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Jugendstrafvollzug


Begriff und Bedeutung des Jugendstrafvollzugs

Der Jugendstrafvollzug ist ein eigenständiger Bereich im deutschen Strafvollzugsrecht, der die Vollstreckung von Jugendstrafen und Untersuchungshaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden regelt. Ziel ist es, die straffällig gewordenen jungen Menschen durch erzieherische Maßnahmen zu einer verantwortungsbewussten und straffreien Lebensführung zurückzuführen. Der Jugendstrafvollzug unterscheidet sich hinsichtlich Zielsetzung, Vollzugsformen sowie rechtlich-normativer Ausgestaltung wesentlich vom Erwachsenenstrafvollzug.


Rechtsgrundlagen des Jugendstrafvollzugs

Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) bildet seit 1953 die gesetzliche Grundlage für die Reaktion auf Straftaten junger Menschen. Es beschreibt die Voraussetzungen und Durchführung des Jugendstrafvollzugs für Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) und Heranwachsende (18 bis unter 21 Jahre).

Landesjugendstrafvollzugsgesetze

Seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz für den Jugendstrafvollzug überwiegend bei den Bundesländern. Dadurch wurden spezifische Landesjugendstrafvollzugsgesetze verabschiedet (z. B. das Jugendstrafvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen, JStVollzG NRW), die den Vollzug in den jeweiligen Ländern detailliert regeln. Die bundesweit geltenden Vorschriften des JGG, speziell §§ 82 ff. JGG, sind jedoch weiterhin maßgeblich.

Übergeordnete Rechtsgrundlagen

Ergänzend finden das Grundgesetz (insbesondere Art. 1, Art. 2, Art. 6 GG), die Europäische Menschenrechtskonvention und Regelwerke der Vereinten Nationen (z. B. UN-Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen) Anwendung.


Ziele und Prinzipien des Jugendstrafvollzugs

Erziehungsvorrang

Kernanliegen des Jugendstrafvollzugs ist der Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1 JGG). Anders als bei Erwachsenen steht nicht die Sühne, sondern die Erziehung, Förderung und Wiedereingliederung im Mittelpunkt. Die Freiheitsentziehung soll möglichst kurz gehalten und auf das Notwendigste beschränkt sein.

Verhältnismäßigkeit

Die Anforderungen an den Jugendstrafvollzug richten sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet, dass Maßnahmen und Disziplinarmaßnahmen nur in dem Maß ergriffen werden dürfen, das zur Erreichung der Erziehungsziele erforderlich ist.

Besonderer Schutz Minderjähriger

Jugendliche und Heranwachsende genießen im Strafvollzug einen besonderen Schutz vor schädlichen Einflüssen und sollen ausdrücklich vor Stigmatisierung, Gewalt und Ausgrenzung bewahrt werden.


Voraussetzungen und Dauer des Jugendstrafvollzugs

Altersgrenzen

  • Jugendliche: Personen zwischen 14 und einschl. 17 Jahren
  • Heranwachsende: Personen zwischen 18 und einschl. 20 Jahren (Heranwachsende können, je nach Reifegrad, dem Jugendstrafvollzug unterstellt werden)
  • Kinder: Personen unter 14 Jahren sind generell strafunmündig (§ 19 StGB)

Verhängung und Dauer der Jugendstrafe

Die Jugendstrafe ist das schärfste Mittel des Jugendstrafrechts und darf nur verhängt werden, wenn schädliche Neigungen bestehen oder wegen der Schwere der Schuld (§ 17 JGG). Sie beträgt mindestens sechs Monate und maximal fünf Jahre, in schweren Ausnahmefällen bis zu zehn Jahre.


Vollzugsformen des Jugendstrafvollzugs

Untersuchungshaft

Vor der rechtskräftigen Verurteilung kann ein junger Mensch in Untersuchungshaft genommen werden. Auch hier gelten besondere Schutz- und Erziehungsvorschriften.

Jugendstrafe

Bei der Jugendstrafe handelt es sich um eine Freiheitsstrafe, die in speziellen Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs zu verbüßen ist, um den besonderen Bedürfnissen junger Menschen gerecht zu werden.

Besonderheiten bei Heranwachsenden

Heranwachsende können sowohl nach Jugend- als auch nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden. Im Jugendstrafvollzug werden sie einbezogen, wenn wie bei Jugendlichen eine erzieherische Wirkung angezeigt ist.


