Begriff und Rechtsrahmen: Gorleben
Gorleben ist eine Ortschaft im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen, Deutschland, die im juristischen und politischen Kontext insbesondere durch die Diskussion um die Nutzung als Standort für ein Atommülllager nationale und internationale Bedeutung erlangt hat. Die rechtlichen Aspekte und der Umgang mit dem Standort Gorleben sind vielfältig und betreffen unterschiedlichste Rechtsgebiete, darunter das Atomrecht, Umweltrecht, Planungsrecht, Verwaltungsrecht sowie das Verfassungsrecht.
Historische Entwicklung und rechtlicher Status
Auswahl des Standortes Gorleben
Die Auswahl Gorlebens zum potentiellen Endlagerstandort für hochradioaktiven Abfall erfolgte ab 1977 durch die niedersächsische Landesregierung und das damalige Bundesministerium des Innern. Maßgeblich war hierbei die damalige Rechtslage nach dem Atomgesetz (AtG) sowie Begleitvorschriften zur Lagerung und Entsorgung radioaktiver Abfälle. Grundlage waren planungsrechtliche sowie atomrechtliche Verfahren gemäß §§ 6 ff. AtG (genehmigungsbedürftige Anlagen und Verfahren).
Genehmigungsverfahren und Zwischenlager
Der Standort wurde zunächst als mögliches Erkundungsbergwerk zur Eignungsprüfung nach atomrechtlichen Vorschriften und Umweltprüfungen gemäß Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) genutzt. Ab 1983 entstand in Gorleben aufgrund atomrechtlicher Genehmigungen ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente und andere radioaktive Abfälle. Die Rechtsgrundlage hierfür waren §§ 6, 9a, 9b und 9c AtG.
Atomrechtliche Grundlagen
Atomgesetz (AtG)
Das Atomgesetz, insbesondere die Normen zur Verantwortlichkeit für die sichere Verwahrung (vgl. § 9a AtG), regelt die Aufbewahrung und Entsorgung radioaktiver Abfälle. Daraus ergibt sich die Anforderung an eine nationale Endlagerlösung. Die Entwicklungen rund um Gorleben sind maßgeblich von Änderungen und Novellierungen des Atomgesetzes beeinflusst.
Lagerung und Endlagerung: Rechtliche Unterscheidung
Zwischenlager
Die Einrichtung des Transportbehälterlagers Gorleben (TBL-G) wurde auf der Grundlage mehrerer atomrechtlicher Genehmigungen nach § 6 AtG betrieben. Diese Genehmigungen wurden unter Beachtung strenger Anforderungen an Haftung, Strahlenschutz, Kontrolle und Sicherheitsmanagement erteilt.
Endlager
Gorleben wurde über viele Jahrzehnte als potenzieller Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle erkundet, jedoch kam es nie zur Genehmigung als Endlager nach § 9b AtG. Die Eignungserkundung wurde rechtlich begleitet durch zahlreiche umweltrechtliche, sicherheitsrechtliche und verwaltungsrechtliche Überprüfungen.
Umweltrechtliche Aspekte
UVPG und Umweltprüfungsverfahren
Im Rahmen der Erkundung und des möglichen Baus eines Endlagers in Gorleben mussten umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) durchgeführt werden (§ 7 UVPG), um Auswirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Wasser, Boden und Klima zu bewerten. Diese Prüfungen waren regelmäßig Gegenstand von Klageverfahren durch Umweltverbände und Einzelpersonen nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG).
Beteiligungsrechte und Klagewege
Die Planung und Zulassung von Atomanlagen unterlag seit den 1980er Jahren zunehmend umfassenden Beteiligungsrechten der Öffentlichkeit. Insbesondere Umweltverbände nutzten ihre Anerkennung nach § 3 UmwRG, um im Prozess der Öffentlichkeitsbeteiligung Einwendungen zu erheben und bei Rechtsverletzungen den Klageweg zu beschreiten.
