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Haftung im Steuerrecht

Haftung im Steuerrecht: Begriff, Bedeutung und Abgrenzung

Haftung im Steuerrecht beschreibt die gesetzlich angeordnete Verantwortlichkeit einer Person oder Organisation für die Zahlung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen, die eigentlich einer anderen Person zuzurechnen sind. Sie greift ein, wenn eine Steuerschuld besteht, diese aber aus Gründen der Sicherung, Durchsetzung oder Zurechnung auch gegenüber Dritten geltend gemacht werden kann. Der Haftungsanspruch ist rechtlich eigenständig, knüpft aber inhaltlich an die zugrundeliegende Steuerschuld an.

Abgrenzung zur Steuerschuld

Die Steuerschuld trifft denjenigen, dem das Gesetz die Steuer unmittelbar auferlegt. Die Haftung betrifft demgegenüber einen Dritten, der für diese Steuerschuld in Anspruch genommen werden kann. Beide Ansprüche stehen nebeneinander: Die Steuer bleibt gegenüber dem ursprünglichen Steuerschuldner bestehen; die Haftung erweitert lediglich den Kreis der Personen, von denen die Zahlung verlangt werden kann.

Haftung als Sicherungs- und Zurechnungsinstrument

Haftung dient dem Schutz des Steueraufkommens und der gerechten Lastenverteilung. Sie ordnet Verantwortung dort zu, wo Einfluss, Pflichtenkreise oder wirtschaftliche Vorteile vorliegen. Typische Anknüpfungspunkte sind die Verletzung steuerlicher Pflichten, die Verwaltung fremden Vermögens oder die Übernahme eines Unternehmens.

Systematik und Grundprinzipien der Haftung

Akzessorietät und Eigenständigkeit

Der Haftungsanspruch hängt in seiner Höhe und seinem Bestand von der zugrundeliegenden Steuerschuld ab. Besteht die Steuerschuld nicht oder erlischt sie, entfällt regelmäßig auch die Haftung. Zugleich ist der Haftungsanspruch ein eigener Verwaltungsanspruch, der gesondert festgestellt und durchgesetzt wird.

Ermessen und Verfahrensgrundsätze

Die Finanzverwaltung entscheidet nach pflichtgemäßer Abwägung, ob und wen sie in Haftung nimmt. Dabei sind Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit, Anhörung und Begründung zentrale Verfahrensgrundsätze. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Haftung werden von der Behörde ermittelt und dargelegt.

Typische Haftungstatbestände

Haftung gesetzlicher Vertreter und Organpersonen

Wer als gesetzlicher Vertreter, Organmitglied oder faktisch Leitender für eine Organisation steuerliche Pflichten wahrnimmt, kann für Steuern dieser Organisation haften, insbesondere bei Verletzung von Abführungs-, Mitwirkungs- oder Überwachungspflichten. Dies betrifft beispielsweise die Geschäftsleitung von Kapital- oder Personengesellschaften.

Arbeitgeberhaftung bei Lohnsteuer

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einbehaltene Lohnsteuer ordnungsgemäß anzumelden und abzuführen. Unterbleibt dies, kann die Haftung für nicht abgeführte Beträge einschließlich Nebenleistungen eintreten. Die Haftung knüpft dabei an die Rolle als Entrichtungsschuldner an.

Haftung des Steuerhinterziehers und Begünstigten

Wer die Verkürzung von Steuern veranlasst oder bewusst fördert, kann für die verkürzten Beträge haften. Gleiches gilt für Personen, die aus einer Steuerverkürzung wirtschaftliche Vorteile ziehen. Die Haftung verfolgt den Ausgleich des Steuerausfalls.

Haftung beim Erwerb eines Betriebs oder Unternehmens

Bei der Übernahme eines laufenden Betriebs kann eine Haftung für bestimmte, mit dem Betrieb zusammenhängende Steuern des Veräußerers bestehen. Dies soll verhindern, dass Steuerschulden durch Übertragungen wirtschaftlicher Einheiten der Durchsetzung entzogen werden.

