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Irrtum


Irrtum im Recht – Definition, Bedeutung und Folgen

Begriff und Bedeutung des Irrtums im Recht

Der Begriff „Irrtum“ bezeichnet eine Fehlvorstellung über tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten, die für das Handeln einer Person im Rechtsverkehr maßgeblich ist. Ein Irrtum liegt vor, wenn die Vorstellung einer Person von der Realität oder von der rechtlichen Bewertung bestimmter Tatsachen nicht mit der objektiven Sachlage oder Rechtslage übereinstimmt. Im deutschen Rechtssystem nimmt der Irrtum eine zentrale Rolle in Bereichen wie dem Zivilrecht, dem Strafrecht und dem öffentlichen Recht ein.

Irrtum im Zivilrecht

Allgemeine Bedeutung

Im Zivilrecht ist der Irrtum einer der wichtigsten Anknüpfungspunkte für die Anfechtung von Willenserklärungen (§§ 119-122 BGB). Ein Erklärender, der sich irrt, kann unter bestimmten Voraussetzungen seine Willenserklärung anfechten, wodurch das darauf gegründete Rechtsgeschäft von Anfang an als nichtig gilt.

Arten des Irrtums

Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB)

Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende über die Bedeutung oder Tragweite seiner Erklärung im Irrtum war. Hierbei kennt der Erklärende zwar das äußere Erklärungsverhalten, verkennt jedoch, was rechtlich tatsächlich erklärt wird.

Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB)

Beim Erklärungsirrtum verschreibt, verspricht, vergreift oder vertippt sich der Erklärende. Die äußere Erklärung entspricht nicht dem gewollten Inhalt.

Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB)

Ein Eigenschaftsirrtum bezieht sich auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache. Dieser Irrtum berechtigt, unter engen Voraussetzungen, zur Anfechtung der Willenserklärung.

Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB)

Ein Übermittlungsirrtum liegt vor, wenn eine zur Übermittlung eingesetzte Person oder Einrichtung eine Erklärung falsch weitergibt.

Rechtsfolgen der Anfechtung wegen Irrtums

Wird eine Willenserklärung erfolgreich wegen eines relevanten Irrtums angefochten, so ist das darauf basierende Rechtsgeschäft gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Derjenige, der die Anfechtung verursacht hat, ist jedoch verpflichtet, dem Anfechtungsgegner den daraus entstandenen Vertrauensschaden zu ersetzen (§ 122 BGB).

Abgrenzung zu Motivirrtümern

Nicht jeder Irrtum berechtigt zur Anfechtung. So genannte Motivirrtümer, also Irrtümer über die Beweggründe oder Motive zur Abgabe einer Erklärung, haben grundsätzlich keine rechtlichen Auswirkungen. Nur in besonderen, gesetzlich geregelten Fällen (zum Beispiel bei arglistiger Täuschung) kann auch ein Motivirrtum beachtlich sein.

Irrtum im Strafrecht

Bedeutung des Irrtums für die Strafbarkeit

Im Strafrecht können Irrtümer sowohl auf der Tatsachenebene (Tatbestandsirrtum) als auch auf der rechtlichen Ebene (Verbotsirrtum) auftreten. Die Unterscheidung ist wesentlich für die Strafbarkeit einer Handlung.

Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB)

Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter bei Ausführung der Handlung einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. In diesem Fall handelt der Täter ohne Vorsatz und ist folglich bezüglich des Tatbestandes nicht strafbar.

Verbotsirrtum (§ 17 StGB)

Beim Verbotsirrtum ist sich der Täter nicht bewusst, dass sein Verhalten rechtswidrig ist. Ist der Irrtum unvermeidbar, entfällt die Schuld. Ist der Irrtum vermeidbar, kann die Strafe gemildert werden.

Erlaubnistatbestandsirrtum und Erlaubnisirrtum

Ein Erlaubnistatbestandsirrtum betrifft die falsche Vorstellung über tatsächliche Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes. Konsequenz ist wie beim Tatbestandsirrtum der Ausschluss des Vorsatzes. Beim Erlaubnisirrtum irrt der Täter über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes, was wie ein Verbotsirrtum behandelt wird.