Einrichtungen, Organisation und Ablauf des Jugendstrafvollzugs

Jugendarrestanstalten und Jugendvollzugsanstalten

Der Vollzug findet in gesonderten Anstalten oder Abteilungen für Jugendstrafvollzug statt, um eine Vermischung mit erwachsenen Strafgefangenen zu verhindern.

Personal

Das Personal wird speziell geschult, um erzieherisch und entwicklungsfördernd tätig sein zu können.

Tages- und Wochenablauf

Der Tagesablauf im Jugendstrafvollzug ist stark strukturiert und gliedert sich in schulische, berufliche und freizeitpädagogische Förderungsmaßnahmen. Ziel ist die Entwicklung von Sozialkompetenzen und Zukunftsperspektiven.


Rechte und Pflichten der Gefangenen

Fördermaßnahmen

Die Gefangenen haben Anspruch auf schulische und berufliche Ausbildung, therapeutische Hilfen sowie außerschulische Unterstützung (z. B. Sport, Freizeitangebote).

Disziplinarmaßnahmen

Disziplinarmaßnahmen dürfen nur unter Beachtung der Rechtsstaatlichkeit und der Erziehungsmaxime eingesetzt werden. Körperliche Züchtigung oder entwürdigende Maßnahmen sind verboten (§ 90 JGG).

Kontakt zur Außenwelt

Das Recht auf Briefwechsel, Besuch, Telefongespräche sowie begrenzter Ausgang und Haftlockerungen sind Bestandteile des Jugendstrafvollzugs. Kontakte zur Familie und Bezugspersonen sind ausdrücklich zu fördern.


Entlassung, Nachbetreuung und Resozialisierung

Entlassungsvorbereitung

Zur Vorbereitung auf die Entlassung werden Unterstützungsangebote eingerichtet (z. B. Nachbetreuung, Bewährungshilfe). Ziel ist die nachhaltige Wiedereingliederung in die Gesellschaft und Verhinderung von Rückfallkriminalität.

Nachsorge

Behörden, Jugendhilfeeinrichtungen und Sozialdienste arbeiten eng zusammen, um Übergänge zu gestalten und die weitere Betreuung nach der Haft sicherzustellen.


Kontrolle und Rechtsschutz im Jugendstrafvollzug

Aufsicht und Kontrolle

Die Aufsicht über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben obliegt den jeweiligen Landesjustizverwaltungen. Darüber hinaus können externe Stellen, wie etwa Strafvollzugsbeiräte oder Ombudsstellen, kontrollierend tätig werden.

Beschwerdemöglichkeiten

Jugendliche und Heranwachsende können sich mit Beschwerden gegen Maßnahmen des Strafvollzugs an die zuständigen Gerichte wenden (§ 109 ff. StVollzG).


Internationale Bezüge und Entwicklungen

Deutschland verpflichtet sich, die internationalen Mindeststandards für den Jugendstrafvollzug (z. B. Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice, die sogenannten „Beijing-Regeln“) einzuhalten und umzusetzen. Zunehmende Bedeutung erfährt der Austausch von Best-Practices und wissenschaftlicher Begleitung zur Weiterentwicklung des Systems.


Literatur

  • BeckOK JGG, Jugendgerichtsgesetz, Kommentierung
  • StGB, Einführung und Erläuterungen zum Jugendstrafrecht
  • Bundeszentrale für politische Bildung: „Jugendstrafvollzug in Deutschland“
  • Landesjugendstrafvollzugsgesetze verschiedener Bundesländer

Fazit

Der Jugendstrafvollzug in Deutschland stellt einen eigenständigen, rechtsstaatlich fundierten Bereich dar, in dem Erziehung, Förderung und individuelle Betreuung zur nachhaltigen Resozialisierung junger Straftäter im Vordergrund stehen. Durch klare rechtliche Vorgaben und Kontrolleinrichtungen ist gewährleistet, dass die besonderen Belange und Schutzbedürfnisse junger Menschen im Freiheitsentzug berücksichtigt werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche besonderen gesetzlichen Regelungen gelten für den Jugendstrafvollzug im Vergleich zum Erwachsenenstrafvollzug?

Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafvollzug ist der Jugendstrafvollzug in Deutschland primär durch das Jugendstrafvollzugsgesetz (JStVollzG) auf Bundes- und Landesebene geregelt. Dieses Gesetz legt den Fokus speziell auf erzieherische Maßnahmen und die soziale Integration junger Gefangener. Die Vorschriften zielen darauf ab, die Entwicklung des jugendlichen Straftäters zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit zu fördern und Rückfallrisiken zu verringern. Während im Erwachsenenvollzug die Sicherheit und Verwahrung der Gefangenen im Mittelpunkt stehen kann, sind im Jugendstrafvollzug insbesondere Aspekte wie schulische und berufliche Bildung, Freizeitgestaltung und psychologische Betreuung gesetzlich besonders betont. Von zentraler Bedeutung sind auch spezielle Haftbedingungen, die altersgerecht gestaltet sind. Weiterhin gilt das Prinzip des offenen Vollzuges bei Jugendlichen als vorrangiges Ziel, sofern die Sicherheit nicht erheblich gefährdet ist. Dazu zählen intensive Betreuung durch pädagogisch geschultes Personal, individuell zugeschnittene Förderpläne und die verstärkte Einbeziehung der Erziehungsberechtigten. Das Gericht und die Vollzugsanstalt sind gesetzlich verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob und wann ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Welche Rechte haben Jugendliche im Strafvollzug?

Jugendliche im Strafvollzug verfügen über spezifisch ausgestaltete Rechte, die dem besonderen Schutzbedürfnis von Minderjährigen und Heranwachsenden Rechnung tragen. Zu den wesentlichen Rechten gehören das Recht auf menschenwürdige Unterbringung, ausreichende Ernährung, gesundheitliche Versorgung sowie das Recht auf Bildung und Ausbildung. Die Jugendlichen haben Anspruch auf regelmäßigen Kontakt zur Außenwelt, insbesondere durch Besuche, Briefe und Telefonate mit Familienangehörigen und anderen nahestehenden Personen. Ferner haben sie das Recht auf Teilnahme an Freizeit- sowie Sportangeboten, die als verpflichtender Bestandteil des Vollzugs gelten. Ihre Persönlichkeitsrechte werden durch besonderen gesetzlichen Schutz der Intimsphäre und der persönlichen Entwicklung gewährleistet. Außerdem besteht das Recht auf Anhörung bei Entscheidungen, die den weiteren Vollzugsverlauf oder einzelne Anordnungen betreffen, und – wie bei Erwachsenen – Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Strafvollstreckungsgerichten gegen rechtswidrige Maßnahmen des Vollzugs.

Unter welchen Voraussetzungen kann im Jugendstrafvollzug vorzeitig Entlassung auf Bewährung gewährt werden?

Eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung ist im Jugendstrafvollzug unter bestimmten Voraussetzungen möglich und erfolgt nach den Vorschriften der §§ 88 ff. JGG (Jugendgerichtsgesetz) beziehungsweise nach landesspezifischen Vorschriften der Jugendstrafvollzugsgesetze. Die Entscheidung über eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wird regelmäßig geprüft, meist wenn mindestens die Hälfte der Jugendstrafe verbüßt ist. Voraussetzung ist, dass eine günstige Sozialprognose erstellt werden kann, das heißt, das Gericht muss erwarten können, dass der Jugendliche künftig straffrei leben wird. Hierbei werden unter anderem das Verhalten im Vollzug, die individuelle Persönlichkeit, das soziale Umfeld, berufliche Perspektiven sowie die Teilnahme an Fördermaßnahmen berücksichtigt. Darüber hinaus fließen etwaige Opferinteressen oder Wiederholungsgefahr in die Bewertung ein. Die Aussetzung unterliegt einer Bewährungsaufsicht, in deren Rahmen Auflagen und Weisungen – etwa Meldepflichten, Therapieauflagen oder das Verbot bestimmter Kontakte – angeordnet werden können.

Welche besonderen Maßnahmen zur Resozialisierung sind im Jugendstrafvollzug gesetzlich vorgeschrieben?

