Legal Lexikon

Juristische Handlung


Begriffserläuterung: Juristische Handlung

Eine juristische Handlung bezeichnet im Recht eine bewusste Willensäußerung einer natürlichen oder juristischen Person, die darauf gerichtet ist, eine rechtliche Wirkung herbeizuführen. Juristische Handlungen sind ein zentrales Element des Rechtsverkehrs und können sowohl im Privatrecht als auch im öffentlichen Recht auftreten. Im deutschen Rechtssystem wird der Begriff häufig synonym mit dem Begriff der Willenserklärung verwendet, wobei darunter ein rechtserhebliches, auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtetes Verhalten verstanden wird.

Rechtliche Grundlagen

Definition und Abgrenzung

Abgrenzung zur tatsächlichen Handlung

Im Unterschied zur tatsächlichen Handlung, bei der es um rein faktische Verhaltensweisen ohne unmittelbare Rechtsfolgen geht, zielt die juristische Handlung darauf ab, einen bestimmten rechtlichen Erfolg zu bewirken. Während beispielsweise das Tragen eines Freundes auf den Schultern keine Rechtsfolgen auslöst, bewirkt die Abgabe eines Angebots zum Vertragsschluss die Entstehung von Rechtsfolgen.

Willenserklärung als zentrale Form

Die wohl wichtigste Unterkategorie der juristischen Handlung ist die Willenserklärung (§ 116 ff. BGB). Diese besteht aus einem inneren Willen (Handlungswille, Erklärungswille, Geschäftswille) und dessen Kundgabe gegenüber einer anderen Person oder der Öffentlichkeit.

Privatrechtliche Bedeutung

Im Privatrecht, insbesondere im Zivilrecht, bildet die juristische Handlung mit der Willenserklärung das Fundament zahlreicher Rechtsgeschäfte, wie etwa Verträge, ein- oder zweiseitige Rechtsgeschäfte oder Gestaltungsrechte. Juristische Handlungen führen hier typischerweise zur Begründung, Änderung, Übertragung oder Beendigung von Rechten und Pflichten.

Öffentlich-rechtliche Bedeutung

Auch im öffentlichen Recht sind juristische Handlungen von zentraler Bedeutung. Beispiele sind der Erlass eines Verwaltungsakts oder die Abgabe einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung. Die Handlungen einer Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit sind häufig als juristische Handlungen zu qualifizieren.

Typen der juristischen Handlung

Einteilung nach der Rechtsfolge

Verpflichtungsgeschäfte

Solche juristischen Handlungen, die das Entstehen oder Erlöschen von Verpflichtungen herbeiführen, werden als Verpflichtungsgeschäfte bezeichnet. Klassische Beispiele sind Kauf-, Miet- oder Dienstverträge.

Verfügungsgeschäfte

Verfügungsgeschäfte wirken unmittelbar auf ein bestehendes Recht ein, etwa die Übertragung von Eigentum nach § 929 BGB oder die Abtretung einer Forderung nach § 398 BGB.

Gestaltungsrechtliche Handlungen

Gestaltungsrechtliche Handlungen bewirken durch eine einseitige Erklärung unmittelbar eine Rechtsänderung, wie zum Beispiel die Kündigung eines Vertrags, der Rücktritt oder die Anfechtung.

Einteilung nach Beteiligten

Einseitige Handlungen

Der rechtlichen Wirkung bedarf es nur der Willensäußerung einer Person (z. B. Testament, Auslobung, Kündigung, Rücktritt).

Mehrseitige Handlungen

Hier sind Willenserklärungen mehrerer Parteien erforderlich, wie bei einem Vertragsschluss oder bei einer gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung.

Voraussetzungen

Geschäftsfähigkeit

Eine wirksame juristische Handlung setzt regelmäßig Geschäftsfähigkeit der handelnden Person voraus. Natürliche Personen können nach Maßgabe der §§ 104 ff. BGB beschränkt oder voll geschäftsfähig sein; juristische Personen handeln durch ihre Organe.

Rechts- und Handlungswille

Ein wesentlicher Bestandteil ist der Rechtswille, das heißt, die bewusste Herbeiführung einer bestimmten rechtlichen Wirkung. Fehlt dieser Wille, beispielsweise bei erkennbar nicht ernst gemeinten Erklärungen (Scherz), liegt keine wirksame juristische Handlung vor (§ 118 BGB).

Zugang und Form

Je nach Art der juristischen Handlung können gesetzliche oder vertragliche Formerfordernisse bestehen (z. B. Schriftform bei Bürgschaftserklärungen nach § 766 BGB), und die Wirksamkeit kann vom Zugang beim Erklärungsempfänger abhängen (§ 130 BGB).

Unwirksamkeit und Anfechtung

Nichtigkeit

Eine juristische Handlung kann im Einzelfall nichtig sein, zum Beispiel wegen Formmangels (§ 125 BGB), Inhaltsmangels (§ 134 BGB, gesetzliches Verbot) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB).

