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Handlungsbegriff (Strafrecht)


Handlungsbegriff (Strafrecht)

Der Handlungsbegriff ist im Strafrecht von zentraler Bedeutung, da die strafrechtliche Verantwortlichkeit grundsätzlich an menschliches Verhalten anknüpft. Mit „Handlung“ wird das von einem Willen getragene Verhalten bezeichnet, das im Mittelpunkt der Zurechnung strafbaren Unrechts steht. Die genaue Definition, welche Verhaltensweisen als „Handlung“ im Sinne des Strafrechts anzusehen sind, ist jedoch umstritten und wird in unterschiedlichen Handlungsbegriffen gefasst. Der Handlungsbegriff bildet die Grundlage für die Prüfung des objektiven Tatbestandes und ist daher von erheblicher Bedeutung für die Dogmatik des Strafrechts.


Begriffsbestimmung und Bedeutung im Strafrecht

Im Strafrecht bezeichnet die Handlung das tatbestandsmäßige Verhalten, an das das Gesetz strafrechtliche Sanktionen knüpft. Die Existenz einer Handlung ist Grundvoraussetzung jeder Strafbarkeit. Im Zentrum steht das vom Willen beherrschte oder steuerbare Verhalten eines Menschen (actus reus), wobei sowohl aktives Tun als auch Unterlassen eine strafrechtliche Handlung darstellen können.

Abgrenzung zu natürlichen Vorgängen

Nicht jede Bewegung eines Menschen stellt eine strafrechtliche Handlung dar. Reflexe, Bewegungen im Schlaf oder Handlungen unter Hypnose gelten nach allgemeiner Auffassung nicht als strafrechtliche Handlungen, da sie nicht vom Willen gesteuert sind. Entsprechend muss eine strafrechtlich relevante Handlung immer auf einem Willensakt beruhen.


Theoretische Ansätze zum Handlungsbegriff

In der strafrechtlichen Literatur haben sich verschiedene Ansätze zur Bestimmung des Handlungsbegriffs herausgebildet. Sie unterscheiden sich vor allem darin, welche Anforderungen sie an das „willensgetragene“ Verhalten stellen.

1. Kausaler Handlungsbegriff

Der kausale Handlungsbegriff, entwickelt insbesondere durch Franz von Liszt, definiert die Handlung als eine willkürliche, vom menschlichen Willen beherrschbare Körperbewegung, die eine Veränderung in der Außenwelt verursacht. Dieser Ansatz stellt also auf den Ursachenzusammenhang zwischen menschlichem Verhalten und Erfolg ab. Kritik erfährt der kausale Handlungsbegriff, weil er außer Acht lässt, dass auch Unterlassungen eine strafrechtliche Handlung begründen können und weil nicht jede willensgesteuerte Bewegung rechtlich relevant ist.

2. Finale Handlungsbegriff

Der finale Handlungsbegriff hebt auf die Zielgerichtetheit des Verhaltens ab. Nach ihm ist eine strafrechtlich relevante Handlung jedes vom Willen bewusst auf ein bestimmtes Ziel hin gesteuerte Tun oder Unterlassen. Die Finalitätslehre findet Beachtung im deutschen Strafrecht, da sie die subjektive komponente erhält und die Unterscheidung zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln erleichtert.

3. Soziale Handlungslehre

Hans Welzel entwickelte den sogenannten sozialen Handlungsbegriff, wonach eine strafrechtlich relevante Handlung ein vom Willen beherrschtes, sozial erhebliches Verhalten ist. Die soziale Komponente ergänzt die beiden vorgenannten Theorien um die Einordnung des Verhaltens in einen gesellschaftlichen Zusammenhang und grenzt sozial irrelevantes, also für das Rechtsleben unbeachtliches Verhalten, aus.

4. Personaler Handlungsbegriff

Jüngere Ansätze stellen auf die Selbstverantwortung und Steuerungsfähigkeit des Handelnden ab. Hierbei wird darauf abgestellt, ob der Täter zu einem selbstverantwortlichen rechtswidrigen Verhalten fähig war, was insbesondere bei schuldunfähigen Personen (z. B. wegen fehlender Steuerungsfähigkeit) von Bedeutung ist.


Praktische Bedeutung des Handlungsbegriffs

Die Bestimmung, ob eine Handlung im strafrechtlichen Sinne vorliegt, spielt eine entscheidende Rolle in verschiedenen Konstellationen:

Strafbarkeit durch aktives Tun

Aktives Tun ist klassischerweise Ausgangspunkt der Strafbarkeitsprüfung. Nur wenn ein willensgetragenes Verhalten vorliegt, kann ein tatbestandsmäßiger Erfolg zugerechnet werden.

Strafbarkeit durch Unterlassen

Das Unterlassen einer gebotenen Handlung kann ebenfalls strafbar sein (vgl. § 13 StGB), wenn eine Garantenstellung und die rechtliche Möglichkeit zum Handeln besteht. Auch hier ist Voraussetzung, dass das Unterlassen auf einem willensgesteuerten Prozess beruht.

