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Inhaltsirrtum

Inhaltsirrtum: Bedeutung, Einordnung und Folgen

Der Inhaltsirrtum ist ein Irrtum über die Bedeutung oder die rechtliche Tragweite einer abgegebenen Erklärung. Er betrifft also nicht das „Ob“ der Erklärung, sondern das „Was“ sie objektiv bedeutet. Wer sich im Inhaltsirrtum befindet, misst seiner Erklärung einen anderen Sinn zu, als sie nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, der Verkehrsanschauung oder der üblichen Auslegung tatsächlich hat. Ein solcher Irrtum kann dazu führen, dass ein Vertrag rückwirkend beseitigt wird.

Wesen des Inhaltsirrtums

Beim Inhaltsirrtum geht die erklärende Person von einem anderen Inhalt oder einer anderen rechtlichen Wirkung ihrer Erklärung aus, als diese objektiv hat. Gemeint ist ein Fehlverständnis über die Bedeutung eines Begriffs, die Art des Rechtsgeschäfts oder die Reichweite einer Verpflichtung. Nicht erfasst sind bloße Fehlvorstellungen über außerhalb der Erklärung liegende Umstände.

Typische Konstellationen

  • Verwechslung der Art des Vertrages: Jemand glaubt, eine unverbindliche Reservierung vorzunehmen, gibt tatsächlich aber eine bindende Bestellung ab.
  • Falsch verstandene Bezeichnungen: Eine Abkürzung oder Fachterminologie wird anders verstanden, als sie im Geschäftsverkehr üblich ist.
  • Rechtsfolgenmissverständnis: Die Tragweite einer Bürgschafts-, Garantie- oder Haftungsklausel wird als geringer eingeschätzt, als sie objektiv ist.
  • Falsch zugeordnete Leistungspflichten: Eine Partei geht davon aus, nur Nebenpflichten zu übernehmen, erklärt aber objektiv die Übernahme einer Hauptleistung.
  • AGB-Klauseln: Der Verwender oder der Vertragspartner misst einer allgemein formulierten Klausel eine andere Bedeutung bei, als sie nach üblicher Auslegung hat.

Abgrenzung zu anderen Irrtumsarten

Erklärungsirrtum

Hier will die erklärende Person etwas anderes erklären, als tatsächlich geäußert wird (Versprechen, Verschreiben, Vertippen, Verhören). Der Fehler liegt in der Erklärungshandlung selbst, nicht in deren verstandener Bedeutung.

Eigenschaftsirrtum

Er betrifft wesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache (zum Beispiel Herkunft, Material, Autorenschaft), also äußere Merkmale des Vertragsgegenstands. Der Inhaltsirrtum bezieht sich demgegenüber auf die Bedeutung der Erklärung.

Motivirrtum

Ein Irrtum im Beweggrund (zum Beispiel falsche Kostenkalkulation, irrige Gewinnerwartung) ist grundsätzlich unbeachtlich. Er betrifft nicht den Erklärungsinhalt, sondern die persönliche Motivation.

Falschbezeichnung (falsa demonstratio)

Wenn beide Parteien denselben abweichenden Sinn verbinden und übereinstimmend das Gleiche wollen, obwohl sie sich missverständlich ausdrücken, gilt regelmäßig das tatsächlich Gewollte. In solchen Fällen fehlt es am beachtlichen Widerspruch zwischen Wille und objektiver Bedeutung.

Rechtsfolgen des Inhaltsirrtums

Ein beachtlicher Inhaltsirrtum eröffnet die Möglichkeit, den Vertrag anzufechten. Erfolgt eine wirksame Anfechtung, wird der Vertrag rückwirkend behandelt, als hätte er nicht bestanden (rückwirkende Beseitigung). Bereits ausgetauschte Leistungen sind dann grundsätzlich zurückzugewähren; kann die Rückgabe nicht erfolgen, kommt ein Ausgleich in Geld in Betracht.

Der Vertragspartner kann unter Umständen Ersatz für das Vertrauen verlangen, das er auf die Gültigkeit des Vertrages gesetzt hat (sogenannter Vertrauensschaden). Dieser Ausgleich ist begrenzt und darf regelmäßig nicht dazu führen, dass die andere Seite besser steht, als sie bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung gestanden hätte.

Voraussetzungen der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums

  • Es liegt ein relevanter Irrtum über Bedeutung oder rechtliche Tragweite der Erklärung vor, der nicht bloß die persönlichen Beweggründe betrifft.
  • Der Irrtum war für die Abgabe der Erklärung ursächlich.
  • Die Anfechtung wird gegenüber der anderen Vertragspartei erklärt. Sie muss eindeutig sein; eine bestimmte Form ist im Regelfall nicht zwingend, vertragliche oder gesetzliche Formvorgaben können jedoch bestehen.
  • Die Anfechtung erfolgt innerhalb einer kurzen Frist, nachdem der Irrtum erkannt wurde. Ein langes Zuwarten kann zum Verlust des Rechts führen.
  • Eine nachträgliche Bestätigung des Vertrages oder Umstände, die auf ein Festhalten am Vertrag schließen lassen, können die Anfechtung ausschließen.

