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Insolvenzordnung

Insolvenzordnung: Begriff, Zweck und Grundprinzipien

Die Insolvenzordnung ist das zentrale Regelwerk für den Umgang mit Zahlungsstörungen von Unternehmen und Privatpersonen in Deutschland. Sie ordnet das Verfahren, in dem Vermögen gesichert, Gläubiger gleichmäßig behandelt und die wirtschaftliche Situation des Schuldners geordnet geklärt wird. Ziel ist eine faire Verteilung des vorhandenen Vermögens, die Fortführung wirtschaftlich tragfähiger Einheiten und – bei natürlichen Personen – die Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang.

Kernprinzipien sind das Gebot der Gläubigergleichbehandlung, die Bündelung aller Vollstreckungsmaßnahmen in einem geordneten Verfahren, die Sicherung und Verwaltung der Insolvenzmasse sowie transparente Mitwirkungsrechte der Beteiligten.

Geltungsbereich und Einordnung

Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

Die Insolvenzordnung gilt für Unternehmen aller Rechtsformen, Selbständige, Freiberufler und Verbraucher. Sie kommt bei Zahlungsunfähigkeit, drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Anwendung. Das Verfahren erfasst grundsätzlich das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners, ausgenommen sind unpfändbare Gegenstände und Rechte.

Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten

Die Insolvenzordnung wirkt in zahlreiche Bereiche hinein, etwa Gesellschafts-, Arbeits-, Sachen- und Zivilprozessrecht. Sie verdrängt während des Verfahrens teilweise allgemeine Regeln (zum Beispiel zur Einzelzwangsvollstreckung) und schafft eigene Mechanismen zur Sicherung, Verwertung und Verteilung. Bei grenzüberschreitenden Fällen werden zudem europäische und internationale Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln beachtet.

Zentrale Akteure und Rollen

Insolvenzgericht

Das Insolvenzgericht leitet das Verfahren, trifft Sicherungsmaßnahmen, entscheidet über die Verfahrenseröffnung, überwacht die Verwaltung und bestätigt Pläne. Es beruft Gremien ein und entscheidet über wesentliche Streitfragen im Verfahren.

Insolvenzverwalter und Sachwalter

Der Insolvenzverwalter sichert und verwaltet die Insolvenzmasse, setzt die wirtschaftliche Einheit fort oder wickelt sie geordnet ab und verteilt Erlöse an die Gläubiger. In Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren bleibt die Geschäftsleitung im Kern verantwortlich; ein Sachwalter überwacht die ordnungsgemäße Durchführung.

Schuldner

Der Schuldner ist zur umfassenden Mitwirkung verpflichtet. Er muss Auskunft geben, Unterlagen vorlegen und Vermögenswerte offenlegen. Natürliche Personen können eine Restschuldbefreiung anstreben, wenn sie bestimmte Obliegenheiten erfüllen.

Gläubiger, Gläubigerversammlung und -ausschuss

Gläubiger melden ihre Forderungen an, nehmen an Prüfungen teil und üben Mitbestimmungsrechte aus. Die Gläubigerversammlung trifft grundlegende Entscheidungen, etwa zur Verfahrensfortführung oder zur Person des Verwalters. Ein Gläubigerausschuss kann zur laufenden Überwachung und Beratung eingesetzt werden.

Insolvenzgründe und Verfahrenseinleitung

Zahlungsunfähigkeit

Von Zahlungsunfähigkeit wird gesprochen, wenn der Schuldner seine fälligen Zahlungsverpflichtungen im Wesentlichen nicht mehr erfüllen kann und eine erhebliche Liquiditätslücke besteht.

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Diese liegt vor, wenn absehbar ist, dass der Schuldner voraussichtlich zu den Fälligkeitsterminen künftig nicht leisten kann. Sie ist insbesondere für Sanierungsverfahren von Bedeutung.

Überschuldung

Überschuldung betrifft insbesondere haftungsbeschränkte Gesellschaften und liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und eine Fortführungsperspektive fehlt.

Antragstellung und Eröffnungsverfahren

Das Verfahren beginnt mit einem Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers. Das Gericht prüft, ob ein Insolvenzgrund vorliegt und die Kosten gedeckt sind. Bis zur Entscheidung können vorläufige Maßnahmen angeordnet werden, etwa die Bestellung eines vorläufigen Verwalters und die Sicherung von Vermögenswerten. Mit der Eröffnung tritt ein Vollstreckungsstopp ein, und die Verwaltung des Vermögens folgt den Regeln der Insolvenzordnung.

Verfahrensarten

Regelinsolvenz

Die Regelinsolvenz gilt typischerweise für Unternehmen und Selbständige. Ein bestellter Verwalter übernimmt die Verwaltung, prüft Fortführungsmöglichkeiten, setzt Verträge um oder beendet diese und verwertet Vermögen zur Verteilung an Gläubiger.

