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Kapazitätsreserve


Kapazitätsreserve – Rechtliche Grundlagen und Einordnung

Begriff und Bedeutung der Kapazitätsreserve

Die Kapazitätsreserve ist ein zentraler Begriff im Energierecht und bezeichnet im Wesentlichen die im Strommarkt vorgehaltene Reserve elektrischer Leistung, welche im Bedarfsfall zur Wahrung der Versorgungssicherheit und Netzstabilität eingesetzt werden kann. Kapazitätsreserven werden unabhängig vom regulären Strommarkt bereitgestellt und dienen als Sicherheitsmechanismus, um unerwartete Schwankungen oder Versorgungslücken auszugleichen, insbesondere wenn kurzfristig nicht ausreichend elektrische Energie am Markt verfügbar ist.

Rechtliche Grundlagen und gesetzliche Regelungen

Allgemeine Rechtsgrundlagen

Die Errichtung und der Betrieb von Kapazitätsreserven unterliegen in Deutschland umfassenden gesetzlichen Regelungen, die vor allem im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), dem Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung und der Kapazitätsreserveverordnung (KapResV) verankert sind. Darüber hinaus finden sich relevante Vorschriften in der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) und sonstigen energiewirtschaftsrechtlichen Bestimmungen.

Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)

Nach § 13d EnWG sind Übertragungsnetzbetreiber dazu verpflichtet, Kapazitätsreserven vorzuhalten, um die Systemsicherheit gewährleistet zu können. Das EnWG regelt hierbei sowohl den Grundsatz der Versorgungssicherheit als auch die Rahmenbedingungen, unter denen Kapazitätsreserven eingerichtet, vorgehalten und finanziert werden dürfen.

Kapazitätsreserveverordnung (KapResV)

Auf Grundlage von § 13e EnWG hat die Bundesnetzagentur die Kapazitätsreserveverordnung (KapResV) erlassen. Die KapResV konkretisiert die Anforderungen an die Ausschreibung, den Umfang, die technische Ausgestaltung und die Vergütung von Kapazitätsreserven. Sie legt fest, dass Kapazitätsreserven nur außerhalb des Strommarktes und durch diskriminierungsfreie und transparente Ausschreibungsverfahren bestimmt werden dürfen. Zudem wird dort die Überprüfung der tatsächlichen Notwendigkeit sowie die Ausgestaltung der Vergütungsmechanismen detailliert geregelt.

Funktion und Zielsetzung der Kapazitätsreserve

Versorgungssicherheit

Hauptzweck der Kapazitätsreserve ist die Sicherstellung der Versorgungssicherheit im deutschen Strommarkt. Sie wird eingesetzt, wenn der Strommarkt und andere Maßnahmen (wie zum Beispiel Netzreserve oder Redispatch) zur Stabilisierung nicht mehr ausreichen, um das Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch zu gewährleisten.

Abgrenzung zu anderen Reservearten

Kapazitätsreserven sind abzugrenzen von anderen Formen der Netzreserve, Systemreserve oder strategischen Reserve. Während Netzreserven dazu dienen, Engpässe im Übertragungsnetz zu beheben, und Systemreserven vor allem für den Ausgleich von Frequenzabweichungen genutzt werden, dient die Kapazitätsreserve ausschließlich der letzten Absicherung gegen eine Unterdeckung des Stromangebots.

Beteiligte Akteure und deren rechtliche Pflichten

Übertragungsnetzbetreiber

Die Übertragungsnetzbetreiber sind nach dem EnWG verpflichtet, den Umfang der benötigten Kapazitätsreserve zu ermitteln, ihre Bereitstellung auszuschreiben und deren Abruf im Bedarfsfall sicherzustellen. Sie unterliegen hierbei der Regulierung und Überwachung durch die Bundesnetzagentur, welche insbesondere die Kostenkontrolle und Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sicherstellt.

Stromerzeugungsunternehmen

Stromerzeuger können sich im Rahmen von Ausschreibungsverfahren um die Bereitstellung von Kapazitätsreserven bewerben. Sie müssen die technischen und rechtlichen Anforderungen erfüllen, die in der Kapazitätsreserveverordnung vorgegeben sind. Dazu zählen insbesondere Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, schnelle Aktivierbarkeit und Einhaltung von Emissionsstandards.

Bundesnetzagentur

Der Bundesnetzagentur obliegt die Kontrolle und Überwachung der Kapazitätsreserve. Sie prüft die Notwendigkeit, genehmigt Ausschreibungsverfahren und überwacht deren Durchführung sowie die ordnungsgemäße Vergütung der erbrachten Leistungen.

Wirtschaftsrechtliche und vergaberechtliche Aspekte

Ausschreibung und Vertragsgestaltung

Kapazitätsreserven werden im Rahmen öffentlicher und diskriminierungsfreier Ausschreibungsverfahren vergeben. Die Ausschreibung muss transparent gestaltet werden und alle relevanten Informationen zu technischen Anforderungen, Vergütung und Haftungsfragen enthalten. Die vertragliche Ausgestaltung ist durch sektorspezifische Vorgaben des EnWG und der KapResV bestimmt, die unter anderem Regelungen zu Mindestvertragslaufzeiten, Kündigungsrechten und Kostenumlagen festlegen.

Vergütung und Kostenumlage

Die Vergütung für die Bereitstellung von Kapazitätsreserven richtet sich nach den Ergebnissen der Ausschreibungsverfahren. Die entstehenden Kosten werden gemäß § 13d Abs. 6 EnWG auf die Netzentgelte umgelegt und damit letztlich von den Stromverbrauchern getragen.

Europarechtliche Einflüsse

Die rechtliche Ausgestaltung von Kapazitätsreserven ist nicht nur durch nationales Recht, sondern zunehmend auch durch europäisches Energierecht beeinflusst. Die Verordnung (EU) 2019/943 über den Elektrizitätsbinnenmarkt und die Strommarkt-Richtlinie (EU) 2019/944 sowie die Vorgaben der Europäischen Kommission zur Genehmigung von Kapazitätsmechanismen setzen den nationalen Regelungen enge Grenzen und verlangen die Vermeidung unerwünschter Wettbewerbsverzerrungen sowie die Beschränkung der Kapazitätsreserve auf das notwendige Maß.

Rechtsschutz und Aufsicht

Die Entscheidungen der Bundesnetzagentur zu Ausschreibung, Umfang und Vergütung der Kapazitätsreserve sind nach den Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts durch die Beteiligten überprüfbar. Übertragungsnetzbetreiber und Stromerzeuger können gegen Entscheidungen der Behörde beim Verwaltungsgericht Rechtsbehelf einlegen.

Fazit

Kapazitätsreserven sind ein rechtsstaatlich und regulatorisch wichtiger Baustein zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit im deutschen Strommarkt. Die gesetzlichen Vorgaben und regulatorischen Maßnahmen in Deutschland verfolgen dabei das Ziel, eine funktionsfähige, diskriminierungsfreie und sichere Stromversorgung zu gewährleisten, wobei europarechtliche Vorgaben einen immer stärkeren Regulierungsrahmen vorgeben. Die komplexen Rechtsvorschriften und die umfänglichen Kontrollmechanismen bilden einen integralen Bestandteil der deutschen Energieversorgungssicherheit.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird die Kapazitätsreserve rechtlich ausgeschrieben und vergeben?

Die Ausschreibung und Vergabe der Kapazitätsreserve ist im Wesentlichen im § 13e des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sowie in der Kapazitätsreserveverordnung (KapResV) geregelt. Die Bundesnetzagentur ist für die Durchführung der Ausschreibungen verantwortlich. Dabei werden mittels Ausschreibungen marktbasierte Mechanismen genutzt, um die benötigte Reserveleistung zu möglichst geringen Kosten für die Allgemeinheit zu beschaffen. Vertragsparteien können Betreiber von Erzeugungsanlagen, Speicheranlagen und Lasten sein, soweit sie die strengen Ausschlusskriterien wie etwa die Nichtteilnahme am Strommarkt erfüllen. Die konkreten Anforderungen, Fristen, Präqualifikationsbedingungen sowie der Ablauf der Auktionen ergeben sich detailliert aus der KapResV; der regulatorische Rahmen sieht unter anderem Transparenzpflichten, Überwachungsrechte der Bundesnetzagentur und bestimmte Berichtspflichten vor. Zwangsstilllegungen oder Marktprämienanlagen sind beispielsweise ausdrücklich ausgeschlossen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Besteht eine staatliche Entschädigungspflicht für bereitgestellte Kapazitätsreserven?

Die Bereitstellung der Kapazitätsreserve wird grundsätzlich durch vertraglich vereinbarte Vergütungen abgegolten, die im Ausschreibungsverfahren festgelegt werden. Ein allgemeiner staatlicher Entschädigungsanspruch besteht nicht, da es sich um eine marktbasierte Reserve handelt und sämtliche Zahlungen durch die Übertragungsnetzbetreiber aus den Netzentgelten geleistet werden (§ 12 KapResV). Allerdings sind Schadensersatzansprüche bei Pflichtverletzungen oder vorzeitiger Beendigung des Vertrages nur unter engen, rechtlich geregelten Voraussetzungen möglich. Die Verträge enthalten Regelungen für Leistungsstörungen, Kündigungsrechte und Haftungsfragen, welche unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten sind. Über die in der Ausschreibung festgelegten Vergütungen hinaus bestehen keine weiteren Entschädigungsansprüche gegenüber dem Staat.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen bezüglich der Stilllegung für Anlagen in der Kapazitätsreserve?

