Begriff und rechtliche Einordnung des Hangtäters
Der Begriff „Hangtäter“ ist ein zentraler terminus technicus im deutschen Strafrecht, insbesondere im Zusammenhang mit Maßregeln der Besserung und Sicherung. Ein Hangtäter ist eine Person, die nach ihrer Persönlichkeit und den Umständen der Taten zu strafbaren Handlungen aus einem dauerhaften inneren Antrieb heraus neigt. Diese rechtliche Kategorie hat maßgebliche Bedeutung bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung sowie bei bestimmten Therapie- und Unterbringungsmaßnahmen im strafrechtlichen Kontext. Im Folgenden werden Entstehung, rechtliche Definition, tatbestandliche Voraussetzungen sowie besondere Rechtsfolgen des Hangtäters ausführlich erläutert.
Gesetzliche Grundlagen
Hangtäterschaft im Strafgesetzbuch (StGB)
Der Begriff des Hangtäters findet seine gesetzliche Verankerung insbesondere in den §§ 66 ff. StGB, welche die Anordnung der Sicherungsverwahrung regeln. Dort ist die Wiederholungsgefahr relevant, die sich auf den individuellen Hang zu Straftaten stützt. Ferner wird im Maßregelvollzugsrecht (insbesondere §§ 63, 64 StGB) der Hang zur Begehung bestimmter Delikte als Voraussetzung für verschiedene freiheitsentziehende Maßnahmen genannt.
Historische Entwicklung
Die Unterscheidung zwischen Tat- und Hangtäterschaft wurde bereits im frühen 20. Jahrhundert bedeutsam, um Präventionsmaßnahmen von reinen Sanktionsmaßnahmen abzugrenzen. Die fortlaufende dogmatische und rechtspolitische Entwicklung hat die Auslegung und Anwendung des Begriffs zunehmend präzisiert.
Tatbestandliche Voraussetzungen der Hangtäterschaft
Definition des Hangbegriffs
Der „Hang“ ist im strafrechtlichen Sinne ein eingewurzeltes, auf psychischer Disposition oder Charaktereigenschaft beruhendes Verlangen, immer wieder Straftaten bestimmter Art zu begehen. Die Rechtsprechung verlangt eine erhebliche Neigung, auf längere Zeit Straftaten aus innerem Antrieb zu verwirklichen. Ein bloß gelegentliches oder einmaliges Fehlverhalten reicht für die Annahme eines Hanges nicht aus.
Abgrenzung zur Tatgelegenheits- und zur Affekttat
Im Gegensatz zum Hangtäter, der planvoll oder regelmäßig aus einer verfestigten inneren Disposition handelt, begeht der Gelegenheits- oder Affekttäter Delikte ohne dauerhafte Neigung und unter anderen Beweggründen. Die Unterscheidung ist sowohl für die Prognoseentscheidung als auch für die Anordnung von Maßnahmen maßgeblich.
Anwendungsbereiche der Hangtäterschaft
Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB)
Sicherungsverwahrung kann unter engen Voraussetzungen gegen Personen angewendet werden, die als Hangtäter eingestuft wurden und die Gefahr besteht, dass sie erneut erhebliche Straftaten begehen werden. Die Anordnung erfolgt durch das erkennende Gericht, welches die Tatneigung anhand der Gesamtumstände im Einzelfall nachweist.
Anordnungsvoraussetzungen
- Vorverurteilung wegen bestimmter schwerer Straftaten (insbesondere gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung)
- Wiederholte Delinquenz mit denselben Deliktsmerkmalen
- Feststellung eines dauerhaften Hanges zu einschlägigen Straftaten
- Hohe Wahrscheinlichkeit weiterer schwerer Delikte
Maßregelvollzug und § 64 StGB (Therapie bei Sucht)
Bei suchtbedingter Hangtäterschaft kann die Unterbringung zur Therapie angeordnet werden, sofern die Delikte auf den Hang zum Konsum berauschender Mittel zurückzuführen sind.
Voraussetzungen
- Feststellung einer Sucht
- Hang zur Begehung von Straftaten infolge der Abhängigkeit
- Aussicht auf Behandlungserfolg
Diagnostische und forensische Aspekte
Die Einschätzung, ob bei einem Straftäter ein Hang im strafrechtlichen Sinne vorliegt, erfordert regelmäßig eine umfangreiche psychologische oder psychiatrische Begutachtung. Die Begutachtung leistet einen maßgeblichen Beitrag für die Entscheidungsfindung des Gerichts hinsichtlich der Schwere, Ausprägung und Intensität der Neigung.
