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Individuelle Gesundheitsleistungen

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) – Begriff, Bedeutung und rechtliche Einordnung

Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, sind medizinische Leistungen, die außerhalb des regulären Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen und deshalb von gesetzlich Versicherten privat bezahlt werden. Sie werden zwischen Praxis und Patientin oder Patient auf Grundlage eines eigenständigen privaten Behandlungsvertrags vereinbart. IGeL können diagnostische, beratende, präventive oder ästhetische Angebote umfassen. Sie sind nur zulässig, wenn sie medizinisch vertretbar sind, transparent angeboten werden und die Rechte der Patientinnen und Patienten gewahrt bleiben.

Abgrenzung zu Regelleistungen

Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden bei medizinischer Notwendigkeit als Sach- oder Dienstleistung erbracht. IGeL sind demgegenüber Wunsch- oder Zusatzleistungen ohne Anspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse. Eine Abrechnung als IGeL ist unzulässig, wenn die Leistung im konkreten Fall als Kassenleistung zusteht. Für privat Versicherte gelten je nach Vertrag andere Erstattungsmechanismen; das Rechtsverhältnis über die IGeL besteht jedoch stets unmittelbar zwischen Praxis und Patientin oder Patient.

Voraussetzungen und Grenzen von IGeL

Medizinische Vertretbarkeit

IGeL dürfen nur angeboten werden, wenn sie fachlich vertretbar sind, nach anerkannten medizinischen Standards erbracht werden und nicht gegen berufsrechtliche Sorgfaltsanforderungen verstoßen. Leistungen mit unvertretbarem Risiko, irreführenden Erfolgsversprechen oder ohne hinreichende Grundlage dürfen nicht angeboten werden.

Freiwilligkeit und Entscheidungsfreiheit

IGeL setzen eine freie und unbeeinflusste Entscheidung voraus. Sie dürfen nicht als Voraussetzung für eine notwendige kassenärztliche Behandlung gestellt werden. Unzulässig ist Druck, Überrumpelung oder die Kopplung notwendiger Leistungen an zusätzliche, privat zu zahlende Maßnahmen.

Trennungsgebot gegenüber Kassenleistungen

Eine strikte Trennung zwischen Kassen- und Privatleistungen ist erforderlich. Leistungen, die im konkreten Fall von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sind, dürfen nicht privat liquidiert werden. Mischkalkulationen und verdeckte Umwidmungen sind unzulässig. Eine parallele Inanspruchnahme ist nur zulässig, wenn eine klare sachliche und rechnerische Trennung besteht und keine Kassenleistung ersetzt oder beeinträchtigt wird.

Aufklärung, Information und Einwilligung

Inhalt und Umfang der Aufklärung

Vor Abschluss des Behandlungsvertrags besteht eine Informationspflicht über Zweck, Ablauf, Nutzen, Risiken, mögliche Behandlungsalternativen (einschließlich etwaiger Kassenleistungen) sowie die Kosten. Die Aufklärung muss verständlich, vollständig und rechtzeitig erfolgen, damit eine eigenverantwortliche Entscheidung möglich ist. Unzutreffende oder irreführende Angaben sind unzulässig.

Einwilligung und Dokumentation

Die wirksame Einwilligung setzt zuvor erteilte Aufklärung voraus. Sie soll nach Möglichkeit in Textform dokumentiert werden, zusammen mit einer Kosteninformation. Die Dokumentation der medizinischen Maßnahme folgt den allgemeinen Regeln der Behandlungsdokumentation und ist aufzubewahren. Eine Einwilligung kann grundsätzlich bis zur Durchführung widerrufen werden; bereits erbrachte Leistungen bleiben vergütungspflichtig.

Minderjährige und Einwilligungsfähigkeit

Bei Minderjährigen richtet sich die Einwilligung nach der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Ist diese nicht gegeben, entscheiden die Sorgeberechtigten. Bei einwilligungsfähigen Minderjährigen ist deren Entscheidung maßgeblich; je nach Art der Maßnahme kann zusätzlich die Zustimmung der Sorgeberechtigten erforderlich sein.

Vergütung und Abrechnung

Honorargrundlagen

Die Abrechnung ärztlicher IGeL erfolgt nach den Regeln der privaten Gebührenordnung für ärztliche Leistungen. Die Rechnung muss nachvollziehbar, vollständig und prüffähig sein und die einzelnen Leistungen samt Steigerungsfaktoren und Auslagen getrennt ausweisen. Für zahnärztliche Leistungen gelten die entsprechenden zahnärztlichen Abrechnungsregeln.

