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Girosammelverwahrung


Begriff und Bedeutung der Girosammelverwahrung

Die Girosammelverwahrung ist ein zentraler Begriff des deutschen Depot- und Wertpapierrechts. Sie bezeichnet eine Art der Verwahrung von Wertpapieren, bei der fungible Wertpapiere (wie etwa Inhaberaktien, Schuldverschreibungen oder Optionsscheine) von einer Verwahrstelle – in der Regel einer Wertpapiersammelbank – gesammelt und für mehrere Eigentümer gemeinschaftlich, jedoch buchmäßig getrennt verwahrt werden. Die Girosammelverwahrung dient insbesondere der effizienten Abwicklung von Wertpapiergeschäften und ist ein bedeutendes Element des modernen Kapitalmarktverkehrs.

Rechtliche Grundlagen der Girosammelverwahrung

Gesetzliche Regelungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Girosammelverwahrung ergeben sich primär aus dem Depotgesetz (DepotG). Wichtige Vorschriften dazu finden sich insbesondere in den §§ 5 ff. DepotG. Wesentliche rechtliche Grundlagen sind daneben auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), vor allem hinsichtlich sachenrechtlicher Fragen, und diverse Spezialgesetze zur Umsetzung europäischer Vorgaben im Rahmen des Wertpapierhandels.

Abgrenzung zu anderen Verwahrarten

Gegenüberzustellen ist die Girosammelverwahrung insbesondere der Einzelverwahrung und der einfache Sammelverwahrung. Bei der Einzelverwahrung werden die Wertpapiere jedes Eigentümers separiert gelagert. Im Rahmen der Girosammelverwahrung hingegen gehen identische Wertpapiere verschiedener Eigentümer in einen gemeinsamen Bestand der Sammelverwahrstelle ein.

Ablauf und Funktionsweise der Girosammelverwahrung

Verwahrstellen

Die Organisation der Girosammelverwahrung erfolgt in Deutschland typischerweise durch die Clearstream Banking AG in Frankfurt am Main („Zentralverwahrer“) oder andere dazu befugte Wertpapiersammelbanken. Diese nehmen die betreffenden Wertpapiere entgegen und führen Buch über die jeweils eingelagerten Stücke.

Buchmäßige Zuordnung

Obwohl die betreffenden Wertpapiere physisch nicht mehr für jeden Kontoinhaber einzeln vorhanden sind, erfolgt eine buchmäßige Zuordnung. Jeder Depotkunde erhält einen sogenannten Miteigentumsanteil an der Gesamtheit der bei der Sammelstelle verwahrten Wertpapiere gleicher Gattung.

Eigentumsrechtliche Einordnung

Miteigentum nach Bruchteilen

Nach § 6 DepotG wird der Hinterleger im Regelfall Miteigentümer nach Bruchteilen (§ 1008 BGB) an dem Girosammelbestand. Die Übergabe fungiert gemäß § 929 Satz 1 BGB im Zusammenspiel mit § 6 Abs. 2 DepotG. So entsteht ein Bruchteilseigentum an der Sammelmenge, wobei jeder Beteiligte einen quotalen, nicht individualisierten Anteil hält.

Auswirkungen auf Verfügungsrechte

Durch die Miteigentumskonstruktion kann jeder Beteiligte über seinen Anteil verfügen, ohne dass ein bestimmtes Wertpapierstück herausgegeben wird. Die Übertragung erfolgt durch einfache Umbuchung (sog. „Giroverkehr“). Die Rechtsposition des Depotinhabers wird durch das Mitgliedschaftsrecht respektive das Recht auf Herausgabe eines Wertpapiers gleicher Art und Menge gesichert.

Rechtsverhältnis zwischen Depotkunde und Verwahrstelle

Depotvertrag

Die Verwahrung von Wertpapieren erfolgt auf vertraglicher Grundlage, dem sogenannten Depotvertrag. Rechtsgrundlagen liefert insoweit § 1 DepotG i.V.m. §§ 688 ff. BGB (Verwahrungsvertrag). Der Vertrag resultiert in der Verpflichtung des Verwahrers zur sorgfältigen Aufbewahrung sowie zur ordnungsgemäßen Buchführung über die vereinbarten Wertpapiere.

