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Individuelle Gesundheitsleistungen


Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL): Definition, Rechtsgrundlagen und rechtliche Rahmenbedingungen

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind medizinische Leistungen, die von gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht oder nur in Ausnahmefällen erstattet werden. Sie werden Patientinnen und Patienten außerhalb des regulären Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angeboten und müssen privat bezahlt werden. Im rechtlichen Diskurs umfassen Individuelle Gesundheitsleistungen eine Vielzahl an Vorschriften und Regelungen, die das Verhältnis zwischen Leistungserbringern und Leistungsempfängern maßgeblich gestalten.

Begriffliche Abgrenzung und Bedeutung im Gesundheitssystem

Definition

Individuelle Gesundheitsleistungen bezeichnen ärztliche oder zahnärztliche Behandlungen, diagnostische Maßnahmen oder Beratungstätigkeiten, für deren Kosten die gesetzliche Krankenversicherung grundsätzlich keine Leistungspflicht vorsieht. Typische Beispiele sind zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen, Atteste für private Zwecke oder alternative Heilmethoden. Die Abrechnung erfolgt direkt zwischen Arzt und Patient auf Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beziehungsweise der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ).

Abgrenzung zu Regelversorgungsleistungen

Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt laut SGB V (§ 12 SGB V) nur solche Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich sind. Leistungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind von der Erstattung ausgeschlossen und gelten als IGeL.


Rechtliche Grundlagen der Individuellen Gesundheitsleistungen

Gesetzliche Krankenversicherung und der Leistungskatalog

Das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) regelt umfassend die Leistungen der GKV sowie die Abgrenzung zu privat zu tragenden Gesundheitsleistungen. Leistungen, die nicht im sogenannten einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführt sind oder vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht anerkannt wurden, zählen im Regelfall zu den IGeL (§ 12, § 27, § 28 SGB V).

Gebührenordnung und Honorarabrechnung

Die Abrechnung von IGeL erfolgt rechtlich nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. für Zahnärzte (GOZ). Diese regeln Umfang, Kalkulation und Transparenz der Vergütung außerhalb des Sozialversicherungssystems und verpflichtet die Leistungserbringende Seite zur detaillierten Offenlegung der Kosten.


Rechtliche Verpflichtungen und Patientenaufklärung

Informations- und Aufklärungspflicht

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 630c, verpflichtet zur verständlichen Information und Aufklärung der Patientinnen und Patienten vor einer Behandlung. Für IGeL gilt, dass Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten ausdrücklich darüber aufklären müssen, dass die geplante Leistung keine Kassenleistung ist und welche Kosten entstehen. Dies dient der Stärkung der Selbstbestimmung und schützt vor überhöhten oder unnötigen Maßnahmen.

Schriftform und Kostenvoranschlag

Für eine transparente Rechtsbeziehung fordert § 630c Abs. 3 BGB, dass der oder die Leistungserbringende vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten informiert. In der Praxis erfolgt dies häufig durch eine schriftliche Vereinbarung, in der Art und Umfang der Leistung, der Hinweis auf die Selbstzahlungspflicht und die voraussichtlichen Kosten genannt sind. Auch die Berufsordnung der jeweiligen Ärztekammern begründet Pflicht zur schriftlichen Vereinbarung.


Zulässigkeit, Grenzen und Streitfragen

Wirtschaftlichkeitsgebot und Unabhängigkeit

Nach § 12 SGB V sind IGeL-Leistungen außerhalb des Wirtschaftlichkeitsgebotes der gesetzlichen Krankenversicherung zu stellen. Trotzdem dürfen die angebotenen Maßnahmen nicht gegen das ärztliche Berufsrecht, das Heilmittelwerberecht sowie die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB; §§ 3 ff. Heilmittelwerbegesetz (HWG)).

Werbung und Anpreisung

Das Heilmittelwerbegesetz bestimmt, dass die Anpreisung von individuellen Gesundheitsleistungen keinen unangemessenen Aufdringlichkeitsgrad erreichen darf. Verstöße können berufsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Streitigkeiten um Vergütung und Haftung

Im Streitfall, etwa bei Anzweiflung der medizinischen Notwendigkeit oder bei mangelhafter Durchführung, wird zivilrechtlich über Honorarforderungen, Rückforderungsansprüche oder Haftungsfragen entschieden. Die Beweislast für die ordnungsgemäße Aufklärung und die fachgerechte Ausführung liegt beim Leistungserbringenden (§ 630h BGB).


