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Haftgründe


Haftgründe

Definition und Bedeutung von Haftgründen

Haftgründe sind gesetzlich normierte Umstände, die eine vorläufige Inhaftierung einer Person durch staatliche Stellen rechtfertigen. Sie stellen die zentrale Voraussetzung für die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft oder anderer Formen der vorläufigen Freiheitsentziehung dar. Die Festlegung und Anwendung von Haftgründen dienen dem rechtsstaatlichen Schutz vor willkürlichen Eingriffen in das Recht auf Freiheit und gewährleisten, dass eine Freiheitsentziehung nur auf gesetzlicher Grundlage und bei Vorliegen bestimmter Umstände erfolgt.

Rechtsgrundlagen der Haftgründe

Im deutschen Strafverfahrensrecht sind die Haftgründe in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt, insbesondere in den §§ 112 ff. StPO. Diese Normen bestimmen, unter welchen Bedingungen eine Untersuchungshaft oder der Erlass eines Haftbefehls zulässig ist. Auch im Jugendstrafrecht (§ 72 Jugendgerichtsgesetz – JGG) sowie bei der Auslieferungshaft und Abschiebungshaft finden sich entsprechende Regelungen.

Wichtige Normen im Überblick

  • § 112 StPO: Grundtatbestand der Untersuchungshaft und allgemeine Haftgründe
  • § 112a StPO: Haft bei Wiederholungsgefahr
  • § 113 StPO: Haftbefehl im Verfahren der Strafvollstreckung
  • § 126 StPO: Sicherungshaft in Maßregelvollzugsverfahren
  • Weitere Normen: §§ 127 StPO (Vorläufige Festnahme), § 72 JGG (Jugendstrafrecht), Polizeigesetze der Länder (präventive Haft)

Allgemeine Voraussetzungen der Untersuchungshaft

Für die Anordnung der Untersuchungshaft müssen kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Starker Tatverdacht: Es müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein bestimmtes strafbares Verhalten hindeuten (§ 112 Abs. 1 StPO).
  2. Haftgrund: Es muss mindestens einer der gesetzlich bestimmten Haftgründe gegeben sein.
  3. Verhältnismäßigkeit: Die Haftanordnung darf nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen; mildere Mittel sind vorrangig anzuwenden.

Die einzelnen Haftgründe im Detail

Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO)

Ein Haftgrund liegt vor, wenn die beschuldigte Person geflohen ist oder sich verborgen hält. Flucht bedeutet das Verlassen des Aufenthaltsortes, um sich dem Strafverfahren zu entziehen. Das Verbergen umfasst die bewusste Unauffindbarkeit für die Strafverfolgungsbehörden.

Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO)

Die häufigste praktische Grundlage für Untersuchungshaft ist die sogenannte Fluchtgefahr. Sie liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass sich die beschuldigte Person dem Verfahren entziehen wird. Entscheidend sind individuelle Umstände wie fehlende soziale Bindungen, die Schwere des Tatvorwurfs, drohende Strafhöhe sowie Verhalten im Ermittlungsverfahren.

Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO)

Dieser Haftgrund besteht, wenn das Verhalten der beschuldigten Person den dringenden Verdacht begründet, dass sie Beweismittel vernichten, verändern, beseitigen, beiseiteschaffen, fälschen oder auf Mitbeschuldigte/Zeugen Einfluss nehmen wird, um die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren.

Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO)

Ein weiterer Haftgrund ist die Wiederholungsgefahr. Sie ist besonders bei schweren und wiederholt begangenen Straftaten einschlägig. Voraussetzung ist, dass bestimmte Straftaten (etwa Diebstahl, Raub, gefährliche Körperverletzung) mit einer Wiederholungsabsicht begangen worden sind, und eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht.

Schwerwiegende Straftaten (§ 112 Abs. 3 StPO)

In Fällen von besonders schweren Straftaten, wie Mord oder Totschlag, kann bereits aufgrund der außergewöhnlichen Schwere der Tat bei bestehendem dringendem Tatverdacht Untersuchungshaft angeordnet werden, selbst wenn kein klassischer Haftgrund vorliegt. Diese Ausnahme dient dem erhöhten Schutz der Allgemeinheit und der Sicherung des Strafverfahrens.

Sonderformen der Haftgründe

Haft im Jugendstrafverfahren

Im Jugendstrafrecht gelten spezielle Regelungen (§ 72 JGG). Es ist eine besonders sorgfältige Abwägung von Haftgründen und Verhältnismäßigkeit erforderlich, da Haft für Jugendliche das äußerste Mittel sein muss.

Präventiv- und Ordnungshaft

Neben den strafprozessualen Haftgründen existieren in anderen Rechtsgebieten weitere Haftarten, etwa Präventivhaft nach Polizeirecht zur Abwehr von Gefahren (§ 28 PolG NRW), oder Ordnungshaft beispielsweise zur Durchsetzung von gerichtlichen Maßnahmen in Zivilsachen.

Auslieferungs- und Abschiebungshaft

Im Auslieferungsrecht (§§ 15 ff. IRG) und Ausländerrecht (§ 62 AufenthG) werden eigene Haftgründe genannt, die dem Vollzug der Abschiebung oder Auslieferung dienen und präventive oder sichernde Funktion haben.

Verfahren zur Anordnung von Haft

Ein Haftbefehl darf nur von einem Gericht erlassen werden und setzt regelmäßig einen begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft voraus. Die Prüfung sämtlicher Haftgründe sowie die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind dabei zwingend. Im Rahmen der Haftprüfung hat das Gericht in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Haft weiterhin bestehen (§ 117 StPO).

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen die Anordnung und Fortdauer der Haft bestehen vielfältige Rechtsmittel, darunter Haftbeschwerde und Antrag auf Haftprüfung (§§ 117, 118 StPO). Hierdurch wird den Betroffenen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gegen mögliche ungerechtfertigte Inhaftierung gewährt.

Bedeutung der Haftgründe für das Strafverfahren

Haftgründe haben maßgeblichen Einfluss auf die Beschleunigung und Gestaltung des Verfahrens. Die Sicherung der Anwesenheit des Beschuldigten, Gewährleistung der Wahrheitsermittlung und Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten sind zentrale legitime Zwecke. Zugleich stellen die gesetzlichen Haftgründe eine wichtige Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse dar und garantieren die Kontrolle durch unabhängige Gerichte.


Literatur zur Vertiefung

  • Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar
  • Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung
  • Fischer, Strafgesetzbuch: StGB mit Nebengesetzen

Weiterführende Links: