Begriff und rechtliche Einordnung der Haftentschädigung
Die Haftentschädigung ist im deutschen Recht eine Entschädigungsleistung des Staates an Personen, die zu Unrecht inhaftiert worden sind. Sie dient als Ausgleich für rechtswidrige Freiheitsentziehung, die sich im Nachhinein als unbegründet herausstellt. Das Ziel der Haftentschädigung ist es, durch staatliche Leistungen die Folgen einer zu Unrecht verbüßten Haft zumindest teilweise wiedergutzumachen, sofern eine strafprozessuale Freiheitsentziehung vorliegt.
Gesetzliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen der Haftentschädigung finden sich im Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG). Dieses regelt im Einzelnen die Voraussetzungen, die Höhe und das Verfahren zur Geltendmachung der Entschädigung. Ergänzende Vorschriften finden sich insbesondere in der Strafprozessordnung (StPO) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Wesentliche Normen
- § 1 StrEG (Anspruch auf Entschädigung)
- § 2 StrEG (Ausschluss- und Einschränkungsgründe)
- § 7 StrEG (Leistungen und Höhe der Entschädigung)
- §§ 10 ff. StrEG (Verfahren und Zuständigkeiten)
Voraussetzungen für die Haftentschädigung
Anspruchsberechtigte Personen
Anspruch auf Haftentschädigung kann jede Person geltend machen, die im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens eine freiheitsentziehende Maßnahme erlitten hat und bei der sich im Nachhinein herausstellt, dass diese Maßnahmen nicht gerechtfertigt waren. Dazu zählen:
- Untersuchungsgefangene
- Strafgefangene, gegen die das Urteil später aufgehoben wurde
- Personen im Maßregelvollzug, wenn die Unterbringung rechtswidrig war
Entschädigungsfähige Maßnahmen
Typische Ausgangssituationen für eine Haftentschädigung sind etwa:
- Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft (§ 112 ff. StPO)
- Strafhaft nach einem im Nachhinein aufgehobenen Urteil
- Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, Entziehungsanstalt oder sonstigen geschlossenen Einrichtung, sofern sich die Grundannahmen der Haft als unzutreffend oder nicht aufrechterhaltbar erwiesen haben
Ausschlussgründe
Ein Anspruch auf Haftentschädigung ist nach § 2 StrEG insbesondere ausgeschlossen, wenn:
- die verhaftete Person vorsätzlich oder grob fahrlässig die Freiheitsentziehung durch eigenes Verhalten verursacht hat,
- der Betroffene im späteren Verfahren zu einer anderen, aber vergleichbaren freiheitsentziehenden Maßnahme rechtskräftig verurteilt wird,
- die Aufhebung der Maßnahme allein auf einer Gesetzesänderung beruht, die nachträglich zu einer anderen Bewertung führt.
Höhe und Umfang der Haftentschädigung
Tagessatz für Haftentschädigung
Die Höhe der Haftentschädigung wird gesetzlich in § 7 StrEG geregelt. Seit der Reform im Jahr 2021 beträgt die Entschädigung 75 Euro pro zu Unrecht verbüßtem Hafttag. Zuvor lag der Satz über viele Jahre bei 25 Euro pro Tag.
Die Entschädigung schließt auch andere Nachteile wie Verdienstausfall, entgangene Sozialversicherungsbeiträge oder berufliche Nachteile nicht automatisch ein, kann aber im Einzelfall für besondere Nachteile erhöht werden.
Weitere vermögensrechtliche Nachteile
Zusätzlich zur pauschalen Tagesentschädigung können nach § 7 Abs. 3 StrEG weitere Schäden ersetzt werden. Dazu zählen:
- Verlust des Arbeitsplatzes
- Beeinträchtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit
- Kosten für Behandlung in Folge psychischer oder physischer Schäden
Diese Schäden müssen konkret belegt und nachgewiesen werden, wobei auch hier Ausschlussgründe Berücksichtigung finden. Nicht erfasst sind immaterielle Schäden wie etwa Reputationsverluste, soweit diese nicht mit einer konkreten wirtschaftlichen Einbuße verbunden sind.
Verfahren zur Geltendmachung und Entscheidung
Zuständigkeit und Antragstellung
Der Anspruch auf Haftentschädigung ist gegenüber der Justizbehörde geltend zu machen, die über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entschied oder das Verfahren eingestellt hat. In der Regel ist die Staatsanwaltschaft zuständig.
Antragsfrist
Der Antrag auf Haftentschädigung muss binnen einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft der Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung gestellt werden (§ 9 StrEG). Versäumt der Betroffene diese Frist, verfällt der Anspruch.
