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Hauptversammlung


Begriff und rechtliche Einordnung der Hauptversammlung

Die Hauptversammlung ist ein zentrales Organ der Aktiengesellschaft (AG) sowie verwandter Gesellschaftsformen, darunter die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und zum Teil der Societas Europaea (SE). Als gesetzlich vorgeschriebenes Willensbildungsorgan setzt die Hauptversammlung den ordentlichen Rahmen für Aktionäre, ihre Rechte gemeinschaftlich auszuüben und über grundlegende Angelegenheiten der Gesellschaft zu beschließen. Die rechtliche Grundlage bildet insbesondere das Aktiengesetz (AktG).


Aufgaben und Zuständigkeiten der Hauptversammlung

Gesetzliche Aufgabenbereiche

Die Hauptversammlung verfügt über eigene, im AktG und anderen Gesetzen normierte Entscheidungs- und Kontrollrechte. Dazu gehören regelmäßig:

  • Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG)
  • Verwendung des Bilanzgewinns (§ 119 Abs. 1 Nr. 2, § 174 AktG)
  • Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 120 AktG)
  • Bestellung des Abschlussprüfers (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG)
  • Satzungsänderungen (§ 179 ff. AktG)
  • Kapitalmaßnahmen, wie Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen (§§ 182 ff. AktG)
  • Zustimmung zu bestimmten konzernrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Verträgen, z. B. Unternehmensverträgen (§§ 293 ff. AktG)
  • Maßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) wie Verschmelzung, Spaltung oder Formwechsel
  • Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft (§ 262 AktG).

Grenzen der Kompetenz

Die Hauptversammlung ist kein Leitungsorgan; die Geschäftsführung obliegt dem Vorstand. Ohne gesetzliche Grundlage sind der Hauptversammlung keine Weisungen an den Vorstand möglich (§ 119 Abs. 2 AktG). Die Kompetenz wird durch Gesetz oder Satzung konkretisiert.


Einberufung und Durchführung

Einberufung der Hauptversammlung

Die ordentliche Hauptversammlung findet mindestens einmal jährlich statt (§ 120 Abs. 1 AktG). Die Einberufung obliegt grundsätzlich dem Vorstand (§ 121 Abs. 1 AktG), in Ausnahmefällen auch dem Aufsichtsrat oder einzelnen Aktionären (Minderheitsrecht). Zwischen der Einladung und dem Versammlungstermin muss eine gesetzlich bestimmte Frist liegen (§ 123 AktG).

Einberufungsform und Tagesordnung

Die Einladung erfolgt durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger und – soweit satzungsmäßig vorgesehen – in weiteren Publikationsorganen. Sie muss Ort, Zeit und die Tagesordnung der Hauptversammlung enthalten. Ergänzungsverlangen zur Tagesordnung durch eine qualifizierte Minderheit sind gesetzlich zulässig (§ 122 AktG).


Teilnahme und Stimmrechte

Teilnahmeberechtigung

Zur Teilnahme und Ausübung des Stimmrechts ist grundsätzlich eingetragen, wer zum sogenannten Nachweisstichtag (Record Date) Aktien besitzt oder ordnungsgemäß legitimiert ist (§ 123 Abs. 3 AktG). Reguliert wird auch die Möglichkeit, sich durch einen Vertreter vertreten zu lassen (§ 134 Abs. 3 AktG).

Stimmrechtsausübung und Stimmgewicht

Das Stimmrecht korrespondiert mit dem Aktienbesitz. Stammaktien gewähren in der Regel ein volles Stimmrecht, Vorzugsaktien können eingeschränkt sein (§§ 12, 140 AktG). Die Satzung kann das Verfahren zur Stimmabgabe, Fernabstimmung (schriftlich oder elektronisch) und besondere Stimmrechtsbindungen weiter regeln.

Virtuelle Hauptversammlung

Mit Einführung des Gesetzes zur dauerhaften Ermöglichung von virtuellen Hauptversammlungen wird das Instrument insbesondere seit der COVID-19-Pandemie verstärkt genutzt (§ 118a AktG). Hierbei erfolgen Teilnahme, Ausübung der Rechte und Beschlussfassung vollständig elektronisch.


Beschlussfassung und Anfechtung

Beschlussfassung

Die Hauptversammlung fasst Beschlüsse durch Abstimmung. Grundsätzlich gilt das einfache Mehrheitsprinzip (§ 133 AktG), bei besonders bedeutsamen Beschlüssen sind qualifizierte Mehrheiten vorgesehen (z. B. 75 % bei Satzungsänderungen, § 179 Abs. 2 AktG). Die Beschlüsse werden protokolliert und von einem Notar beurkundet, wenn das Gesetz dies verlangt.

