Begriff und Einordnung von Gewaltdelikten
Gewaltdelikte bezeichnen Straftaten, die durch den Einsatz körperlicher Kraft oder durch die Androhung erheblicher Nachteile gegen Menschen begangen werden. Der Begriff ist kein fest umgrenzter Gesetzesbegriff, sondern eine Sammelbezeichnung. Er wird in der Praxis genutzt, um Taten zu ordnen, bei denen die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder die Sicherheit einer Person unmittelbar angegriffen werden. Auch Vermögensdelikte mit Gewalt gegen Personen zählen hierzu, etwa wenn jemandem durch Gewalt eine Sache weggenommen wird.
Geschützte Rechtsgüter
Gewaltdelikte richten sich typischerweise gegen Individualinteressen. Dazu gehören insbesondere Leben und körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, sexuelle Selbstbestimmung sowie – bei raubähnlichen Taten – das Vermögen in Verbindung mit einem Eingriff in die körperliche Integrität oder Selbstbestimmung.
Arten von Gewaltdelikten
Delikte gegen Leib und Leben
- Tötungsdelikte in unterschiedlichen Schweregraden
- Körperverletzungsdelikte von einfachen bis zu schweren und gefährlichen Formen
Delikte gegen Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung
- Freiheitsberaubung, Geiselnahme und ähnliche Freiheitsdelikte
- Sexualdelikte, bei denen Gewalt, Drohung oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage eingesetzt wird
- Nötigung durch Gewalt oder Drohung
Delikte gegen das Vermögen unter Einsatz von Gewalt
- Raub und raubähnliche Erpressung
- Erpressung mit Drohung erheblicher Nachteile
Nähe- und Beziehungsgewalt
Gewalttaten können im sozialen Nahraum auftreten, etwa in Partnerschaften oder Familien. Hier geht es häufig um wiederholte Körperverletzungen, Bedrohungen, Freiheitsberaubung oder sexualisierte Gewalt. Die rechtliche Bewertung orientiert sich an den allgemeinen Tatbestandsmerkmalen, unabhängig vom Verhältnis zwischen Täter und Opfer.
Rechtliche Merkmale von Gewalt
Physische Gewalt
Physische Gewalt ist jede unmittelbare oder mittelbare Kraftentfaltung gegen den Körper eines Menschen, die geeignet ist, Widerstand zu überwinden oder die körperliche Integrität zu beeinträchtigen. Dazu zählen Schläge, Tritte, Festhalten, Fesseln oder der Einsatz von Substanzen, die körperliche Wirkungen hervorrufen.
Drohung und psychische Gewalt
Gewalt kann sich auch in der Drohung mit einem empfindlichen Übel äußern, das geeignet ist, den Willen einer Person zu beugen. Hierzu gehören die Ankündigung von körperlichen Angriffen, der Einsatz von Scheinwaffen, das Drohen mit schweren Nachteilen oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage. Entscheidend ist, dass die Drohung ernsthaft erscheint und die Entscheidungsfreiheit der bedrohten Person erheblich beeinträchtigt.
Waffen und gefährliche Werkzeuge
Der Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen ist rechtlich bedeutsam. Gegenstände, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder der konkreten Verwendung erhebliche Verletzungen hervorrufen können, werden in der Bewertung regelmäßig schärfer berücksichtigt. Auch das Mitführen kann eine Rolle spielen, wenn dadurch die Gefährlichkeit der Tat gesteigert wird.
Auswirkungen auf Einordnung und Strafzumessung
Art und Intensität der Gewalt, der Einsatz von Waffen, die Zahl der Beteiligten, die Abwehrmöglichkeit des Opfers sowie die Schwere der Verletzungsfolgen beeinflussen die rechtliche Einordnung und die Strafzumessung. Gewalt gegen besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder oder alte Menschen wird typischerweise strenger bewertet.