Durchführung des Verfahrens
Nach Antragstellung entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft oder das Gericht über das Vorliegen der Voraussetzungen. Im Falle widersprüchlicher Sachverhalte wird das Verfahren als selbständiges Entschädigungsverfahren nach §§ 10 ff. StrEG durchgeführt.
Steuerliche Behandlung der Haftentschädigung
Haftentschädigungen gelten nach aktueller Verwaltungspraxis und Rechtsprechung als nicht steuerpflichtige Entschädigungsleistungen im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie sind somit von der Besteuerung ausgenommen, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen.
Rechtsvergleich: Haftentschädigung im internationalen Kontext
Auch in anderen europäischen Staaten und auf völkerrechtlicher Ebene, etwa nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), sind Haftentschädigungsregelungen vorgesehen. Art. 5 Abs. 5 EMRK verpflichtet die Staaten zur Zahlung einer Entschädigung im Fall rechtswidriger oder unbegründeter Inhaftierung.
Kritik und Reformüberlegungen
Angemessenheit der Entschädigung
Immer wieder wird die Angemessenheit der Haftentschädigungssätze kritisiert. Während der deutsche Gesetzgeber mit der Erhöhung auf 75 Euro pro Tag einen Schritt in Richtung angemessenen Ausgleichs ging, wird international weiterhin ein höheres Niveau gefordert. Neben der finanziellen ist auch die psychosoziale Unterstützung als ausbaufähig anerkannt.
Alternative Ansätze und Diskussion
Gefordert werden teils eine individuelle Bewertung der immateriellen Schäden, weitergehende soziale Hilfen für Haftopfer sowie bessere Reintegrationsangebote.
Literatur und weiterführende Informationen
- Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG)
- Strafprozessordnung (StPO)
- Bundeszentrale für politische Bildung: Informationsmaterialien zur Haftentschädigung
- Deutscher Bundestag: Wissenschaftliche Dienste, „Haftentschädigung – Gesetzliche Regelungen und Praxis in Deutschland“
- Art. 5, 6 EMRK: Recht auf Freiheit und Sicherheit, Recht auf Entschädigung
Hinweis: Dieser Artikel liefert eine thematisch umfassende und rechtlich detaillierte Erläuterung des Begriffs Haftentschädigung im deutschen Recht und betrachtet dazu einschlägige Gesetze, Voraussetzungen, Verfahren und aktuelle rechtspolitische Diskussionen.
Häufig gestellte Fragen
Wer hat Anspruch auf Haftentschädigung?
Ein Anspruch auf Haftentschädigung besteht grundsätzlich für Personen, die durch einen deutschen Staat zu Unrecht in Untersuchungshaft oder Strafhaft genommen wurden und später in einem rechtskräftigen Urteil, durch Einstellung des Verfahrens oder auf andere Weise freigesprochen oder entlastet werden. Der Anspruch steht sowohl deutschen als auch ausländischen Staatsangehörigen zu, wenn die Haft auf Grundlage deutschen Rechts vollzogen wurde. Zu den anspruchsberechtigten Maßnahmen zählen insbesondere Untersuchungshaft (§ 2 Abs. 1 StrEG), die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§ 3 Abs. 1 StrEG), einstweilige Unterbringung, Jugendarrest und Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Nicht erstattungsfähig sind etwa Aufenthalte in polizeilichem Gewahrsam, Sicherungsverwahrung oder sonstige polizeiliche Zwangsmaßnahmen, sofern diese nicht direkt mit der Strafverfolgung im eigentlichen Sinne verknüpft sind. Voraussetzung für die Haftentschädigung ist stets, dass die Person für die erlittene Freiheitsentziehung nicht zumindest grob fahrlässig selbst verantwortlich war, etwa durch unterlassene Angaben oder eigenes Fehlverhalten im Verfahren.
Wie hoch ist die Haftentschädigung und wie wird sie berechnet?
Die Haftentschädigung wird gemäß § 7 Abs. 3 StrEG pauschaliert gewährt und beträgt seit Januar 2023 75 Euro pro angefangenen Tag der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung. Neben diesem Anspruch auf einen Tagessatz gibt es die Möglichkeit, darüber hinaus Schadensersatz für Vermögensschäden (wie Verdienstausfall oder Mietschulden) oder immaterielle Schäden (wie gesundheitliche Belastungen oder entgangene Lebenszeit) geltend zu machen. Allerdings ist der Nachweis solcher Schäden gesondert zu führen und kann in der Praxis aufwendig sein. Die Entschädigung umfasst nicht lediglich monetäre Aspekte, sondern kann auch notwendige Auslagen und Kosten einschließen, sofern sie ursächlich durch die Haft entstanden sind. Die pauschale Tagessatzentschädigung ist nicht auf andere Sozial- oder Ausgleichsleistungen anrechenbar, wodurch eine Doppelleistung möglich bleibt.