Handlung unter Zwang oder aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit

Handlungen unter unwiderstehlichem Zwang (§ 35 StGB), im Zustand der Bewusstlosigkeit oder bei schwerwiegenden psychischen Störungen (§ 20 StGB) können die Zurechenbarkeit einer tatbestandsmäßigen Handlung entfallen lassen, da der Wille oder die Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sind.


Abgrenzungen und Spezialfälle

Handlungen durch Tiere, Maschinen oder Naturereignisse

Nicht als Handlungen gelten Vorgänge, die von Tieren, Maschinen oder Naturkräften ausgehen. Für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit muss das menschliche Verhalten entweder in einem Tun (z. B. „Lösen des Hundes von der Leine“) oder Unterlassen einer gebotenen Abwehr liegen.

Automatismen und Reflexe

Handlungen, die auf Automatismen oder Reflexen beruhen und nicht vom Willen gesteuert werden, sind im strafrechtlichen Sinne nicht zurechenbar.

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit

Die dogmatische Unterscheidung zwischen einer Handlung (natürliche Verwaltungseinheit) und mehreren Handlungen ist relevant im Rahmen der Konkurrenzen (Tateinheit und Tatmehrheit, §§ 52, 53 StGB).


Einordnung im Prüfungsaufbau der Straftat

Die Frage, ob eine strafrechtlich relevante Handlung vorliegt, stellt die erste Stufe der Prüfung des objektiven Tatbestandes dar. Ohne ein willensgetragenes Verhalten ist bereits die Strafbarkeit ausgeschlossen. Die Definition der Handlung beeinflusst damit die Anwendbarkeit von Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen.


Fazit

Der Handlungsbegriff im Strafrecht ist die Grundlage für die Zurechnung strafrechtlicher Verantwortung. In Wissenschaft und Rechtsprechung bestehen unterschiedliche Ansätze zur Definition des Handlungsbegriffs, wobei sich die finale und soziale Handlungslehre in Literatur und Praxis weitgehend durchgesetzt haben. Die genaue Bestimmung, ob ein bestimmtes Verhalten als Handlung anzusehen ist, ist für die gesamte strafrechtliche Beurteilung von zentraler Bedeutung.


Literaturhinweise

  • Wolfgang Joecks, Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 13 Handeln und Unterlassen
  • Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil: Grundlagen und Aufbau der Verbrechenslehre
  • Hans-Heinrich Jescheck, Thomas Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil
  • Karl Lackner/Kristian Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar

Dieser Artikel bietet eine umfassende, detailgenaue Darstellung des Handlungsbegriffs im Strafrecht und beleuchtet alle maßgeblichen Aspekte für die strafrechtliche Praxis und Wissenschaft.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung kommt dem Handlungsbegriff im Strafrecht zu?

Im Strafrecht ist der Handlungsbegriff von zentraler Bedeutung, da das deutsche Strafrecht an eine menschliche Handlung als Ausgangspunkt der Strafbarkeit anknüpft. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur solche Verhaltensweisen strafbar sind, die auf einer willensgetragenen, vom menschlichen Bewusstsein und Willen getragenen Aktivität („Tun oder Unterlassen“) beruhen. Die Handlung bildet somit das Fundament des strafrechtlichen Aufbaus: Sie ist Ausgangspunkt jeder Prüfung im objektiven Tatbestand einer Straftat. Rechtsdogmatisch dient der Handlungsbegriff sowohl der Eingrenzung des strafrechtlich relevanten Verhaltens als auch der Abgrenzung zu bloßen Reflexen, Zuständen oder Willensmängeln, bei denen keine Strafbarkeit entsteht. Insbesondere setzt die Anwendung von Straftatbeständen wie etwa Körperverletzung (§ 223 StGB) oder Diebstahl (§ 242 StGB) stets eine Handlung des Täters voraus.

Welche Theorien existieren zum strafrechtlichen Handlungsbegriff und wie unterscheiden sie sich?

Im Strafrecht existieren mehrere Theorien zur Auslegung des Handlungsbegriffs, die sich in ihrer Schwerpunktsetzung unterscheiden. Die klassische Kausalitätstheorie („Willensbetätigungstheorie“) betrachtet jede vom menschlichen Willen getragene Verursachung eines Erfolges als Handlung. Die soziale Handlungslehre hingegen stellt darauf ab, dass das Handeln eine sozial relevante Verhaltensäußerung ist und damit insoweit einen gesellschaftlichen Bezugsrahmen erfordert. Die finale Handlungslehre (auch: Teleologische Handlungslehre) betont nochmals stärker das zielgerichtete, auf ein bestimmtes Ergebnis hin orientierte Verhalten. Dieser Ansatz betrachtet nur solches Verhalten als Handlung, das von einem Willen gesteuert und auf ein Ziel ausgerichtet ist. In der Praxis wird die soziale Handlungslehre in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend angewandt, da sie eine praxistaugliche und rechtspolitisch tragfähige Abgrenzung ermöglicht.

Wie wird zwischen aktiven Tun und Unterlassen im Kontext der Handlung unterschieden?