Planungsrechtliche Verfahren
Raumordnungsrechtliche Einordnung
Die Auswahl und Sicherung von Standorten wie Gorleben wurden durch übergeordnete Raumordnungspläne beeinflusst. Landes- und Bundes-Raumordnungsgesetze verpflichteten Landesregierungen, die Belange der Endlagerung bei ihren Planungen zu berücksichtigen und sogenannte Vorrang- und Ausschlussgebiete auszuweisen.
Braunkohlen- und Salzbergwerksrecht
Der als Erkundungsbergwerk für Gorleben genutzte Salzstock unterliegt ergänzend Bergrechtlichen Vorschriften nach dem Bundesberggesetz (BBergG). Die Genehmigungen zum Vortrieb von Strecken und Schächten sowie zur Durchführung von Erkundungsbohrungen wurden unter Berücksichtigung der Vorschriften zur öffentlichen Sicherheit und zur Rohstoffbewirtschaftung in Deutschland erteilt.
Verfassungsrechtliche Dimension
Grundrechtsschutz und Abwägungsgebot
Grundrechte der Anwohner, insbesondere das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), kollidierten im Kontext Gorleben wiederholt mit staatlichen Planungen. Die Rechtsprechung forderte stets eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutz öffentlicher Interessen und individuellen Grundrechten.
Wesentlichkeitsprinzip und Bestimmtheitsgebot
Laut deutscher Verfassung ist für alle wesentlichen Entscheidungen – wie die Standortauswahl für Endlager – eine gesetzliche Grundlage notwendig. Die gesetzgeberischen Maßnahmen rund um Gorleben mussten daher stets den Anforderungen an das Demokratieprinzip und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung genügen.
Neuordnung der Endlagerpolitik und aktueller Rechtsstand
Endlagerkompromiss und StandAG
Mit dem im Jahr 2017 in Kraft getretenen Standortauswahlgesetz (StandAG) wurde die Suche nach einem Endlager in Deutschland auf neue rechtliche Füße gestellt. Das Gesetz sieht ein transparentes und partizipatives Auswahlverfahren unter Einbindung der Öffentlichkeit vor. Gemäß § 22 Abs. 2 StandAG wurde Gorleben aus dem weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen, da der Salzstock geologisch als ungeeignet bewertet wurde.
Rückbau, Nachnutzung und Entschädigung
Mit der Beendigung der Endlagerplanungen in Gorleben sind neue rechtliche Fragen rund um den Rückbau der Anlagen, die Renaturierung des Geländes sowie mögliche Entschädigungsansprüche gegenüber Grundstückseigentümern oder Unternehmen auf Grundlage des Atomgesetzes (§ 17 Abs. 2 AtG) sowie Sonderregelungen zu klären.
Fazit: Beurteilung des rechtlichen Bedeutungsgehalts von Gorleben
Gorleben ist symbolisch und tatsächlich einer der bedeutendsten Begriffe der deutschen Rechtsgeschichte im Bereich der kerntechnischen Entsorgung. Die Entwicklungen an diesem Standort verdeutlichen bundesdeutsche Verfahren im Bereich des Atom-, Umwelt- und Verwaltungsrechts. Die rechtlichen Fragen zu Standortauswahl, Beteiligungsrechten, Umweltverträglichkeit, Grundrechtsschutz und der staatlichen Entsorgungsverantwortung haben juristische Debatten maßgeblich geprägt und zu umfangreichen Novellierungen der relevanten Gesetze geführt. Im Nachgang der Standortentscheidung bietet die juristische Betrachtung von Gorleben ein umfassendes Lehrbeispiel zur Entwicklung und Anwendung von Umwelt- und Atomanlagenrecht im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regelten die Standortauswahl für das Endlager Gorleben?