Anfechtung und Nichtigkeit von Beschlüssen

Aktionäre können Beschlüsse der Hauptversammlung mittels Anfechtungsklage (§ 245 AktG) gerichtlich überprüfen lassen, etwa bei Verfahrensfehlern oder Gesetzesverstößen. Nichtigkeit kann bei schwerwiegenden Mängeln auch ohne Klage eintreten (§§ 241, 242 AktG).


Rechte und Pflichten der Aktionäre in der Hauptversammlung

Informations- und Rederecht

Aktionäre haben grundsätzlich das Recht, in der Hauptversammlung Auskünfte über Angelegenheiten der Gesellschaft, des Konzerns und von Tochterunternehmen zu verlangen, soweit diese zur sachgemäßen Beurteilung der Tagesordnung erforderlich sind (§§ 131, 293g AktG). Dieses Recht kann durch die Satzung eingeschränkt, aber nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Antrags- und Wahlrecht

Neben dem Stimmrecht steht Aktionären ein Antragsrecht zur Tagesordnung, ein Vorschlagsrecht bezüglich Kandidaten für den Aufsichtsrat sowie das Recht zur Einforderung einer Sonderprüfung (§§ 122, 118, 142 AktG) zu.


Besondere Hauptversammlungen und Sonderfälle

Außerordentliche Hauptversammlung

Außerordentliche Hauptversammlungen werden bei Bedarf einberufen, wenn außergewöhnliche Umstände oder Maßnahmen eine Entscheidung der Hauptversammlung erfordern. Die Einberufung richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie die ordentliche Hauptversammlung.

Hauptversammlung bei Strukturmaßnahmen

Bei grundlegenden Strukturmaßnahmen, beispielsweise Verschmelzungen, Spaltungen oder Formwechseln nach dem UmwG, sowie Squeeze-out-Verfahren (§§ 327a ff. AktG) ist eine qualifizierte Beschlussfassung im Rahmen einer Hauptversammlung erforderlich.


Beurkundung und Veröffentlichung der Beschlüsse

Beschlüsse mit satzungsändernder Wirkung oder über weitere bedeutsame Maßnahmen sind notariell zu beurkunden und in das Handelsregister einzutragen (§§ 130, 181, 237 AktG). Die Gesellschaft ist verpflichtet, die Öffentlichkeit und die Aktionäre über bedeutende Beschlüsse zu informieren, insbesondere in Bezug auf Insiderinformationen (vgl. Marktmissbrauchsverordnung).


Fazit

Die Hauptversammlung ist ein rechtsverbindliches Organ der Willensbildung der Aktionäre und damit maßgeblicher Bestandteil der Corporate Governance deutscher Aktiengesellschaften. Sie fungiert sowohl als Forum zur Information, Diskussion und Entscheidungsfindung über zentrale Gesellschaftsangelegenheiten, als auch als Kontrollmechanismus gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat. Ihre Rechte und Pflichten sowie die zu beachtenden Verfahrensregeln sind im Aktiengesetz und weiteren gesetzlichen Vorschriften umfassend geregelt, wobei auch Digitalisierung und neue Kommunikationsformen Berücksichtigung finden.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist zur Teilnahme und Stimmabgabe bei einer Hauptversammlung berechtigt?

Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts sind grundsätzlich die Aktionäre der Gesellschaft berechtigt, deren Aktien spätestens bis zu einem bestimmten, gesetzlich vorgegebenen Stichtag („Record Date“) im Aktienregister eingetragen sind (§ 123 Abs. 4 AktG) beziehungsweise bei Inhaberaktien rechtzeitig vor der Versammlung zur Teilnahme angemeldet wurden. Das Stimmrecht kann persönlich, durch einen Bevollmächtigten oder – sofern vorgesehen – auch im Wege der Briefwahl ausgeübt werden. Im Einzelnen regelt die Satzung der jeweiligen Aktiengesellschaft die Modalitäten von Anmeldung, Legitimation und Fristwahrung. Im gesetzlichen Rahmen sind auch Sonderrechte für Großaktionäre, Streubesitzaktionäre oder andere Gruppen möglich. Relevant sind ferner Vorschriften zu sogenannten Intermediären (z.B. Banken): Sie können das Stimmrecht für depotverwahrte Aktien treuhänderisch wahrnehmen, sofern eine entsprechende Vollmacht der Aktionäre vorliegt. Grundsätzlich dürfen nur diejenigen Aktionäre abstimmen, die ordnungsgemäß zur Hauptversammlung zugelassen wurden und ihre Teilnahme ordnungsgemäß legitimieren können; fehlerhafte Legitimation kann zu Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse führen.

Welche rechtlichen Fristen müssen bei der Einberufung der Hauptversammlung eingehalten werden?

