Begriff und rechtliche Einordnung des Geschmacksmusters
Ein Geschmacksmuster schützt die äußere Erscheinungsform eines Erzeugnisses. Gemeint ist die ästhetische Gestaltung, nicht die technische Funktion. Erfasst werden Linien, Konturen, Farben, Form, Oberflächenstruktur sowie die Materialwirkung eines Produkts oder eines Teils davon. Der Begriff ist historisch geprägt; im deutschen Recht wird heute überwiegend vom „eingetragenen Design” gesprochen. Auf europäischer Ebene ist die Bezeichnung „Gemeinschaftsgeschmacksmuster” für das unionsweit wirkende Designrecht gebräuchlich. Im Kern geht es stets um denselben Schutzgegenstand: die visuelle Gestaltung.
Schutzgegenstand und Schutzvoraussetzungen
Erscheinungsform eines Erzeugnisses
Schutzfähig ist die sichtbare Erscheinung eines industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnisses. Dazu zählen einzelne Produkte, Teile komplexer Produkte, Bauteile, Verpackungen, grafische Symbole, Benutzeroberflächen und auch digitale Anzeigen. Nicht geschützt wird die Idee als solche, sondern ihre sichtbare Umsetzung.
Neuheit
Ein Geschmacksmuster ist neu, wenn vor dem maßgeblichen Zeitpunkt kein identisches Muster offenbart wurde. Identisch ist ein Muster, wenn sich seine Merkmale nur in unwesentlichen Details unterscheiden. Für bestimmte Schutzsysteme besteht eine zeitlich begrenzte Schonfrist, innerhalb der eine eigene Vorveröffentlichung die Neuheit ausnahmsweise nicht zerstört.
Eigenart
Eigenart liegt vor, wenn sich der Gesamteindruck auf den informierten Benutzer vom Gesamteindruck bereits bekannter Gestaltungen unterscheidet. Maßgeblich ist der Gestaltungsfreiraum der Entwerferin oder des Entwerfers im betreffenden Produktbereich: Je größer dieser ist, desto feiner sind die Unterschiede, die zur Eigenart führen können.
Ausschlüsse vom Schutz
Vom Schutz ausgenommen sind Merkmale, die ausschließlich durch die technische Funktion eines Erzeugnisses bedingt sind. Ebenfalls ausgeschlossen sind Merkmale von Verbindungsstücken, die allein dazu dienen, dass Erzeugnisse mechanisch miteinander verbunden oder in ihre jeweilige Funktion versetzt werden. Gestaltungen, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen, sind nicht schutzfähig.
Sichtbarkeit von Bauteilen komplexer Erzeugnisse
Bestandteile eines komplexen Erzeugnisses sind nur schutzfähig, wenn sie im bestimmungsgemäßen Gebrauch sichtbar sind. Unsichtbare Innenbauteile erhalten nach dieser Regel keinen Schutz als Geschmacksmuster.
Entstehung und Erwerb des Schutzes
Eingetragenes Geschmacksmuster (national und unionsweit)
Ein eingetragenes Geschmacksmuster entsteht durch Anmeldung und Eintragung bei der zuständigen Behörde. National ist dies in Deutschland das Patent- und Markenamt; unionsweit wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum eingetragen. In der Anmeldung sind aussagekräftige Abbildungen maßgeblich, da sie den Schutzumfang definieren. Erzeugnisse werden nach einer internationalen Klassifikation geordnet. Die Bekanntmachung kann aufgeschoben werden, um die Gestaltung zunächst nicht zu veröffentlichen. Der Schutz entsteht mit der Eintragung.
Die Schutzdauer beträgt bis zu 25 Jahre, aufgeteilt in Perioden von je fünf Jahren. Für jede Verlängerung ist eine Verlängerungserklärung abzugeben. Eine Priorität aus einer früheren Anmeldung kann beansprucht werden, sodass spätere Einreichungen denselben Zeitrang erhalten.
Nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster
Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster entsteht automatisch durch die erste Offenbarung der Gestaltung innerhalb der Europäischen Union. Es gilt für drei Jahre ab dieser Offenbarung. Der Schutz ist enger: Erfasst wird die unbefugte Nachahmung; unabhängige Parallelschöpfungen werden nicht erfasst.
Internationaler Schutz
Über ein internationales System können Designs zentral angemeldet und in ausgewählten Staaten wirksam werden. Die Verwaltung erfolgt bei einer internationalen Behörde; die Wirkungen treten in den benannten Staaten nach deren jeweiligem Recht ein.
Umfang des Schutzrechts
Schutzbereich und informierter Benutzer
Der Schutz umfasst jede Gestaltung, die beim informierten Benutzer denselben Gesamteindruck erweckt. Der Vergleich berücksichtigt den Gestaltungsfreiraum im betreffenden Produktbereich und die Dichte des vorbekannten Formenschatzes. Details, die den Gesamteindruck nicht beeinflussen, sind in der Regel unerheblich.
