Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Handelsrecht»Große Haverei

Große Haverei


Begriff und rechtliche Bedeutung der Großen Haverei

Die Große Haverei (englisch „General Average“) ist ein bedeutendes Rechtsinstitut im Seehandelsrecht, das eine zentrale Rolle bei der Schadenverteilung nach Schiffshavarien spielt. Sie bezieht sich auf außergewöhnliche Aufwendungen oder Opfer, die während einer Seereise freiwillig und bewusst zur Rettung von Schiff, Ladung und mitgeführter Sachen aus einer gemeinsamen Gefahr erbracht werden. Das Prinzip der Großen Haverei beruht auf gemeinschaftlicher Schadenstragung: Die durch die Rettungsmaßnahme Begünstigten – Schiffseigner, Eigentümer der Ladung und andere Beteiligte – tragen die entstandenen Aufwendungen anteilig nach dem Wert ihrer geretteten Interessen. Die Regelung fördert kooperatives Krisenmanagement bei Seeunfällen und ordnet eine faire finanzielle Verantwortung unter allen Beteiligten an.

Historischer Hintergrund

Die Ursprünge des Instituts der Großen Haverei reichen bis in die Antike zurück. Bereits im griechischen Seerecht und im römischen Recht sind Regelungen zur kollektiven Schadentragung bei Seetransporten zu finden. Im Mittelalter wurde die Große Haverei vor allem durch das „Seerecht von Rhodos“ sowie später durch die internationalen Kodifikationen des „Code de Commerce“ und die York-Antwerp Rules weiterentwickelt.

Rechtliche Grundlagen der Großen Haverei

Nationale Rechtsnormen

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Große Haverei in den §§ 588 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) geregelt. Die Vorschriften bilden damit die rechtliche Grundlage für sämtliche Sachverhalte der Großen Haverei bei Seetransporten, sobald deutsches Recht anwendbar ist.

Die rechtlichen Voraussetzungen der Großen Haverei gemäß HGB:

  • Es muss ein bewusstes und freiwilliges Aufopfern oder eine außergewöhnliche Aufwendung vorliegen.
  • Die Maßnahme muss zur Rettung aus einer gemeinsamen Gefahr von Schiff, Fracht und sonstigen Gütern getroffen werden.
  • Der Schaden oder Aufwand muss tatsächlich und ursächlich zur Gefahrenabwehr beigetragen haben.
  • Die Beteiligten müssen einen Beitrag zur Großem Haverei gem. ihrem Wert leisten.

Internationale Bestimmungen

Weltweit wird die Große Haverei insbesondere durch die York-Antwerp Rules geregelt. Diese freiwillig vereinbarten Bestimmungen kommen regelmäßig zur Anwendung, wenn im Frachtvertrag oder Konnossement darauf verwiesen wird. Die York-Antwerp Rules regeln Einzelheiten wie qualifizierte Aufwendungen, Beitragsberechnung, Geltendmachung und Abwicklungsmodalitäten.

Abgrenzung zur Kleinen Haverei

Im Gegensatz zur Großen Haverei steht die Kleine Haverei, die individuelle Schäden an Schiff oder Ladung betrifft, deren Folgen der jeweilige Geschädigte selbst trägt. Die Große Haverei regelt ausschließlich außergewöhnliche Maßnahmen im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten zur Abwendung einer größeren Gefahr.

Voraussetzungen und Tatbestandsmerkmale der Großen Haverei

Gemeinsame Gefahr

Eine „Gemeinsame Gefahr“ besteht, wenn das Schiff, die Fracht und mitgeführte Sachen während der Seereise durch ein Ereignis (z. B. Brand, Sturm, Strandung) gleichzeitig bedroht sind.

Bewusstes und freiwilliges Aufopfern oder Aufwand

Maßgeblich ist, dass entweder Sachen (zum Beispiel Ladung durch Überbordwerfen) geopfert oder Kosten (z. B. Schleppgelder, Bergungskosten, zusätzliche Hafengebühren) freiwillig und adäquat zum Zwecke gemeinsamer Rettung aufgewendet wurden.

Erfolg der Rettungsmaßnahme

Nur solche Maßnahmen, die tatsächlich zur Abwendung oder Minderung der Gefahr geführt haben, werden in die Abrechnung der Großen Haverei einbezogen.