Haftung in Liefer- und Leistungsbeziehungen

In einzelnen Bereichen kann der Leistungsempfänger für bestimmte Steuerbeträge haften, wenn er erkennbar an Gestaltungen beteiligt ist, die die Steuererhebung gefährden. Dies betrifft typischerweise Konstellationen mit erhöhtem Missbrauchsrisiko.

Mitverantwortung bei gemeinsamer Steuerschuld

Bei gemeinsamer Steuerschuld, etwa im Rahmen einer gemeinsamen Veranlagung, sind mehrere Personen Gesamtschuldner. Dies ist keine Haftung für fremde Schuld, sondern eine zusammenfallende eigene Steuerschuld mehrerer Personen. Gleichwohl ähneln die Durchsetzungsmechanismen in der Praxis einer Haftungssituation.

Umfang und Grenzen der Haftung

Reichweite der Haftung

Die Haftung umfasst regelmäßig die festgesetzte Steuer und kann Nebenleistungen wie Zinsen, Zuschläge und Kosten einbeziehen. Maßgeblich ist der Bestand und die Höhe der zugrundeliegenden Steuerschuld. Aufrechnungen, Tilgungen oder Erstattungen wirken sich entsprechend aus.

Persönliche und sachliche Begrenzungen

Die Haftung kann auf bestimmte Vermögensmassen beschränkt sein, etwa auf verwaltetes oder übernommenes Vermögen. Auch zeitliche und sachliche Eingrenzungen sind möglich, wenn die Haftung an konkrete Pflichtenkreise, Tätigkeitszeiträume oder bestimmte Steuerarten anknüpft.

Innenausgleich bei Mehrpersonenverhältnissen

Trifft die Haftung mehrere Personen, sind sie häufig als Gesamtschuldner verantwortlich. Wer zahlt, kann grundsätzlich einen Ausgleich gegenüber anderen Verpflichteten verlangen. Der interne Ausgleich richtet sich nach dem Maß von Verantwortung, Vorteil und Verursachung.

Entstehung, Festsetzung und Durchsetzung

Haftungsbescheid

Die Inanspruchnahme aus Haftung erfolgt durch einen gesonderten Bescheid. Dieser enthält die Bezeichnung der haftungsbegründenden Tatsachen, die Herleitung der Haftung sowie die Höhe der geltend gemachten Beträge. Vor Erlass wird die betroffene Person angehört; die Entscheidung ist zu begründen.

Vollstreckung

Nach Bestandskraft oder vorläufiger Vollziehbarkeit kann der Haftungsanspruch vollstreckt werden. Die Vollstreckung richtet sich gegen die in Anspruch genommene Person und folgt den allgemeinen Regeln der Verwaltungsvollstreckung, einschließlich Sicherungs- und Pfändungsmaßnahmen.

Verjährung und Erlöschen

Haftungsansprüche unterliegen der Verjährung. Fristen und ihr Lauf richten sich nach der zugrundeliegenden Steuerschuld und den Zeitpunkten der Anspruchsentstehung und -festsetzung. Erlöschenstatbestände wie Zahlung, Aufrechnung oder Erlass wirken auch gegenüber der Haftung.

Abgrenzung zu Strafe und Geldbuße

Haftung ist kein Strafcharakter

Haftung dient der Einziehung geschuldeter Steuern und Nebenleistungen. Sie ist nicht auf Bestrafung gerichtet. Geldstrafen oder Geldbußen sind hiervon zu unterscheiden; sie verfolgen Sanktionszwecke und beruhen auf eigenständigen Voraussetzungen.

Internationale Aspekte

Amtshilfe und grenzüberschreitende Durchsetzung

Haftungsansprüche können im Rahmen internationaler Zusammenarbeit beigetrieben werden. Zustellungen, Auskünfte und Vollstreckungshilfe ermöglichen die Durchsetzung auch gegenüber Personen mit Auslandsbezug, soweit entsprechende Vereinbarungen bestehen.

