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Gewahrsamsbruch

Gewahrsamsbruch: Begriff und Bedeutung

Gewahrsamsbruch bezeichnet die Aufhebung der tatsächlichen Herrschaft einer Person über eine bewegliche Sache ohne oder gegen deren Willen. Er ist das zentrale Element der Wegnahme und damit für eine Reihe von Eigentums- und Vermögensdelikten von grundlegender Bedeutung. Der Vorgang setzt voraus, dass der bestehende Herrschaftsbereich über die Sache beendet und zugleich ein neuer Herrschaftsbereich beim Täter oder einem Dritten begründet wird. Maßgeblich ist dabei nicht das zivilrechtliche Eigentum, sondern die sozial anerkannte, tatsächliche Zugriffsmacht.

Der Begriff des Gewahrsams

Inhalt: tatsächliche Sachherrschaft und Herrschaftswille

Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Es geht um die faktische Zugriffsmöglichkeit innerhalb einer anerkannten Sphäre (zum Beispiel Wohnung, Geschäftsräume, Arbeitsbereich), die es einer Person erlaubt, über eine Sache nach sozialen Maßstäben zu verfügen. Der Herrschaftswille kann ausdrücklich oder stillschweigend bestehen; er wird oft aus den Umständen abgeleitet.

Sozial-normative Betrachtung

Ob Gewahrsam vorliegt, wird sozial-normativ bewertet. Es kommt darauf an, wie die Machtverhältnisse an der Sache nach der Verkehrsanschauung zuzuordnen sind. So kann jemand Gewahrsam haben, obwohl die Sache nicht unmittelbar in der Hand gehalten wird, wenn sie sich in einem beherrschten Bereich befindet (etwa im verschlossenen Büro oder im abgestellten Fahrzeug).

Formen des Gewahrsams

Alleingewahrsam

Eine Person hat die alleinige tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Beispiel: Der Inhalt der eigenen Handtasche oder die privat genutzte Werkzeugkiste.

Mitgewahrsam

Mehrere Personen teilen sich die tatsächliche Herrschaft, etwa in einer Wohngemeinschaft über gemeinsam genutzte Gegenstände. Die Entnahme durch einen Außenstehenden kann den Mitgewahrsam aller Betroffenen brechen.

Gewahrsam durch Dritte im sozialen Verband

In Haushalten und Unternehmen kann Gewahrsam arbeitsteilig organisiert sein. Mitarbeitende üben regelmäßig Gewahrsam im Rahmen ihrer Aufgaben aus; die Betriebsinhaberin oder der Betriebsinhaber behält daneben typischerweise übergeordnete Herrschaft.

Gewahrsamsenklave

Wird eine Sache in einen höchstpersönlich beherrschten Bereich verbracht (z. B. in die Kleidung oder enge Körpernähe), kann dort eine „Enklave“ des Gewahrsams entstehen. Das ist insbesondere in Selbstbedienungssituationen bedeutsam.

Der Bruch: Wann liegt ein Gewahrsamsbruch vor?

Voraussetzungen des Gewahrsamsbruchs

  • Aufhebung des bisherigen Gewahrsams: Der frühere Gewahrsamsinhaber verliert die tatsächliche Herrschaft derart, dass er nicht mehr ohne Weiteres zugreifen kann.
  • Begründung neuen Gewahrsams: Der Täter oder ein Dritter erlangt eine eigenständige tatsächliche Herrschaftsposition.
  • Ohne oder gegen den Willen des bisherigen Inhabers: Ein fehlendes oder nur vorgetäuschtes Einverständnis genügt.

Einverständnis, Irrtum und Täuschung

Ein wirksames Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers schließt einen Bruch aus. Wird der Wille jedoch durch Täuschung so beeinflusst, dass die Sache lediglich scheinbar freigegeben wird, kann ein Einverständnis fehlen. Ob ein Gewahrsamsbruch oder eine einverständliche Übergabe vorliegt, richtet sich danach, ob der frühere Inhaber seine Sachherrschaft willentlich und bewusst aufgibt oder ob der Täter sie unabhängig davon faktisch entzieht.

