Kammer für Handelssachen – Rechtslage, Aufgaben und Verfahren
Die Kammer für Handelssachen ist ein besonderes Spruchorgan deutscher Landgerichte, das für die Entscheidung über Handelssachen in erster Instanz zuständig ist. Ihre gesetzliche Ausgestaltung, Zuständigkeiten und das Verfahren sind im Gerichtssystem der Bundesrepublik Deutschland klar geregelt. Die Kammer für Handelssachen bleibt für Unternehmen und im Handelsrecht tätige Personen ein bedeutendes Forum der Streitbeilegung. Nachfolgend werden die Begriffsbestimmung, der organisatorische Aufbau, die gesetzliche Grundlage, die Zuständigkeit, das Verfahren, die Besetzung sowie die Verfahrensbedeutung umfassend dargestellt und erläutert.
Begriff und rechtliche Grundlagen
Definition
Eine Kammer für Handelssachen ist eine besondere Kammer bei den Landgerichten, die für Streitigkeiten zuständig ist, die als Handelssachen im Sinne der §§ 95 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eingestuft werden. Damit stellt sie ein spezielles Spruchorgan im ordentlichen Gerichtszweig dar, welches fachlich auf handelsrechtliche Streitigkeiten bezogen ist.
Gesetzliche Grundlage
Die rechtlichen Grundlagen der Kammer für Handelssachen finden sich primär in den §§ 93 bis 114 GVG. Relevante Ergänzungen ergeben sich insbesondere aus handelsrechtlichen Nebengesetzen wie dem Handelsgesetzbuch (HGB), sowie aus Verfahrensregelungen in der Zivilprozessordnung (ZPO). Die organisatorische Verankerung betrifft alle Landgerichte in Deutschland, wobei die genaue Anzahl der Kammern sowie deren Bildung in der Geschäftsverteilung geregelt ist.
Zuständigkeit
Sachliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen beschränkt sich auf solche Streitigkeiten, die als Handelssachen definiert sind. Dazu zählen gemäß § 95 GVG insbesondere Zivilrechtsstreitigkeiten, an denen zumindest eine Partei ein Kaufmann im Sinne des HGB ist und der Streit einen Gegenstand betrifft, der im Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb steht. Dazu gehören weiter besondere handelsrechtliche Streitigkeiten, zum Beispiel solche aus Wechsel- oder Scheckprozessen oder aus aktienrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Differenzen.
Örtliche Zuständigkeit
Örtlich ist grundsätzlich das Landgericht sachlich berufen, in dessen Bezirk die beklagte Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat oder entsprechend spezialgesetzliche Vorschriften eingreifen.
Wahlrecht der Parteien
Bedeutsam ist das Wahlrecht: Parteien können gemäß § 96 GVG grundsätzlich wählen, ob sie ihre Klage vor der ordentlichen Zivilkammer oder der Kammer für Handelssachen anhängig machen. Die Kammer für Handelssachen wird zuständig, wenn die klagende Partei dies beantragt oder der Beklagte dies beantragt und die Voraussetzungen vorliegen. Ohne Antrag befasst sich die normale Zivilkammer des Landgerichts mit dem Rechtsstreit.
Organisation und Besetzung
Zusammensetzung
Die Kammer für Handelssachen besteht gemäß § 105 GVG aus einem vorsitzenden Richter am Landgericht und zwei ehrenamtlichen Handelsrichtern. Während der vorsitzende Richter Berufsrichter ist, werden die Handelsrichter als Laienrichter aus dem Kreis der Kaufleute (meist aktive oder ehemalige Geschäftsleute) berufen. Ihre Bestellung erfolgt durch die Landesjustizverwaltungen für eine bestimmte Amtsperiode.
Bestellung der Handelsrichter
Die ehrenamtlichen Handelsrichter werden in regelmäßigen Abständen auf Vorschlag von Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern für eine bestimmte Zeitspanne berufen und sollen besondere Erfahrungen im Handelsverkehr aufweisen.
Sinn und Zweck der Besetzung
Die Einbindung von Handelsrichtern dient dazu, wirtschaftspraktische Erfahrungen und spezifisches Wissen aus dem Handelsleben in die Rechtsfindung einzubringen, insbesondere bei auslegungsbedürftigen Normen des Handelsrechts.
Verfahren vor der Kammer für Handelssachen
Verfahrensgrundlagen
Das Verfahren vor der Kammer für Handelssachen richtet sich weitgehend nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO), ergänzt durch die Regelungen der §§ 93 – 114 GVG. Im Grundsatz gelten die allgemeinen Regeln des Zivilprozesses (Dispositionsgrundsatz, Mündlichkeitsgrundsatz, Unmittelbarkeitsgrundsatz).
Antrag und Eröffnung
Zur Eröffnung des Verfahrens vor der Kammer für Handelssachen ist in den meisten Fällen ein Antrag einer der Parteien erforderlich. Die Antragstellung kann seitens des Klägers bereits in der Klageschrift oder vom Beklagten im Laufe des Prozesses erfolgen.
Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme
Das Verfahren unterscheidet sich im Ablauf kaum von dem vor der gewöhnlichen Zivilkammer des Landgerichts. Die Besonderheit liegt in der aktiven Mitwirkung der Handelsrichter, insbesondere bei der Beurteilung von Handelsbräuchen, kaufmännischen Gepflogenheiten und branchenspezifischen Gepflogenheiten.
Kosten
Die Kosten des Verfahrens richten sich nach den allgemeinen Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Es entstehen durch das besondere Spruchorgan keine zusätzlichen Gebühren.
Rechtsmittel und Instanzenzug
Urteile der Kammer für Handelssachen sind mit den üblichen Rechtsmitteln der Zivilgerichtsbarkeit angreifbar, insbesondere der Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) und gegebenenfalls der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH). In den höheren Instanzen wird dann nicht mehr in der besonderen Form der Kammer für Handelssachen, sondern regulär in Senaten oder Zivilsenaten bzw. beim Bundesgerichtshof verhandelt.
Bedeutung und Funktionen
Relevanz für den Wirtschaftsverkehr
Die Kammer für Handelssachen hat als Bindeglied zwischen der Justiz und dem Wirtschaftsleben einen hohen Stellenwert. Typische Streitigkeiten betreffen beispielsweise den Handelsvertreterausgleich, Haftungsfragen aus dem HGB, Handelsregistersachen, Unternehmenskäufe oder aktien- und gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten.
Vorteile der Kammer für Handelssachen
Zu den Vorteilen zählen die Einbindung sachkundiger Ehrenamtlicher aus der Wirtschaft und die Möglichkeit rascher und praxisnaher Rechtsfindung. Die Kammern sind insbesondere für Wirtschaftsprozesse, die anspruchsvolles Handelsrecht betreffen, das bevorzugte Forum.
Grenzen und Kritik
In einzelnen Fällen wird kritisiert, dass die Bestellung der Handelsrichter an die praktische Tätigkeit in Kammern gebunden ist und manche Wirtschaftszweige dadurch stärker vertreten sind als andere. Zudem ist eine Partei ohne Antragstellung auf das gewöhnliche Verfahren vor der Zivilkammer verwiesen.
Literatur und weiterführende Regelungen
Weiterführende Informationen und Regelungen finden sich in:
- Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), §§ 93-114
- Handelsgesetzbuch (HGB)
- Zivilprozessordnung (ZPO)
- Gerichtskostengesetz (GKG)
Einzelne Landgerichte veröffentlichen zudem eigene Handreichungen und Merkblätter zum Ablauf und den Besonderheiten der Kammer für Handelssachen.
Zusammenfassung
Die Kammer für Handelssachen ist ein spezialisiertes Spruchorgan der deutschen Landgerichte für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten mit Beteiligung von Unternehmen oder Kaufleuten. Ihre Aufgaben, Zusammensetzung und das Verfahren sind gesetzlich geregelt. In der Praxis stellt sie ein bewährtes Instrument für eine effiziente, praxisnahe und sachkundige Streitbeilegung im Bereich des Handelsrechts dar. Das besondere Element der Einbindung ehrenamtlicher Handelsrichter aus der Wirtschaft gibt der Kammer für Handelssachen einen hohen Stellenwert im deutschen Zivilprozess.
Häufig gestellte Fragen
Welche Zuständigkeit hat die Kammer für Handelssachen?
Die Kammer für Handelssachen ist ein besonderer Spruchkörper am Landgericht, der ausschließlich für Handelsstreitigkeiten zuständig ist. Handelsstreitigkeiten umfassen alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die zwischen Kaufleuten, Handelsgesellschaften oder bestimmten wirtschaftlichen Vereinigungen aus Handelsgeschäften entstehen (§ 95 GVG). Das betrifft vor allem Klagen aus dem Handelsrecht, wie z.B. Streitigkeiten aus Kaufverträgen zwischen Kaufleuten, Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern von OHG oder KG, sowie aus Prokura- und Handlungsvollmachten. Die sachliche Zuständigkeit liegt regelmäßig beim Landgericht, sobald der Streitwert über 5.000 € beträgt oder durch besondere gesetzliche Vorschrift eine Zuständigkeit begründet wird. Auch wenn eine Partei dies ausdrücklich beantragt, kann die Kammer für Handelssachen tätig werden. Verfahren vor der Kammer für Handelssachen sind für Handelssachen obligatorisch, außer beide Parteien verzichten ausdrücklich darauf.
Wer kann Handelsrichter werden und welche Aufgaben haben sie?
Handelsrichter sind ehrenamtliche Richter, die die Kammer für Handelssachen zusammen mit einem Berufsrichter bilden (§ 105 GVG). Sie müssen gemäß § 109 GVG Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuchs sein und mindestens 30 Jahre alt sein. Sie werden auf Vorschlag von Industrie- und Handelskammern für fünf Jahre berufen und repräsentieren die kaufmännische Praxis in der Rechtsprechung. Ihre Hauptaufgabe ist es, mit ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Erfahrung an der Entscheidungsfindung der Kammer mitzuwirken und das Fachwissen aus der Wirtschaft in den Prozess einzubringen. Die Kammer ist mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei ehrenamtlichen Handelsrichtern besetzt, sodass die Mehrheit der Stimmen häufig bei den in der Wirtschafts- und Handelspraxis erfahrenen Laienrichtern liegt.