Beispiele aus der Praxis

Leitungsorgan und Umsatzsteuer

Eine Gesellschaft meldet Umsatzsteuer an, führt sie aber nicht ab. Das verantwortliche Leitungsorgan kann in Haftung genommen werden, wenn es seine Abführungspflichten verletzt hat.

Lohnsteuerabzug

Ein Arbeitgeber behält Lohnsteuer ein, führt sie jedoch nicht ab. Die Haftung richtet sich gegen den Arbeitgeber für die nicht abgeführten Beträge und einschlägige Nebenleistungen.

Betriebsübernahme

Beim Erwerb eines laufenden Betriebs können rückständige betriebsbezogene Steuern des Veräußerers im Rahmen der gesetzlichen Anordnung auf den Erwerber durchschlagen und zu einer Haftung führen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist der Unterschied zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner?

Der Steuerschuldner ist die Person, der das Gesetz die Steuer unmittelbar zuordnet. Der Haftungsschuldner ist ein Dritter, der für diese Steuerschuld in Anspruch genommen werden kann. Beide sind rechtlich unterschiedlich zu behandeln, auch wenn die Haftung an die zugrundeliegende Steuerschuld anknüpft.

Muss eine Haftung immer eine Pflichtverletzung voraussetzen?

Nicht in jedem Fall. Viele Haftungstatbestände knüpfen an eine Pflichtverletzung an, etwa die Nichtabführung einbehaltener Steuern. Andere ordnen Haftung aufgrund besonderer Zurechnungslagen an, etwa beim Erwerb eines Betriebs oder bei bestimmten wirtschaftlichen Begünstigungen.

Für welche Beträge kann eine Haftung geltend gemacht werden?

Die Haftung kann die festgesetzte Steuer und regelmäßig auch Nebenleistungen wie Zinsen, Zuschläge und Kosten umfassen. Maßgeblich ist, was im Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Steuerschuld entsteht und geltend gemacht wird.

Wie läuft das Verfahren zur Inanspruchnahme aus Haftung ab?

Die Finanzverwaltung ermittelt die haftungsrelevanten Tatsachen, hört die betroffene Person an und erlässt einen begründeten Haftungsbescheid. Gegen diesen Bescheid stehen die üblichen Rechtsbehelfe offen. Die Durchsetzung erfolgt nach den Regeln der Verwaltungsvollstreckung.

Sind Ehegatten bei gemeinsamer Veranlagung gegenseitig verantwortlich?

Bei gemeinsamer Veranlagung entsteht eine gemeinsame Steuerschuld, für die beide als Gesamtschuldner haften. Dies ist keine Haftung für eine fremde Schuld, sondern eine gemeinsame eigene Verpflichtung. Interne Ausgleichsfragen sind hiervon zu unterscheiden.

Wann erlischt eine Haftung?

Die Haftung erlischt regelmäßig durch Erfüllung, Aufrechnung, Erstattung oder andere Erlöschenstatbestände der Steuerschuld. Zudem unterliegt der Haftungsanspruch der Verjährung, deren Lauf an die zugrundeliegende Steuerschuld anknüpft.

Kann gegen einen Haftungsbescheid vorgegangen werden?

Gegen den Haftungsbescheid sind die vorgesehenen Rechtsbehelfe möglich. Prüfungsgegenstand sind insbesondere die tatbestandlichen Voraussetzungen, die Begründung und die Ausübung des Auswahl- und Inanspruchnahmeermessens.

Trägt die Finanzbehörde ein Ermessen bei der Auswahl des Haftungsschuldners?

Ja. Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßer Abwägung, ob und wen sie in Anspruch nimmt. Dabei sind Gesichtspunkte wie Verantwortungsbeitrag, Erfolgsaussichten der Durchsetzung und Gleichbehandlung zu berücksichtigen und in der Entscheidung nachvollziehbar darzustellen.