Definition und rechtliche Einordnung des Hilfsantrags
Der Begriff Hilfsantrag bezeichnet im deutschen Verfahrensrecht einen Antrag, der vorsorglich und abhängig davon gestellt wird, ob einem vorrangig (zubilligend) gestellten Hauptantrag stattgegeben wird oder nicht. Der Hilfsantrag tritt somit nur dann in den Vordergrund, wenn der Hauptantrag nicht oder nicht vollständig zum Erfolg führt. Hilfsanträge sind in nahezu allen gerichtlichen Verfahren relevant, insbesondere im Zivilprozessrecht, im Verwaltungsprozessrecht sowie im Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht.
Grundlegende Funktion und Zweck des Hilfsantrags
Abgrenzung zum Hauptantrag
Der Hauptantrag ist im gerichtlichen Verfahren der vorrangig, unmittelbare Antrag, auf dessen Bewilligung der Antragsteller primär abzielt. Demgegenüber stellt der Hilfsantrag eine alternative oder ergänzende Anspruchsgrundlage oder Rechtsfolge für den Fall bereit, dass das Gericht den Hauptantrag ablehnt oder ihm nur teilweise stattgibt.
Schutz vor Rechtsverlust und prozessökonomische Erwägungen
Ein zentraler Zweck des Hilfsantrags besteht im Schutz vor Rechtsverlust. Wird alleine der Hauptantrag gestellt und abgewiesen, könnte ein weiterer Antrag – aufgrund von Fristversäumnissen oder Prozessoralverboten – nicht mehr nachgeholt werden. Durch einen Hilfsantrag wird sichergestellt, dass für den Fall der Zurückweisung des Hauptantrags eine alternative Entscheidung durch das Gericht geprüft wird. Dies dient auch der Prozessökonomie, da mehrere Streitgegenstände innerhalb desselben Verfahrens behandelt werden können.
Arten von Hilfsanträgen
Eventualantrag (Eventualklage)
Als häufigste Form des Hilfsantrags wird der sogenannte Eventualantrag bezeichnet. Hierbei handelt es sich um einen Antrag, der ausdrücklich „für den Fall, dass…“ gestellt wird. Beispielsweise kann ein Kläger zunächst auf Leistung klagen und hilfsweise die Feststellung begehren, dass ein Anspruch besteht.
Kumulative Hilfsanträge
Werden mehrere Anträge nebeneinander gestellt, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern ergänzen, spricht man von kumulativen Hilfsanträgen. Auch hier entscheidet das Gericht in einer festgelegten Reihenfolge.
Zulässigkeit und Anforderungen an die Formulierung
Voraussetzungen der Zulässigkeit
Hilfsanträge sind gemäß der Dispositionsmaxime in Zivil- und Verwaltungsverfahren grundsätzlich zulässig. Sie müssen jedoch klar und eindeutig als solche bezeichnet werden, um dem Gericht die Rangfolge der zu prüfenden Anträge transparent zu machen. Es gilt der Grundsatz der Bestimmtheit der Anträge gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (Zivilprozessordnung).
Ausgestaltungsformen
Ein Hilfsantrag kann sowohl als eigenständiger Antrag als auch als modifizierter Antrag zum Hauptantrag formuliert sein. Er kann Sachanträge, Beweisanträge, Feststellungsanträge oder Zwischenanträge betreffen.
Rechtsprechung und Literatur
Die Rechtsprechung legt Wert auf eine präzise Eventualformulierung, damit bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung eindeutig feststeht, unter welchen Voraussetzungen der Hilfsantrag relevant wird (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26.06.2010 – VIII ZR 99/09).
Wirkungen und gerichtliches Vorgehen
Prüfungsreihenfolge durch das Gericht
Das Gericht prüft zunächst den Hauptantrag. Erst im Falle seiner Ablehnung wird der Hilfsantrag behandelt. Die Prüfungsreihenfolge ist zwingend und wird durch die Dispositionsmaxime und durch den im Zivilprozess geltenden Grundsatz des „ne ultra petita“ (nicht über das Begehrte hinaus) bestimmt.
Bindungswirkung und Rechtskraft
Wird ein Hauptantrag abgewiesen und über den Hilfsantrag entschieden, entfaltet die Entscheidung über den Hilfsantrag Rechtskraft. Die Bindungswirkung der Entscheidung umfasst alle im Verfahren gestellten Hilfsanträge, soweit über diese entschieden wurde.
Anwendungsgebiete des Hilfsantrags
Zivilprozess und arbeitsgerichtliches Verfahren
Im Zivilprozess (ZPO) und im Arbeitsgerichtsverfahren (ArbGG) werden Hilfsanträge regelmäßig in Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen verwendet. Beispielsweise wird in Kündigungsschutzklagen der Hilfsantrag auf Zahlung einer Abfindung für den Fall gestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet ist.
