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Jugendgerichte, Jugendgerichtsgesetz


Jugendgerichte und Jugendgerichtsgesetz (JGG) in Deutschland

Überblick und Begriffsbestimmung

Jugendgerichte sind besondere Spruchkörper innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit, die sich mit Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden (§ 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz – JGG) befassen. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist das zentrale Bundesgesetz, das die Verfolgung, Ahndung und Sanktionierung strafbarer Handlungen junger Menschen im Alter von 14 bis unter 21 Jahren regelt.

Das JGG hat das Ziel, jugendtypische Fehlentwicklungen durch erzieherische Maßnahmen zu begegnen und die Wiedereingliederung junger Straftäter in die Gesellschaft effektiv zu unterstützen. Es verankert Erziehung als Leitprinzip und unterscheidet sich dadurch grundlegend vom allgemeinen Strafrecht, das auf Erwachsene Anwendung findet (Strafgesetzbuch – StGB).


Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes

Persönlicher Anwendungsbereich

Der persönliche Geltungsbereich des JGG umfasst:

  • Jugendliche: Personen im Alter von 14 bis unter 18 Jahren (§ 1 Abs. 2 JGG).
  • Heranwachsende: Personen im Alter von 18 bis unter 21 Jahren. Bei Heranwachsenden prüft das Gericht, ob die Tat nach Art, Umständen und Entwicklungsstand des Täters einem jugendtypischen Fehlverhalten entspricht (§ 105 JGG).

Kinder unter 14 Jahren sind nach § 19 StGB nicht strafmündig und damit vom Geltungsbereich des JGG ausgenommen.

Sachlicher Anwendungsbereich

Das JGG findet Anwendung bei allen in Deutschland begangenen Straftaten durch Jugendliche und – unter bestimmten Voraussetzungen – durch Heranwachsende. Das Gesetz regelt das Ermittlungsverfahren, die Hauptverhandlung, die Urteilsfindung und den Vollzug jugendgerichtlicher Sanktionen.


Aufgaben und Zuständigkeit der Jugendgerichte

Spruchkörper und Organisation

Jugendgerichte sind organisatorisch eigenständige Teile der Amtsgerichte und Landgerichte. Folgende Spruchkörper sind zu unterscheiden:

  • Jugendrichter/in am Amtsgericht: Einzelrichter für minder schwere Fälle von Jugendkriminalität.
  • Jugendschöffengericht beim Amtsgericht: Behandelt mittelschwere Straftaten, es besteht aus einem Jugendrichter und zwei Jugendschöffen (§ 33 Abs. 1 JGG).
  • Jugendkammer beim Landgericht: Zuständig für schwere Kriminalität Jugendlicher oder wenn weitere Anklagepunkte (z. B. mit Erwachsenen) vorliegen (§ 33b JGG).

Zuständigkeit

Die örtliche und sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen strafprozessualen Vorschriften, wird jedoch durch spezialgesetzliche Regelungen ergänzt, um den Besonderheiten der jugendlichen Täter gerecht zu werden (§ 39 ff. JGG).


Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens

Das Verfahren vor Jugendgerichten unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem gegen Erwachsene:

Erziehungsgedanke und Verfahrensgestaltung

Das Verfahren ist von besonderer Rücksicht auf den Entwicklungsstand und die Persönlichkeitsstruktur der Jugendlichen geprägt. Die Erziehung zur Verantwortung steht im Vordergrund (§ 2 Abs. 1 JGG). Ermittlungsbehörden und Gerichte sind verpflichtet, auf die Belange der Jugendlichen besondere Rücksicht zu nehmen.

Beteiligte des Verfahrens

Im Jugendstrafverfahren wirken neben Staatsanwaltschaft und Gericht auch Jugendgerichtshilfe und Jugendamt mit (§ 38 Abs. 2 JGG). Die Jugendgerichtshilfe informiert das Gericht über die persönlichen, familiären und sozialen Hintergründe des Angeklagten und erstellt Einschätzungen zu erzieherischen Maßnahmen.