Tatablauf, Versuch und Beteiligung
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Viele Gewaltdelikte setzen vorsätzliches Handeln voraus, also das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Fahrlässige Begehungsformen betreffen eher Konstellationen, in denen Verletzungen oder Todesfolgen unbeabsichtigt herbeigeführt werden, ohne einen gezielten Einsatz von Gewalt gegen Personen.
Versuch
Der Versuch eines Gewaltdelikts kann strafbar sein, wenn der Täter nach seiner Vorstellung zur Tat ansetzt, die Vollendung aber ausbleibt. Der Rücktritt vom Versuch ist rechtlich bedeutsam und kann die Verantwortlichkeit mindern. Die genauen Voraussetzungen hängen von der Deliktsart ab.
Täterschaft und Teilnahme
Zu unterscheiden sind Alleintäter, Mittäter (gemeinschaftliche Begehung) sowie Anstifter und Gehilfen. Bei Gewaltdelikten kommt es häufig auf das Zusammenwirken mehrerer Personen an. Absprachen, Tatbeiträge und Rollenverteilung werden bei der Bewertung und Zumessung berücksichtigt.
Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe
Nicht jede körperliche Einwirkung ist rechtswidrig. Rechtfertigungsgründe können insbesondere Selbstverteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff oder die wirksame Einwilligung in bestimmte, sozial üblich akzeptierte Eingriffe sein, etwa bei reglementierten sportlichen Auseinandersetzungen. Rechtfertigungsgründe sind eng begrenzt und an strenge Voraussetzungen gebunden.
Strafprozessuale Aspekte
Ermittlungsverfahren
Gewaltdelikte werden im Ermittlungsverfahren durch Polizei und Staatsanwaltschaft aufgeklärt. Typische Beweismittel sind Zeugen- und Beschuldigtenaussagen, sachverständige Begutachtungen, medizinische Befunde, Spuren und Bildmaterial. Die Glaubhaftigkeit von Aussagen und die Plausibilität von Verletzungsbildern sind häufig zentrale Fragen.
Offizialprinzip und Strafantrag
Viele Gewaltdelikte werden von Amts wegen verfolgt. Bei weniger schweren Konstellationen kann ein Strafantrag erforderlich sein oder das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung geprüft werden. Im Nähebereich kann die Verfolgung unabhängig vom Antrag erfolgen, wenn die Schutzbedürftigkeit besonders hoch ist.
Haft und Schutzmaßnahmen
In gravierenden Fällen können Untersuchungshaft oder einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Verfahrens in Betracht kommen. Zum Schutz von Betroffenen stehen verfahrensbegleitende Vorkehrungen zur Verfügung, etwa besondere Vernehmungsformen, Schutz der Privatsphäre und Unterstützung durch begleitende Hilfen. Zivilrechtliche Schutzanordnungen können gesondert erwirkt werden.
Rechtsfolgen und Nebenfolgen
Strafen und Maßregeln
Als Rechtsfolgen kommen Geld- oder Freiheitsstrafen in Betracht. In Frage kommen außerdem Maßregeln wie Therapieauflagen, Führungsaufsicht oder Kontakt- und Aufenthaltsauflagen. Die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist abhängig von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten.
Eintragungen und weitere Konsequenzen
Verurteilungen wegen Gewaltdelikten werden in das Strafregister eingetragen und können in behördlichen Auskünften sichtbar sein. Das kann Auswirkungen auf berufliche Perspektiven, waffenrechtliche Erlaubnisse oder Zuverlässigkeitsprüfungen haben.
Schadensersatz und Schmerzensgeld
Neben der staatlichen Sanktion kommen zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Betracht. Diese können gesondert geltend gemacht oder unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Strafverfahren verbunden werden.
Jugendliche und Heranwachsende
Bei Jugendlichen und Heranwachsenden stehen erzieherische Maßnahmen im Vordergrund. Reaktion und Sanktionierung richten sich stärker nach der Persönlichkeit, der Reife und der Lebenssituation. Freiheitsentzug bleibt möglich, wird jedoch zurückhaltend angewendet und durch erzieherische Angebote begleitet.
Abgrenzungen und Grenzfälle
Nicht jede unerwünschte Einwirkung ist Gewalt im Rechtssinn. Reine Sachbeschädigungen ohne Angriff auf Personen fallen nicht darunter. Bloße Belästigungen oder Beleidigungen ohne Gewalt- oder Drohkomponente sind abzugrenzen. Andererseits können Bedrohungen oder Freiheitsbeschränkungen ohne körperliche Verletzungen Gewaltdelikte sein, wenn sie den Willen brechen oder die körperliche Freiheit entziehen.
Kriminologische Verwendung des Begriffs
In der polizeilichen und kriminologischen Praxis dient der Begriff zur statistischen Erfassung von Taten, bei denen Personen durch Gewalt oder Drohung betroffen sind. Er bündelt verschiedene Deliktsgruppen, um Entwicklungen, Risikofaktoren und Belastungen zu analysieren. Statistische Kategorien können von der rechtlichen Einordnung im Einzelfall abweichen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was versteht man unter Gewaltdelikten?
Gewaltdelikte sind Straftaten, bei denen gegen Personen körperliche Gewalt angewendet oder erhebliche Nachteile angedroht werden, um Widerstand zu überwinden oder Handlungen zu erzwingen. Dazu zählen insbesondere Taten gegen Leib und Leben, Freiheits- und Sexualdelikte sowie Vermögensdelikte mit Gewaltbezug wie Raub.
Gehören Drohungen ohne körperliche Verletzung zu Gewaltdelikten?
Ja, wenn die Drohung ernsthaft und geeignet ist, den Willen einer Person zu beugen. Dazu zählen etwa Nötigung durch Drohung oder raubähnliche Erpressung. Entscheidend ist die erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit.
Sind Sexualdelikte immer Gewaltdelikte?
Sexualdelikte sind Gewaltdelikte, wenn Gewalt, Drohung oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage vorliegen. Im Mittelpunkt steht die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung. Einvernehmliche Handlungen fallen nicht darunter.
Istanerkannt, dass Kampfsport oder körperliche Auseinandersetzungen mit Einwilligung gerechtfertigt sein können?
Eine wirksame Einwilligung kann körperliche Einwirkungen in einem sozial anerkannten Rahmen rechtfertigen, etwa bei reglementiertem Kampfsport. Grenzen bestehen dort, wo die Risiken das sozial Übliche überschreiten oder die Einwilligung aus Schutzgründen nicht greift.
Ist der Versuch eines Gewaltdelikts strafbar?
Der Versuch kann strafbar sein, wenn der Täter nach seiner Vorstellung zur Tat ansetzt, die Vollendung aber ausbleibt. Ob und in welchem Umfang dies gilt, hängt von der jeweiligen Deliktsart ab. Ein Rücktritt vom Versuch ist rechtlich bedeutsam.
Werden Gewaltdelikte immer von Amts wegen verfolgt?
Viele Gewaltdelikte unterliegen dem Offizialprinzip. Bei weniger schweren Fällen kann ein Strafantrag erforderlich sein oder das öffentliche Interesse geprüft werden. Im Nähebereich wird teilweise unabhängig vom Antrag verfolgt, wenn besondere Schutzbedürftigkeit besteht.
Welche Faktoren beeinflussen die Strafhöhe bei Gewaltdelikten?
Einfluss haben insbesondere Art und Intensität der Gewalt, der Einsatz von Waffen, die Schwere der Verletzungen, die Planungsdichte, die Zahl der Beteiligten, die Lage des Opfers sowie Vorbelastungen und das Verhalten nach der Tat, etwa Einsicht oder Wiedergutmachungsbemühungen.
Wie lange verjähren Gewaltdelikte?
Die Verjährungsfristen richten sich nach der Schwere der Tat. Besonders gravierende Delikte verjähren sehr spät oder gar nicht, weniger schwere Gewaltdelikte haben kürzere Fristen. Maßgeblich ist die gesetzliche Einordnung der konkreten Tat.