Verwaltungsprozess
Im Verwaltungsprozess (VwGO) finden Hilfsanträge insbesondere Anwendung, wenn mehrere denkbare Entscheidungsmöglichkeiten existieren, etwa bei der Anfechtung von Verwaltungsakten oder bei Verpflichtungsklagen.
Strafprozessrecht
Im Strafprozessrecht können Hilfsanträge etwa beim Antrag auf Beweiserhebung relevant werden, wenn der Hauptbeweisantrag infolge rechtlicher oder tatsächlicher Ablehnung nicht zum Zuge kommt.
Fristwahrung und prozessuale Bedeutung
Durch die Stellung eines Hilfsantrags können Fristen gewahrt werden, da der Antrag bereits im laufenden Verfahren als rechtshängiger Antrag gilt. Dies ist besonders bedeutsam im Hinblick auf materiell-rechtliche und prozessuale Ausschlussfristen.
Formulierungsbeispiele und Aufbau
Eine typische Formulierung für einen Hilfsantrag lautet:
„Für den Fall, dass das Gericht dem Hauptantrag nicht stattgibt, beantrage ich hilfsweise: …“
Dadurch wird für das Gericht die bedingte Reihenfolge und Alternative des Begehrens eindeutig.
Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Hilfswiderklage
Eine Hilfswiderklage ist nach ähnlichen Grundsätzen aufgebaut wie der Hilfsantrag, jedoch handelt es sich hierbei um ein eigenes Verteidigungsinstrument der Beklagtenseite im Rahmen des Verfahrens.
Stufenklage
Die Stufenklage (§ 254 ZPO) unterscheidet sich vom Hilfsantrag, da sie auf eine schrittweise gerichtliche Geltendmachung zunächst unbezifferter und dann bezifferter Ansprüche ausgelegt ist. Ein Hilfsantrag hingegen regelt die Reihenfolge und Bedingtheit verschiedener Streitgegenstände.
Bedeutung in der Praxis und Schlussbetrachtung
Hilfsanträge sind ein zentrales Mittel im prozessualen Werkzeugkasten, um alternative Forderungen, Ansprüche oder Rechtsfolgen im Same Verfahren zu steuern und so die rechtlichen Interessen umfassend geltend zu machen. Die korrekte Formulierung und Einordnung des Hilfsantrags können entscheidend für den Erfolg eines Verfahrens und für die Wahrung weitergehender Rechte sein.
Siehe auch:
- Hauptantrag
- Eventualantrag
- Dispositionsmaxime
- Rechtskraft
Literaturhinweis:
Das Thema Hilfsantrag wird in Kommentarwerken zur ZPO und zur VwGO sowie in einschlägigen Handbüchern zum Zivil- und Verwaltungsprozessrecht ausführlich behandelt. Eine vertiefende Auseinandersetzung findet sich zudem in der Rechtsprechung vor allem des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts.
Häufig gestellte Fragen
Welche Bedeutung hat der Hilfsantrag im gerichtlichen Verfahren?
Ein Hilfsantrag ist im gerichtlichen Verfahren ein prozessuales Mittel, das insbesondere in Zivil- und Verwaltungsverfahren genutzt wird, um dem Gericht eine Entscheidung über einen Anspruch oder ein Begehr zu ermöglichen, falls der Hauptantrag keinen Erfolg hat. Der Hilfsantrag entfaltet seine Wirkung ausschließlich für den Fall, dass der Hauptantrag zurückgewiesen wird, und ist insofern stets bedingter Natur. Seine Einbringung dient dazu, dem Antragsteller trotz Unterliegens mit dem Hauptantrag den größtmöglichen rechtlichen Schutz zu sichern. Die Reihenfolge der zu prüfenden Anträge ist durch die sogenannte Eventualmaxime bestimmt; das Gericht prüft den Hilfsantrag nur, wenn es den Hauptantrag ablehnt. Hilfsanträge finden ihre gesetzliche Grundlage u.a. in § 253 ZPO, wobei das Gebot der Bestimmtheit der Klage auch für sie gilt. In der Praxis wird der Hilfsantrag unter anderem im Rahmen von Klagen auf mehrere mögliche Rechtsgrundlagen oder bei Unsicherheiten hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs benutzt.
Wann ist die Stellung eines Hilfsantrags prozessual sinnvoll?
Die Stellung eines Hilfsantrags ist prozessual immer dann sinnvoll, wenn die Rechts- oder Tatsachenlage ungewiss ist und der Kläger/oder Beklagte flexibel bleiben möchte, um bei einer Ablehnung seines Hauptbegehrens eine alternative Forderung durchsetzen zu können. Beispielsweise macht sie Sinn, wenn mehrere rechtliche Qualifikationen desselben Lebenssachverhalts infrage kommen (etwa in vertraglichen Streitigkeiten, wo ein Anspruch aus Kaufvertrag oder hilfsweise aus Bereicherungsrecht verfolgt werden kann). Auch bei Angriffen auf Formmängel oder Wirksamkeitserfordernisse bietet der Hilfsantrag Sicherheit für den Fall, dass das Gericht eine andere rechtliche Bewertung vornimmt als der Antragsteller. Der Hilfsantrag verhindert zudem einen möglichen vollständigen Prozessverlust und die Notwendigkeit neuer Verfahren oder nachträglicher Klageänderungen.