Diversion (Erledigung ohne Hauptverhandlung)

Ein zentrales Element des JGG ist die Möglichkeit der Diversion (§§ 45, 47 JGG): Verfahren können bereits im Ermittlungsstadium ohne förmliches Urteil durch Auflagen, Weisungen oder Maßnahmen beendet werden, sofern dies als ausreichend angesehen wird und insbesondere keine schwerwiegenden Straftaten vorliegen.


Sanktionen und Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz

Maßnahmenkatalog

Das JGG kennt folgende Sanktionsmöglichkeiten, die stufenweise nach Schwere der Tat und Erziehungsbedürftigkeit des Täters angeordnet werden:

  1. Erziehungsmaßregeln (§§ 9-12 JGG)

– z. B. Erteilung von Weisungen, Anordnung sozialer Trainingskurse, Ableistung von Arbeitsleistungen

  1. Zuchtmittel (§§ 13-16 JGG)

– Verwarnung
– Erteilung von Auflagen (z. B. Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung)
– Jugendarrest (Freizeit-, Dauer- oder Wochenendarrest)

  1. Jugendstrafe (§§ 17-32 JGG)

– Freiheitsentziehung für eine Zeit von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, bei schweren Straftaten bis zu zehn Jahren
– Anordnung nur, wenn Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nicht mehr ausreichen oder es sich um eine schwerwiegende Tat handelt

Besonderheiten bei der Jugendstrafe

Die Verhängung der Jugendstrafe ist nur dann zulässig, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen oder die Schwere der Schuld eine derartige Sanktion gebietet (§ 17 Abs. 2 JGG). Auch der Vollzug der Jugendstrafe ist maßgeblich auf Erziehung ausgerichtet, etwa durch schulische und berufliche Ausbildung, psychologische Betreuung und sozialtherapeutische Maßnahmen im Jugendstrafvollzug.


Rechtsmittel und Rechtsfolgen

Jugendgerichtsurteile sind mit den im Strafprozessrecht vorgesehenen Rechtsmitteln anfechtbar. Hierzu zählen insbesondere Berufung und Revision (§§ 55, 56 JGG i. V. m. StPO). Besondere Vorschriften bestimmen, dass der Persönlichkeitsschutz des Jugendlichen auch nach Rechtskraft des Urteils besonders zu wahren ist (z. B. beschränkte Veröffentlichung oder öffentliche Bekanntmachung von Entscheidungen).


Datenschutz und Öffentlichkeitsprinzip

Das Jugendstrafverfahren unterliegt besonderen Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre der Betroffenen. Gerichtsverhandlungen sind in Jugendsachen nur ausnahmsweise öffentlich (§ 48 JGG). Die Identität junger Straftäter darf grundsätzlich nicht preisgegeben oder öffentlich gemacht werden, um deren soziale Wiedereingliederung zu ermöglichen.


Verhältnis zu anderen Rechtsbereichen

Das Jugendgerichtsgesetz ergänzt die allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) und des Strafgesetzbuches (StGB), indem es spezielle Regelungen für das Jugendstrafrecht aufstellt. Im Konfliktfall gehen die Regelungen des JGG dem allgemeinen Strafrecht vor, sofern deren Anwendung den Zielsetzungen des Jugendstrafrechts entspricht.


Internationale Bezüge

Deutschland ist verschiedenen internationalen Konventionen und Empfehlungen verpflichtet, etwa den Vorschriften der UN-Kinderrechtskonvention und den Mindeststandards zur Behandlung von Jugendlichen in Strafverfahren (sog. „Beijing-Regeln“). Das Jugendgerichtsgesetz berücksichtigt diese Vorgaben und spiegelt sie im nationalen Recht wider.


