Gesetzliches Vermächtnis: Bedeutung, Einordnung und Anwendungsfälle
Als gesetzliches Vermächtnis werden Ansprüche bezeichnet, die im Todesfall unmittelbar durch das Gesetz entstehen und bestimmten Personen Vorteile aus dem Nachlass verschaffen. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Vermächtnis, das auf einer letztwilligen Verfügung beruht, knüpft das gesetzliche Vermächtnis nicht an eine Anordnung des Erblassers an. Es verleiht dem Berechtigten typischerweise einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben auf Herausgabe bestimmter Gegenstände oder Leistungen.
Abgrenzung zu Erbteil und Pflichtteil
Der Erbteil vermittelt eine unmittelbare Beteiligung am Nachlass als Gesamtheit. Der Pflichtteil ist ein auf Geld gerichteter Mindestanspruch naher Angehöriger, wenn diese von der Erbfolge ausgeschlossen sind oder weniger erhalten. Das gesetzliche Vermächtnis ist demgegenüber ein zusätzlicher, inhaltlich begrenzter Anspruch auf einzelne Vermögenswerte oder Leistungen, der neben einer Erbenstellung bestehen kann oder auch unabhängig von einer Erbenstellung entstehen kann, je nach Ausgestaltung durch das Gesetz.
Rechtsnatur und Durchsetzung
Das gesetzliche Vermächtnis begründet einen Anspruch gegen die Erben. Der Berechtigte wird nicht automatisch Eigentümer des Gegenstands; vielmehr muss der Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch entsteht mit dem Erbfall und richtet sich auf Erfüllung in Natur (z. B. Herausgabe eines Gegenstands) oder, wenn dies nicht möglich oder vorgesehen ist, auf einen Wertersatz. Er mindert den für die Erben verbleibenden Nachlasswert.
Typische Erscheinungsformen gesetzlicher Vermächtnisse
Voraus des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners
Ein verbreiteter Fall eines gesetzlichen Vermächtnisses ist der sogenannte Voraus. Wird der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner Erbe, kann ihm kraft Gesetzes zusätzlich zu seinem Erbteil ein Anspruch auf bestimmte Haushaltsgegenstände und Zuwendungen aus dem gemeinsamen Lebensbereich zustehen. Ziel ist die Sicherung der bisherigen Lebensführung und der Fortführung des Haushalts.
Inhalt und Umfang
Der Voraus betrifft typischerweise Gegenstände des gemeinsamen Haushalts sowie besondere Zuwendungen aus Anlass der Eheschließung oder der Lebenspartnerschaft. Der konkrete Umfang hängt von den Lebensverhältnissen, der Zusammensetzung des Haushalts und der Beteiligung weiterer Miterben ab.
Verhältnis zu Miterben
Der Voraus ist ein zusätzlicher Anspruch gegenüber den Miterben und wird unabhängig vom Erbteil des überlebenden Ehegatten erfüllt. Dadurch kann sich die an die übrigen Miterben zu verteilende Nachlassmasse verringern. Der Anspruch setzt regelmäßig voraus, dass der überlebende Partner tatsächlich Miterbe ist; bei einem ausschließlichen Pflichtteilsrecht entfällt der Voraus in der Regel.
Dreißigster: Unterhalt für 30 Tage nach dem Erbfall
Der sogenannte „Dreißigster“ ist ein zeitlich befristeter Unterhaltsanspruch, der mit dem Erbfall kraft Gesetzes entsteht. Er dient der kurzfristigen Absicherung des bisherigen Haushalts nach dem Tod.
Berechtigtenkreis und Leistungspflicht
Begünstigt sind Personen, die im Haushalt des Erblassers gelebt und von ihm Unterhalt bezogen haben. Die Erben haben diesen Personen für einen Zeitraum von 30 Tagen nach dem Erbfall angemessenen Unterhalt zu gewähren. Der Anspruch ist auf die Überbrückung der unmittelbaren Übergangsphase ausgerichtet.
Umfang der Leistungen
Der Unterhalt umfasst den angemessenen Lebensbedarf im bisherigen Rahmen des Haushalts. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den individuellen Verhältnissen, der Nachlasssituation und dem bisherigen Unterhaltsniveau.
Weitere gesetzlich angeordnete vermächtnisähnliche Ansprüche
Neben Voraus und Dreißigster kennt das Recht einzelne weitere Konstellationen, in denen nahestehende Personen aus dem Nachlass unabhängig von einer letztwilligen Anordnung begünstigt werden. Diese Ansprüche verfolgen regelmäßig Schutz- und Sicherungszwecke (etwa Erhaltung des Haushalts oder kurzfristige Versorgung). Inhalt, Berechtigtenkreis und Reichweite sind jeweils gesetzlich festgelegt.
Entstehung, Fälligkeit und Rang im Nachlass
Entstehung mit dem Erbfall
Gesetzliche Vermächtnisse entstehen automatisch mit dem Tod des Erblassers. Eine ausdrückliche Geltendmachung kann zur Durchsetzung erforderlich sein, etwa gegenüber den Miterben oder dem Nachlassverwalter. Die Erfüllung erfolgt aus dem Nachlass.