Bloße Gewahrsamslockerung

Keine Aufhebung liegt vor, wenn lediglich eine vorübergehende Lockerung eintritt und der frühere Inhaber weiterhin ohne nennenswerte Hindernisse zugreifen kann. Entscheidend ist, ob nach der Verkehrsanschauung die Sache noch dem Machtbereich des bisherigen Inhabers zugerechnet wird.

Selbstbedienungssituationen

In Geschäften verbleibt der ursprüngliche Gewahrsam regelmäßig beim Inhaber, solange die Ware im allgemeinen Verkaufsraum verbleibt. Wird Ware verdeckt in Kleidung oder unmittelbare Körpernähe verbracht, kann dies bereits die Begründung neuen Gewahrsams bedeuten, während der frühere Gewahrsam gebrochen wird. Erfolgt die Mitnahme offen im Einkaufswagen, wird der Gewahrsam des Geschäfts in der Regel erst beim Passieren der Kasse mit Einverständnis aufgegeben.

Abgrenzungen zu verwandten Sachverhalten

Eigentum und Gewahrsam

Gewahrsam ist unabhängig vom Eigentum. Auch der Eigentümer kann fremden Gewahrsam brechen, wenn er die Sache aus dem Herrschaftsbereich eines anderen ohne dessen Willen entfernt.

Kein Bruch bei freiwilliger Gewahrsamsübertragung

Gibt der Gewahrsamsinhaber die Sache bewusst und gewollt heraus, liegt kein Bruch vor. Ob die Herausgabe aufgrund eines Irrtums geschieht, kann für die rechtliche Einordnung bedeutsam sein und erfordert eine Betrachtung des konkreten Geschehens.

Anvertraute Sachen

Wer eine Sache im Einverständnis erhält (etwa zur Verwahrung oder Nutzung) und sie später für sich behält, hebt keinen fremden Gewahrsam auf. In solchen Konstellationen kommt eher eine andere rechtliche Bewertung in Betracht, die ohne Gewahrsamsbruch auskommt.

Verlorene oder herrenlose Sachen

Ist der frühere Gewahrsam bereits vollständig aufgegeben oder verloren gegangen (zum Beispiel bei herrenlosen oder liegen gelassenen Gegenständen ohne fortbestehenden Herrschaftsbereich), fehlt es am Bruch. Die Aneignung kann dennoch rechtlich relevant sein, folgt aber anderen Regeln.

Besondere Konstellationen

Mit- und Übergeordneter Gewahrsam

Bei Mitgewahrsam mehrerer Personen wird der Bruch bereits durch die Aufhebung eines Beteiligten ausgelöst, wenn die Entziehung die gemeinsame Herrschaft betrifft. In Betrieben kann neben dem unmittelbaren Gewahrsam der Mitarbeitenden ein „übergeordneter“ Gewahrsam der Unternehmensleitung bestehen.

Gewahrsam in Haushalten

In Familienhaushalten sind Gegenstände oft gemeinschaftlich beherrscht. Kinder können an Sachen im unmittelbaren Körper- oder Obhutsbereich eigenen Gewahrsam haben; daneben besteht typischerweise Mitgewahrsam der Erziehungsberechtigten.

Transport, Versand und Lager

Beim Transport geht die tatsächliche Herrschaft regelmäßig auf das beauftragte Unternehmen über; Absender und Empfänger können je nach Absprache und tatsächlicher Organisation Mitgewahrsam behalten. Entnahmen aus Paketen, Containern oder Lagern werden nach der Zuordnung des Herrschaftsbereichs bewertet.

Stadien des Tatablaufs: Versuch, Vollendung, Beendigung

Versuch

Der Versuch beginnt, sobald der Täter zur Aufhebung des fremden Gewahrsams unmittelbar ansetzt. Dies ist der Fall, wenn das Geschehen ohne wesentliche Zwischenschritte in die Aufhebung übergehen soll.

Vollendung

Vollendet ist die Wegnahme, wenn der frühere Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Es genügt, dass der Täter die Sache derart in seine tatsächliche Herrschaft bringt, dass der bisherige Inhaber nicht mehr ohne Weiteres zugreifen kann.

