erfolg beigetragen hat. Die objektive Zurechnung prüft anschließend, ob der Erfolg dem Handelnden auch rechtlich zugerechnet werden soll. Sie bildet ein normatives Korrektiv, das über bloße Ursachenbeiträge hinausgeht.

Typische Zurechnungsfilter

  • Schaffung oder Erhöhung eines rechtlich missbilligten Risikos: Das Verhalten muss eine Gefahr begründen, die über das sozial Übliche hinausgeht.
  • Risikoverwirklichung im Erfolg: Der eingetretene Erfolg muss gerade die realisierte Seite des geschaffenen Risikos sein.
  • Schutzzweckzusammenhang: Der Erfolg muss in dem Bereich liegen, vor dem die verletzte Verhaltensregel schützen soll.
  • Dazwischentreten Dritter: Greifen eigenständige, atypische Handlungen Dritter in den Kausalverlauf ein, kann die Zurechnung zum Erstverursacher entfallen.
  • Eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Verwirklicht eine Person bewusst und selbstverantwortlich ein Risiko, kann die Zurechnung zu vorgelagerten Beiträgen begrenzt sein.
  • Erlaubtes Risiko und Sozialadäquanz: Beiträge, die sich im Rahmen sozial üblicher, erlaubter Risiken halten, sind regelmäßig nicht zurechenbar.

Kausalität in ausgewählten Deliktsbereichen

Fahrlässigkeit

Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist Kausalität regelmäßig unstreitig, wenn die Sorgfaltspflichtverletzung tatsächlich zum Erfolg beigetragen hat. Zusätzlich wird geprüft, ob der Erfolg gerade aufgrund der pflichtwidrigen Risikoerhöhung eingetreten ist (Pflichtwidrigkeitszusammenhang).

Vorsatzdelikte

Auch bei Vorsatzdelikten muss die Handlung kausal für den Erfolg sein. Der Vorsatz bezieht sich auf den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen; grobe Abweichungen vom vorgestellten Ablauf können die Zurechnung beeinflussen.

Versuch und Rücktritt

Beim Versuch ist der Erfolg nicht eingetreten; Kausalität im Sinne der Erfolgsverursachung liegt nicht vor. Gleichwohl kann die Eignung der Handlung zur Erfolgsherbeiführung und die Nähe zum Erfolg rechtlich bedeutsam sein. Bei Rücktrittsfragen kann relevant werden, ob spätere Handlungen den bereits angelegten Kausalverlauf aufgehalten haben.

Beweis und Feststellung der Kausalität

Beweiswürdigung

Die Feststellung der Kausalität erfolgt anhand des gesamten Beweisergebnisses. Absolute naturwissenschaftliche Gewissheit ist regelmäßig nicht erreichbar. Entscheidend ist, ob sich ein in sich stimmiger Ursachenverlauf ergibt, der auf nachvollziehbaren Tatsachen und belastbaren Erfahrungsätzen beruht. Verbleibende, vernünftige Zweifel gehen zulasten der Anklage.

Typische Beweismittel

  • Technische und medizinische Gutachten zum Geschehensablauf und zu Wirkzusammenhängen
  • Spuren- und Datenauswertung, zeitliche Rekonstruktionen, Simulationen
  • Zeugenaussagen, situative Umstände und Indizienketten

Grenzfälle und Problemfelder

Atypische Kausalverläufe

Schwierigkeiten entstehen, wenn sich der Erfolg auf ungewöhnliche Weise realisiert, etwa durch seltene Zufälle oder besondere Eigenarten des Opfers. Zwar kann auch ein atypischer Verlauf kausal sein; die Zurechnung kann jedoch an atypischer Risikoverwirklichung scheitern.

Opfer- und Drittverhalten

Greifen eigenständige Entscheidungen des Opfers oder Dritter ein, ist zu prüfen, ob diese den ursprünglichen Ursachenstrang unterbrechen oder ihn nur fortsetzen. Rettungsmaßnahmen oder Fluchtreaktionen gelten häufig als naheliegende Reaktionen auf die Ausgangsgefahr und lassen die Zurechnung eher bestehen; gänzlich neue, ungewöhnliche Risiken können die Zurechnung entfallen lassen.

Zeitliche Weichenstellungen

Es kommt vor, dass frühe Beiträge nur eine „Weiche“ stellen, der konkrete Erfolg aber später durch weitere Umstände realisiert wird. Dann ist zu untersuchen, ob der Erfolg ohne die Weichenstellung entfallen wäre und ob sich gerade das dadurch geschaffene Risiko verwirklicht hat.

Zusammenfassung

Kausalität beantwortet die Frage, ob ein Verhalten für einen Erfolg mitursächlich war. Sie wird zunächst naturhaft mithilfe der Bedingungsformel bestimmt und anschließend rechtlich durch die objektive Zurechnung eingeordnet. In Konstellationen mit mehreren Ursachen, Unterlassen, Beteiligung Dritter, atypischen Verläufen und besonderen Deliktsarten verlangt die Beurteilung eine sorgfältige, stufenweise Prüfung. Erst das Zusammenspiel von Kausalität und Zurechnung trägt den rechtlich tragfähigen Schluss, ob ein Erfolg einer Person zugerechnet werden darf.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet Kausalität im Strafrecht?

Kausalität beschreibt den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Handlung und einem Erfolg. Eine Handlung gilt als kausal, wenn der Erfolg ohne sie in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten wäre.

Worin unterscheidet sich Kausalität von der objektiven Zurechnung?

Kausalität ist die naturhafte Ursache-Wirkung-Beziehung. Objektive Zurechnung ist eine nachgelagerte rechtliche Bewertung, ob der Erfolg dem Handelnden aufgrund geschaffener, rechtlich missbilligter Risiken zugerechnet werden soll.

Wie wird Kausalität bei einem Unterlassen geprüft?

Es wird hypothetisch gefragt, ob der Erfolg bei gebotenem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Bejaht man dies, ist das Unterlassen quasi-kausal für den Erfolg.

Was gilt, wenn mehrere Personen zum selben Erfolg beitragen?

Jeder Beitrag kann kausal sein, wenn der Erfolg ohne ihn entfallen wäre. Das gilt sowohl für kumulative Verläufe (Summe mehrerer Beiträge) als auch für alternative Verläufe (jeder Beitrag für sich hätte den Erfolg herbeigeführt).

Welche Rolle spielt Kausalität bei Fahrlässigkeitsdelikten?

Auch bei Fahrlässigkeit muss die Handlung kausal sein. Zusätzlich ist wesentlich, ob sich gerade das durch die Sorgfaltspflichtverletzung geschaffene Risiko im Erfolg realisiert hat.

Wie wird mit atypischen Kausalverläufen umgegangen?

Atypische Verläufe können kausal sein, führen aber häufig dazu, dass die objektive Zurechnung entfällt, wenn sich kein rechtlich missbilligtes, voraussehbares Risiko verwirklicht hat.

Ist psychische Einflussnahme auch ursächlich?

Psychische Beiträge, die eine Tat fördern oder ermöglichen, können kausal sein, wenn sie den konkreten Geschehensablauf tatsächlich beeinflussen und fördern.

Wie wird Kausalität im Strafprozess festgestellt?

Die Feststellung erfolgt anhand des gesamten Beweisergebnisses. Überzeugende, konsistente Ursachenketten, gestützt auf Tatsachen und Erfahrungswissen, sind maßgeblich; vernünftige Zweifel gehen zulasten der Anklage.