Begriff und Einordnung des Gesetzesrechts
Gesetzesrecht bezeichnet alle allgemeinverbindlichen Normen, die von einem Parlament in einem förmlichen Verfahren beschlossen und in einem amtlichen Publikationsorgan verkündet werden. Es bildet das Rückgrat der staatlichen Rechtsordnung: Es ordnet Zuständigkeiten, legt Rechte und Pflichten fest und steuert das Handeln von Verwaltung und Gerichten.
Definition
Unter Gesetzesrecht versteht man Normen, die als Gesetze erlassen werden und abstrakt-generelle Geltung besitzen. Sie richten sich nicht an einzelne Personen, sondern erfassen eine Vielzahl von Fällen. Kennzeichnend sind ein formalisiertes Gesetzgebungsverfahren, die Verkündung in einem amtlichen Blatt und ein klar bestimmter Geltungsbereich.
Abgrenzung zu anderen Rechtsquellen
Verfassungsrecht und Gesetzesrecht
Die Verfassung steht an der Spitze der innerstaatlichen Normenordnung. Gesetzesrecht muss mit der Verfassung im Einklang stehen. Verfassungsrecht setzt Rahmen und Grenzen, innerhalb derer das einfache Gesetzesrecht gestaltet werden darf.
Untergesetzliches Recht (Rechtsverordnungen, Satzungen)
Rechtsverordnungen werden von Exekutivorganen aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Satzungen sind Normen von Körperschaften des öffentlichen Rechts, etwa Gemeinden. Beide stehen im Rang unter dem Gesetzesrecht und müssen mit ihm vereinbar sein.
Richterrecht und Gewohnheitsrecht
Richterrecht entsteht durch fortgebildete Rechtsprechung, Gewohnheitsrecht durch langandauernde Übung und Rechtsüberzeugung. Beide können Lücken füllen, treten jedoch hinter klaren gesetzlichen Regelungen zurück.
Unionsrecht und Völkerrecht
Unionsrecht kann Gesetzesrecht verdrängen oder prägen, insbesondere durch Anwendungsvorrang. Völkerrechtliche Verpflichtungen wirken auf Gesetzesrecht ein, etwa durch Umsetzungsanforderungen. Die genaue Wirkung richtet sich nach den jeweiligen Rechtsregeln und dem innerstaatlichen Rangverhältnis.
Formen des Gesetzesrechts
Gesetz im formellen Sinn
Ein Gesetz im formellen Sinn ist jede Norm, die von einem Parlament in einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren beschlossen und verkündet wurde, unabhängig vom Inhalt. Entscheidend sind Organ, Verfahren und Form.
Gesetz im materiellen Sinn
Ein Gesetz im materiellen Sinn ist jede abstrakt-generelle Regel, die Rechte und Pflichten ordnet. Dazu zählen auch untergesetzliche Normen. Gesetzesrecht im engeren Verständnis umfasst jedoch nur Gesetze im formellen Sinn.
Kodifikationen und Einzelgesetze
Kodifikationen fassen weite Lebensbereiche systematisch zusammen. Einzelgesetze regeln punktuelle Sachverhalte. Beide sind Gesetzesrecht und unterscheiden sich vor allem im Umfang und in der Systematik.
Bundesrecht und Landesrecht
In föderalen Strukturen existieren Gesetze auf Bundes- und Landesebene. Welche Ebene zuständig ist, ergibt sich aus der Kompetenzordnung. Bei Kollisionen gilt regelmäßig der Vorrang des höherrangigen oder zuständigkeitsgemäß erlassenen Rechts.
Rangordnung und Geltung
Normenhierarchie
Verfassung, Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung stehen in einem Rangverhältnis. Gesetzesrecht ist gegenüber untergesetzlichen Normen vorrangig, bleibt aber an die Verfassung gebunden. Auch supranationale Normen können aufgrund spezieller Regeln vorrangig anzuwenden sein.
Sachliche, räumliche und persönliche Geltung
Gesetze legen fest, welche Sachverhalte, Gebiete und Personenkreise erfasst werden. Die Geltung kann allgemein oder besonders (z. B. für bestimmte Berufsgruppen oder Regionen) ausgestaltet sein.
Zeitliche Geltung, Inkrafttreten und Außerkrafttreten
Gesetze treten zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft, der im Gesetz oder im Publikationsorgan genannt ist. Sie können befristet sein oder durch spätere Gesetze geändert beziehungsweise aufgehoben werden. Rückwirkende Regelungen sind nur in engen Grenzen möglich.
Kollisionen und Vorrangregeln
Lex superior, lex specialis, lex posterior
Bei Konflikten gelten anerkannte Grundsätze: Höherrangiges Recht geht niederrangigem vor (lex superior), spezielles Recht verdrängt allgemeines Recht (lex specialis), jüngeres Recht kann älteres verdrängen (lex posterior), sofern keine höherrangigen Bindungen entgegenstehen.
Entstehung von Gesetzesrecht
Gesetzgebungsverfahren in Grundzügen
Ein Gesetz entsteht durch Initiative, parlamentarische Beratung in mehreren Lesungen, Beschlussfassung und gegebenenfalls Mitwirkung einer zweiten Kammer. Je nach Materie können besondere Mehrheiten oder Zustimmungserfordernisse gelten.