Irrtum im öffentlichen Recht

Im öffentlichen Recht ist der Irrtum insbesondere bei der Rückforderung rechtswidriger Leistungen (z. B. Subventionen, Sozialleistungen) oder im Verwaltungsverfahren relevant. Wird eine Erklärung im Verwaltungsrecht unter Irrtumsvorbehalt abgegeben, können Rechtsfolgen ähnlich der Anfechtung im Zivilrecht eintreten.

Irrtumsrelevanz und Abgrenzungsfragen

Die rechtliche Relevanz eines Irrtums hängt stets von der betroffenen Rechtsnorm und der Art des Irrtums ab. Zu differenzieren ist stets zwischen einfachen Motivirrtümern, die regelmäßig unbeachtlich sind, und beachtlichen Irrtümern, die das Entstehen, die Wirksamkeit oder die Anfechtbarkeit von Rechtsgeschäften beeinflussen.

Wesentliche Irrtümer

Nur solche Irrtümer, die politische, wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Erklärungsempfängers nachhaltig berühren, werden als wesentlich eingestuft und können eine Anfechtung oder andere Rechtsfolgen begründen.

Literatur und weiterführende Links

Für vertiefende Informationen zu den verschiedenen Irrtumsarten und deren rechtliche Folgen im Zivilrecht, Strafrecht und öffentlichen Recht bieten sich folgende Quellen an:

  • Palandt, BGB-Kommentar
  • MüKoBGB, Bürgerliches Gesetzbuch – Kommentar
  • Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar
  • Gramlich, Öffentliches Recht

Fazit

Der Irrtum als rechtliches Phänomen durchzieht sämtliche Rechtsgebiete. Er beeinflusst maßgeblich die Wirksamkeit von Willenserklärungen, die Strafbarkeit von Handlungen und die Rückabwicklung von Verwaltungsakten. Für eine korrekte rechtliche Bewertung sind stets die besonderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des jeweiligen Rechtsgebiets zu berücksichtigen. Ein sorgfältiger Umgang mit dem Begriff und eine präzise Einordnung des jeweiligen Irrtumsfalls sind unerlässlich, um den Schutz der Privatautonomie, die Sicherung des Rechtsfriedens und die Einhaltung der Gesetzmäßigkeit zu gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt der Irrtum im deutschen Zivilrecht bei der Anfechtung von Willenserklärungen?

Ein Irrtum kann im deutschen Zivilrecht eine maßgebliche Rolle für die Wirksamkeit von Willenserklärungen spielen. Gemäß §§ 119 ff. BGB berechtigt ein beachtlicher Irrtum zur Anfechtung der abgegebenen Erklärung und kann dazu führen, dass das zugrundeliegende Rechtsgeschäft ex tunc – also von Anfang an – als nichtig anzusehen ist. Unterschiedliche Irrtumsarten, wie der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) sowie der Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB), werden hierbei unterschieden. Die Anfechtungserklärung muss dabei unverzüglich erfolgen, nachdem der Irrtum erkannt wurde (§ 121 BGB). Zudem ist der Anfechtende dem Anfechtungsgegner gemäß § 122 BGB unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet, sofern dieser auf die Rechtsbeständigkeit des Geschäftes vertraut hat.

Welche Fristen sind bei der Anfechtung wegen Irrtums zu beachten?

Grundsätzlich muss die Anfechtung gemäß § 121 BGB „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen, nachdem der Anfechtende vom Anfechtungsgrund, also dem Irrtum, Kenntnis erlangt hat. Die Rechtsprechung sieht hierfür regelmäßig einige Tage als ausreichend an; lediglich in besonderen Fällen, etwa bei Abwesenheit oder besonderen organisatorischen Anforderungen, kann diese Frist leicht verlängert werden. Wird die Anfechtung nicht innerhalb dieser Frist erklärt, so bleibt die betroffene Willenserklärung trotz Irrtums wirksam. Eine Ausnahme gilt beim arglistigen Verschweigen eines Irrtums durch den Vertragspartner: Hier gilt die Anfechtungsfrist nach § 124 BGB von einem Jahr ab Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes.

Welche Arten von Irrtümern werden im Zivilrecht anerkannt und wie unterscheiden sie sich?