Das deutsche Strafrecht differenziert grundsätzlich zwischen aktivem Tun (positive Handlung) und Unterlassen (Nicht-Handeln trotz rechtlicher Pflicht). Beide Formen setzen eine menschliche Verhaltensweise voraus, jedoch unterscheidet sich die Ausgangslage: Beim Tun verwirklicht der Täter einen Tatbestand durch sein aktives, willensgetragenes Verhalten (zum Beispiel Schlagen bei Körperverletzung), beim Unterlassen hingegen dadurch, dass er eine gebotene Handlung nicht vornimmt, obwohl ihm eine solche rechtlich und tatsächlich möglich gewesen wäre (zum Beispiel Nichtleisten von Hilfe bei Unglücksfällen). Eine Strafbarkeit wegen Unterlassens setzt zudem eine Garantenstellung (§ 13 StGB) voraus, also eine besondere Rechtspflicht zum Tätigwerden. Beide Formen der Handlung sind im objektiven Tatbestand zu prüfen.

Wie ist der strafrechtliche Umgang mit Reflexbewegungen, Bewusstlosigkeit oder Automatismen in Bezug auf den Handlungsbegriff?

Reflexbewegungen, Handlungen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder bei vollständigem Automatismus werden im Strafrecht grundsätzlich nicht als Handlung im Sinne des Handlungsbegriffs erfasst, da es an der Willenssteuerung fehlt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass Strafrecht lediglich willensgetragene Verhaltensweisen sanktionieren soll. Ist jemand also beispielsweise in einem epileptischen Anfall oder während des Schlafwandelns tätig geworden, liegt keine strafrechtlich relevante Handlung vor. Hier ergibt sich aus der Abgrenzung eine tatbestandliche Straflosigkeit, da das Grundmerkmal menschlicher Verantwortlichkeit – die Fähigkeit, das Verhalten zu steuern und bewusst zu kontrollieren – fehlt.

Welche Relevanz hat der Handlungsbegriff bei Fahrlässigkeitsdelikten?

Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten bleibt der Handlungsbegriff zentral: Das Verhalten des Täters muss einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß darstellen und auf eine willensgetragene Aktivität zurückgeführt werden können. Beispielhaft relevant ist dies bei Straßenverkehrsunfällen, bei denen geprüft wird, ob der Unfallverursacher durch sein Verhalten – zum Beispiel durch unaufmerksames Fahren – fahrlässig gehandelt hat. Auch hier setzt eine Strafbarkeit voraus, dass das risikobehaftete Verhalten (Handlung oder Unterlassen) vom Willen getragen und steuerbar ist. Sorgfaltspflichtwidrige Reflexhandlungen oder bloße Unachtsamkeit, die nochmals im Bereich des Nicht-Beherrschbaren liegen, führen zu keiner strafrechtlichen Haftung, da es auch hier an einer strafrechtlich relevanten Handlung fehlt.

Welche Bedeutung kommt dem Handlungsbegriff bei atypischen Verhalten oder „Fehlhandlungen“ zu?

Atypisches Verhalten oder sog. Fehlhandlungen (z.B. Handeln aus Versehen, Verwechslungen, Ausrutschen) fallen ebenfalls unter den strafrechtlichen Handlungsbegriff, denn auch hier liegt eine vom Willen getragene Verhaltenssteuerung vor, sofern der Täter Herr seiner Fähigkeiten war. Unerheblich ist dabei, ob das Verhalten aus einem Motiv heraus verständlich erscheint oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass das Verhalten objektiv dem Menschen als willensgeführte Tätigkeit zugerechnet werden kann. Liegt beispielsweise bei Fehlbedienung einer Waffe eine Schussabgabe vor, so ist das als Handlung zu qualifizieren, selbst wenn die Ausführung unbeabsichtigt auf ein Fehlverhalten zurückzuführen ist.

Inwiefern ist der Handlungsbegriff bei Beteiligung mehrerer Personen an einer Straftat relevant?

Bei der Beteiligung mehrerer Personen an einer Straftat – Stichwort Täterschaft und Teilnahme (§§ 25 ff. StGB) – spielt der Handlungsbegriff eine maßgebliche Rolle, da für jede Form der Beteiligung geprüft werden muss, ob eine strafrechtlich relevante Handlung vorliegt. Im Rahmen der Mittäterschaft (gemeinschaftliche Begehung) ist zu untersuchen, inwiefern das Verhalten jedes Einzelnen als eigene strafrechtliche Handlung zu werten ist. Bei der Beihilfe (fördernde Unterstützung) genügt bereits jede willensgetragene Handlung, die zur Förderung der Haupttat beiträgt, unabhängig davon, wie gering ihr Gewicht ist. Auch der Anstifter muss seinen Tatbeitrag in Form einer willensgetragenen Handlung leisten, etwa durch das Bestimmen zur Tat. Das Vorliegen einer Handlung im rechtlichen Sinn ist daher für die strafrechtliche Verantwortlichkeit sämtlicher Beteiligter unerlässlich.