Gesamteindruck und Gestaltungsfreiheit
Zur Bestimmung des Gesamteindrucks wird die Gestaltung als Ganzes betrachtet. Einzelmerkmale sind in ihrer prägenden Wirkung zu gewichten. Ist der Gestaltungsfreiraum groß, kann bereits eine geringere Annäherung eine Verletzung begründen; ist er eng, sind deutliche Unterschiede erforderlich, um einen anderen Gesamteindruck zu erzeugen.
Digitale Gestaltungen
Grafische Benutzeroberflächen, Icons, Animationen und andere digitale Darstellungen können als Geschmacksmuster geschützt sein, sofern sie die Schutzvoraussetzungen erfüllen. Die Darstellung in der Anmeldung muss die beanspruchten visuellen Merkmale klar erkennen lassen.
Mehrfach- und Sammelanmeldungen
Mehrere Varianten einer Gestaltung können in einer Sammelanmeldung zusammengefasst werden, wenn die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind. Jede Variante wird eigenständig beurteilt, teilt sich jedoch die Verfahrensrahmenbedingungen der Sammelanmeldung.
Rechte und Schranken
Ausschließlichkeitsrechte
Die Inhaberin oder der Inhaber kann Dritten die gewerbliche Nutzung untersagen. Erfasst sind insbesondere Herstellung, Anbieten, Inverkehrbringen, Ein- und Ausfuhr sowie Besitz zu genannten Zwecken. Die Reichweite richtet sich nach dem Schutzbereich des eingetragenen oder nicht eingetragenen Musters.
Schranken und Ausnahmen
Der Schutz gilt nicht schrankenlos. In der Regel ausgenommen sind Handlungen zu privaten und nichtgewerblichen Zwecken, zu Versuchszwecken sowie bestimmte Nutzungen zum Zweck der Zitat- oder Unterrichtsnutzung, sofern diese mit fairen Gepflogenheiten vereinbar sind und die Quelle angemessen angegeben wird. Für sichtbare Ersatzteile komplexer Erzeugnisse bestehen besondere Regeln, die die Reparatur zur Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbilds betreffen. Die konkrete Ausgestaltung variiert je nach Schutzsystem.
Erschöpfung
Nach dem ersten Inverkehrbringen eines mit Zustimmung der Inhaberin oder des Inhabers in der betreffenden Region bereitgestellten Erzeugnisses ist die weitere Verbreitung grundsätzlich frei. Die Erschöpfung erfasst regelmäßig nicht die Herstellung neuer Erzeugnisse.
Inhaberschaft, Entstehung aus Beschäftigungs- und Auftragsverhältnissen
Urheberschaft, Anmelder- und Inhaberstellung
Die gestaltende Person gilt als Entwerferin oder Entwerfer. Inhaber des Rechts ist die Person, auf deren Namen das Muster eingetragen ist, oder diejenige, der das nicht eingetragene Muster zusteht. Beide Rollen können zusammenfallen oder auseinanderfallen.
Arbeits- und Auftragsverhältnisse
Wird eine Gestaltung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder eines Auftrags geschaffen, bestimmen gesetzliche Regelungen und vertragliche Abreden, wem die Rechte zustehen. Üblich ist eine Zuordnung an die Arbeitgeberin oder Auftraggeberin, wenn die Gestaltung in Wahrnehmung entsprechender Aufgaben entstanden ist; die Einzelheiten richten sich nach dem jeweiligen Recht.
Übertragung und Lizenzen
Geschmacksmusterrechte sind übertragbar und können exklusiv oder nicht exklusiv lizenziert werden. Mitübertragen werden regelmäßig die zugehörigen Ansprüche, soweit nicht anders vereinbart. Mehrere Personen können Inhaberinnen oder Inhaber sein; dann gelten besondere Regeln der Mitberechtigung.
Durchsetzung und Verteidigung
Ansprüche bei Verletzung
Bei Verletzung kommen insbesondere Unterlassung, Beseitigung, Auskunft, Schadensersatz und Vernichtung oder Rückruf in Betracht. Maßnahmen an der Grenze können die Einfuhr verletzender Waren verhindern. Die konkrete Durchsetzung richtet sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht.
Beweisfragen
Für den Schutzumfang ist die Darstellung in der Anmeldung maßgeblich. Beim nicht eingetragenen Muster ist die erste Offenbarung innerhalb der Union und die Nachahmung durch Dritte von Bedeutung. In Streitfällen sind Belege zu Neuheit, Eigenart und Offenbarungszeitpunkten zentral.
