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Internationaler Strafgerichtshof


Begriff und Grundlagen: Internationaler Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), im englischen Original „International Criminal Court (ICC)“, ist ein ständiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag, Niederlande. Er befasst sich mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von natürlichen Personen für schwerwiegende Verbrechen, insbesondere für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Die institutionelle Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs bildet das Römische Statut, das am 17. Juli 1998 von 120 Staaten angenommen wurde und am 1. Juli 2002 in Kraft trat.


Entstehungsgeschichte und völkerrechtlicher Hintergrund

Bereits im Zuge der Nürnberger und Tokioter Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg existierte das Bestreben, eine permanente internationale Strafgerichtsbarkeit zur Ahndung schwerster Menschheitsverbrechen zu etablieren. Aufgrund des Kalten Krieges konnten entsprechende Pläne jedoch jahrzehntelang nicht realisiert werden. Mit dem Ende der Blockkonfrontation kam es zu entscheidenden Fortschritten, insbesondere im Rahmen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda, wo ad hoc eingesetzte UN-Tribunale erstmals wieder internationale Strafverfolgung betrieben.

Das Römische Statut schuf schließlich die völkerrechtliche Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof und wurde mittlerweile von über 120 Staaten ratifiziert. Zahlreiche Staaten, darunter etwa die Vereinigten Staaten, Russland und China, haben das Statut jedoch bislang nicht ratifiziert.


Rechtsgrundlagen und Zuständigkeit

Römisches Statut

Das zentrale Rechtsdokument des IStGH ist das Römische Statut (vom 17. Juli 1998). Es regelt die Organisation, die Zuständigkeit sowie das materielle und prozessuale Recht des Gerichts. Die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist funktionell, sachlich, räumlich und zeitlich beschränkt.

Sachliche Zuständigkeit

Der Internationale Strafgerichtshof ist nur für die schwersten Verbrechen von internationalem Interesse zuständig:

  • Völkermord (Art. 6 Römisches Statut)
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Römisches Statut)
  • Kriegsverbrechen (Art. 8 Römisches Statut)
  • Verbrechen der Aggression (Art. 8bis Römisches Statut)

Eine Erweiterung des Deliktskatalogs ist nur durch Änderung des Statuts möglich.

Persönliche Zuständigkeit

Der Internationale Strafgerichtshof kann ausschließlich natürliche Personen verfolgen, die zur Tatzeit mindestens 18 Jahre alt waren. Kollektive Entitäten wie Staaten oder Organisationen können nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Räumliche und zeitliche Zuständigkeit

Der Gerichtshof ist grundsätzlich für Straftaten zuständig, die nach Inkrafttreten des Römischen Statuts (1. Juli 2002) auf dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates oder durch dessen Staatsangehörige begangen wurden. In besonderen Fällen (z. B. Verweisung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen) ist die Zuständigkeit auch im Hinblick auf Drittstaaten möglich.


Funktionsweise und Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs

Organisatorische Struktur

Der Internationale Strafgerichtshof besteht gemäß Art. 34 Römisches Statut aus vier Hauptorganen:

  • Präsidium (Gerichtspräsident, erste und zweite Vizepräsidenten)
  • Vorkammern (Vorbereitung der Prozesse, Überprüfung der Zulässigkeit)
  • Hauptverfahrenskammern (Durchführung der Prozesse in erster Instanz)
  • Berufungskammer
  • Anklagebehörde (unabhängige Ermittlungen und Anklagerhebung)
  • Registry (Verwaltungsorgan mit Unterstützungs- und Schutzaufgaben)

Verfahren und Verfahrensgrundlagen

Das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist in einer eigenen Verfahrensordnung (Rules of Procedure and Evidence) geregelt. Das Statut garantiert grundlegende Verfahrensrechte der Beschuldigten gemäß internationalen Menschenrechtsstandards. Das Verfahren gliedert sich in Ermittlungs-, Haupt- und Berufungsphase.

Einleitung von Verfahren

Die Anklagebehörde kann Untersuchungen von Amts wegen, auf Vorlage eines Vertragsstaates oder auf Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat aufnehmen (Art. 13 Römisches Statut). Die Klärung der Zuständigkeit und Zulässigkeit findet in der Vorkammer statt, welche die Prüfung auf Komplementarität (Subsidiaritätsprinzip gegenüber den nationalen Strafjustizsystemen) vornimmt.