Anlagen, die der Kapazitätsreserve zugeordnet werden, unterliegen einer zwingenden Verpflichtung zur „kalten Reserve“, d. h., sie dürfen weder am Strommarkt teilnehmen noch Energie in das Netz einspeisen, solange sie der Reserve zugeordnet sind (§ 13e Abs. 5 EnWG, § 15 KapResV). Die Inbetriebnahme, Wartung sowie die Möglichkeit der schnellen Aktivierung auf Abruf sind detailliert reglementiert. Betreiber müssen technische, organisatorische und rechtliche Voraussetzungen nachweisen und dürfen die Anlage während der Vertragslaufzeit nicht endgültig stilllegen, außer es liegen schwerwiegende, im Vertrag und Gesetz definierte Gründe wie höhere Gewalt oder technische Unmöglichkeit vor. Die Bundesnetzagentur und die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber sind berechtigt, dies zu überwachen und bei Verstößen Vertragsstrafen oder den Entzug der Zuordnung auszusprechen.

Wie sind Haftungs- und Sanktionsregelungen im Kontext der Kapazitätsreserve geregelt?

Die Haftungs- und Sanktionsregelungen sind primär zivilrechtlicher Natur und werden durch die zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Anlagenbetreibern abgeschlossenen Verträge bestimmt. Verstoßen Betreiber gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten – etwa durch unerlaubte Einspeisung oder Nichtverfügbarkeit – können Vertragsstrafen, Schadensersatzansprüche oder sogar ein Ausschluss aus zukünftigen Ausschreibungen verhängt werden (§ 21 KapResV). Zusätzlich ist eine behördliche Kontrolle durch die Bundesnetzagentur möglich. Die Sanktionen sind so ausgestaltet, dass Fehlanreize im Markt vermieden und die Sicherheit der Versorgung gewährleistet bleibt. Verstöße gegen das EnWG oder die KapResV können zudem ordnungswidrigkeitsrechtlich geahndet werden.

Welche rechtlichen Informations- und Dokumentationspflichten bestehen für Betreiber von Kapazitätsreserve-Anlagen?

Betreiber von Kapazitätsreserve-Anlagen treffen umfassende Informationspflichten. Sie sind verpflichtet, regelmäßig Statusfeststellungen sowie Verfügbarkeits- und Instandhaltungsnachweise an den jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber zu melden (§ 23 KapResV). Zudem müssen sie jegliche technischen Störungen, geplante Wartungen und kurzfristige Änderungen der Betriebsbereitschaft unverzüglich anzeigen. Die KapResV verpflichtet Betreiber zur Vorhaltung einer lückenlosen Dokumentation über den Betriebszustand sowie die Einhaltung aller aus der Reservezuordnung resultierenden rechtlichen Anforderungen. Die Bundesnetzagentur kann Einsicht in sämtliche Unterlagen verlangen und Betriebskontrollen durchführen.

Unterliegen Kapazitätsreserve-Anlagen besonderen Genehmigungsverfahren?

Neben den allgemeinen immissionsschutz-, energie- und genehmigungsrechtlichen Anforderungen, die für alle Energieanlagen gelten, sind keine speziellen zusätzlichen Genehmigungsverfahren allein wegen der Teilnahme an der Kapazitätsreserve vorgesehen. Allerdings müssen Betreiber im Rahmen des Präqualifikationsprozesses nachweisen, dass alle bestehenden behördlichen Auflagen erfüllt und eventuelle Genehmigungen aktuell sind (§ 9 KapResV). Insbesondere der Nachweis über die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen und die Zuverlässigkeit der technischen Ausstattung sind zwingende Voraussetzung für die Zulassung zur Ausschreibung und den Abschluss eines Reservevertrags.

Inwiefern beeinflussen europarechtliche Vorgaben die nationale Regulatorik zur Kapazitätsreserve?

Die nationale Ausgestaltung der Kapazitätsreserve steht im Einklang mit den Vorgaben des europäischen Rechts, insbesondere im Hinblick auf die Beihilfenkontrolle gemäß Art. 107 ff. AEUV und die Strommarktverordnung (EU) 2019/943. Insbesondere sind Transparenz, Nichtdiskriminierung, Technologieneutralität und die Vermeidung von Marktkonflikten zentrale Vorgaben, die auch in der nationalen Umsetzung verbindlich sind. Genehmigungspflichten nach EU-Beihilferecht werden regelmäßig im Rahmen der EU-Kommissionsentscheidung (z. B. SA.49276) kontrolliert, um Wettbewerb und Binnenmarkt zu gewährleisten. Nationale Regelungen müssen daher stets mit europarechtlichen Vorgaben abgeglichen und ggf. angepasst werden.