Haftung und Pflichten

Die Verwahrstelle haftet für den ordnungsgemäßen Umgang mit den Wertpapieren (§ 13 DepotG). In Fällen des Verlustes besteht regelmäßig ein Anspruch auf Wiederherstellung der Besitzstellung oder auf Schadensersatz. Die Haftung kann vertraglich nicht vollständig ausgeschlossen werden, insbesondere gegenüber Verbrauchern besteht ein strenger Haftungsmaßstab.

Weisungsrecht und Verwaltung

Der Depotkunde bleibt im Rahmen der Girosammelverwahrung weisungsberechtigt, etwa im Hinblick auf die Ausübung von Stimmrechten oder Erhalt von Dividenden. Die Sammelverwahrstelle ist verpflichtet, entsprechende Mitteilungen und Weisungen umzusetzen, soweit sie den gesetzlichen Vorgaben und den Geschäftsbedingungen entsprechen.

Abwicklung und Übertragungsvorgänge

Übertragung von Miteigentumsanteilen

Die Girosammelverwahrung erleichtert den Handel und die Übertragung von Wertpapieren erheblich. Im Rahmen des sogenannten Effekten-Giroverkehrs werden lediglich Informationsvermerke in den jeweiligen Wertpapierdepots geändert, ohne dass ein tatsächlicher Übertragungsvorgang der einzelnen Urkunden erforderlich wäre.

Herausgabeanspruch

Der Kunde kann nach § 7 DepotG jederzeit die Herausgabe der bei der Sammelstelle verwahrten Wertpapiere verlangen. Soweit keine physischen Stücke mehr existieren (insbesondere bei sogenannten Globalurkunden), erhält der Kunde den entsprechenden Anteil am Sammelbestand.

Einfluss auf das Insolvenzverfahren

Im Falle einer Insolvenz der Verwahrstelle sind die in Girosammelverwahrung gehaltenen Wertpapiere sondervermögensfähig. Sie gehören nicht zur Insolvenzmasse; die Depotkunden behalten insoweit ihre Miteigentumsrechte und genießen vorrangigen Zugriff nach Maßgabe der aktuellen Miteigentumsanteile.

Vorteile und Risiken der Girosammelverwahrung

Effizienz und Kostenvorteile

Die Girosammelverwahrung ermöglicht den effizienten und kostengünstigen Handel und die Verwahrung von Wertpapieren großer Stückzahlen. Der Aufwand für Besitzwechsel und Lagerhaltung wird im Vergleich zur Einzelverwahrung signifikant reduziert.

Risiken

Risiken bestehen insbesondere bei Fehlbeständen, etwa bei Bestandslücken infolge von Unterschlagungen oder Verwaltungspannen. Auch wenn das Gesetz die Haftung und Wiedergutmachung regelt, können Verzögerungen oder Unsicherheiten in der Durchsetzung bestehen.

Internationale Aspekte

Europäische Harmonisierung

Auf europäischer Ebene wird die Girosammelverwahrung von Wertpapieren im Rahmen des Zentralverwahrlagerungsmodells (z. B. nach der CSDR – Central Securities Depositories Regulation) eingeordnet. Das deutsche Depotgesetz berücksichtigt insoweit europäische Vorgaben zur Effizienz, Sicherheit und Transparenz der Verwahrung.

Cross-Border-Verwahrung

Bei internationalen Effektenverwahrungen wird häufig auf Kooperationsvereinbarungen zwischen den Verwahrstellen (z. B. zwischen Clearstream und Euroclear) zurückgegriffen. Die Rechte der Beteiligten richten sich dabei nach dem jeweils maßgeblichen Recht und den getroffenen Vereinbarungen.