Komplementaritätsprinzip

Der Internationalen Strafgerichtshof wird nur tätig, wenn nationale Strafverfolgungsbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, eine ernsthafte Untersuchung und Verfolgung durchzuführen (Art. 17 Römisches Statut).

Rechte der Beschuldigten und Opferbeteiligung

Das Römische Statut garantiert Rechte auf faires Verfahren (einschließlich Verteidigung, Unschuldsvermutung, Dolmetscher, Zeugenbefragung etc.). Ein Novum im internationalen Verfahrensrecht ist die Möglichkeit der aktiven Verfahrensbeteiligung von Opfern und deren Anspruch auf Entschädigung.


Verhältnis zu nationalen Strafgerichten und anderen internationalen Strafgerichtsbarkeiten

Der Gerichtshof ersetzt keine nationalen Strafgerichte, sondern ergänzt diese (Komplementaritätsgrundsatz). Auch gegenüber Ad-hoc-Tribunalen, etwa dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und dem für Ruanda (ICTR), besitzt der IStGH keine hierarchische Überordnung, sondern nimmt eine eigenständige, dauerhafte internationale Zuständigkeit wahr.


Kritik, Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen

In der Praxis ist die Effektivität des Internationalen Strafgerichtshofs Gegenstand anhaltender Debatten. Kritisiert werden unter anderem die einseitige Überrepräsentation von Fällen aus afrikanischen Staaten, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Haftbefehlen gegenüber beschuldigten hochrangigen Amtsträgern und die teilweise mangelnde Kooperation von Staaten, insbesondere von Nichtvertragsstaaten. Auch die Reichweite des IStGH ist durch fehlende Ratifikationen bedeutender Staaten begrenzt.

Nichtsdestotrotz gilt der Internationale Strafgerichtshof als bedeutender Meilenstein im internationalen Völkerstrafrecht und als wichtiger Baustein unter den internationalen Gerichten zur Bekämpfung schwerster Verbrechen weltweit.


Literaturhinweise und Quellen

  • Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (engl./dt. Wortlaut)
  • Rome Statute of the International Criminal Court (https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/RS-Eng.pdf)
  • Schabas, William A.: The International Criminal Court – A Commentary on the Rome Statute, Oxford University Press
  • Ambos, Kai: Internationales Strafrecht, Beck
  • Websites: www.icc-cpi.int, www.un.org

Dieser Lexikonartikel bietet eine strukturierte Übersicht zum Internationalen Strafgerichtshof, seinen rechtlichen Grundlagen und seiner praktischen Bedeutung innerhalb des internationalen Strafrechtssystems.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für eine Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erfüllt sein?

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wird nur tätig, wenn bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst muss die betreffende Straftat in die Zuständigkeit des Gerichts fallen, d.h. es muss sich um eines der sogenannten Kernverbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder das Verbrechen der Aggression) handeln, wie sie im Römischen Statut definiert sind. Weiterhin ist wesentlich, dass entweder das Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaates begangen wurde oder der Angeklagte Staatsangehöriger eines Vertragsstaates ist. Eine Ausnahme gilt, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (gemäß Kapitel VII der UN-Charta) den Fall an den IStGH verweist, dann kann auch über Staatsgrenzen und Vertragspartnerschaften hinaus Anklage erhoben werden. Schließlich sieht das Komplementaritätsprinzip vor, dass der IStGH nur dann tätig wird, wenn nationale Gerichte nicht willens oder in der Lage sind, tatsächlich zu ermitteln oder zu verfolgen.

Wie läuft das Ermittlungsverfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ab?

Das Ermittlungsverfahren beginnt beim IStGH in der Regel mit einer Vorprüfung (Preliminary Examination), bei der der Chefankläger prüft, ob ein hinreichender Anfangsverdacht für ein unter das Römische Statut fallendes Verbrechen besteht. Wird dies bejaht, kann der Ankläger mit Genehmigung einer Vorverfahrenskammer förmliche Ermittlungen einleiten. Dabei werden Beweise gesammelt, Zeugen befragt und Tatorte untersucht. Die Ermittlungen müssen internationalen Verfahrensstandards genügen, insbesondere im Hinblick auf die Rechte der Verdächtigen und den Umgang mit Beweismitteln. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Kammer, ob ein Haftbefehl oder eine Vorladung erlassen wird. Außerdem wird geprüft, ob hinreichend Beweise für eine Anklage vorliegen. Auch in diesem Stadium gilt das Komplementaritätsprinzip: Nationale Verfahren haben immer Vorrang, sofern sie glaubhaft und effektiv sind.