Welche Fristen müssen bei der Geltendmachung von Haftentschädigungsansprüchen beachtet werden?
Haftentschädigungsansprüche müssen nach § 9 StrEG innerhalb eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung über die Einstellung oder des Freispruchs schriftlich beim zuständigen Landgericht geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit der formellen Bekanntgabe der Entscheidung. Versäumt der Betroffene diese Frist, ist der Anspruch grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, eine unverschuldete Fristversäumnis kann glaubhaft gemacht und nachträglich entschuldigt werden. Die Frist gilt sowohl für den pauschalen Tagessatz als auch für weitergehende Schadensersatzansprüche. Bei weiterem Vorgehen, etwa nach fehlerhafter Ablehnung durch das Landgericht, können Rechtsmittel wie die sofortige Beschwerde eingelegt werden, bei deren Einhaltung jedoch weitere Fristsetzungen maßgeblich sind.
Welche Ausnahmen oder Ausschlussgründe gibt es bei der Haftentschädigung?
Nicht jede zu Unrecht erfolgte Haft begründet einen Entschädigungsanspruch. Ausschlussgründe sind insbesondere in § 5 StrEG geregelt: Wer durch vorsätzlich oder grob fahrlässiges eigenes Verhalten die Festnahme oder die Fortdauer der Haft herbeigeführt hat, dem kann der Anspruch ganz oder teilweise versagt werden. Ebenso kann eine Einschränkung erfolgen, wenn neue Beweise die Unschuld des Betroffenen nachträglich erbringen, jedoch aus von ihm zu vertretenden Gründen zuvor nicht vorgelegt werden konnten. Auch bei eigenmächtigem Verhalten während des Verfahrens (z.B. Flucht oder Falschaussagen) steht die Haftentschädigung unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Einzelfallprüfung, wobei stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.
Welche Rolle spielt das Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG) im Verfahren?
Das Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG) ist die zentrale gesetzliche Grundlage für Entschädigungsansprüche bei zu Unrecht erlittener Strafverfolgungsmaßnahme. Es regelt detailliert sowohl die materiellen Voraussetzungen (wie Anspruch, Höhe, Ausnahmen) als auch das formelle Verfahren (wie Zuständigkeit, Fristen, Rechtsmittel). Alle Anträge sind gemäß StrEG beim für den jeweiligen Haftort zuständigen Landgericht einzureichen. Zudem legt das StrEG die Zuständigkeiten für Entscheidungen, Anhörungen betroffener Personen und rechtsstaatliche Vorgaben für eine faire Behandlung der Ansprüche fest. Das Gesetz ist abschließend und soll Klarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Entschädigungsleistungen schaffen.
Was kann zusätzlich zur Tagessatzentschädigung beansprucht werden?
Zusätzlich zum pauschalen Tagessatz können nach § 7 Abs. 2 StrEG weitergehende Ersatzansprüche für materielle und immaterielle Schäden geltend gemacht werden. Dazu zählen beispielsweise Verdienstausfall, berufliche Nachteile, Mietrückstände, medizinische Behandlungskosten sowie psychische Belastungen und Folgeschäden der Haftzeit. Derartige Ansprüche müssen stets individuell nachgewiesen werden, beispielsweise durch ärztliche Gutachten oder Arbeitgeberbescheinigungen. Der Ersatz immaterieller Schäden – etwa für psychische Beeinträchtigungen – wird jedoch nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung restriktiv ausgelegt und ist eher Ausnahme als Regel. Über die Grundentschädigung hinausgehende Beträge werden jeweils im Einzelfall nach Billigkeitserwägungen festgesetzt.
Welche Rechtsmittel stehen bei Ablehnung eines Entschädigungsantrags zur Verfügung?
Wird ein Antrag auf Haftentschädigung abgelehnt, kann nach § 11 StrEG die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung beim nächsthöheren Gericht einzureichen. Das Beschwerdeverfahren prüft sowohl rechtliche als auch tatsächliche Fragen und gewährleistet eine umfassende Überprüfung der Entscheidung auf Rechtsfehler und sachliche Richtigkeit. Im Rahmen der Beschwerde können alle Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden, die auch im Hauptantragsverfahren zulässig gewesen wären. Eine endgültige gerichtliche Klärung ist damit gesichert. Bei weitergehenden Fragen kann ggf. eine Verfassungsbeschwerde in Betracht gezogen werden, soweit grundrechtliche Positionen betroffen sind.