Veröffentlichung und Verkündung
Nach Abschluss des Verfahrens wird das Gesetz ausgefertigt und im amtlichen Publikationsorgan verkündet, etwa im Bundesgesetzblatt oder den Landesgesetzblättern. Erst die ordnungsgemäße Verkündung begründet verbindliche Geltung.
Evaluierung und Änderung
Gesetze werden überprüft, angepasst oder aufgehoben, um Entwicklungen Rechnung zu tragen. Änderungen erfolgen wiederum im formellen Verfahren und werden gesondert veröffentlicht.
Anwendung und Auslegung
Auslegungsmethoden
Wortlaut
Ausgangspunkt ist der sprachliche Sinn der Norm. Der Wortsinn begrenzt die Auslegung.
Systematik
Die Norm wird im Zusammenhang der gesamten Rechtsordnung gelesen. Stellung und Verhältnis zu anderen Bestimmungen sind maßgeblich.
Historie und Zweck
Entstehungsgeschichte und gesetzlicher Zweck helfen, die Regelung zielgerecht zu verstehen.
Grundsätze der Abwägung
Bei Spannungen zwischen Rechtsgütern werden anerannte Abwägungsprinzipien herangezogen, etwa Verhältnismäßigkeit und praktische Konkordanz.
Analogien und Lückenfüllung
Wo der Gesetzgeber eine planwidrige Lücke hinterlassen hat, kann die Rechtsanwendung vergleichbare Regelungen heranziehen. Schranken bestehen insbesondere im Bereich belastender Normen.
Vereinbarkeit mit der Verfassung
Gesetze können auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Zuständig sind hierfür die Verfassungsgerichte. Wird eine Unvereinbarkeit festgestellt, entfalten die Entscheidungen Wirkungen für die Geltung der Norm.
Rechtsschutz und Durchsetzung
Gesetzesrecht bindet Verwaltung und Gerichte. Verstöße können im Rahmen gesetzlich vorgesehener Verfahren überprüft werden. Sanktionen und Rechtsfolgen ergeben sich aus den einschlägigen Regelungen.
Gesetzesrecht im föderalen und europäischen Kontext
Kompetenzverteilung
Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sind aufgeteilt. Bestimmte Bereiche sind ausschließlich zugewiesen, andere werden geteilt oder erfordern Abstimmung.
Wechselwirkung mit Unionsrecht
Unionsrecht setzt in vielen Feldern Maßstäbe. Verordnungen gelten unmittelbar, Richtlinien bedürfen in der Regel der Umsetzung durch Gesetzesrecht. Bei Konflikten ist der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu beachten.
Umsetzungspflichten und Anwendungsvorrang
Staatliche Ebenen sind verpflichtet, unionsrechtliche Vorgaben ordnungsgemäß umzusetzen. Bei Abweichungen hat das anwendbare Unionsrecht Vorrang vor entgegenstehendem nationalem Gesetzesrecht.
Bedeutung im Alltag
Steuerung von Verwaltung und Gerichten
Gesetze binden die öffentliche Gewalt. Verwaltungshandeln und Entscheidungen der Gerichte stützen sich auf Gesetzesrecht und setzen es durch.
Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit
Gesetzesrecht schafft klare, nachprüfbare Regeln. Veröffentlichung, feste Verfahren und transparente Änderungen fördern Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit.
Häufig gestellte Fragen zum Gesetzesrecht
Was versteht man unter Gesetzesrecht im Unterschied zu Gewohnheitsrecht?
Gesetzesrecht entsteht durch förmlichen Parlamentsbeschluss und amtliche Verkündung. Gewohnheitsrecht bildet sich durch langandauernde Übung und allgemeine Rechtsüberzeugung. Bei Widerspruch geht Gesetzesrecht regelmäßig vor.
Wer darf Gesetzesrecht erlassen?
Gesetze werden von den Parlamenten auf Bundes- oder Landesebene erlassen. Welche Ebene zuständig ist, richtet sich nach der Kompetenzordnung.
Welche Rolle spielt die Verfassung für das Gesetzesrecht?
Die Verfassung setzt die maßgeblichen Rahmenbedingungen. Gesetzesrecht muss mit der Verfassung vereinbar sein und kann durch Verfassungsgerichte überprüft werden.
Wie und ab wann gilt Gesetzesrecht?
Gesetze werden nach Ausfertigung im amtlichen Publikationsorgan verkündet. Sie treten zu einem im Gesetz genannten Zeitpunkt oder nach einer bestimmten Frist in Kraft.
Wie werden Konflikte zwischen Gesetzen gelöst?
Maßgeblich sind anerkannte Vorrangregeln: Höherrangiges Recht geht vor, spezielles vor allgemeinem und jüngeres kann älteres verdrängen, sofern keine höherrangigen Bindungen entgegenstehen.
Hat Unionsrecht Vorrang vor nationalem Gesetzesrecht?
Soweit anwendbar, genießt Unionsrecht Anwendungsvorrang. Nationale Gesetze sind in solchen Fällen unionsrechtskonform anzuwenden oder bleiben insoweit unanwendbar.
Kann Gesetzesrecht rückwirkend wirken?
Rückwirkende Regelungen sind nur in engen Grenzen zulässig. Sie sind insbesondere dann ausgeschlossen, wenn schutzwürdiges Vertrauen erheblich beeinträchtigt würde.