Literaturverzeichnis und weiterführende Links

  • Jugendgerichtsgesetz (JGG) – Aktuelle Fassung: https://www.gesetze-im-internet.de/jgg/
  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Strafprozessordnung (StPO)
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Informationen zum Jugendstrafrecht
  • UN-Kinderrechtskonvention (Convention on the Rights of the Child)
  • Beijing Rules: United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice

Fazit

Jugendgerichte und das Jugendgerichtsgesetz nehmen im deutschen Rechtssystem eine zentrale Stellung beim Umgang mit straffälligen jungen Menschen ein. Sie bieten einen rechtlichen Rahmen, der auf spezifische Bedürfnisse und die Entwicklungsphase der Jugendlichen zugeschnitten ist. Ziel ist es, durch erzieherische Maßnahmen, angemessene Sanktionen und besonderen Persönlichkeitsschutz zur Resozialisierung und gesellschaftlichen Integration beizutragen. Das JGG stellt damit einen eigenständigen und praxisorientierten Ansatz im Umgang mit jugendlicher Delinquenz dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Möglichkeiten der Diversion gibt es im Jugendstrafverfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG)?

Im Jugendstrafverfahren eröffnet das Jugendgerichtsgesetz umfangreiche Möglichkeiten der Diversion, also eine Verfahrensweise, mit der das förmliche Strafverfahren gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden unter bestimmten Voraussetzungen vermieden werden kann, ohne dass es zu einer förmlichen Hauptverhandlung oder zu einer Verurteilung kommt. Nach §§ 45 und 47 JGG kann die Staatsanwaltschaft oder das Gericht das Verfahren einstellen, wenn die Schwere der Schuld nicht entgegensteht und die Erwartungen durch andere Maßnahmen (z.B. Ermahnung, Auflagen, Wiedergutmachung, Teilnahme an sozialen Trainingskursen) erfüllt werden können. Solche Maßnahmen dienen der vorrangigen Erziehung und sind auf die Vermeidung einer Stigmatisierung des Jugendlichen oder Heranwachsenden ausgerichtet. Häufige Diversionsmaßnahmen sind etwa Arbeitsauflagen, die Teilnahme an einem Täter-Opfer-Ausgleich, Entschuldigung beim Opfer sowie das Ableisten sozialer Dienstleistungen. Die Entscheidung über die Anwendung der Diversion trifft in der Regel die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit dem Jugendgerichtshilfe, wobei sowohl die Persönlichkeit des Täters als auch die Umstände der Tat umfassend zu berücksichtigen sind.

Unter welchen Voraussetzungen kann Untersuchungshaft gegen Jugendliche verhängt werden?

Im Jugendstrafrecht gelten gemäß §§ 112 ff. StPO i.V.m. § 72 JGG strengere Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft als im Erwachsenenstrafrecht. Untersuchungshaft darf gegen Jugendliche nur in Ausnahmefällen verhängt werden, insbesondere dann, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen, wie beispielsweise die Unterbringung in einem Heim oder betreuten Wohnen, nicht ausreichen. Das Gericht hat stets den erzieherischen Zweck des Jugendstrafverfahrens zu berücksichtigen und den Haftgrund besonders sorgfältig zu prüfen. Darüber hinaus ist eine Haftprüfung zwingend alle sechs Monate erforderlich. Erhebliche Bedeutung hat das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, sodass Untersuchungshaft etwa dann ausgeschlossen ist, wenn der Zweck der Maßnahme, z.B. Sicherstellung der Anwesenheit oder Verhinderung der Begehung weiterer Straftaten, auch auf andere Weise erreicht werden kann.

Welche Rolle spielt die Jugendgerichtshilfe im Jugendstrafverfahren?

