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Infektionsschutzgesetz


Infektionsschutzgesetz (IfSG) – Rechtliche Grundlagen, Ziele und Systematik

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) bildet das zentrale Regelwerk der Bundesrepublik Deutschland zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2001 hat das Gesetz sukzessive das Bundesseuchengesetz sowie einzelne Vorschriften des Landesrechts abgelöst und modernisiert. Ziel des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten vorzubeugen, sie rechtzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Der nachstehende Artikel gliedert sich in die Entstehung und Rechtsgrundlagen, den Aufbau und wesentliche Inhalte, die Pflichten und Rechte der Behörden und Beteiligten, sowie die Rolle im föderalen System.


Historische Entwicklung und Rechtsquellen

Gesetzgebungshintergrund und Einordnung

Das IfSG trat als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2000 in Kraft (BGBl. I S. 1045). Mit der Zielsetzung, das veraltete Bundesseuchengesetz durch ein zeitgemäßes Regelwerk abzulösen, wurde ein Paradigmenwechsel hin zu einer umfassenden, präventiv ausgerichteten Infektionskontrolle vollzogen. Weiterentwicklungen erfolgten regelmäßig, insbesondere im Kontext der Pandemiegeschehen, wie der COVID-19-Pandemie, wobei der Gesetzgeber zahlreiche Ergänzungen und Änderungen vorgenommen hat.

Verfassungsgemäße Grundlagen

Das IfSG stützt sich in erster Linie auf Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG), der dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen zuweist. Zugleich sind zahlreiche Verordnungs- und Ausführungsermächtigungen enthalten, die den Ländern und dem Bund Kompetenzen zur Umsetzung und Konkretisierung des Gesetzes einräumen.


Aufbau und Systematik des Infektionsschutzgesetzes

Gliederung des Gesetzes

Das IfSG ist in 11 Abschnitte und mehr als 90 Paragraphen unterteilt. Die wichtigsten Strukturen lauten wie folgt:

  • Abschnitt 1 (§§ 1-10): Allgemeine Vorschriften, Begriffsbestimmungen, Meldepflichten
  • Abschnitt 2 (§§ 11-27): Schutzmaßnahmen, Ermittlungen, Anordnungen
  • Abschnitt 3 (§§ 28-36): Besondere Regelungen, etwa in Gemeinschaftseinrichtungen
  • Abschnitt 4 bis 10 (§§ 36-69): Überträgt weitergehende Regelungen zu Trinkwasser, Surveillance, Impfschutz, Forschung und Bußgeldern
  • Abschnitt 11 (§§ 70-77): Schlussvorschriften

Die Systematik ist von spezifischen Melde- und Informationspflichten, Anordnungsbefugnissen sowie Sanktionsmechanismen geprägt.


Meldepflichten und Überwachungssystem

Meldepflichtige Krankheiten und Erreger

Das IfSG regelt detailliert, welche Krankheiten (§ 6 IfSG) und Erregernachweise (§ 7 IfSG) von Ärztinnen und Ärzten, Laboren sowie anderen Meldepflichtigen den zuständigen Gesundheitsämtern zu melden sind. Die Meldepflicht dient der schnellen Erkennung und Eindämmung von Infektionsgeschehen.

Elektronische Meldewege und Datenschutz

Die Übermittlung der Meldedaten an das Robert Koch-Institut erfolgt zunehmend elektronisch (§ 11 IfSG). Die Vorschriften zum Datenschutz und zur Vertraulichkeit orientieren sich an der DSGVO und dem Bundesdatenschutzgesetz.