Nichtigkeit, Löschung und sonstige Einwendungen
Ein Geschmacksmuster kann nachträglich aufgehoben werden, wenn die Schutzvoraussetzungen nicht vorliegen oder Ausschlussgründe bestehen. Dritte können ältere Rechte, fehlende Neuheit oder Eigenart sowie die technische Bedingtheit von Merkmalen geltend machen. Verfahren können vor Behörden oder Gerichten geführt werden.
Verhältnis zu anderen Schutzrechten
Urheberrecht
Gestaltungen können neben dem Geschmacksmuster auch urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie die dortige Schutzschwelle erreichen. Beide Schutzrechte wirken unabhängig voneinander.
Markenrecht
Die äußere Gestaltung eines Produkts kann als dreidimensionale Marke oder als sonstige Markenform geschützt sein, wenn die markenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das Marken- und das Designrecht dienen unterschiedlichen Zwecken: Herkunftshinweis einerseits, ästhetische Formgebung andererseits.
Patente und Gebrauchsmuster
Patente und Gebrauchsmuster schützen technische Erfindungen. Das Geschmacksmuster schützt nicht die technische Lösung, sondern ihre Erscheinungsform. Eine parallele Absicherung ist möglich, wenn beide Schutzbereiche unabhängig voneinander erfüllt sind.
Lauterkeitsrecht
Unabhängig von Registerrechten kann der ergänzende Schutz gegen unlautere Nachahmung eingreifen. Er setzt besondere Umstände voraus, etwa eine vermeidbare Herkunftstäuschung oder die unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung.
Praktische Besonderheiten der Darstellung
Abbildungen und Ansichten
Die Abbildungen definieren den Schutzumfang. Üblich sind mehrere Ansichten, um die Gestaltung vollständig zu zeigen. Neutraler Hintergrund und klare Linienführung bewirken eine eindeutige Offenbarung der beanspruchten Merkmale.
Produktangabe und Klassifikation
Die Zuordnung zu einer Produktklasse dient der Verwaltung und erleichtert die Recherche. Die Produktbezeichnung beschreibt das Erzeugnis, ohne den Schutzbereich zu beschränken, sofern die Darstellung eindeutig ist.
Bekanntmachungsaufschub und Offenbarung
Zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen kann die amtliche Veröffentlichung zeitlich hinausgeschoben werden. Die Offenbarung an Dritte ist für die Beurteilung von Neuheit und Eigenart zentral und kann je nach System eine Schonfrist auslösen.
Häufig gestellte Fragen
Was schützt ein Geschmacksmuster genau?
Es schützt die sichtbare Erscheinungsform eines Erzeugnisses, also die ästhetischen Merkmale wie Linien, Konturen, Farben, Form, Oberflächenstruktur und Materialwirkung. Nicht erfasst ist die technische Funktion.
Wodurch unterscheidet sich das Geschmacksmuster vom Urheberrecht und vom Patent?
Das Geschmacksmuster schützt die Gestaltung, das Urheberrecht schützt persönlich-geistige Schöpfungen der Kunst und Literatur, und ein Patent schützt technische Erfindungen. Die Schutzvoraussetzungen und Wirkungen sind verschieden; parallele Schutzlagen können bestehen.
Wie lange gilt der Schutz eines eingetragenen Geschmacksmusters?
Ein eingetragenes Muster kann bis zu 25 Jahre geschützt sein, aufgeteilt in Abschnitte von jeweils fünf Jahren. Für die Fortdauer sind rechtserhaltende Erklärungen notwendig. Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gilt drei Jahre ab der ersten Offenbarung in der Europäischen Union.
Entsteht Schutz auch ohne Eintragung?
Ja, als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Es entsteht durch die erste Offenbarung innerhalb der Europäischen Union, wirkt unionsweit und schützt gegen Nachahmung für drei Jahre.
Welche Rolle spielt eine frühere Veröffentlichung?
Eine frühere Veröffentlichung kann die Neuheit und Eigenart beeinträchtigen. Je nach System kann eine zeitlich begrenzte Schonfrist gelten, in der eigene Offenbarungen ausnahmsweise unschädlich sind.
Was gilt für Ersatzteile und Verbindungsstücke?
Merkmale, die ausschließlich der technischen Funktion dienen, und reine Anschlussmerkmale zur mechanischen Verbindung sind vom Schutz ausgenommen. Für sichtbare Ersatzteile komplexer Erzeugnisse bestehen besondere Bestimmungen, insbesondere im Zusammenhang mit Reparaturzwecken.
Wie wird der Schutzbereich im Verletzungsfall bestimmt?
Verglichen wird der Gesamteindruck der angegriffenen Ausführung mit der geschützten Gestaltung aus Sicht des informierten Benutzers. Der Gestaltungsfreiraum im betroffenen Bereich beeinflusst, wie nahe eine Gestaltung liegen darf, ohne den gleichen Gesamteindruck zu vermitteln.