Die Jugendgerichtshilfe, häufig als Jugendamt tätig, nimmt gemäß §§ 38, 50 JGG im Jugendstrafverfahren eine zentrale Rolle ein. Sie hat die Aufgabe, das Jugendgericht, die Staatsanwaltschaft und die Polizei über die Persönlichkeit des Jugendlichen, seine Lebensumstände sowie seine Entwicklungsmöglichkeiten zu informieren und zu beraten. Ziel ist es, eine pädagogisch sinnvolle Entscheidung zu gewährleisten. Die Jugendgerichtshilfe wirkt sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im Hauptverfahren mit, gibt Stellungnahmen zu geeigneten erzieherischen Maßnahmen und unterstützt bei der Umsetzung von Auflagen und Weisungen. Ihre Stellungnahmen dienen zur Entscheidungsfindung im Sinne des Erziehungsgedankens und gewährleisten, dass das Verfahren nicht lediglich strafrechtlich, sondern auch aus sozialpädagogischer Sicht gestaltet wird.

Inwiefern unterscheidet sich das Jugendstrafrecht vom Erwachsenenstrafrecht hinsichtlich der Sanktionen?

Das Jugendstrafrecht sieht gemäß §§ 5 ff. JGG ein eigenständiges Sanktionssystem vor, das sich grundlegend vom Erwachsenenstrafrecht unterscheidet. Während bei Erwachsenen primär Strafen wie Geld- oder Freiheitsstrafen im Fokus stehen, werden bei Jugendlichen vorrangig erzieherische Maßnahmen wie Erziehungsmaßregeln (z.B. Weisungen und Hilfe zur Erziehung) und Zuchtmittel (z.B. Verwarnung, Auflagen, Jugendarrest) angewendet. Eine Jugendstrafe, also eine Freiheitsstrafe, wird nur verhängt, wenn schwerwiegende Straftaten vorliegen oder andere Maßnahmen nicht ausreichen. Ziel der Sanktionen ist die pädagogische Einwirkung sowie die Verhinderung weiterer Straftaten durch Förderung der sozialen Kompetenzen des Jugendlichen. Die Sanktionen sind daher auf das individuelle Fehlverhalten und die Lebenssituation des Jugendlichen abzustimmen.

Welche Besonderheiten gelten für Heranwachsende (18-21 Jahre) im Jugendstrafverfahren?

Für Heranwachsende im Alter von 18 bis 21 Jahren gelten gemäß § 105 JGG besondere Regelungen. Das Gericht prüft in jedem Einzelfall, ob auf den Heranwachsenden noch Jugendstrafrecht oder bereits Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist. Jugendstrafrecht kommt dann zur Anwendung, wenn die Persönlichkeit des Täters noch jugendtypisch geprägt ist oder die konkrete Tat eine Jugendverfehlung darstellt (etwa im Hinblick auf Reifeentwicklung oder Tatmotivation). Ziel ist ein flexibler Übergang, der der individuellen Entwicklung gerecht wird und eine angemessene erzieherische Einwirkung ermöglicht. Die Entscheidung liegt im Ermessen des Gerichts und wird regelmäßig durch Stellungnahmen der Jugendgerichtshilfe unterstützt.

Welche Rechte und Pflichten haben die Erziehungsberechtigten im Jugendstrafverfahren?

Im Jugendstrafverfahren haben die Erziehungsberechtigten umfassende Mitwirkungsrechte und -pflichten, wie in § 67 JGG geregelt. Sie sind berechtigt, an allen Phasen des Verfahrens teilzunehmen, insbesondere an der Hauptverhandlung, sofern dies dem Wohl des Jugendlichen dient. Sie können den jugendlichen Beschuldigten begleiten, beraten und unterstützen. Über die Rechte hinaus haben die Erziehungsberechtigten die Pflicht, die erzieherische Wirkung der Maßnahmen zu fördern und mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Ihnen kommt insoweit eine Brückenfunktion zwischen dem Jugendlichen und dem Gericht zu, wobei ihre Mitwirkung auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet ist. Unter Umständen kann das Gericht die Mitwirkung der Eltern jedoch beschränken, wenn beispielsweise ein Interessenkonflikt gegeben ist oder das Wohl des Jugendlichen gefährdet erscheint.