Schutzmaßnahmen und Eingriffsgrundlagen

Befugnisse der Behörden

Die zuständigen Behörden sind nach §§ 16 ff. IfSG berechtigt, im Falle auftretender Infektionskrankheiten Ermittlungen anzustellen, notwendige Maßnahmen zu ergreifen und Anordnungen zu erlassen – bis hin zu Quarantäne, Berufsverboten oder dem Betretungsverbot für bestimmte Einrichtungen. Diese Eingriffe setzen stets eine konkrete Gefahr voraus und unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Allgemeine und besondere Schutzmaßnahmen

Neben den Instrumenten wie Isolierung, Desinfektion oder Tätigkeitsverboten greifen bei bestimmten Infektionslagen – etwa bei hochansteckenden Krankheiten oder Pandemien – spezielle Maßnahmenkataloge, die in den §§ 28 bis 32 IfSG ausgeführt sind. Der Gesetzgeber kann darüber hinaus zur Bewältigung außergewöhnlicher epidemischer Lagen bundesweite Verordnungen erlassen (sog. Verordnungsermächtigungen).


Gemeinschaftseinrichtungen, Impfungen und Forschung

Umgang mit Infektionsschutz in Gemeinschaftseinrichtungen

Das IfSG sieht für Gemeinschaftseinrichtungen (Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Heime) weitergehende Schutzmaßnahmen vor. Beschäftigte müssen bestimmte Gesundheitsanforderungen erfüllen, bei Ausbruch von Infektionen sind besondere Meldungen und Verhaltensregeln vorgesehen (§§ 33 ff. IfSG).

Regelungen zum Impfschutz

Detaillierte Vorschriften zur Impfaufklärung, Impfdokumentation und zu Impfempfehlungen des Robert Koch-Instituts finden sich in §§ 20 und 21 IfSG. In besonderen Lagen kann die Regierung Impfpflichten für festgelegte Personengruppen anordnen.

Wissenschaftliche Begleitforschung

Das Gesetz fördert die gesundheitsbezogene Forschung zur kontinuierlichen Verbesserung der Infektionsprävention und -kontrolle (§§ 13, 14 IfSG).


Sanktionen, Bußgelder und Durchsetzung

Ordnungswidrigkeiten und Strafvorschriften

Wer Melde- oder Mitteilungspflichten verletzt oder Anordnungen der Behörden missachtet, handelt ordnungswidrig (§ 73 ff. IfSG) und riskiert Bußgelder bis zu 25.000 Euro. Schwerwiegende Verstöße – etwa die vorsätzliche Übertragung einer Krankheit – können strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Rechtsschutz und Kontrolle

Betroffene behördlicher Maßnahmen steht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Die Maßnahmen sind regelmäßig auf Rechtsgrundlagen, Verhältnismäßigkeit und Einhaltung des Datenschutzes zu überprüfen.


Rolle des Bundes, der Länder und internationaler Kooperation

Föderale Zuständigkeiten

Die Ausführung des IfSG erfolgt primär auf der Ebene der Gesundheitsämter der Länder und ihrer Kommunen. Der Bund, insbesondere das Robert Koch-Institut, koordiniert die Sammlung und Bewertung von Daten und kann in bestimmten Lagen bundesweit Regelungen treffen.

Internationale Verpflichtungen

Das IfSG setzt zahlreiche internationale Verpflichtungen Deutschlands um, insbesondere aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) der WHO, und regelt die Zusammenarbeit mit ausländischen Gesundheitsbehörden.


Bedeutung und Auswirkungen des Infektionsschutzgesetzes

Das IfSG ist für das öffentliche Gesundheitswesen ein zentrales Steuerungsinstrument. Es ermöglicht rasche, rechtlich abgesicherte Reaktionen auf bekannte und neu auftretende Infektionsgefahren und schafft die Voraussetzung für eine sachgerechte Balance zwischen dem Schutz der Bevölkerung und der Wahrung von Grundrechten.


Literatur- und Rechtsprechungshinweise

Rechtliche Grundlagen:

  • Infektionsschutzgesetz (IfSG) in der aktuellen Fassung
  • Bundesgesetzblatt
  • Grundgesetz (GG)
  • Europäische und internationale Regelungen, insbesondere IHR

Weiterführende Literatur:

  • Kommentierungen in Standardwerken zum Gesundheitsrecht
  • Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts
  • Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte zur Abgrenzung von Ermessensspielräumen und Verhältnismäßigkeit infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen

Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick zum Infektionsschutzgesetz als rechtlich zentrales Instrument des deutschen Gesundheitsrechts und seiner Anwendungspraxis.