Abgrenzungen und Besonderheiten
Unterschied zu anderen Rechtsinstituten
Während bei der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) pathologische Faktoren im Vordergrund stehen, ist der Hangtäterschaftstatbestand auch unabhängig von psychischen Erkrankungen anwendbar, sofern eine erhebliche und dauerhafte Neigung zu Straftaten besteht.
Prognoseentscheidung
Ein zentrales Kriterium für die rechtliche Bewertung des Hangtäters ist die strafrechtliche Gefahrenprognose. Das Risiko einer weiteren Rückfälligkeit in Kombination mit dem festgestellten Hang hat wesentlichen Einfluss auf die Verhängung zusätzlicher Sicherungsmaßnahmen.
Rechtsfolgen der Hangtätereigenschaft
Die Feststellung, dass eine Person Hangtäter ist, kann erhebliche rechtliche Konsequenzen haben. Sie reicht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung, dem Entzug der Strafaussetzung zur Bewährung bis hin zur Unterbringung in einer therapeutischen Einrichtung. Die Intensität des Hanges, die Tatschwere und die Rückfallwahrscheinlichkeit bestimmen Umfang und Dauer der Maßnahmen.
Kritische Würdigung und Diskussion
Die Anwendung des Hangtäterschaftsbegriffs steht immer wieder im Spannungsfeld zwischen Freiheitsgrundrechten und dem Schutz der Allgemeinheit. Die Prognose der Rückfallwahrscheinlichkeit ist mit erheblichen Unsicherheiten belastet, weshalb der Gesetzgeber und die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Feststellung des Hanges stellen. Zudem werden bei der Anordnung von Maßnahmen die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit engmaschig und einzelfallbezogen geprüft.
Literatur und Rechtsprechung
In der Fachliteratur und gerichtlichen Praxis finden sich zahlreiche Urteile und Abhandlungen, die die Definition, Anwendung und Abgrenzung des Hangtäters erörtern. Maßgeblich sind hierbei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) sowie weiterführende Kommentare zum StGB.
Zusammenfassung
Die Kategorie des Hangtäters nimmt im deutschen Strafrecht eine bedeutende Rolle ein, wenn es um die Prävention schwerer und wiederholter Straftaten geht. Die rechtlichen Anforderungen an seine Feststellung sind hoch, um eine Balance zwischen Eingriff in Freiheitsrechte und Schutzinteressen der Gesellschaft zu gewährleisten. Die Einordnung als Hangtäter hat weitreichende Folgen und setzt differenzierte Diagnostik sowie eine sorgfältige rechtliche Prüfung voraus.
Häufig gestellte Fragen
Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen einem Hangtäter in Deutschland?
Im deutschen Strafrecht können Hangtäter mit besonderen strafrechtlichen Maßnahmen bedacht werden, da sie gemäß § 66 Strafgesetzbuch (StGB) als Wiederholungstäter mit einer aus ihrer Persönlichkeit resultierenden Neigung zu erheblichen Straftaten eingeordnet werden. Neben der eigentlichen Strafe sieht das Gesetz eine sogenannte Sicherungsverwahrung vor – eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Die Sicherungsverwahrung ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, die entweder bereits im Urteil („primäre Sicherungsverwahrung“) angeordnet oder unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich verhängt („nachträgliche Sicherungsverwahrung“) werden kann. Sie kommt insbesondere bei Personen in Betracht, die schon mehrfach einschlägig vorbestraft sind und bei denen das Gericht eine hohe Wahrscheinlichkeit für weitere erhebliche Straftaten erkennt. Dadurch unterscheidet sich der Umgang mit Hangtätern wesentlich von dem mit einmalig straffällig gewordenen Personen; für Hangtäter steht nicht nur die Bestrafung, sondern auch der präventive Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund.
In welchen Verfahren wird der Hangtäterbegriff geprüft?
Der Hangtäterbegriff wird in erster Linie im Strafverfahren, insbesondere im Rahmen von Verfahren mit erheblicher Rückfallgefahr, geprüft. Die zentrale Rolle spielt dabei die Erwägung einer Sicherungsverwahrung nach §§ 66 ff. StGB. Bereits im Ermittlungsverfahren können Hinweise auf eine entsprechende Neigung des Beschuldigten gesammelt werden, beispielsweise durch Sachverständigengutachten, frühere Verurteilungen und psychiatrische Untersuchungen. Im Hauptverfahren wägt das Gericht dann ab, ob der Angeklagte als Hangtäter einzustufen ist. Darüber hinaus findet die Prüfung des Begriffs auch in Sicherungsverfahren gemäß § 413 StPO oder bei der nachträglichen Anordnung bzw. Überprüfung der Sicherungsverwahrung eine Rolle, etwa wenn neue Tatsachen bekannt werden, die ein besonderes Rückfallrisiko nahelegen.