Aufsicht und Kontrolle

Kontrolle durch Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesärztekammern überwachen die Einhaltung der Berufsordnungen sowie der gesetzlichen und vertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit IGeL-Angeboten. Bei Verstößen drohen berufsrechtliche Maßnahmen oder Vertragsstrafen.


Zusammenfassung und aktuelle Entwicklungen

Individuelle Gesundheitsleistungen bewegen sich in einem komplexen Geflecht unterschiedlichster gesetzlicher, zivilrechtlicher und berufsrechtlicher Vorgaben. Während sie Patientinnen und Patienten zusätzliche Angebote eröffnen, erfordern sie von Ärztinnen und Ärzten besondere Transparenz, Sorgfalt und rechtliche Beachtung im Umgang mit Aufklärung, Kostendarstellung und Abrechnung. Aktuelle Diskussionen betreffen regelmäßig Fragen von Transparenz, Patientenschutz und Missbrauchsprävention.


Literatur und weiterführende Quellen

  • SGB V – Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (Gesetzliche Krankenversicherung)
  • BGB – Bürgerliches Gesetzbuch, §§ 630a ff.
  • GOÄ – Gebührenordnung für Ärzte
  • GOZ – Gebührenordnung für Zahnärzte
  • Heilmittelwerbegesetz (HWG)
  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), Richtlinien und Stellungnahmen

Diese Quellen geben einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Individuellen Gesundheitsleistungen im deutschen Gesundheitswesen.

Häufig gestellte Fragen

Muss der Arzt vor der Durchführung einer Individuellen Gesundheitsleistung über Kosten und Nutzen aufklären?

Ärztinnen und Ärzte sind rechtlich verpflichtet, Patientinnen und Patienten vor der Durchführung einer Individuellen Gesundheitsleistung (IGeL) umfassend aufzuklären. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Patientenrechtegesetz (§ 630e BGB) sowie der ärztlichen Berufsordnung. Die Aufklärung muss rechtzeitig, verständlich und individuell erfolgen. Sie umfasst neben den Kosten auch Informationen über Nutzen, Risiken, Alternativen und die Tatsache, dass die IGeL eine privat zu zahlende Leistung ist, deren medizinischer Nutzen häufig nicht wissenschaftlich belegt ist und die daher nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zählt. Dem Patienten ist zudem ausreichend Bedenkzeit einzuräumen. Versäumt der Arzt diese Aufklärung oder geschieht diese nur unzureichend, kann der Patient Regressansprüche geltend machen oder die Bezahlung ablehnen.

Muss für eine Individuelle Gesundheitsleistung eine schriftliche Einwilligung des Patienten vorliegen?

Im rechtlichen Kontext ist eine schriftliche Einwilligung für IGeL-Leistungen nicht zwingend vorgeschrieben, jedoch dringend anzuraten. Nach § 630d BGB genügt grundsätzlich eine mündliche Einwilligung, solange die Aufklärung vorher umfassend erfolgt ist. Um jedoch etwaige Beweisprobleme im Streitfall zu vermeiden, wird Ärzten aus haftungsrechtlicher Sicht regelmäßig empfohlen, eine schriftliche Erklärung vom Patienten einzuholen, die den Erhalt der Aufklärung sowie die Einwilligung in die Behandlung dokumentiert. Einige Ärztekammern fordern dies in ihren berufsrechtlichen Hinweisen sogar ausdrücklich. Die schriftliche Einwilligung dient dem Arzt dabei als Nachweis, dass über die Kosten und den fehlenden Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse aufgeklärt wurde.

Welche rechtlichen Grundlagen gelten für die Abrechnung von Individuellen Gesundheitsleistungen?

Die Abrechnung von IGeL-Leistungen im rechtlichen Sinne erfolgt auf privatvertraglicher Basis gemäß der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Gesetzlich Versicherte werden IGeL-Leistungen außerhalb des kassenärztlichen Versorgungsauftrags erbracht, sodass keinerlei Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung möglich ist. Die zugrundeliegende Rechtsbeziehung ist ein Werk- bzw. Dienstvertrag nach Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB). Die Höhe der Vergütung muss anhand der GOÄ nachvollziehbar und transparent dargestellt sein; dies beinhaltet auch die Ausweisung einzelner Gebührenziffern sowie die Angabe der Steigerungsfaktoren. Eine unzulässige Pauschal- oder Mischkalkulation ist rechtlich nicht gestattet, ebenso wenig wie die doppelte Abrechnung für identische Leistungen.