Fazit

Die Girosammelverwahrung stellt einen unverzichtbaren Bestandteil des modernen Wertpapierwesens dar und ist rechtlich detailliert reguliert. Sie ermöglicht eine flexible, sichere und wirtschaftlich effiziente Abwicklung von Wertpapiertransaktionen bei gleichzeitiger Wahrung der Anteilsrechte der Depotkunden. Das Grundprinzip des Miteigentums nach Bruchteilen bietet einen verlässlichen Schutz auch im Fall der Insolvenz des Verwahrers, sodass die Girosammelverwahrung sowohl für Privatpersonen als auch institutionelle Anleger zahlreiche Vorteile bietet.


Hinweis: Die rechtlichen Ausführungen beziehen sich auf die zum Zeitpunkt der Textverfassung geltende Gesetzeslage. Änderungen durch Gesetzesreformen und europäische Vorgaben sind stets zu berücksichtigen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für die Girosammelverwahrung in Deutschland?

Die Girosammelverwahrung von Wertpapieren ist in Deutschland insbesondere durch das Depotgesetz (DepotG) geregelt. Das Gesetz legt fest, unter welchen Voraussetzungen Wertpapiere von einer oder mehreren Depotbanken gemeinschaftlich hinterlegt und verwahrt werden dürfen. Zentral ist hierbei der Grundsatz, dass die hinterlegten Wertpapiere in ein Sammelbestandbuch eingetragen werden und dabei jeder Miteigentümer einen ideellen Anteil am Gesamtbestand erwirbt (sog. Miteigentum nach Bruchteilen gemäß §§ 6 ff. DepotG, § 1008 BGB). Die Depotbanken und die zentrale Verwahrstelle, in Deutschland die Clearstream Banking AG, sind verpflichtet, strikte Sorgfaltspflichten einzuhalten sowie jederzeit eine genaue Zuordnung der Anteilsrechte der einzelnen Depotkunden zu gewährleisten. Ferner ergeben sich regulatorische Anforderungen aus dem Kreditwesengesetz (KWG), der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 über Wertpapierzentralverwahrer (CSDR) sowie ergänzenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Welche Rechte und Pflichten entstehen für Depotinhaber im Rahmen der Girosammelverwahrung?

Im Rahmen der Girosammelverwahrung steht dem Depotinhaber ein Miteigentumsrecht am jeweiligen Girosammelbestand zu. Das bedeutet, der Depotinhaber ist nicht Eigentümer eines konkret bestimmten Wertpapiers, sondern wird Miteigentümer am Sammelbestand aller gleichartigen Wertpapiere, die in der Girosammelverwahrung zusammengeführt werden. Seine Rechte umfassen insbesondere das Recht auf Lieferung (Aussonderungsrecht) und das Recht auf ordnungsgemäße Durchführung von Wertpapiergeschäften (z. B. bei Übertrag oder Verkauf). Die Depotinhaber haben jedoch nicht das Recht, die Herausgabe eines bestimmten Stücks zu verlangen, sondern können die Herausgabe lediglich eines Wertpapiers derselben Gattung verlangen. Die Depotbank ist verpflichtet, die Interessen der Depotinhaber zu wahren, jeden Zugang, Eigentumsübergang und jede Belastung ordnungsgemäß zu dokumentieren und bei Insolvenz Schutzmechanismen zu wahren.

Welche haftungsrechtlichen Aspekte bestehen bei Verlust oder Beschädigung von Wertpapieren in der Girosammelverwahrung?

Kommt es zu einem Verlust oder einer Beschädigung von Wertpapieren im Rahmen der Girosammelverwahrung, haften die Depotbanken und die zentrale Verwahrstelle gegenüber den Depotinhabern gemäß §§ 19 ff. DepotG. Die Depotbank ist grundsätzlich zur Ersatzbeschaffung oder zum Schadensersatz verpflichtet, falls das Wertpapier durch ein schuldhaftes Verhalten oder eine Pflichtverletzung abhandengekommen oder beschädigt worden ist. Im Falle höherer Gewalt oder unverschuldetem Verlust kann diese Haftung eingeschränkt sein, wobei die rechtliche Würdigung immer eine Einzelfallprüfung voraussetzt. Bei Insolvenz der Depotbank gelten die Wertpapiere als Sondervermögen, das nicht in die Insolvenzmasse fällt (§ 1 Abs. 1 S. 2 DepotG).