Anfechtbarkeit

Nach den §§ 119 ff. BGB kann eine juristische Handlung nachträglich angefochten werden, wenn beispielsweise ein Irrtum, eine Täuschung oder eine widerrechtliche Drohung vorliegt. Die Wirksamkeit der Handlung ist dann rückwirkend beseitigt.

Sonderformen und verwandte Rechtsbegriffe

Realakte

Realakte stellen tatsächliche Handlungen mit Rechtsfolgen dar, ohne dass ein Rechtsbindungswille vorliegen muss (z. B. Besitzübergabe, Übergabe einer Sache). Sie stellen keine juristischen Handlungen im engeren Sinne, wirken sich aber trotzdem auf bestehende Rechtsverhältnisse aus.

öffentlich-rechtliche Willenserklärung

Im Verwaltungsrecht findet sich die öffentlich-rechtliche Willenserklärung etwa bei hoheitlichen Maßnahmen (z. B. Erlass eines Verwaltungsakts), die sich von privatrechtlich motivierten Handlungen abgrenzen lässt.

Bedeutung und Anwendungsbereiche

Rechtsgeschäftlicher Verkehr

Ohne wirksame juristische Handlungen wäre der rechtsgeschäftliche Verkehr, etwa der Abschluss von Verträgen, Rechtsnachfolgen, Schenkungen oder gesellschaftsrechtlichen Vorgängen, nicht möglich. Sie stellen daher eine unverzichtbare Grundlage nahezu aller rechtlich relevanten Lebensbereiche dar.

Öffentliche Verwaltung und hoheitliches Handeln

Ebenso sind behördliche Handlungen, die auf die Setzung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten ausgerichtet sind, als juristische Handlungen zu klassifizieren.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG)
  • Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar
  • Münchener Kommentar zum BGB

Dieser Artikel bietet eine umfassende und detaillierte Übersicht über den Begriff der juristischen Handlung, beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, Typen, Voraussetzungen und praktischen Anwendungsbereiche und grenzt verwandte Rechtsinstitute klar ab.

Häufig gestellte Fragen

Wann gilt eine juristische Handlung im rechtlichen Sinne als wirksam?

Eine juristische Handlung gilt im rechtlichen Sinne als wirksam, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen, die für die jeweils einschlägige Handlung vorgeschrieben sind, erfüllt wurden. Dazu gehört zunächst die Geschäftsfähigkeit der handelnden Person; sie muss mindestens beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB) sein, es sei denn, das Gesetz sieht Ausnahmen vor. Weiterhin muss die Willenserklärung frei von Willensmängeln wie Irrtum, Täuschung oder Drohung abgegeben worden sein, um die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit zu vermeiden (§§ 119 ff. BGB). Darüber hinaus darf der Inhalt der juristischen Handlung nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen. In bestimmten Fällen ist die Einhaltung besonderer Formvorschriften (z.B. Schriftform, notarielle Beurkundung) vorgeschrieben; Unterbleibt die vorgeschriebene Form, ist die juristische Handlung in der Regel nichtig (§ 125 BGB). Erst wenn sämtliche dieser Voraussetzungen vorliegen, entfaltet die juristische Handlung ihre gewollte Rechtswirkung und ist somit rechtlich wirksam.

Welche Rolle spielt die Geschäftsfähigkeit bei der Vornahme juristischer Handlungen?

Die Geschäftsfähigkeit ist ein zentraler Aspekt bei juristischen Handlungen, da sie bestimmt, ob eine Person eigenständig und rechtswirksam Willenserklärungen abgeben und empfangen sowie Rechtsgeschäfte vornehmen kann (§§ 104 ff. BGB). Minderjährige oder Personen, die aufgrund geistiger Beeinträchtigungen unter Betreuung stehen, sind in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt. Handlungen, die von Personen vorgenommen werden, die geschäftsunfähig sind, sind grundsätzlich nichtig (§ 105 BGB) – das gilt insbesondere für Kinder unter sieben Jahren. Im Falle der beschränkten Geschäftsfähigkeit – typischerweise Personen zwischen dem siebten und achtzehnten Lebensjahr – bedarf es für zahlreiche Handlungen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB). Eine Missachtung dieser Grundsätze kann dazu führen, dass die betreffende juristische Handlung keine rechtliche Wirkung entfaltet oder lediglich schwebend unwirksam ist, bis die Zustimmung des Vertreters nachträglich erteilt wird.

Was passiert, wenn eine juristische Handlung unter einem Willensmangel erfolgt?