Kostentransparenz und Kostenvoranschlag

Die voraussichtlichen Kosten sind vor Vertragsschluss mitzuteilen. Üblich ist eine schriftliche Vereinbarung, die Leistungsinhalt, Vergütung und mögliche Zusatzkosten darstellt. Abweichungen von der Ankündigung bedürfen einer erneuten Abstimmung. Eine Erstattung durch Zusatzversicherungen berührt das Schuldverhältnis zwischen Praxis und Patientin oder Patient nicht.

Umsatzsteuerliche Einordnung

Medizinische Leistungen, die der Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von Krankheiten dienen, sind in der Regel von der Umsatzsteuer befreit. Angebote ohne medizinischen Zweck, insbesondere rein ästhetische Leistungen oder bestimmte Serviceangebote, können der Umsatzsteuer unterliegen. Die steuerliche Einordnung richtet sich nach Zweck und Ausgestaltung der konkreten Leistung.

Werbung, Angebot und Vertrieb

Berufsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Vorgaben

Information und Werbung für IGeL müssen sachlich, wahrheitsgemäß und nicht irreführend sein. Unzulässig sind unsachliche Anpreisungen, Garantiezusagen, Angstappelle oder vergleichende Aussagen, die täuschen. Preisangaben müssen transparent sein. Kooperationen mit Dritten sind offenzulegen, wenn sie die Entscheidungsfreiheit beeinflussen können.

Praxisinterne Abläufe

IGeL-Angebote im Praxisalltag dürfen die freie Entscheidung nicht beeinträchtigen. Automatisierte oder pauschale IGeL-Angebote ohne individuellen Bezug sind kritisch zu beurteilen. Eine angemessene Bedenkzeit und die Möglichkeit, Fragen zu stellen, sind Bestandteil eines fairen Vertragsabschlusses.

Datenschutz, Dokumentation und Qualitätsanforderungen

Datenschutz

Gesundheitsdaten unterliegen einem erhöhten Schutzniveau. Auch bei IGeL gilt, dass nur die für die Leistung erforderlichen Daten verarbeitet werden dürfen, technische und organisatorische Schutzmaßnahmen einzuhalten sind und Betroffenenrechte gewahrt bleiben. Eine Nutzung zu Werbezwecken bedarf einer gesonderten Rechtsgrundlage.

Dokumentationspflichten und Aufbewahrung

Die medizinische Dokumentation hat vollständige, fortlaufende und nachvollziehbare Einträge zu enthalten. Dazu gehören Aufklärung, Einwilligung, Befunde, Maßnahmen, Ergebnisse und Rechnung. Aufbewahrungsfristen richten sich nach den allgemeinen Vorgaben für Behandlungsunterlagen.

Produkt- und Geräteanforderungen

Bei der Anwendung von Medizinprodukten und Labordienstleistungen sind die einschlägigen Sicherheits- und Qualitätsstandards einzuhalten. Die Verwendung nicht zugelassener Produkte ist unzulässig. Interne Qualitätssicherung und, soweit vorgeschrieben, externe Qualitätssicherung sind zu beachten.

Haftung und Konfliktfälle

Haftungsmaßstab

Für IGeL gilt der allgemeine haftungsrechtliche Maßstab. Maßgeblich sind Sorgfaltspflichten, anerkannte medizinische Standards und die ordnungsgemäße Aufklärung. Behandlungsfehler, Aufklärungsversäumnisse oder fehlerhafte Abrechnungen können Ansprüche auslösen.

Erfolgsversprechen und Ergebnisverantwortung

Der medizinische Behandlungsvertrag verpflichtet zu einer fachgerechten Tätigkeit, nicht zum Erfolg. Verbindliche Erfolgszusagen sind unzulässig und können haftungsrechtliche Folgen haben. Davon unberührt bleibt die Pflicht, die vereinbarte Leistung in der geschuldeten Qualität zu erbringen.

Beanstandungen, Rechnungsstreitigkeiten und Schlichtung

Bei Unklarheiten zu Inhalt, Aufklärung, Durchführung oder Rechnung gelten die zivilrechtlichen Regeln über Verträge und Mängelrügen. Außergerichtliche Klärungsmöglichkeiten bestehen etwa über Beschwerde- und Schlichtungsstellen im Gesundheitswesen sowie über berufsrechtliche Aufsichtsinstanzen.

Besondere Konstellationen

Bescheinigungen und Gutachten

Atteste, Eignungsuntersuchungen, Tauglichkeitsprüfungen und versicherungsbezogene Gutachten sind häufig IGeL, da sie nicht unter die Regelleistungen fallen. Sie unterliegen besonderen Anforderungen an Unabhängigkeit, Wahrheits- und Sorgfaltspflicht sowie an eine nachvollziehbare Dokumentation und Abrechnung.