Welche Mitwirkungspflichten und Informationsrechte haben Depotinhaber?

Depotinhaber haben das Recht, jederzeit Auskunft über den Bestand und die Verwaltung der in der Girosammelverwahrung befindlichen Wertpapiere zu erhalten (§ 9 DepotG). Die Depotbank ist verpflichtet, umfassende und detaillierte Nachweise über sämtliche Bestände und Bewegungen zu führen und den Inhabern diese Informationen auf Verlangen offen zu legen. Die Depotinhaber können außerdem an Hauptversammlungen teilnehmen, sofern sie nachweisen können, dass sich ihr Anteil am entsprechenden Stichtag im Girosammelbestand befunden hat (sog. „Record Date“ gem. § 123 Abs. 4 AktG).

Wie erfolgt die Übertragung von Eigentum an Wertpapieren in der Girosammelverwahrung rechtlich?

Das Eigentum an Wertpapieren in der Girosammelverwahrung wird rechtlich durch Buchung im Sammelbestand übertragen (§ 24 DepotG). Ein physischer Besitzwechsel ist dabei regelmäßig nicht erforderlich, vielmehr erfolgt der Eigentumsübergang durch eine Buchung im Depotregister. Die Übertragung setzt einen wirksamen zivilrechtlichen Verpflichtungsgrund (z. B. Kauf, Schenkung) und eine entsprechende Weisung an die Depotbank voraus. Die Bank oder die Verwahrstelle ist verpflichtet, die Transaktion zeitnah, ordnungsgemäß und nachvollziehbar zu verbuchen.

Welche Besonderheiten bestehen bei der Veröffentlichung und Ausübung von Stimmrechten in der Girosammelverwahrung?

Bei Inhaberpapieren, die girosammelverwahrt werden, besteht häufig das Problem der Identifizierung des jeweiligen Aktionärs. Die Depotbank übernimmt gemäß § 67 AktG sowie den einschlägigen Bestimmungen im DepotG die Aufgabe, ihre Kunden entsprechend der depotrechtlichen Regelungen zur Teilnahme an Hauptversammlungen und zur Ausübung des Stimmrechts zu legitimieren. Hierzu werden spezielle Legitimationsbescheinigungen ausgestellt, die das Recht zur Teilnahme an der Versammlung und zur Stimmabgabe gegenüber der Gesellschaft belegen. Die Depotbanken sind verpflichtet, die Stimmrechtsausübung im Sinne des Depotinhabers sicherzustellen, soweit diese beauftragt und bevollmächtigt werden.

Wie werden Ertragsansprüche (z. B. Dividenden, Zinsen) im Rahmen der Girosammelverwahrung abgewickelt?

Die Abwicklung von Erträgen wie Dividenden, Zinserträgen oder Bezugsrechten erfolgt in der Girosammelverwahrung über den sogenannten Kollektiven Zahlungsausgleich. Die Erträge werden der Verwahrstelle zentral von der Emittentin überwiesen und im Anschluss von der zentralen Stelle auf die beteiligten Depotbanken und anschließend auf die einzelnen Depotinhaber verteilt. Juristisch gesehen resultiert der Anspruch auf die Ertragszahlung direkt aus dem Miteigentumsanteil am Girosammelbestand (§ 6 DepotG). Die Depotbank ist verpflichtet, jeden Zahlungseingang unverzüglich und korrekt an die berechtigten Depotinhaber weiterzuleiten und entsprechende Buchungen vorzunehmen. Steuerlich relevante Informationen (wie Kapitalertragssteuer) müssen ebenfalls ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt werden.