Begriff und Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens
Das Gesetzgebungsverfahren ist der geordnete Prozess, in dem allgemeine, verbindliche Regeln (Gesetze) vorbereitet, beraten, beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Es dient der demokratischen Willensbildung, der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit. In Deutschland ist es geprägt durch die Zusammenarbeit mehrerer Verfassungsorgane, die Beteiligung der Länder und die Veröffentlichung im amtlichen Verkündungsblatt.
Normstufen und Zuständigkeiten
Gesetze stehen in der Normenhierarchie über Verordnungen und Satzungen. Zuständig für Bundesgesetze ist der Bund, für Landesgesetze die Länder. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen folgt dem Grundsatz, dass der Bund nur tätig wird, wenn ihm eine Kompetenz zugewiesen ist oder wenn die Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse beziehungsweise die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit dies erfordert. Landesparlamente sind für alle übrigen Bereiche zuständig.
Phasen des Bundesgesetzgebungsverfahrens
Gesetzesinitiative
Ein Gesetzgebungsverfahren beginnt mit einem Gesetzentwurf. Initiativberechtigt sind die Bundesregierung, der Bundesrat oder Mitglieder des Bundestages (in der Regel Fraktionen oder eine ausreichend große Gruppe von Abgeordneten). Entwürfe der Bundesregierung werden dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet; die Bundesregierung kann darauf mit einer Gegenäußerung reagieren. Entwürfe aus dem Bundesrat gehen an die Bundesregierung, die sie an den Bundestag weiterleitet. Entwürfe aus der Mitte des Bundestages werden unmittelbar dort eingebracht.
Beratung im Bundestag
Erste Lesung
In der ersten Lesung findet die Grundsatzdebatte statt. Der Bundestag überweist den Entwurf anschließend an die fachlich zuständigen Ausschüsse.
Ausschussphase und Anhörungen
Die Ausschüsse beraten den Entwurf inhaltlich, erarbeiten Änderungsvorschläge und bereiten eine Beschlussempfehlung vor. Häufig werden Sachverständige und Interessenvertretungen in öffentlichen Anhörungen angehört, um Auswirkungen und Optionen zu beleuchten. Die Ausschussarbeit ist die zentrale Arbeitsphase, in der der Entwurf fachlich ausgeformt wird.
Zweite und dritte Lesung
In der zweiten Lesung werden Änderungen beraten und einzeln oder im Paket abgestimmt. Die dritte Lesung dient der Schlussdebatte und der Schlussabstimmung über den gesamten Gesetzentwurf. Für bestimmte Materien gelten erhöhte Mehrheiten (zum Beispiel bei Änderungen des Grundgesetzes).
Beteiligung des Bundesrates
Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze
Nach dem Bundestagsbeschluss befasst sich der Bundesrat. Es gibt zwei Grundtypen: Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze. Zustimmungsgesetze bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates. Einspruchsgesetze können vom Bundesrat beanstandet werden; der Bundestag kann diesen Einspruch je nach Intensität mit unterschiedlichen Mehrheiten zurückweisen. Ob die Zustimmung erforderlich ist, hängt insbesondere davon ab, ob die Gesetzesmaterie die Organisations- oder Finanzinteressen der Länder betrifft.
Vermittlungsausschuss
Bei Meinungsverschiedenheiten kann der Vermittlungsausschuss angerufen werden. Dieses Gremium aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat sucht einen Kompromiss. Das Ergebnis kann zu Änderungen am Gesetzentwurf führen, über die beide Seiten erneut beschließen.
Ausfertigung und Verkündung
Rolle des Bundespräsidenten
Nach erfolgreichem Abschluss der parlamentarischen Beratungen wird das Gesetz dem Bundespräsidenten zur Ausfertigung vorgelegt. Die Ausfertigung umfasst eine formelle Prüfung und die Unterzeichnung. In der Praxis erfolgt auch eine begrenzte inhaltliche Kontrolle auf offensichtliche Verfassungswidrigkeiten. Wird die Ausfertigung verweigert, tritt das Gesetz nicht in Kraft.
Inkrafttreten
Nach der Ausfertigung wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt zu dem im Gesetz bestimmten Zeitpunkt in Kraft, andernfalls nach einer allgemeinen Frist. Erst mit dem Inkrafttreten entfaltet es rechtliche Wirkung.
Besondere Verfahren und Varianten
Eil- und verkürzte Verfahren
Unter bestimmten Voraussetzungen können Beratungen zusammengezogen oder beschleunigt werden, etwa durch Zusammenlegung der zweiten und dritten Lesung oder durch verkürzte Fristen. Auch in beschleunigten Verfahren bleiben Transparenz und ordnungsgemäße Beschlussfassungen maßgeblich.
Haushalts- und Finanzgesetze
Haushaltsgesetze folgen einem regelmäßig wiederkehrenden Zyklus. Sie werden traditionell von der Bundesregierung eingebracht, im Haushaltsausschuss intensiv beraten und enthalten die Ermächtigung zur Verwendung öffentlicher Mittel. Einnahmen- und Steuergesetze berühren häufig die Finanzausstattung der Länder und sind daher oft zustimmungsbedürftig.