Telemedizinische IGeL

Telemedizinische Angebote müssen berufsrechtlich zulässig sein, die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewährleisten und Datenschutz sowie Datensicherheit sicherstellen. Die Aufklärung über Grenzen, Voraussetzungen und Kosten der Fernbehandlung ist ebenso erforderlich wie die dokumentierte Einwilligung.

Schwangerschaftsbezogene Zusatzleistungen

Zusatzangebote im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Pränataldiagnostik sind nur zulässig, wenn sie medizinisch vertretbar sind, keine unzulässige Werbung enthalten und die besondere Schutzbedürftigkeit beachtet wird. Die Trennung zu Regelleistungen und die Pflicht zur ausgewogenen, wertfreien Aufklärung sind zu wahren.

Zusammenarbeit mit Dritten

Vergütungen, Vorteile oder Zuwendungen, die die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen beeinträchtigen könnten, sind unzulässig. Zuweisungen gegen Entgelt, verdeckte Rückvergütungen oder Erfolgshonorare verstoßen gegen berufs- und wettbewerbsrechtliche Grundsätze.

Historische Entwicklung und aktuelle Diskussion

IGeL haben sich im Zuge der Abgrenzung von kollektiv finanzierten Regelleistungen und individuellen Zusatzwünschen entwickelt. Sie stehen im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie, evidenzbasierter Medizin und Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens. Laufende Debatten betreffen insbesondere Transparenz, Qualität, Nutzenbewertung und die Vermeidung von Fehlanreizen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Individuellen Gesundheitsleistungen

Was sind Individuelle Gesundheitsleistungen im rechtlichen Sinne?

Es handelt sich um freiwillige, privat zu zahlende medizinische Leistungen außerhalb des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie werden auf Basis eines privaten Behandlungsvertrags zwischen Praxis und Patientin oder Patient vereinbart und unterliegen den allgemeinen Regeln zu Aufklärung, Einwilligung, Abrechnung und Haftung.

Wann sind IGeL zulässig?

Zulässig sind IGeL, wenn sie medizinisch vertretbar sind, nicht an die Stelle einer zustehenden Kassenleistung treten, transparent angeboten werden und eine wirksame, informierte Einwilligung nach vorheriger Aufklärung vorliegt. Unzulässig sind Druck, Überrumpelung oder irreführende Versprechen.

Wie müssen IGeL abgerechnet werden?

Die Abrechnung erfolgt privat nach den einschlägigen Gebührenregelungen für ärztliche bzw. zahnärztliche Leistungen. Die Rechnung muss nachvollziehbar sein und die Leistungen einzeln ausweisen. Eine Kostendarstellung vor Vertragsschluss ist erforderlich; eine etwaige Erstattung durch Versicherungen berührt das Vertragsverhältnis nicht.

Muss über Kosten und Alternativen aufgeklärt werden?

Ja. Vor der Entscheidung sind Zweck, Ablauf, Nutzen, Risiken, mögliche Alternativen einschließlich etwaiger Regelleistungen sowie die voraussichtlichen Kosten verständlich darzustellen. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie auf dieser Grundlage erfolgt.

Dürfen IGeL als Voraussetzung für eine Kassenbehandlung verlangt werden?

Nein. Notwendige Kassenleistungen dürfen nicht von der Inanspruchnahme zusätzlicher, privat zu zahlender Leistungen abhängig gemacht werden. Die freie Entscheidung ist zu respektieren.

Sind IGeL umsatzsteuerpflichtig?

Leistungen mit therapeutischem, diagnostischem oder präventivem Zweck sind in der Regel umsatzsteuerfrei. Angebote ohne medizinischen Zweck können umsatzsteuerpflichtig sein. Maßgeblich ist der konkrete Leistungszweck.

Welche Rechte bestehen bei Streit über eine IGeL-Rechnung?

Es gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln zu Verträgen, Transparenz und Prüffähigkeit von Rechnungen. Bei Meinungsverschiedenheiten kommen interne Klärung, berufsrechtliche Aufsicht oder Schlichtungsverfahren in Betracht.

Wie ist der Datenschutz bei IGeL geregelt?

Es gelten die strengen Vorgaben für Gesundheitsdaten. Erforderlichkeit, Zweckbindung, Datensicherheit und Betroffenenrechte sind zu beachten; eine Nutzung zu anderen Zwecken bedarf einer gesonderten Rechtsgrundlage.