Verfahrensrechtliche Abwicklung

Die Abwicklung der Großen Haverei erfolgt in mehreren Schritten:

  1. Auslösung und Bekanntgabe: Der Kapitän oder Schiffseigner erklärt das Havereifall.
  2. Ermittlung der geretteten Werte: Die jeweiligen Werte der geretteten Interessen werden festgestellt.
  3. Havereiverlust-Ermittlung: Umfang und Höhe des Havereiverlusts, einschließlich Kosten und Opfer, werden bewertet.
  4. Transformation in Geldbeträge: Im Wege des Haverei-Ausgleichs wird ermittelt, welchen prozentualen Anteil jeder Beteilgte an den Gesamtkosten trägt.
  5. Geltendmachung: Häufig werden sogenannte „General Average Bonds“ oder Bürgschaften verlangt, bevor die Fracht ausgeliefert wird.

Diese Abwicklung wird oft durch einen Havereiadjusteur begleitet, der Schadenermittlung und Beitragserhebung koordiniert. Die Ergebnisse werden in einem Haverei-Ausgleich (General Average Adjustment) festgehalten.

Beispielhafte Maßnahmen der Großen Haverei

Zu den typischen, als Große Haverei anerkannten Maßnahmen zählen:

  • Überbordwerfen von Ladung (Jettison) zum Zweck der Stabilisierung des Schiffes oder zur Vermeidung des Kenterns
  • Löschkosten, wenn diese zur Rettung aus der Gefahr dienen
  • Kosten der Rückführung auf See nach Strandung
  • Extraaufwendungen wie „Salvage-Awards“ (für Bergung)
  • Schleppkosten zur Gefahrenabwehr
  • Freiwilliges Fluten von Laderäumen oder Maschinenräumen

Nicht als Große Haverei gelten regelmäßig:

  • Schäden, die durch eigene Nachlässigkeit verursacht wurden
  • Verluste infolge gewöhnlicher Gefahren der Seefahrt (z. B. Wellenschlag, Wind)
  • Individuelle Ladungsschäden ohne Zusammenhang zur gemeinschaftlichen Gefahr

Beteiligte und Beitragsverteilung

Gemäß den gesetzlichen Vorgaben und internationalen Regeln werden folgende Beteiligte in die Beitragsverteilung einbezogen:

  • Schiffseigner
  • Ladungseigentümer
  • Eigentümer weiterer an Bord befindlicher Sachen (z. B. Container)
  • Reeder

Maßgeblich für die Verteilung ist der Wert der nach der Haverei geretteten Sachen. Die anteiligen Beiträge werden proportional nach den jeweiligen Interessen der Beteiligten berechnet.

Versicherungsrechtliche Aspekte

Die Risiken der Großen Haverei können sowohl auf Seiten des Schiffseigners als auch auf Seiten der Ladungseigentümer versichert sein. Der Versicherungsschutz umfasst typischerweise sowohl den eigenen Beitrag zur Großen Haverei als auch das Risiko einer Beteiligung an gegebenenfalls überproportionalen Schäden.

Prozedur bei Streitigkeiten

Streitigkeiten über die Anerkennung oder Verteilung der Großen Haverei werden häufig vor ordentlichen (See-)Gerichten oder in Schiedsverfahren ausgetragen. Typische Streitpunkte betreffen die Tatbestandsmerkmale, die Höhe des Beitrags und die Auslegung der vertraglichen Grundlagen (z. B. Anwendung der York-Antwerp Rules).

Zusammenfassung und praktische Bedeutung

Die Große Haverei ist ein zentraler Rechtsbegriff im Seehandelsrecht, der eine gemeinschaftliche Schadenregelung bei außergewöhnlichen Rettunganstrengungen im Seetransport sicherstellt. Sie ist durch nationales und internationales Recht detailliert geregelt und stellt eine Besonderheit dar, die im internationalen Warenverkehr an Bedeutung nicht verloren hat. Die gerechte Verteilung der Schäden und Aufwendungen fördert die Schaffung eines ausgewogenen Interessenausgleichs zwischen allen Beteiligten einer Seereise.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Ausrufung einer Großen Haverei erfüllt sein?