Kommt eine juristische Handlung unter einem Willensmangel – beispielsweise durch Irrtum (§ 119 BGB), widerrechtliche Drohung (§ 123 BGB) oder arglistige Täuschung – zustande, ist sie grundsätzlich anfechtbar. Der Anfechtende muss den Willensmangel unverzüglich geltend machen, sobald er Kenntnis von ihm erlangt. Eine wirksame Anfechtung führt grundsätzlich zur Rückwirkung (ex tunc), sodass die Handlung als von Anfang an nichtig behandelt wird. Zu beachten ist hierbei, dass der Anfechtende jedoch unter bestimmten Umständen, insbesondere bei eigener Fahrlässigkeit oder Vorsatz, zum Schadensersatz verpflichtet werden kann (§ 122 BGB). Die unterschiedliche Behandlung von Willensmängeln folgt dem Ziel, einerseits den Willen des Handelnden zu schützen, andererseits aber auch die Sicherheit und Stabilität des Rechtsverkehrs zu gewährleisten.

Kann eine juristische Handlung auch ohne Einhaltung der gesetzlichen Form wirksam sein?

Gesetzliche Formvorschriften dienen der Rechtssicherheit und Beweisbarkeit von juristischen Handlungen. Ist für eine bestimmte juristische Handlung eine Form gesetzlich vorgeschrieben – beispielsweise Schriftform bei Kündigungen oder notarielle Beurkundung beim Grundstückskauf (§ 311b BGB) – ist die Nichteinhaltung dieser Formvorschrift in aller Regel mit Nichtigkeit sanktioniert (§ 125 Satz 1 BGB). Es bestehen allerdings Ausnahmen, wenn das Gesetz ausdrücklich eine andere Rechtsfolge anordnet oder etwa Heilungsmöglichkeiten (z.B. nachträgliche Beurkundung) vorgesehen sind. In seltenen Fällen, etwa bei bestimmten Verstößen gegen die Textform, kann das Rechtsgeschäft trotzdem ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als wirksam angesehen werden, wenn die Umstände dies gebieten. Grundsätzlich jedoch ist die Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften unabdingbar für die Wirksamkeit der betreffenden juristischen Handlung.

Welche Bedeutung kommt dem Zugang einer Willenserklärung für die Wirksamkeit einer juristischen Handlung zu?

Für viele juristische Handlungen ist der Zugang der Willenserklärung entscheidend, damit die beabsichtigte Rechtsfolge eintritt. Der Zugang liegt vor, wenn die Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies ist insbesondere bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen wie beispielsweise Kündigungen, Mahnungen oder Vertragsangeboten relevant. Ohne ordnungsgemäßen Zugang entfaltet die Erklärung keine Rechtswirkung gegenüber dem Empfänger. In bestimmten Fällen können Verzögerungen oder Hindernisse beim Zugang (z.B. Annahmeverweigerung) dennoch dazu führen, dass der Zugang als erfolgt gilt, sofern der Empfänger bösgläubig handelt und den Zugang grob schuldhaft vereitelt. Der Zugang ist somit ein wesentlicher Bestandteil für die Wirksamkeit juristischer Handlungen im Rechtsverkehr.

Was unterscheidet eine einseitige von einer zweiseitigen juristischen Handlung rechtlich?

Eine einseitige juristische Handlung ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits die Willenserklärung einer einzigen Person ausreicht, um die beabsichtigte Rechtsfolge herbeizuführen – beispielsweise bei einer Kündigung oder einem Testament. Hingegen setzt eine zweiseitige juristische Handlung mehrere übereinstimmende Willenserklärungen voraus, wie dies beim Vertragsschluss der Fall ist (§§ 145 ff. BGB). Rechtlich bedeutsam ist diese Unterscheidung vor allem hinsichtlich der Formvorschriften, Erklärungsbedürftigkeit, Widerruflichkeit und des Zugangs. Einseitige Handlungen werden in der Regel erst mit Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam, während zweiseitige Handlungen einen Konsens – zumindest durch Angebot und Annahme – erfordern. Zudem gibt es unterschiedliche Regelungen zur Anfechtung und zu den Formerfordernissen, die bei zweiseitigen Rechtsgeschäften meist strenger sind.

Welche Folgen hat die Nichtigkeit einer juristischen Handlung?

Wenn eine juristische Handlung nichtig ist – sei es aufgrund Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften, Formmängeln, Geschäftsunfähigkeit oder Sittenwidrigkeit -, entfaltet sie keinerlei rechtliche Wirkung. Es entsteht somit keine Änderung der Rechtslage, wie sie ursprünglich mit der Handlung beabsichtigt war. Infolgedessen sind bereits ausgetauschte Leistungen rückabzuwickeln, meist über die sogenannten Rückabwicklungsansprüche (§§ 812 ff. BGB). Ist die Nichtigkeit einer juristischen Handlung nur teilweise gegeben, bleibt der verbleibende Geschäftsteil wirksam, soweit er mit dem ursprünglichen Willen der Parteien vereinbar bleibt (§ 139 BGB). In bestimmten Fällen kann eine sogenannte Umdeutung aufrecht erhalten werden (§ 140 BGB), wodurch eine nichtige Handlung unter Umständen in eine wirksame verwandelt wird, wenn dies dem Willen der Beteiligten entspricht.