Wie muss ein Hilfsantrag im Schriftsatz formuliert werden?
Im Schriftsatz ist ein Hilfsantrag so zu formulieren, dass der Wille des Antragstellers eindeutig und hinreichend bestimmt zum Ausdruck kommt. Er muss den Hilfscharakter klar offenlegen, in der Regel durch Formulierungen wie „hilfsweise für den Fall, dass …“. Außerdem ist genau zu bezeichnen, unter welcher Bedingung (meist das Unterliegen mit dem Hauptantrag) der Hilfsantrag gestellt werden soll. Auch beim Hilfsantrag gilt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO das Bestimmtheitserfordernis; der Gegenstand und Grund des Antrags müssen klar und nachvollziehbar angegeben sein. Uneindeutige oder unbestimmte Hilfsanträge können vom Gericht für unzulässig erklärt werden. Darüber hinaus sollte auch der jeweilige Streitwert berücksichtigt werden, da dieser sich bei mehreren Hilfsanträgen entsprechend erhöhen kann.
Welche prozessualen Folgen hat die Einreichung eines Hilfsantrags?
Die Einreichung eines Hilfsantrags führt dazu, dass das Gericht vorrangig über den Hauptantrag entscheidet und sich nur dann mit dem Hilfsantrag beschäftigt, wenn der Hauptantrag abgelehnt wird. Wird dem Hauptantrag stattgegeben, bleibt der Hilfsantrag unbehandelt. Im Gegensatz zu echten alternativen oder kumulativen Anträgen liegt beim Hilfsantrag eine sogenannte Eventualstellung vor. Prozessual bleibt der Streitgegenstand aber grundsätzlich auf den Hilfsantrag erweitert, was sich auch auf die Rechtskraft und die Bindungswirkung des Urteils auswirken kann. Für die Kostenentscheidung ist relevant, in welchem Umfang die Anträge Erfolg haben (§ 92 ZPO). Zudem hat die Stellung eines Hilfsantrags keinen Einfluss auf die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens, sofern die einzelnen Anträge für sich zulässig und hinreichend bestimmt sind.
Wie unterscheidet sich ein Hilfsantrag von einem Eventualantrag?
Ein Hilfsantrag ist eine Form des Eventualantrags, wobei sich der Begriff „Eventualantrag“ auf jedweden Antrag bezieht, dessen Prüfung von einer Bedingung abhängt. Der Hilfsantrag im engeren Sinne ist ein Antrag, der für den Fall gestellt wird, dass dem Hauptantrag nicht entsprochen wird. Es gibt jedoch auch weitere Eventualanträge, etwa in Form eines Eventualwiderklage- oder Eventualaufrechnungseinwands. Der Begriff Hilfsantrag wird klassischerweise für die Konstellation der nachrangigen Antragstellung verwendet, bei der klar eine Abhängigkeit vom Ausgang des Hauptantrags besteht. Der Unterschied liegt somit insbesondere in der Zielrichtung und der Bedingtheit des jeweiligen Antrags.
Können Hilfsanträge auch in höheren Instanzen gestellt werden?
Ja, die Stellung von Hilfsanträgen ist in jeder Instanz grundsätzlich zulässig, solange die prozessualen Voraussetzungen und die Zulässigkeit des Hilfsantrags in der jeweiligen Instanz gewahrt bleiben. In der Berufungs- oder Revisionsinstanz kann es jedoch erforderlich sein, die Zulässigkeit an die jeweiligen Instanzvorschriften anzupassen (z.B. § 533 ZPO für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufung). Die Einbringung neuer Hilfsanträge kann dort insbesondere dann beschränkt sein, wenn sie eine Klageerweiterung oder -änderung darstellen. Dennoch bleibt das Institut des Hilfsantrags auch in höheren Instanzen ein wichtiges Mittel, um Rechtspositionen umfassend abzusichern.
Muss über einen nicht zur Entscheidung angefallenen Hilfsantrag ausdrücklich entschieden werden?
Nein, wenn der Hauptantrag Erfolg hat und somit der Hilfsantrag nicht „zur Entscheidung anfällt“, muss das Gericht über den Hilfsantrag nicht ausdrücklich entscheiden. Das Urteil ergeht dann nur zum Hauptantrag. Allerdings sollte aus dem Urteil klar hervorgehen, dass der Hilfsantrag lediglich nachrangig gestellt wurde und nicht verwendet wurde. Dies ist für die Klarstellung im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung und mögliche spätere Verfahren notwendig. Fällt jedoch der Hilfsantrag zur Entscheidung an (d.h. der Hauptantrag wird zurückgewiesen), so ist eine ausdrückliche gerichtliche Entscheidung über den Hilfsantrag zwingend erforderlich.