Für die Ausrufung einer Großen Haverei müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein, die vor allem im internationalen Seehandelsrecht, insbesondere in den York-Antwerp Rules sowie im deutschen Recht durch das Seerechtsübereinkommen und das Handelsgesetzbuch (HGB), geregelt sind. Zunächst muss ein außergewöhnliches Ereignis während einer Seereise eintreten, das unmittelbar das Schiff, die Fracht oder das gemeinsame Abenteuer (Beförderungsgemeinschaft) gefährdet. Typischerweise handelt es sich um gravierende Notfälle wie Feuer an Bord, Kollisionen, Strandungen oder schwere Sturm- und Wasserschäden. Die zentrale Bedingung ist, dass eine freiwillige und bewusste Opferbringung oder außergewöhnliche Aufwendung zum Zwecke der Rettung von Schiff, Ladung und gegebenenfalls Treibstoff (also im Interesse aller Beteiligten) erfolgt. Die Notmaßnahme muss kausal und geeignet sein, drohende größere Schäden abzuwehren oder zu mindern. Wichtig ist, dass der Entschluss zum Opfer oder zur Aufwendung in einer Situation getroffen wurde, in der unmittelbarer gemeinsamer Gefahr besteht. Die Handlung darf keinesfalls nur im Interesse einer Partei liegen, sondern muss auf den Schutz des gemeinsamen Interesses ausgerichtet sein. Darüber hinaus muss das Ereignis und die Maßnahme zeitnah und korrekt dokumentiert sowie allen betroffenen Parteien, einschließlich der Beteiligten an Schiff und Ladung, angezeigt werden. Erst dann kann die Große Haverei rechtlich festgestellt und ein Ausgleich gemäß den gesetzlichen Regelungen gefordert werden.

Wer ist im Rechtssinne bei einer Großen Haverei ausgleichspflichtig?

Im rechtlichen Kontext sind grundsätzlich alle am „gemeinsamen Seetransportunternehmen“ (Beförderungsgemeinschaft) beteiligten Parteien am Ausgleich im Rahmen der Großen Haverei beteiligt. Hierzu zählen insbesondere der Schiffseigner (Reeder), die Eigentümer der Ladung (Ladungsbeteiligte) und gegebenenfalls auch die Eigner des Bunkers (Brennstoffs) sowie von Ausrüstung, sofern diese von Dritten stammt. Die Ausgleichspflicht für entstandene Aufwendungen und Opfer besteht nur insoweit, als die betreffenden Gegenstände oder Werte tatsächlich durch das gemeinschaftliche Risiko auf See betroffen waren und nach Abschluss des Havereifalls noch erhalten sind. Die rechtliche Grundlage für die Beteiligung und den Quotenausgleich sind u.a. die Vorschriften der York-Antwerp Rules und §§ 588 ff. HGB. Die Verpflichtung zum Beitrag entsteht automatisch – unabhängig davon, ob tatsächliche Eigentümer oder sonstige Beteiligte ihre Ansprüche schon geltend gemacht haben – sobald und soweit die definierenden Voraussetzungen der Großen Haverei vorliegen.

Wie erfolgt die rechtliche Abwicklung und Berechnung der Beiträge im Fall der Großen Haverei?

Die rechtliche Abwicklung der Großen Haverei erfolgt nach einem international anerkannten, genau vorgegebenen Verfahren, das primär auf den York-Antwerp Rules (in Deutschland ergänzend auf die §§ 588-619 HGB) basiert. Nach Eintritt und Anzeige des Havereifalls wird ein sogenannter Havereischätzer (Average Adjuster) beauftragt, der alle relevanten Fakten, Maßnahmen, Schäden und Aufwendungen prüft und eine sogenannte „Havereierklärung“ (General Average Statement) ausarbeitet. Die Grundlagen für die Beitragsberechnung sind der Wert des geretteten Schiffs, der Ladung sowie weiterer geretteter gemeinschaftlicher Werte nach Eintritt des Havereivorfalls. Jede Partei wird anteilig zur Kostentragung verpflichtet. Die Beitragshöhe ergibt sich aus dem Verhältnis ihres Beitragswertes zum Gesamtwert. Die Ausgleichszahlungen werden rechtlich als solidarische Verbindlichkeiten behandelt, sodass Ausgleichsansprüche einklagbar sind und – zur Sicherung – meist auch entsprechende Sicherheitsleistungen (Havereibürgschaften) verlangt werden. Die rechtliche Durchsetzung erfolgt gegebenenfalls im ordentlichen Zivilprozess.

Welche Fristen und Formalien sind im Rahmen der Großen Haverei rechtlich einzuhalten?