Inwieweit ist die Bewerbung von Individuellen Gesundheitsleistungen rechtlich zulässig?

Das Anbieten und Bewerben von IGeL unterliegt strengen rechtlichen Vorgaben, insbesondere nach dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) und der Berufsordnung für Ärzte. Die Werbung für IGeL darf nicht irreführend sein oder unzulässige Heilsversprechen enthalten. Es ist unzulässig, falsche Erwartungen zu wecken oder den Eindruck zu erwecken, es handele sich um dringend notwendige medizinische Leistungen. Auch darf der Patient nicht unter Druck gesetzt werden, indem etwa mit Angst oder verunsichernden Formulierungen gearbeitet wird. Die beworbene Leistung muss einen tatsächlichen medizinischen Nutzen oder zumindest eine plausible wissenschaftliche Grundlage aufweisen, die im Rahmen der Aufklärung offen dargelegt wird. Verstöße gegen diese Vorgaben können standesrechtliche und wettbewerbsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Kann der Patient die Bezahlung einer Individuellen Gesundheitsleistung verweigern, wenn er sich unzureichend aufgeklärt fühlt?

Rechtlich gesehen hat der Patient Anspruch auf eine vollständige und nachvollziehbare Aufklärung über Sinn, Nutzen, Risiken und Kosten einer IGeL. Wird diese Aufklärungspflicht verletzt, zum Beispiel durch mangelnde Transparenz über Zusatzkosten oder eine unvollständige Information über Alternativen, kann der Patient die Zahlung verweigern oder den bereits gezahlten Betrag, ganz oder teilweise, zurückfordern. Die Beweislast für eine korrekte Aufklärung liegt im Streitfall beim Arzt. Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, kann ein fehlender Nachweis der Aufklärung für den Arzt gravierende haftungsrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Welche rechtlichen Risiken bestehen für Ärzte bei unsachgemäßer Durchführung von IGeL?

Unsachgemäße Durchführung von IGeL-Leistungen kann zu unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen führen. Neben zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen wegen Verstoßes gegen die ärztlichen Sorgfaltspflichten oder unterlassener/fehlerhafter Aufklärung drohen auch berufsrechtliche Sanktionen bis hin zu einem Entzug der Approbation in schweren Fällen. Strafrechtliche Konsequenzen sind ebenfalls möglich, bei Körperverletzung durch eine schädliche Behandlung oder bei Betrug, falls beispielsweise Leistungen abgerechnet werden, die nicht erbracht wurden. Zudem drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen durch Mitbewerber oder Verbände bei irreführender Werbung oder unzulässigen Geschäftspraktiken.

Sind Ärzte verpflichtet, jede angeforderte Individuelle Gesundheitsleistung zu erbringen?

Ärztinnen und Ärzte sind rechtlich nicht verpflichtet, jede gewünschte IGeL-Leistung auf Wunsch des Patienten zu erbringen. Die ärztliche Therapiefreiheit erlaubt ihnen, aus medizinisch-ethischen Gründen eine Leistung abzulehnen, insbesondere, wenn die IGeL medizinisch nicht indiziert, wissenschaftlich unplausibel oder gar potenziell schädlich für den Patienten sein könnte. Zugleich dürfen Ärzte IGeL-Leistungen nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten erbringen, da dies eine Verletzung der Selbstbestimmungsrechte bedeuten würde und zivil- sowie strafrechtliche Folgen hätte.

Gibt es eine Widerspruchsmöglichkeit gegen die Ablehnung einer Erstattung der IGeL durch die Krankenkasse?

Da IGeL-Leistungen grundsätzlich keine Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen sind und außerhalb des Sozialgesetzbuches V (SGB V) erbracht werden, besteht normalerweise kein Rechtsanspruch auf eine Kostenerstattung. Ein rechtlicher Widerspruch gegen die Ablehnung einer Übernahme ist daher in der Regel aussichtslos, es sei denn, die Kasse hat individuelle Kulanzregelungen angekündigt oder Ausnahmen sind explizit im Vertrag geregelt. Nur in seltenen Ausnahmefällen bei medizinischer Notwendigkeit einer nachgewiesenermaßen medizinisch erforderlichen Leistung kann im Einzelfall ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden – ansonsten ist die Ablehnung rechtlich bindend.