Änderungen des Grundgesetzes
Änderungen des Grundgesetzes erfordern qualifizierte Mehrheiten sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Bestimmte Kernprinzipien sind einer Änderung entzogen. Diese erhöhten Anforderungen sichern Stabilität und Kontinuität der staatlichen Ordnung.
Nachkontrolle und Rechtsschutz
Verfassungsgerichtliche Kontrolle
Gesetze können nachträglich einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterzogen werden. Infrage kommen abstrakte und konkrete Normenkontrollen sowie Verfassungsbeschwerden. Das zuständige Gericht kann Gesetze ganz oder teilweise für unwirksam erklären oder Auslegungsmaßstäbe vorgeben. Dadurch wird die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung gewährleistet.
Anwendung und Auslegung durch Gerichte und Verwaltung
Nach dem Inkrafttreten werden Gesetze von Behörden angewendet und von Gerichten ausgelegt. Leitlinien ergeben sich aus dem Gesetzeswortlaut, der Systematik, dem Zweck und der Entstehungsgeschichte. Rechtsprechung und Verwaltungspraxis konkretisieren den Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen und Abwägungsentscheidungen.
Landesgesetzgebung
Besonderheiten in den Ländern
Die Landesgesetzgebung vollzieht sich in den Landtagen. Die Verfahrensschritte ähneln dem Bundesverfahren: Einbringung, Ausschussberatung, Lesungen, Beschluss, Ausfertigung durch das jeweilige Staatsoberhaupt des Landes und Verkündung im Landesgesetzblatt. In mehreren Ländern existieren Instrumente direkter Demokratie wie Volksbegehren und Volksentscheide, die unter festgelegten Voraussetzungen Gesetzesinitiativen aus der Bevölkerung ermöglichen.
Unionsrecht und internationale Bezüge
EU-Gesetzgebung und Umsetzung in Deutschland
Auf europäischer Ebene entstehen Verordnungen und Richtlinien. Verordnungen gelten unmittelbar. Richtlinien setzen Ziele fest, die durch nationale Gesetze umzusetzen sind. In Deutschland erfolgt die Umsetzung regelmäßig durch das normale Gesetzgebungsverfahren. Der Bundesrat wirkt über den Ausschuss für Fragen der Europäischen Union mit, um Länderinteressen zu wahren.
Internationale Verträge
Internationale Verträge bedürfen, sofern sie Gesetzesrang erfordern, eines innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes. Dieses wird im regulären Verfahren beraten und beschlossen und ermöglicht die Bindung Deutschlands an völkerrechtliche Verpflichtungen.
Abgrenzungen zu anderen Normsetzungsformen
Rechtsverordnungen
Rechtsverordnungen werden von der Exekutive aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Sie durchlaufen kein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren, müssen sich aber im Rahmen der erteilten Ermächtigung halten und dem Gesetz nicht widersprechen.
Satzungen
Satzungen sind Normen von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, etwa von Gemeinden. Sie gelten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich und beruhen auf gesetzlicher Grundlage sowie autonomen Regelungskompetenzen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Gesetzgebungsverfahren?
Das Gesetzgebungsverfahren ist der geregelte Ablauf, in dem ein Gesetzentwurf entstehen, beraten, beschlossen, ausgefertigt, verkündet und in Kraft gesetzt wird. Es sichert demokratische Mitwirkung, Transparenz und die Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben.
Wer darf auf Bundesebene Gesetzentwürfe einbringen?
Initiativberechtigt sind die Bundesregierung, der Bundesrat sowie Mitglieder des Bundestages, typischerweise in Form von Fraktionen oder einer ausreichenden Zahl von Abgeordneten.
Wie unterscheiden sich Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze?
Zustimmungsgesetze benötigen die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates. Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat zwar Einspruch erheben, der Bundestag kann diesen jedoch mit bestimmten Mehrheiten zurückweisen.
Welche Rolle spielt der Bundesrat?
Der Bundesrat vertritt die Länder. Er wirkt an der Gesetzgebung mit, gibt Stellungnahmen ab, kann den Vermittlungsausschuss anrufen, Einspruch einlegen oder Gesetzen zustimmen, wenn diese die Länder in besonderer Weise betreffen.
Was passiert nach der Verabschiedung eines Gesetzes?
Nach dem Bundestagsbeschluss und der Beteiligung des Bundesrates erfolgt die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im Bundesgesetzblatt. Das Gesetz tritt zum festgelegten Zeitpunkt in Kraft und wird dann angewendet.
Kann ein bereits beschlossenes Gesetz noch gestoppt werden?
Ein Gesetz kann scheitern, wenn der Bundesrat die notwendige Zustimmung verweigert, der Vermittlungsausschuss keinen tragfähigen Kompromiss ermöglicht oder die Ausfertigung nicht erfolgt. Nach Inkrafttreten kann es durch verfassungsgerichtliche Entscheidungen ganz oder teilweise für unwirksam erklärt werden.
Wie unterscheidet sich die Landesgesetzgebung von der Bundesgesetzgebung?
Die Verfahrensschritte sind vergleichbar, finden jedoch in den Landtagen statt. Es gelten die jeweiligen Landesbestimmungen, und in einigen Ländern bestehen Möglichkeiten direkter Demokratie wie Volksbegehren und Volksentscheide.