Welche Rechte haben Angeklagte vor dem Internationalen Strafgerichtshof?

Angeklagte vor dem IStGH genießen umfassende prozessuale Rechte, die teils über übliche nationale Standards hinausgehen. Dazu gehören das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess, das Recht, über die gegen sie erhobenen Vorwürfe ausführlich informiert zu werden, das Recht auf anwaltliche Vertretung sowie das Recht, Zeugenaussagen zu bestreiten und eigene entlastende Beweise vorzubringen. Der IStGH garantiert auch, dass Angeklagte in ihrer Sprache oder einer Sprache, die sie vollständig verstehen, kommunizieren können, und stellt bei Bedarf Übersetzer zur Verfügung. Sie sind zudem vor Selbstbelastung geschützt und haben Anspruch auf die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Beweis der Schuld. Opfer und Zeugen werden zudem durch spezifische Schutzmechanismen abgeschirmt, insbesondere um Einschüchterung oder Vergeltung vorzubeugen.

Wie unterscheiden sich die Zuständigkeiten des IStGH von denen nationaler Strafgerichte?

Der IStGH funktioniert nach dem Prinzip der Komplementarität, was bedeutet, dass er nur dann tätig wird, wenn nationale Gerichtsbarkeiten die Verfolgung nicht durchführen können oder wollen. Nationale Gerichte bleiben grundsätzlich prioritär zuständig für die Ahndung von Straftaten; der IStGH greift erst ein, wenn die jeweiligen Staaten nicht gewillt oder dazu nicht in der Lage sind – beispielsweise wegen politischer Einflussnahme, mangelnder Ressourcen oder Gesetzeslücken. Darüber hinaus ist der IStGH nur für bestimmte schwere Verbrechen mit internationalem Bezug zuständig, während nationale Gerichte für das gesamte Spektrum strafrechtlicher Delikte verantwortlich sind, einschließlich solcher ohne völkerrechtliche Dimension.

Welche Verfahrenssprachen gelten am Internationalen Strafgerichtshof?

Am IStGH sind die Arbeitssprachen Englisch und Französisch. Darüber hinaus werden die sechs offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch) anerkannt. Verfahren werden in der Regel in Englisch oder Französisch geführt, Angeklagte, Opfer und Zeugen können jedoch auch in einer anderen Sprache, die sie sprechen und verstehen, gehört werden. Der Gerichtshof trägt entsprechend für Übersetzungen von Dokumenten und für Dolmetschdienstleistungen Sorge, um sicherzustellen, dass alle Verfahrensbeteiligten ihre Rechte wahrnehmen können.

Unter welchen Umständen kann ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof eingestellt werden?

Ein Verfahren vor dem IStGH kann aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen eingestellt werden. Die Einstellung erfolgt etwa, wenn die Vorverfahrenskammer entscheidet, dass keine hinreichenden Beweise für eine Anklage vorliegen oder dass das Gericht nicht zuständig ist – beispielsweise wenn ein nationaler Staat nachweisen kann, dass er selbst effektiv ermittelt oder eine Strafverfolgung durchführt. Auch kann der Ankläger das Verfahren einstellen, wenn sich im Verlauf der Ermittlungen entlastende Beweise ergeben, die beweisen, dass kein Tatverdacht mehr besteht. Falls sich herausstellt, dass die mutmaßlichen Taten kein Verbrechen nach dem Römischen Statut darstellen oder die Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit nicht erfüllt sind, wird das Verfahren ebenfalls eingestellt. Die Kammern können zudem auf Antrag der Verteidigung das Verfahren aus Rechtsgründen (z.B. Immunität, Verjährung oder Doppelbestrafung) beenden.

Welche Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Entscheidungen hat der Internationale Strafgerichtshof?

Der IStGH besitzt keine eigene Exekutivgewalt und ist somit auf die Zusammenarbeit mit den Vertragsstaaten und internationalen Organisationen angewiesen. Staaten, die das Römische Statut ratifiziert haben, sind verpflichtet, Haftbefehle zu vollstrecken, Beweismittel bereitzustellen oder Angeklagte an den Gerichtshof zu überstellen. Kommt ein Staat dieser Pflicht nicht nach, kann der IStGH dies feststellen und den Fall an die Vertragsstaatenversammlung oder gegebenenfalls an den UN-Sicherheitsrat übermitteln, der wiederum geeignete Maßnahmen beschließen kann. In der Praxis hängt die Effektivität der Durchsetzung jedoch von der jeweiligen Kooperationsbereitschaft der Staaten ab.