Die Auswahl des Standortes Gorleben als potenzielles Endlager für radioaktiven Abfall basierte in den Anfangsjahren insbesondere auf ministeriellen Erlassen und Verwaltungsvorschriften, da es bis spätestens zur Novellierung des Atomgesetzes (AtG) in den 1990er und 2000er Jahren keine expliziten gesetzlichen Regelungen zur Standortsuche für Endlager gab. Maßgebliche juristische Basis waren das Atomgesetz selbst (§ 9a-c AtG), zahlreiche Verordnungen sowie Umwelt- und Planungsrecht auf Bundesebene und Landesrecht in Niedersachsen. Ab 2013 wurden mit dem Standortauswahlgesetz (StandAG) erstmals detaillierte Vorschriften über ein geordnetes, partizipatives und wissenschaftsbasiertes Auswahlverfahren geschaffen. Die Auswahl Gorlebens selbst wurde indes vielfach als politisch motivierte Entscheidung bewertet, die rechtlich erst nachträglich über atom- und verwaltungsrechtliche Instrumente abgesichert werden musste. Die Entscheidung war immer wieder Gegenstand von gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Überprüfungen, etwa zur Beteiligung der Öffentlichkeit und zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).
Welche rechtlichen Anforderungen galten für das Zwischenlager in Gorleben?
Das Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle in Gorleben unterliegt strengen Regularien des Atomgesetzes sowie ergänzender Rechtsverordnungen, insbesondere der Zwischenlagerverordnung (ZwischenlagerV). Vor Errichtung und Betrieb sind umfangreiche Genehmigungs- und Prüfverfahren nach § 6 Abs. 1 AtG erforderlich. Das Genehmigungsverfahren verlangt unter anderem eine detaillierte Sicherheitsanalyse, eine Prüfung der Eignung des Standorts, die öffentliche Auslegung der Unterlagen sowie eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß UVPG (Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung). Zusätzlich bestehen unionsrechtliche Vorgaben, z.B. hinsichtlich Strahlenschutz und Sicherung vor Störmaßnahmen und sonstigen Einwirkungen Dritter (SEWD). Die Zwischenlagerung ist zeitlich befristet und darf die genehmigte Kapazität und Dauer nicht überschreiten; regelmäßig erfolgen Auflagen zu Kontrolle, Überwachung und Nachrüstung. Gerichtsentscheidungen haben die Verfahren mehrfach auf Beteiligung und Rechtsschutz überprüft, was teils zu Nachbesserungen führte.
Welche Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfung existierten in Bezug auf Gorleben?
Die Entscheidungen rund um Gorleben unterlagen als Verwaltungsakte der Überprüfung durch die deutschen Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht, Bundesverwaltungsgericht) sowie im Einzelfall durch Verfassungsbeschwerde (Bundesverfassungsgericht) und Europäische Gerichtsbarkeit, etwa den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Hinblick auf die Anwendung europäischen Umweltrechts. Klageberechtigt waren sowohl betroffene Privatpersonen (insbesondere Grundstückseigentümer), Umweltverbände im Rahmen der Verbandsklage, als auch Kommunen und sonstige juristische Personen. Spezifische Klagearten betrafen das Planfeststellungsverfahren, die Baugenehmigung für Zwischenlager, UVP-verpflichtende Entscheidungen und Sicherheits- sowie Stilllegungsgenehmigungen. Der Rechtsschutz einfacher Dritter war jedoch vielfach eingeschränkt, da vor allem Anwohner als „betroffene Öffentlichkeit“ nach §§ 4 und 5 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) einbezogen wurden, jedoch formale und materielle Beteiligungshürden bestanden.
Welche Bedeutung hatte die Öffentlichkeitsbeteiligung im rechtlichen Verfahren zu Gorleben?