Verbraucherinsolvenz

Für Personen ohne aktuelle selbständige Tätigkeit ist ein spezielles, vereinfachtes Verfahren vorgesehen. Es umfasst die Schuldenregulierung, die Verwertung pfändbaren Vermögens und die Möglichkeit der Restschuldbefreiung.

Eigenverwaltung und Schutzschirm

In der Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsleitung im Amt und führt das Verfahren unter Aufsicht eines Sachwalters. Das Schutzschirmverfahren ermöglicht eine geordnete Sanierung auf Basis eines frühzeitig erarbeiteten Plans, sofern die Sanierungsfähigkeit bescheinigt ist.

Insolvenzplanverfahren

Der Insolvenzplan ist ein gestaltendes Instrument. Er kann die Verteilung, Rechtspositionen und die künftige Struktur des Schuldners abweichend von der gesetzlichen Regelordnung festlegen, wenn die Gläubiger zustimmen und das Gericht den Plan bestätigt.

Ablauf des eröffneten Verfahrens

Insolvenzmasse

Zur Insolvenzmasse gehören alle zur Zeit der Eröffnung vorhandenen und später erlangten Vermögenswerte, soweit sie nicht unpfändbar sind. Die Masse dient der Befriedigung der Gläubiger und der Finanzierung des Verfahrens.

Fortführung oder Stilllegung

Der Verwalter prüft, ob die Fortführung des Betriebs wirtschaftlich sinnvoll ist. Ziel ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung, sei es durch Sanierung, Teilübertragung, übertragende Sanierung oder Abwicklung.

Verträge und Dauerschuldverhältnisse

Laufende Verträge können unter bestimmten Voraussetzungen fortgeführt oder beendet werden. Für die Masse wirtschaftlich nachteilige Bindungen können gelöst werden; für wesentliche Verträge bestehen besondere Regeln zur Sicherung der Verfahrensziele.

Verwertung und Verteilung

Vermögensgegenstände werden verwertet, Erlöse gesammelt und nach der Rangordnung verteilt. Gläubiger erhalten auf anerkannte Forderungen eine Quote. Am Ende steht die Aufhebung des Verfahrens oder die Überwachung eines bestätigten Plans.

Gläubigerrechte und Rangordnung

Sicherungsrechte, Aussonderung und Absonderung

Eigentümerfremde Gegenstände fallen nicht in die Masse und können ausgesondert werden. Gesicherte Gläubiger mit Pfandrechten oder Sicherungsübereignungen haben ein Vorrecht auf Verwertungserlöse (Absonderung). Diese Rechte bestehen fort, werden aber verfahrensrechtlich geordnet ausgeübt.

Forderungsanmeldung und Prüfung

Gläubiger melden ihre Forderungen zur Tabelle an. Das Gericht setzt einen Prüfungstermin an, in dem der Verwalter und Beteiligte die Forderungen anerkennen oder bestreiten.

Rangklassen und Quote

Zunächst sind die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten zu bedienen. Danach folgen die einfachen Insolvenzforderungen. Nachrangige Forderungen werden zuletzt berücksichtigt. Die tatsächliche Quote hängt von Masse, Sicherheiten und Verfahrensverlauf ab.

Insolvenzanfechtung

Zur Herstellung gleichmäßiger Befriedigung können bestimmte vor Verfahrenseröffnung vorgenommene Rechtshandlungen rückgängig gemacht werden. Anfechtungstatbestände knüpfen an Benachteiligung, Näheverhältnisse oder besondere Umstände an und unterliegen zeitlichen Grenzen.

Besondere Regelungen für natürliche Personen

Restschuldbefreiung

Natürliche Personen können nach Abschluss des Verfahrens von verbliebenen Forderungen befreit werden. Voraussetzung ist die Erfüllung bestimmter Obliegenheiten, insbesondere Mitwirkung, wahrheitsgemäße Angaben und die Abführung pfändbarer Einkommensanteile während einer festgelegten Zeit.

Wohlverhaltenszeit und Versagungsgründe

Während der Wohlverhaltenszeit gelten besondere Pflichten zur Förderung der Gläubigerbefriedigung. Die Restschuldbefreiung kann versagt werden, wenn gravierende Pflichtverstöße, unrichtige Angaben oder unredliches Verhalten vorliegen.

Arbeitsverhältnisse und soziale Aspekte

Fortbestand und Beendigung

Arbeitsverhältnisse bestehen grundsätzlich fort, es gelten jedoch insolvenzspezifische Erleichterungen bei Änderungen und Beendigungen. Betriebsübergänge und Sanierungsschritte sind in besondere Schutzmechanismen eingebettet.