Rang und Durchsetzbarkeit
Die Erfüllung gesetzlicher Vermächtnisse steht in einem geordneten Verhältnis zu sonstigen Nachlassverbindlichkeiten. Vorrangig sind typischerweise bestehende Schulden des Erblassers sowie Kosten der Beerdigung und Nachlassabwicklung zu berücksichtigen. Reicht der Nachlass nicht aus, kann dies zu einer anteiligen Kürzung oder Nichterfüllung von Vermächtnisansprüchen führen.
Verjährung
Für gesetzliche Vermächtnisse gelten allgemeine Verjährungsregeln. Der Lauf beginnt regelmäßig mit dem Erbfall oder der Kenntnis des Berechtigten von den anspruchsbegründenden Umständen. Der genaue Beginn und die Dauer hängen von den jeweiligen Umständen ab.
Gestaltungsfreiraum, Ausschluss und Wechselwirkung mit anderen Rechten
Verhältnis zur Testierfreiheit
Die Testierfreiheit ermöglicht es, den Nachlass durch letztwillige Verfügung abweichend zu ordnen. Inwieweit gesetzliche Vermächtnisse dadurch eingeschränkt, modifiziert oder ausgeschlossen werden können, hängt vom jeweiligen gesetzlichen Anspruch ab. Teilweise ist eine Abbedingung ganz oder teilweise möglich, teilweise sind die Schutzwirkungen gesetzlich fest verankert.
Zusammenspiel mit Pflichtteil und Erbteil
Gesetzliche Vermächtnisse bestehen typischerweise neben einer Erbenstellung und erhöhen deren Vorteil. Wird anstelle der Erbenstellung nur der Pflichtteil verlangt, entfällt ein gesetzliches Vermächtnis, das die Erbenstellung voraussetzt. Umgekehrt kann ein gesetzliches Vermächtnis die Höhe des verbleibenden Nachlasses und damit die wirtschaftliche Reichweite von Pflichtteilsansprüchen beeinflussen.
Steuerliche Behandlung
Gesetzliche Vermächtnisse gelten als Erwerb von Todes wegen. Ihre steuerliche Einordnung orientiert sich an den allgemeinen Grundsätzen für Erwerbe aus dem Nachlass, einschließlich der maßgeblichen Freibeträge und Steuerklassen. Die konkrete steuerliche Bewertung richtet sich nach Art und Wert des erlangten Vorteils.
Beispiele aus der Praxis
Haushaltsfortführung durch den Voraus
Der überlebende Ehegatte wird Miterbe. Neben seiner Erbquote erhält er aus dem Voraus die zur Fortführung des Haushalts notwendigen Gegenstände. Die Miterben haben die entsprechenden Sachen herauszugeben; der Nachlass vermindert sich um deren Wert.
Überbrückung durch den Dreißigster
Eine im Haushalt des Erblassers lebende, unterhaltsberechtigte Person erhält für 30 Tage nach dem Erbfall Unterhalt aus dem Nachlass. Die Erben tragen diese Leistung als Nachlassverbindlichkeit.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum gesetzlichen Vermächtnis
Was ist ein gesetzliches Vermächtnis?
Es handelt sich um einen Anspruch, der ohne Testament allein durch das Gesetz entsteht und bestimmten Personen einen Vorteil aus dem Nachlass verschafft, etwa die Herausgabe von Haushaltsgegenständen oder die Gewährung eines zeitlich befristeten Unterhalts.
Wer kann ein gesetzliches Vermächtnis erhalten?
Typischerweise sind dies der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner (Voraus) sowie Personen, die im Haushalt des Erblassers gelebt und Unterhalt bezogen haben (Dreißigster). Der genaue Kreis hängt vom jeweiligen gesetzlichen Anspruch ab.
Entsteht ein gesetzliches Vermächtnis auch ohne Testament?
Ja. Es entsteht mit dem Erbfall automatisch, unabhängig davon, ob eine letztwillige Verfügung existiert. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den gesetzlichen Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsart.
Wie unterscheidet es sich vom Pflichtteil?
Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch als Mindestbeteiligung, wenn nahe Angehörige nicht Erben werden. Das gesetzliche Vermächtnis ist ein gesonderter Anspruch auf bestimmte Leistungen oder Gegenstände und kann zusätzlich zu einer Erbenstellung bestehen.
Kann der Erblasser gesetzliche Vermächtnisse ausschließen?
Das hängt von der jeweiligen Anspruchsart ab. Bei einzelnen gesetzlichen Vermächtnissen ist eine abweichende Anordnung möglich, bei anderen bestehen Schutzmechanismen, die einen Ausschluss begrenzen.
Wie wirkt sich ein gesetzliches Vermächtnis auf die Erbquote aus?
Es wird zusätzlich zu bestehenden Erbquoten erfüllt und mindert damit die verbleibende Nachlassmasse, die unter den Erben verteilt wird. Dadurch kann sich der wirtschaftliche Wert der Erbteile der übrigen Miterben verringern.
Was passiert, wenn der Nachlass nicht ausreicht?
Sind vorrangige Nachlassverbindlichkeiten zu decken oder ist die Nachlassmasse unzureichend, können gesetzliche Vermächtnisse gekürzt werden oder teilweise unsubstantiiert bleiben. Die Erfüllung richtet sich nach der vorhandenen Nachlasssubstanz.
Wann verjährt der Anspruch aus einem gesetzlichen Vermächtnis?
Es gelten die allgemeinen Verjährungsregeln. Der Lauf beginnt regelmäßig mit dem Erbfall oder der Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände. Die konkrete Dauer hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.