Beendigung

Beendigung liegt vor, wenn der Täter die Sache gesichert hat und der Zugriff des früheren Inhabers praktisch ausgeschlossen ist. Dieses Stadium ist insbesondere für die Beurteilung weiterer Begleitakte bedeutsam.

Beteiligung und Zurechnung

Arbeiten mehrere Personen zusammen, ist maßgeblich, wem die Aufhebung des fremden Gewahrsams zugerechnet wird. Mittäterschaft setzt eine gemeinsame, auf die Wegnahme bezogene Tatplanung und Tatherrschaft voraus. Leistet jemand nur Hilfe, ohne den Bruch selbst zu bewirken, kommt eine untergeordnete Beteiligung in Betracht.

Beweisfragen und typische Indizien

  • Verbringung in persönliche Sphären (Kleidung, verschlossene Behältnisse) spricht für neuen Gewahrsam.
  • Verlassen des herrschenden Bereichs des früheren Inhabers (zum Beispiel Kasse, Ausgang) indiziert den Bruch.
  • Heimliches Vorgehen, Verdeckungshandlungen oder Umgehung von Sicherungen deuten auf fehlendes Einverständnis.
  • Offene Übergabe, Quittierung oder Kontrollvorgänge sprechen eher gegen einen Bruch.

Rechtliche Einordnung und Bedeutung

Der Gewahrsamsbruch grenzt wegnehmende Delikte von solchen ab, die eine einverständliche Vermögensverschiebung zum Inhalt haben. Er entscheidet über Vollendung, Beteiligungsform, Qualifikationen bei Anwendung von Gewalt und über die Abgrenzung zu Fällen der späteren Zueignung anvertrauter Gegenstände. Damit hat er zentrale Bedeutung für Bewertung, Schuldumfang und Einordnung des Geschehens.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Gewahrsamsbruch

Was bedeutet Gewahrsamsbruch in einfachen Worten?

Es handelt sich um das Beenden der tatsächlichen Kontrolle einer Person über eine Sache und das Herstellen eigener Kontrolle darüber, ohne oder gegen den Willen der bisherigen Kontrollperson.

Reicht das bloße Anfassen einer Sache für einen Gewahrsamsbruch?

Nein. Entscheidend ist, ob der bisherige Inhaber seine tatsächliche Herrschaft verliert und der Täter eine eigenständige Herrschaft erlangt. Kurzzeitige Berührungen ohne Herrschaftswechsel genügen nicht.

Ist das Einstecken von Ware im Supermarkt bereits ein Gewahrsamsbruch?

Wird Ware verdeckt in Kleidung oder in unmittelbare Körpernähe verbracht, kann darin die Begründung neuen Gewahrsams liegen, wodurch der frühere Gewahrsam gebrochen wird. Das Ablegen in einen Einkaufswagen begründet demgegenüber meist noch keinen eigenen Gewahrsam.

Liegt ein Gewahrsamsbruch vor, wenn mir jemand freiwillig eine Sache übergibt?

Bei bewusster und gewollter Übergabe fehlt der Bruch. Wird die Herausgabe jedoch durch Täuschung veranlasst, kann ein wirksames Einverständnis fehlen, sodass ein Bruch in Betracht kommt.

Wer hat Gewahrsam in einem Haushalt oder Unternehmen?

Gewahrsam kann gemeinsam oder gestuft bestehen. In Haushalten teilen sich oft mehrere Personen die tatsächliche Herrschaft. In Unternehmen haben Mitarbeitende Gewahrsam im Rahmen ihrer Aufgaben; daneben besteht meist ein übergeordneter Gewahrsam der Unternehmensleitung.

Ab wann ist eine Wegnahme vollendet?

Die Wegnahme ist vollendet, sobald der fremde Gewahrsam aufgehoben und neuer Gewahrsam beim Täter begründet ist, sodass der frühere Inhaber nicht mehr ohne Weiteres zugreifen kann.

Worin unterscheidet sich Gewahrsamsbruch von der späteren Zueignung anvertrauter Sachen?

Bei anvertrauten Sachen wird der Gewahrsam zunächst einverständlich übertragen; ein Bruch findet nicht statt. Erst die spätere Aneignung oder Nicht-Rückgabe kann rechtlich relevant werden, jedoch ohne den Akt des Gewahrsamsbruchs.