Gesetzlich verpflichtend ist im Jugendstrafvollzug eine Vielzahl von Maßnahmen, die auf die Resozialisierung und Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen abzielen. Dazu gehören schulische und berufliche Bildungsangebote, sozialpädagogische Betreuung, therapeutische Hilfen (zum Beispiel Suchtberatung oder psychologische Beratung) und Freizeitangebote mit erzieherischem Charakter. Es bestehen spezielle Förderkonzepte für Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen oder Problemen, wie etwa junge Mütter, Migranten oder Gefangene mit psychischen Auffälligkeiten. Im Rahmen der individuellen Vollzugsplanung wird für jeden Jugendlichen ein Förderplan erstellt, der regelmäßig angepasst wird. Ebenso ist gesetzlich verankert, dass die Jugendlichen auf die Entlassung vorbereitet werden müssen, was ein verbindliches Entlassungsmanagement einschließt: Dies umfasst die Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, die Vernetzung mit Sozialarbeitern und die Nachsorge zur Ermöglichung eines erfolgreichen Übergangs in die Gesellschaft.

Wer ist für die rechtmäßige Durchführung des Jugendstrafvollzugs verantwortlich und wie erfolgt die Kontrolle?

Die Durchführung des Jugendstrafvollzugs obliegt den zuständigen Justizvollzugsbehörden der Länder, wobei in jedem Bundesland eigene spezifische Regelungen und Verordnungen bestehen können. Die Aufsicht und Kontrolle über die Rechtmäßigkeit des Vollzugs erfolgt zum einen durch interne Kontrollinstanzen wie den Anstaltsleiter und dessen Mitarbeiter, zum anderen durch externe und unabhängige Stellen. Hierzu zählen insbesondere Aufsichtsbehörden des Ministeriums, Strafvollstreckungskammern der zuständigen Landgerichte und bei Beschwerden auch das Bundesverfassungsgericht. Zudem gibt es die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle von Einzelmaßnahmen durch das sogenannte Strafvollzugseröffnungsverfahren nach § 109 ff. StVollzG, angepasst an den Jugendvollzug. Des Weiteren überwachen Beiräte und teilweise auch der Petitionsausschuss des jeweiligen Landesparlaments die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und den Behandlungsvollzug.

Besteht ein Anspruch auf Ausbildung und schulische Förderung während des Jugendstrafvollzugs?

Ja, das Recht auf schulische und berufliche Ausbildung ist im Jugendstrafvollzug umfassend gesetzlich garantiert. Die jeweiligen Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder sowie das Jugendgerichtsgesetz (JGG) verpflichten die Vollzugsbehörden dazu, den Jugendlichen entsprechende Angebote zu unterbreiten. Für schulpflichtige Jugendliche wird in der Regel der Besuch einer Haft-internen Schule organisiert, wobei der Unterrichtsstoff so gestaltet sein muss, dass ein nahtloser Anschluss an das öffentliche Schulwesen oder eine Berufsausbildung ermöglicht wird. Für nicht schulpflichtige Jugendliche bestehen Angebote zur Weiterbildung, zum Nachholen von Schulabschlüssen sowie zur beruflichen Qualifizierung und Berufsvorbereitung. Die Teilnahme an diesen Bildungsmaßnahmen ist verpflichtend, es sei denn, es sprechen gewichtige Gründe dagegen.

Welche besonderen Schutzmechanismen gibt es für weibliche Jugendliche im Strafvollzug?

Weibliche Jugendliche im Strafvollzug unterliegen zusätzlichen Schutzmechanismen, die sich aus ihrer besonderen Situation und Vulnerabilität ergeben. Gesetzlich vorgeschrieben sind speziell geschützte Unterbringungsbereiche, die durch getrennte Abteilungen oder ganz eigene Einrichtungen realisiert werden können. Weibliche Inhaftierte erhalten Zugang zu spezieller medizinischer, psychologischer und sozialer Betreuung, insbesondere bei Fragen zu Schwangerschaft, Mutterschaft oder sexualisierter Gewalt. Darüber hinaus sind weiblichen Jugendlichen die Wahrung ihrer Intimsphäre, Zugang zu geschlechtsspezifischer Hygiene und der Schutz vor Diskriminierung oder Übergriffen durch Personal oder andere Inhaftierte gesetzlich garantiert. In Fällen von Schwangerschaft sind besondere Betreuungs- und Entlassungsregelungen zu treffen, um Mutter und Kind bestmöglich zu schützen.