Wie ist der Aufbau eines Verfahrens vor der Kammer für Handelssachen?
Das Verfahren vor der Kammer für Handelssachen folgt grundsätzlich den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), weist jedoch einige Besonderheiten auf. Der Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen kann bereits in der Klageschrift gestellt werden. Die Klageschrift muss zudem die für die Besetzung der Kammer notwendigen Angaben enthalten, insbesondere die Eigenschaft der Parteien als Kaufleute. Die mündliche Verhandlung erfolgt wie im allgemeinen Zivilprozess. Entscheidungen der Kammer werden durch den Vorsitzenden gemeinsam mit den beiden Handelsrichtern getroffen. Berufungen gegen Urteile der Kammer für Handelssachen richten sich nach den allgemeinen Regeln; zuständig bleibt das jeweilige Oberlandesgericht, jedoch ohne Besetzung mit Handelsrichtern.
In welchen Fällen ist die Kammer für Handelssachen nicht zuständig?
Die Kammer für Handelssachen ist nicht für alle Streitigkeiten in Handelssachen zuständig. Ausgenommen sind insbesondere arbeitsrechtliche Streitigkeiten, Verfahren wegen Insolvenz, Familien- und Erbsachen oder Ansprüche, die außerhalb eines Handelsgeschäfts zwischen Privatpersonen bestehen. Auch Streitigkeiten zwischen Nicht-Kaufleuten oder wenn der Streit keinen Bezug zu einem Handelsgeschäft gemäß HGB hat, werden nicht durch die Kammer für Handelssachen entschieden. Zudem kann sich die Kammer für Handelssachen für unzuständig erklären, wenn keine der Parteien die Eigenschaft als Kaufmann nachweist oder nicht rechtzeitig beantragt wird.
Ist die Anrufung der Kammer für Handelssachen verpflichtend?
Die Anrufung der Kammer für Handelssachen ist nicht immer verpflichtend. Wenn beide Parteien Kaufleute im Sinne des HGB sind oder es sich um Gesellschaften oder juristische Personen des Handelsrechts handelt, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass eine der Parteien die Kammer für Handelssachen anruft. Dies kann entweder in der Klageschrift oder im weiteren Verlauf des Verfahrens, spätestens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beantragt werden. Falls keine Partei einen Antrag stellt oder beide Parteien ausdrücklich verzichten, wird die Sache vor der Zivilkammer und nicht vor der Kammer für Handelssachen verhandelt (§ 96 GVG). In bestimmten Fällen, wie bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen innerhalb von Handelsgesellschaften, ist die Einschaltung der Kammer jedoch zwingende gesetzliche Vorgabe.
Welche Rechtsmittel sind gegen Entscheidungen der Kammer für Handelssachen möglich?
Gegen Urteile der Kammer für Handelssachen ist das Rechtsmittel der Berufung nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften gegeben, sofern die Beschwer den jeweiligen Berufungswert übersteigt oder das Gericht die Berufung zulässt. Über die Berufung entscheidet das Oberlandesgericht in regulärer Besetzung, jedoch nicht in einer auf Handelssachen spezialisierten Besetzung. Auch das Rechtsmittel der Revision ist unter den Voraussetzungen der ZPO und des GVG möglich. Darüber hinaus können im Einzelfall Nichtzulassungsbeschwerde und Prozesskostenhilfe beantragt werden. Einzigartig für die Kammer für Handelssachen ist, dass Beschlüsse und Entscheidungen stets mit der Begründung erfolgen, ob die Einschaltung der Kammer sachlich und persönlich begründet war.
Welche besonderen Verfahrensregelungen gelten vor der Kammer für Handelssachen?
Die Kammer für Handelssachen sieht einige spezifische prozessuale Regelungen vor. Die Besetzung mit drei Richtern, von denen zwei ehrenamtlich sind, stellt eine Besonderheit dar. Das Ziel dieser Mitwirkung der Handelsrichter ist es, aufgrund deren Praxisnähe eine sachgerechte Entscheidung zu erzielen. Zudem wird in der Praxis häufig auf eine umfassende mündliche Verhandlung und ggf. auf Mediation gesetzt, um wirtschaftliche Konflikte möglichst effizient und praxisgerecht zu lösen. Prozessuale Vorgaben der ZPO, wie insbesondere die Regelungen zu Beweisaufnahme, Fristen und Kosten, gelten jedoch uneingeschränkt. Auch in Teilurteil- und Versäumnisverfahren wird nach den allgemeinen Regeln verfahren – mit der Ausnahme, dass stets die Besonderheiten des Handelsrechts zu beachten sind.