Die Rechtsgrundlagen für die Öffentlichkeitsbeteiligung sind im Wesentlichen im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) und später im Standortauswahlgesetz (StandAG) normiert. Während früher die Öffentlichkeitsbeteiligung häufiger auf die Auslegung zentraler Unterlagen und die Durchführung eines Erörterungstermins beschränkt blieb, wurden mit den gesetzlichen Novellen insbesondere nach 2013 Anforderungen an eine breite und frühzeitige öffentliche Beteiligung sowie Transparenz signifikant erweitert. Die Beteiligung erfolgt durch formale Einwendungsfristen, Beteiligungsrechte im Planfeststellungsverfahren und ergänzende Informationspflichten. In Bezug auf Gorleben wurde wiederholt kritisiert, die Beteiligung sei verzögert, unzureichend oder intransparent abgelaufen, was zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen und eine entsprechende Verschärfung der Gesetzgebung nach sich zog.
Welche internationalen bzw. europäischen Rechtsvorgaben hatten Einfluss auf das Endlagerprojekt Gorleben?
Internationale und europarechtliche Vorschriften beeinflussten das Endlagerprojekt maßgeblich. Zu nennen ist insbesondere das Euratom-Vertragssystem, etwa Richtlinie 2011/70/EURATOM, worin Vorgaben für ein nationales Programm zur sicheren und verantwortungsvollen Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle festgelegt sind. Auch das Übereinkommen über nukleare Sicherheit (CNS) und das Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management (Joint Convention) enthalten bindende Vorgaben für Lagerung, Beteiligung und Berichterstattung. Weiterhin gelten die europäischen Umweltrechtsakte, z.B. die UVP-Richtlinie (2011/92/EU), die SEA-Richtlinie und die Aarhus-Konvention, die Zugang zu Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz regeln. Im konkreten Verfahren zu Gorleben wurden diese Vorgaben insbesondere nach den 1990er Jahren stärker in die deutsche Rechtsanwendung integriert und unterlagen der Kontrolle sowohl deutscher als auch europäischer Gerichte.
Wie wurden im rechtlichen Kontext Haftungsfragen und Entschädigungsansprüche geregelt?
Das Atomgesetz sieht eine spezielle Gefährdungshaftung für Schäden aus der Nutzung und Lagerung radioaktiver Stoffe vor (§§ 25 ff. AtG). Betreiber eines Zwischen- oder Endlagers haften demnach verschuldensunabhängig für Personen- und Sachschäden, die durch radioaktive Stoffe verursacht werden. Daneben bestehen Entschädigungsansprüche nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht sowie im Einzelfall enteignungsrechtliche Entschädigungen, wenn etwa Grundstücke für atomrechtliche Zwecke in Anspruch genommen wurden. Für den Fall amtlicher Fehler oder Pflichtverletzungen im Verwaltungsverfahren besteht über § 839 BGB, Artikel 34 GG zudem die Möglichkeit staatlicher Amtshaftungsansprüche. Diese Regelungen wurden insbesondere für hypothetische Kontaminations- oder Gesundheitsschäden geschaffen, sind in der Praxis jedoch teils strittig hinsichtlich Reichweite und Kausalitätsnachweis.
Welche Rolle spielten Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren aus juristischer Sicht?
Im Kontext von Gorleben bildete das Planfeststellungsverfahren nach §§ 72 ff. VwVfG sowie spezifische Genehmigungsverfahren nach Atomrecht die juristisch maßgeblichen Instrumente. Das Planfeststellungsverfahren vereint mehrere Einzelgenehmigungen in einem Gesamtbescheid, regelt Ausgleichs- und Schutzmaßnahmen und garantiert Beteiligungsrechte. Juristisch bedeutend ist, dass nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens eine umfassende gerichtliche Kontrolle eröffnet ist, die alle Einwendungen gegen das Verfahren prüfen kann (Prinzip der Konzentrationswirkung). Die Einhaltung der Anforderungen an Sicherheit, Umweltschutz, Beteiligung und gerichtliche Kontrolle wurde vielfach durch Umweltverbände und Betroffene überprüft und führte zu Präzisierungen der Verfahrensrechte, etwa die Möglichkeit zur Geltendmachung von Verfahrens- und materiellen Fehlern („materielle Präklusion“).