Im deutschen Zivilrecht werden primär drei Irrtumsarten unterschieden: Der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) liegt vor, wenn sich der Erklärende über die Art oder den Inhalt seiner Erklärung irrt, z.B. ein Zahlendreher bei der Preisangabe. Der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) setzt voraus, dass der Erklärende zwar die richtige Erklärung abgibt, aber über deren Bedeutung im Irrtum ist, zum Beispiel bei einem ausländischen Begriff. Der Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) liegt dagegen vor, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache im Irrtum ist. Darüber hinaus gibt es noch den Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB), wenn zwischen Erklärung und Zugang ein Fehler entsteht. Nicht jeder Irrtum ist aber anfechtungsrelevant, insbesondere Motivirrtümer, sofern sie nicht die verkehrswesentlichen Eigenschaften betreffen.

Welche Rechtsfolgen hat eine wirksame Anfechtung wegen Irrtums?

Die wirksame Anfechtung hat gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Folge, dass das Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist (ex tunc-Wirkung). Das bedeutet, die Parteien haben keinerlei Ansprüche aus dem nichtigen Vertrag, und bereits empfangene Leistungen müssen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (§§ 812 ff. BGB) zurückgewährt werden. Zudem können Ansprüche auf Schadensersatz nach § 122 BGB entstehen, soweit der Anfechtungsgegner auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat und deshalb einen Vermögensschaden erleidet. Die Haftung ist jedoch auf das Vertrauensinteresse begrenzt.

In welchen Fällen ist die Anfechtung wegen Irrtums ausgeschlossen?

Die Anfechtung wegen Irrtums ist in verschiedenen Konstellationen ausgeschlossen. Einerseits, wenn der Irrtum für den anderen Vertragspartner offenkundig war und dieser sich auf die fehlerhafte Willenserklärung nicht berufen durfte. Andererseits ist sie ausgeschlossen, wenn nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Anfechtende das Risiko des Irrtums zu tragen hat, z.B. bei Fehlkalkulationen, die als unbeachtlicher Motivirrtum einzustufen sind. Zudem kann die Anfechtung unwirksam sein, wenn sie nicht rechtzeitig, also nicht „unverzüglich“ im Sinne des § 121 BGB, erklärt wird oder wenn der Anfechtungsgegner seinerseits auf die Erklärung vertraut und schutzwürdig ist. Vertragsgestaltungen können außerdem den Verzicht auf Anfechtungsrechte beinhalten, sofern dies im Vorfeld ausdrücklich vereinbart wurde.

Wie wird der Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB im Falle einer Irrtumsanfechtung berechnet?

Der Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB gleicht das sogenannte Vertrauensinteresse (negatives Interesse) aus. Das bedeutet, der Anfechtungsgegner ist so zu stellen, als hätte er nicht auf die Wirksamkeit der Willenserklärung vertraut. Klassischerweise umfasst dies die wirtschaftlichen Nachteile, die dem Anfechtungsgegner durch das Verlassen auf den Vertrag entstanden sind, etwa durch entgangene Geschäfte mit Dritten oder nutzlose Aufwendungen. Der Schadensersatz ist jedoch auf das Interesse begrenzt, das darin besteht, nicht schlechter zu stehen, als wenn das Geschäft überhaupt nicht abgeschlossen worden wäre. Ein weiter gehender Ersatz, etwa das Erfüllungsinteresse, ist ausgeschlossen.

Welche Beweislast gilt bei der Anfechtung wegen Irrtums?

Im Regelfall trägt derjenige, der die Anfechtung wegen Irrtums geltend macht, auch die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines beachtlichen Irrtums sowie die rechtzeitige Erklärung der Anfechtung. Dazu muss der Anfechtende konkret darlegen, worin der Irrtum bestand, wie es zur fehlerhaften Willenserklärung kam und wann sowie auf welche Weise die Anfechtung gegenüber dem richtigen Adressaten erklärt wurde. Der Anfechtungsgegner kann sodann den Nachweis führen, dass die Voraussetzungen der Anfechtung im Einzelfall nicht vorliegen oder dass die Anfechtungsfrist nicht eingehalten wurde.