Häufig gestellte Fragen

Welche Behörde ist für die Durchsetzung des Infektionsschutzgesetzes zuständig?

Die Durchsetzung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) obliegt in Deutschland grundsätzlich den zuständigen Gesundheitsämtern auf kommunaler Ebene. Diese Behörden sind befugt, im Rahmen des IfSG notwendige Anordnungen und Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten zu treffen. Darüber hinaus sind auch Landesbehörden und, in besonderen Gefährdungslagen, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Robert Koch-Institut (RKI) in die Durchsetzung eingebunden. Die Behörden handeln dabei im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit, wie in den Landesausführungsgesetzen geregelt. Das IfSG räumt den Behörden umfangreiche Eingriffsrechte ein, um z. B. Quarantänemaßnahmen, Tätigkeitsverbote, Desinfektionsanordnungen oder Ermittlungen zur Infektionsquelle anzuordnen. Auch die Mitwirkungspflichten betroffener Personen können durch Verwaltungsakte durchgesetzt werden. Die behördlichen Maßnahmen können verwaltungsgerichtlich überprüft werden; aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage besteht bei bestimmten Schutzmaßnahmen jedoch nicht (§ 16 Abs. 8 IfSG).

Welche Mitwirkungspflichten bestehen für betroffene Bürger nach dem Infektionsschutzgesetz?

Das Infektionsschutzgesetz verpflichtet betroffene Bürgerinnen und Bürger zu umfassender Mitwirkung im Rahmen der Ermittlungen und Durchführung von Schutzmaßnahmen. Dazu zählt unter anderem, dass auf Verlangen der zuständigen Behörde Angaben über mögliche Kontaktpersonen, den eigenen Aufenthaltsort während der infektiösen Phase und die eigenen Bewegungsdaten gemacht werden müssen (§ 16 Abs. 2 Satz 3 IfSG). Darüber hinaus besteht insbesondere bei Anordnung von Quarantäne oder Absonderung die Verpflichtung zur Einhaltung dieser Maßnahmen. Betroffene Personen haben gegebenenfalls auch ärztliche Untersuchungen, Befragungen, Entnahmen biologischer Proben und Desinfektionsmaßnahmen zu dulden (§ 25 Abs. 1 IfSG). Verstöße gegen diese Mitwirkungspflichten stellen Ordnungswidrigkeiten dar und können mit Bußgeldern geahndet werden (§ 73 Abs. 1a IfSG). Bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung kann im Einzelfall sogar eine Strafbarkeit nach § 74 IfSG vorliegen.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Quarantäneanordnung nach dem Infektionsschutzgesetz erfüllt sein?

Eine Quarantäneanordnung gemäß Infektionsschutzgesetz setzt voraus, dass bei einer Person ein hinreichender Verdacht oder Nachweis auf das Vorliegen einer meldepflichtigen, übertragbaren Krankheit besteht (§ 30 IfSG). Die Anordnung erfolgt in der Regel auf Basis einer ärztlichen Feststellung oder eines konkreten epidemischen Zusammenhangs. Die Maßnahme ist verhältnismäßig und notwendig zu wählen, d. h., weniger eingreifende Mittel müssen ungeeignet bzw. ausgeschöpft sein. Die Quarantäne kann entweder als häusliche Absonderung oder, in schweren Fällen, durch Unterbringung in einer abgeschlossenen Einrichtung erfolgen. Die Rechtsgrundlage und Ausgestaltung (Dauer, Kontrolle, Betretungsverbote) ergibt sich aus der jeweiligen Anordnung. Betroffenen steht grundsätzlich Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten offen, wobei jedoch die sofortige Vollziehbarkeit der Maßnahme im Regelfall vorgesehen ist (§ 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG).