Welche Rolle spielen Gutachten im Zusammenhang mit Hangtätern?
Gutachten, insbesondere psychiatrische oder psychologische Gutachten, spielen bei der Feststellung eines Hangtäters eine entscheidende Rolle. Sie helfen dem Gericht, die Persönlichkeit des Angeklagten, seine Tatmotivation und die Gefährlichkeit im Hinblick auf zukünftige Straftaten einzuschätzen. Dabei prüfen Sachverständige, ob bei dem Angeklagten eine über die bloße Gelegenheit hinausgehende, tiefergehende Neigung zur Begehung erheblicher Straftaten vorliegt. Relevant sind hier auch biografische Faktoren, kriminelle Karrieren, mögliche Persönlichkeitsstörungen und das Vorliegen von Suchtproblematiken. Das Gericht ist zwar an die Einschätzungen der Gutachter nicht gebunden, stützt jedoch seine Entscheidungsfindung in der Regel maßgeblich auf deren fachliche Expertise.
Ist der Begriff des Hangtäters nur im Erwachsenenstrafrecht relevant?
Nein, der Begriff des Hangtäters ist auch im Jugendstrafrecht relevant, wenngleich hier andere Maßstäbe und Rechtsfolgen gelten. Im Jugendgerichtsgesetz (JGG) gibt es mit der sogenannten „Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen“ (§ 17 Abs. 2 JGG) eine entsprechende Regelung: Zeigt sich, dass ein Jugendlicher oder Heranwachsender wegen bestehender schädlicher Neigungen – also einer tiefgehenden Neigung zu Straftaten – einer längeren Einwirkung bedarf, kann das Gericht Jugendstrafe verhängen. Allerdings steht im Jugendstrafrecht erzieherischer Einfluss deutlich stärker im Vordergrund als im Erwachsenenstrafrecht.
Welche Anforderungen stellt die Rechtsprechung an die Annahme eines Hangs?
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) muss der Hang im Sinne von § 66 StGB eine aufgrund eingewurzelter persönlicher Veranlagung oder langjähriger Einübung entstandene, zumindest über längere Zeiträume bestehende Neigung zu erheblichen Straftaten darstellen. Ein vereinzeltes, spontanes oder ausschließlich situationsbedingtes Delinquenzverhalten genügt hierfür nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Straftaten Ausdruck einer tiefverwurzelten Persönlichkeitseigenschaft oder „kriminellen Karriere“ sind. Die Rechtsprechung verlangt eine sorgfältige Gesamtbetrachtung aller Tatumstände, Lebensumstände und biographischen Faktoren.
Wie grenzt sich der Hangtäter von anderen Tätertypen, insbesondere dem Gelegenheits- oder Triebtäter, ab?
Der Hangtäter zeichnet sich dadurch aus, dass seine Straftaten nicht auf zufällige Gelegenheiten oder einmalige Anlässe zurückzuführen sind, sondern aus einer dauerhaften, in seiner Persönlichkeit verankerten Neigung resultieren. Gelegenheits- oder Zufallstäter begehen Straftaten typischerweise aus momentaner Situation heraus, ohne dass eine dauerhafte kriminelle Neigung besteht. Triebtäter wiederum werden oftmals von impulsiven, meist sexuellen Motiven geleitet, ohne zwingend eine allgemeine, auf zahlreiche Deliktsfelder bezogene Hangstruktur aufzuweisen. Die Abgrenzung erfolgt insbesondere durch eine sorgfältige Analyse der Motivation, Häufung, Art und Umstände der begangenen Straftaten sowie die Einbindung in die Gesamtpersönlichkeit des Täters.
Ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Hangtätern mit dem Grundgesetz vereinbar?
Die Sicherungsverwahrung als besondere Reaktion auf Hangtäter war wiederholt Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfungen, etwa im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011. Das Gericht hat die Sicherungsverwahrung grundsätzlich für zulässig erklärt, aber hohe verfassungsrechtliche Hürden aufgestellt, insbesondere hinsichtlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, des Rückwirkungsverbots und des Rechts auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Eine Anordnung ist nur zulässig, wenn sie auf einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose basiert, der Schutz der Allgemeinheit es dringend gebietet und regelmäßig Überprüfungen der Maßnahme erfolgen. Die gesetzlichen Vorschriften wurden seitdem mehrfach angepasst, um diesen Anforderungen zu genügen.