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 AktG ist die Hauptversammlung mindestens 30 Tage vor dem Versammlungstag unter Mitrechnung eines etwaigen Nachweisstichtags einzuberufen. Für börsennotierte Gesellschaften gilt unter Berücksichtigung von Nachweisfristen nach § 123 Abs. 4 AktG häufig sogar eine Frist von 36 Tagen. Die Einberufung hat dabei formgerecht durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger (nach § 121 AktG) und häufig zusätzlich auf der Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen. Sämtliche Aktionäre müssen unter Angabe von Ort, Zeit, Tagesordnung und weiteren im Gesetz bestimmten Inhalten form- und fristgerecht von der Einberufung Kenntnis erhalten können. Eine Verletzung der Einberufungsfrist kann zur Anfechtbarkeit oder gar Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse führen.

Welche Informations- und Auskunftsrechte stehen den Aktionären im Rahmen der Hauptversammlung zu?

Aktionäre haben gemäß § 131 AktG das Recht, von Vorstand und gegebenenfalls vom Aufsichtsrat in der Hauptversammlung auf Verlangen Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft, einschließlich der rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, zu verlangen, soweit die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Die Auskunft ist grundsätzlich mündlich in der Versammlung zu erteilen; sie kann nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen verweigert werden, etwa wenn durch die Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung der Gesellschaft ein nicht unerheblicher Nachteil entstehen könnte (§ 131 Abs. 3 AktG). Im Vorfeld der Versammlung haben Aktionäre über die Veröffentlichung und Auslage von Berichten (Jahresabschluss, Lagebericht u.a., §§ 175, 176 AktG) ein Recht auf umfassende Information.

Welche Beschlussarten können auf einer Hauptversammlung getroffen werden und wie ist deren rechtliche Bindungswirkung?

Auf der Hauptversammlung werden Beschlüsse über die in der Tagesordnung festgelegten Punkte gefasst, darunter insbesondere die Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen (Erhöhung, Herabsetzung), Bestellung des Abschlussprüfers sowie gegebenenfalls Strukturmaßnahmen wie Unternehmensverträge oder Fusionen. Die Beschlüsse sind grundsätzlich verbindlich für die Gesellschaft und ihre Organe. Nur Beschlüsse, die gegen zwingende gesetzliche Vorgaben oder die Satzung verstoßen, sind anfechtbar oder nichtig, wobei eine Anfechtung binnen eines Monats nach Beschlussfassung beim zuständigen Gericht geltend zu machen ist (§ 246 AktG). Besondere Quoren und Mehrheiten sind bei bestimmten Beschlussarten zu beachten, beispielsweise bei Satzungsänderungen (i.d.R. Dreiviertelmehrheit des vertretenen Grundkapitals, § 179 AktG).

Welche rechtlichen Folgen hat eine Anfechtung oder Nichtigkeitsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse?

Beschlüsse der Hauptversammlung können von berechtigten Aktionären, dem Vorstand oder einem Mitglied des Aufsichtsrats durch eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gemäß § 246 ff. AktG angegriffen werden. Eine erfolgreiche Anfechtungsklage führt dazu, dass der angefochtene Beschluss (rückwirkend) als nichtig gilt. Die Klage ist beim zuständigen Landgericht am Sitz der Gesellschaft einzureichen und muss innerhalb eines Monats seit Beschlussfassung erfolgen; im Fall der Nichtigkeitsklage bestehen abweichende Fristen (§ 249 AktG). Während des Klageverfahrens ist die Durchführung des Beschlusses in gewissen Fällen (insbesondere bei Strukturentscheidungen) gehemmt. Die Gesellschaft muss betroffene Beschlüsse im Handelsregister und Bundesanzeiger bekanntmachen und Hinweise auf laufende Verfahren geben.

Welche Pflichten treffen den Vorstand im Zusammenhang mit der Durchführung der Hauptversammlung?

Der Vorstand ist für die Vorbereitung und ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung zuständig. Hierzu gehören insbesondere die frist- und formgerechte Einberufung (§ 121 AktG), die Aufstellung und Auslegung relevanter Unterlagen (z.B. Jahresabschluss, Lagebericht, Gewinnverwendungsvorschlag), die Ausarbeitung der Tagesordnung sowie die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versammlungsleitung und Protokollierung (§ 130 AktG). Nach der Hauptversammlung müssen die gefassten Beschlüsse ordnungsgemäß umgesetzt und – sofern erforderlich – ins Handelsregister eingetragen werden. Fehler oder Pflichtverstöße des Vorstands im Zusammenhang mit der Hauptversammlung können zu Organhaftung oder zur Anfechtung der Beschlüsse führen. Auch die ordnungsgemäße Mitteilung der Beschlüsse im Bundesanzeiger obliegt dem Vorstand.