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz?

Bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz kommen sowohl ordnungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen in Betracht. Ordnungswidrigkeiten können gemäß § 73 IfSG mit Bußgeldern belegt werden; die Höhe richtet sich nach Art und Schwere des Verstoßes und kann bis zu 25.000 Euro betragen. Straftaten werden vor allem nach § 74 IfSG verfolgt, wenn jemand durch vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen des Gesetzes eine übertragbare Krankheit verbreitet. In solchen Fällen drohen Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren. Auch unterstützende oder unterlassene Hilfemaßnahmen können unter Strafe stehen (§ 75 IfSG). Verwarnungen, Haftung und mögliche Schadensersatzforderungen gegenüber Infizierten oder dritten Personen aufgrund zivilrechtlicher Bestimmungen sind ergänzend denkbar.

Wie ist der Datenschutz bei der Datenverarbeitung nach dem Infektionsschutzgesetz geregelt?

Das Infektionsschutzgesetz stellt beim Umgang mit personenbezogenen Daten im Rahmen von Ermittlungen und Maßnahmen grundsätzlich hohe Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit (§§ 16, 25, 34, 67 ff. IfSG). Die Verarbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Gesundheitsdaten ist auf das zur Erreichung des Zweckes notwendige Maß zu beschränken und erfolgt ausschließlich zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Gesundheit. Die Übermittlung an andere Behörden ist gesetzlich vorgesehen, soweit dies zur Verhütung übertragbarer Krankheiten oder zur Nachverfolgung von Infektionsketten erforderlich ist. Die betroffenen Personen sind über Art, Umfang, Zweck und Empfänger der erhobenen Daten zu unterrichten (§ 16 Abs. 5 IfSG). Eine längerfristige Speicherung und Weitergabe ist nur zulässig, solange dies notwendig ist, danach sind die Daten umgehend zu löschen bzw. zu anonymisieren. Es greifen ergänzend die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG).

Sind Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz möglich?

Ja, das Infektionsschutzgesetz sieht unter bestimmten Voraussetzungen Entschädigungsansprüche für Betroffene vor, die infolge einer behördlichen Maßnahme einen Verdienstausfall erleiden. Nach § 56 IfSG besteht ein Anspruch auf Entschädigung, wenn jemand aufgrund einer behördlichen Absonderungsmaßnahme (Quarantäne, Tätigkeitsverbot) nicht seiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall, üblicherweise auf Basis der letzten drei Monate vor Anordnung der Maßnahme und kann für Selbstständige auch Betriebsausgaben umfassen. Die Anträge sind bei der zuständigen Behörde (i. d. R. bei der Landesbehörde) innerhalb gesetzlicher Frist einzureichen. Beamte und vergleichbare Personen erhalten eine Entschädigung durch den Dienstherrn, welcher dann ggf. einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Staat geltend machen kann.

Welche gerichtlichen Rechtsbehelfe stehen Betroffenen gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz offen?

Betroffene können gegen belastende Maßnahmen der zuständigen Behörden grundsätzlich Widerspruch und Klage vor den Verwaltungsgerichten gemäß Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einlegen. Zu beachten ist, dass für bestimmte Maßnahmen – insbesondere im Bereich von Quarantäne und Tätigkeitsverboten – die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ausgeschlossen oder eingeschränkt sein kann (vgl. § 16 Abs. 8 IfSG). Das bedeutet, dass die Maßnahme trotz Einlegung eines Rechtsbehelfs zunächst fortbesteht, es sei denn, das Verwaltungsgericht setzt im Wege des Eilrechtsschutzes (z. B. im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO) die Vollziehung aus. Das Recht auf gerichtliche Überprüfung solcher Maßnahmen ist mehrfach durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, um die Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns gerichtlich prüfen zu können. Eine Individualbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist grundsätzlich nach Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs möglich.