Löhne und Absicherung

Für rückständige Entgeltansprüche bestehen gesonderte Sicherungsinstrumente. Laufende Löhne werden je nach Zeitraum und Verfahrensstand unterschiedlich behandelt.

Organpflichten und Haftung

Insolvenzantragspflicht

Leitungsorgane haftungsbeschränkter Unternehmen unterliegen einer Insolvenzantragspflicht bei Eintritt bestimmter Insolvenzgründe. Die Pflicht ist fristgebunden und dient dem Schutz der Gläubiger.

Zahlungsverbote und Haftungsrisiken

Nach Eintritt der Insolvenzreife sind Zahlungen aus Gesellschaftsvermögen nur in engen Grenzen zulässig. Verstöße können haftungs- und strafrechtliche Folgen haben.

Register, Bekanntmachungen und Datentransparenz

Öffentliche Bekanntmachungen

Wesentliche Verfahrensschritte werden öffentlich bekannt gemacht. Dadurch werden Gläubiger informiert und Fristen ausgelöst.

Auswirkungen auf die Bonität

Einträge über Insolvenzverfahren können die Kreditwürdigkeit beeinflussen. Nach Verfahrensende bestehen gesetzliche Regeln zur Speicherung und Löschung relevanter Daten.

Kosten und Vergütung

Gerichtskosten und Verwaltervergütung

Die Kosten des Verfahrens umfassen Gerichtsgebühren und die Vergütung der Verwaltung. Sie werden vorrangig aus der Masse beglichen.

Kostenstundung

Für natürliche Personen besteht die Möglichkeit einer gerichtlichen Stundung der Verfahrenskosten, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Die Stundung erleichtert den Zugang zum Verfahren.

Internationaler Bezug

Zuständigkeit und Anerkennung

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten richtet sich die internationale Zuständigkeit maßgeblich nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners. Innerhalb der Europäischen Union bestehen besondere Regeln zur Anerkennung von Verfahren und zur Koordinierung von Haupt- und Sekundärverfahren.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was regelt die Insolvenzordnung?

Sie ordnet das gesamte Verfahren bei Zahlungsstörungen von Unternehmen und Privatpersonen: von der Antragstellung über Sicherungsmaßnahmen und die Verwaltung des Vermögens bis zur Verwertung, Verteilung und möglichen Restschuldbefreiung. Sie legt Zuständigkeiten, Mitwirkungsrechte und die Rangfolge der Forderungen fest.

Wer ist im Insolvenzverfahren zuständig und welche Rolle haben die Beteiligten?

Das Insolvenzgericht leitet und überwacht das Verfahren. Der Insolvenzverwalter verwaltet die Masse oder überwacht in der Eigenverwaltung als Sachwalter. Der Schuldner wirkt mit und legt Vermögensverhältnisse offen. Gläubiger melden Forderungen an, üben Kontroll- und Mitbestimmungsrechte aus und entscheiden über Sanierungs- oder Abwicklungswege.

Welche Verfahrensarten sieht die Insolvenzordnung vor?

Vorgesehen sind insbesondere die Regelinsolvenz für Unternehmen und Selbständige, die Verbraucherinsolvenz für Personen ohne aktuelle selbständige Tätigkeit, die Eigenverwaltung mit Überwachung durch einen Sachwalter sowie das Schutzschirmverfahren zur frühzeitigen Sanierung. Ein Insolvenzplan kann in verschiedenen Verfahrensarten eingesetzt werden.

Was bedeutet Restschuldbefreiung?

Sie ist die rechtliche Befreiung natürlicher Personen von nach Verfahrensabschluss verbleibenden Forderungen. Voraussetzung ist die Einhaltung gesetzlicher Obliegenheiten während einer festgelegten Zeit. Bestimmte Forderungen sind von der Restschuldbefreiung ausgenommen.

Wie werden Forderungen der Gläubiger behandelt und in welcher Reihenfolge?

Forderungen werden zur Tabelle angemeldet und geprüft. Zunächst werden Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten beglichen. Danach erhalten die übrigen Insolvenzgläubiger eine Quote. Nachrangige Forderungen werden erst berücksichtigt, wenn zuvor ranghöhere vollständig bedient sind.

Was geschieht mit laufenden Verträgen im Insolvenzverfahren?

Laufende Verträge können fortgeführt oder unter besonderen insolvenzrechtlichen Regeln beendet werden. Ziel ist die Erhaltung werthaltiger Vertragsbeziehungen und die Vermeidung weiterer Massebelastungen.

Welche Pflichten treffen die Geschäftsleitung bei Insolvenzreife?

Es besteht eine fristgebundene Pflicht zur Antragstellung bei Eintritt bestimmter Insolvenzgründe. Zudem sind Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife nur in engen Grenzen zulässig. Verstöße können zu persönlicher Haftung und strafrechtlichen Konsequenzen führen.