Rechtlich relevant sind insbesondere die unverzügliche Anzeige des Havereifalls an alle Beteiligten sowie die zeitnahe und ordnungsgemäße Dokumentation sämtlicher Maßnahmen und Schäden. Die Fristen zur Anmeldung von Ansprüchen und Einwänden richten sich nach den jeweiligen nationalen Regelungen und den individuell vereinbarten Charter- oder Transportbedingungen. Im deutschen Recht nach HGB ist es ratsam, die Ansprüche binnen einer Frist von drei Jahren seit Havereierklärung geltend zu machen, da nach Ablauf dieses Zeitraums Verjährung eintritt (§ 607 HGB). Hinzu kommen je nach vertraglicher Vereinbarung oder Handelsbrauch weitere Fristen beispielsweise zur Leistung von Sicherheiten. Versäumt ein Beteiligter die rechtzeitige Erbringung der erforderlichen Sicherheiten, kann er vom Reeder oder anderen Beteiligten daran gehindert werden, über seine Waren zu verfügen, bis die Ansprüche geregelt sind.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, sich gegen eine Beteiligung an der Großen Haverei zu wehren?

Betroffene Parteien haben im rechtlichen Kontext verschiedene Abwehrmöglichkeiten gegenüber einem geforderten Havereibeitrag. Es besteht insbesondere die Möglichkeit, die zugrundeliegende Entscheidung für die Havereimaßnahme, deren Notwendigkeit oder die Berechnungsgrundlagen anzufechten. Einwendungen können formell im Verfahren vor dem Havereischätzer oder in einem späteren Zivilprozess geltend gemacht werden. Einwände bestehen z.B., wenn keine unmittelbare gemeinschaftliche Gefahr bestand, die Maßnahme nicht im allgemeinen Interesse erfolgte, grobe Fahrlässigkeit des Kapitäns oder Besatzung im Spiel war oder die Berechnung/Maßnahmendokumentation fehlerhaft erfolgte. Für die Durchsetzung der eigenen Rechtsauffassung gelten ebenfalls die gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Fristen. Rechtsschutz wird, soweit notwendig, vor den ordentlichen Gerichten des Handesls- und Seerechtswegs gesucht.

Gibt es rechtliche Besonderheiten bei versicherter Fracht im Zusammenhang mit Großer Haverei?

Im Falle versicherter Fracht ist die Versicherungslage rechtlich gesondert zu betrachten: Die Güterversicherung deckt meist auch die Beiträge zur Großen Haverei ab, sofern dies ausdrücklich vereinbart ist (z.B. nach den Institute Cargo Clauses). Sobald vom Versicherungsnehmer ein Havereibeitrag verlangt wird, kann bei bestehendem Versicherungsschutz direkte Rückgriffnahme bei der Versicherung erfolgen. Rechtlich verpflichtet die Versicherung sich zur Zahlung nur im Rahmen der Versicherungsbedingungen und gegen Nachweis der Rechtmäßigkeit und Höhe des Beitrags. Insbesondere ist der Versicherungsnehmer gehalten, die Rechte aus der Großen Haverei – bis hin zur gerichtlichen Geltendmachung – ordnungsgemäß wahrzunehmen, um keinen Haftungsausschluss wegen Obliegenheitsverletzungen zu riskieren. Ungeachtet der Versicherung bleibt der Versicherungsnehmer im Außenverhältnis zunächst beitragspflichtig. Ein Regress bei der Versicherung erfolgt erst nach positiver Schadensfeststellung.

Welche Zuständigkeiten haben Gerichte im Streitfall um eine Große Haverei?

Die gerichtliche Zuständigkeit bei Streitigkeiten rund um einen Havereifall richtet sich nach dem Ort der Verladung, Entladung, dem Schiffsregister oder nach vertraglichen Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen den Parteien. Im deutschen Recht sind in erster Instanz die Amts- und Landgerichte – speziell Kammern für Handelssachen mit besonderer Zuständigkeit für Seehandelsangelegenheiten – berufen. Dies betrifft sowohl den Beitragseinzug als auch Anfechtungen der Havereischätzung, Schadensverteilung und Sicherheitsleistungen. Im internationalen Umfeld kommen je nach Lage und Flagge des Schiffes auch ausländische Gerichte und Schiedsgerichte in Betracht, insbesondere wenn York-Antwerp Rules Anwendung finden und ein neutraler Seehandels-Schiedsstandort vereinbart wurde. Die gerichtliche Zuständigkeit kann durch Schieds- oder Gerichtsstandsvereinbarung im Konnossement oder Chartervertrag modifiziert werden. Gerichtliche Entscheidungen sind in Fragen der Großen Haverei oft präjudiziell – ein paralleles Verfahren an anderer Stelle ist damit grundsätzlich ausgeschlossen.