Auslegung, Beweislast und Risikoverteilung

Ob ein Inhaltsirrtum vorliegt, wird häufig erst nach einer Auslegung der Erklärung bestimmt. Zunächst ist zu klären, welchen objektiven Sinn die Erklärung hat. Herangezogen werden Wortlaut, Systematik, Begleitumstände und Verkehrssitte. Lässt sich die Bedeutung eindeutig feststellen, ist zu prüfen, ob die erklärende Person gerade darüber irrte. Wer sich auf den Irrtum beruft, muss die hierfür maßgeblichen Umstände darlegen und beweisen.

Bei unklaren Formulierungen in vorformulierten Bedingungen wird die Auslegung tendenziell zulasten des Verwenders vorgenommen. Wer mehrdeutige oder missverständliche Erklärungen verwendet, kann das Risiko einer für ihn ungünstigen Auslegung tragen.

Grenzen und Besonderheiten

  • Selbstverursachung: Auch ein selbst verschuldeter Irrtum kann anfechtbar sein. Ein Verschulden kann jedoch die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens beeinflussen.
  • Dritte und Folgeverträge: Die rückwirkende Beseitigung kann sich auf weitere Rechtsbeziehungen auswirken. Der Schutz unbeteiligter Dritter bleibt unberührt und kann in bestimmten Konstellationen vorgehen.
  • Digitale Erklärungen: Auch bei Klick-Handlungen, Auswahlfeldern oder automatisch generierten Bestätigungen kann ein Inhaltsirrtum vorliegen, wenn die objektive Bedeutung der Erklärung von der angenommenen Bedeutung abweicht.

Praktische Beispiele

  • Eine Person unterschreibt eine „Reservierungsvereinbarung“ in der Annahme, dass sie unverbindlich sei; tatsächlich enthält sie eine bindende Kaufzusage.
  • Jemand stimmt „Garantiebedingungen“ zu, versteht diese aber als reine Kulanz, obwohl sie eine weitergehende Haftungsübernahme darstellen.
  • Ein Unternehmen erklärt eine „Lizenz“, nimmt aber eine bloße Nutzungserlaubnis auf Zeit an, während die Erklärung objektiv eine umfassendere Nutzungsübertragung vorsieht.
  • Eine Klausel zur Vertragslaufzeit wird so gelesen, dass sie jederzeitige Kündigung zulässt, obwohl sie eine Mindestvertragsdauer festlegt.

Häufig gestellte Fragen zum Inhaltsirrtum

Was ist ein Inhaltsirrtum in einfachen Worten?

Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn eine Person zwar erklären will, was sie erklärt, aber über die objektive Bedeutung oder rechtliche Wirkung ihrer Erklärung irrt. Die Person missversteht also den Inhalt ihrer eigenen Erklärung.

Wie unterscheidet sich der Inhaltsirrtum vom Erklärungsirrtum?

Beim Erklärungsirrtum liegt der Fehler in der Erklärungshandlung selbst (zum Beispiel Vertippen oder Versprechen). Beim Inhaltsirrtum wird die Erklärung korrekt abgegeben, aber falsch verstanden, was sie bedeutet.

Ist ein Irrtum über den Preis ein Inhaltsirrtum?

Ein bloßer Irrtum über die eigene Kalkulation oder die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit betrifft regelmäßig die Motivation und ist kein Inhaltsirrtum. Geht es jedoch um die Bedeutung der Preisabrede selbst (zum Beispiel Netto- statt Bruttopreis), kann ein Inhaltsirrtum vorliegen.

Welche Folgen hat eine wirksame Anfechtung wegen Inhaltsirrtums?

Der Vertrag wird rückwirkend aufgehoben. Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzugewähren oder auszugleichen. Der Vertragspartner kann unter Umständen Ersatz seines Vertrauensschadens verlangen, jedoch in begrenztem Umfang.

Welche Frist gilt für die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums?

Die Anfechtung muss innerhalb einer kurzen Frist nach Entdeckung des Irrtums erfolgen. Ein zu langes Zuwarten kann zum Verlust des Anfechtungsrechts führen.

Wer muss den Inhaltsirrtum beweisen?

Grundsätzlich trägt diejenige Partei, die sich auf den Irrtum beruft, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen und die Ursächlichkeit des Irrtums.

Spielt es eine Rolle, wenn die unklare Formulierung aus Allgemeinen Geschäftsbedingungen stammt?

Ja. Unklare oder mehrdeutige Klauseln in vorformulierten Bedingungen werden bei der Auslegung eher zulasten des Verwenders gewertet. Das kann die Beurteilung, ob ein Inhaltsirrtum vorliegt, beeinflussen.

Kann ein Inhaltsirrtum auch bei Online-Verträgen vorkommen?

Ja. Auch digitale Bestell- oder Zustimmungsvorgänge können zu einem Inhaltsirrtum führen, etwa wenn die Bedeutung eines Buttons, einer Checkbox oder eines Hinweises anders verstanden wird, als er objektiv zu deuten ist.