Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Gesamtvorsatz

Gesamtvorsatz

Begriff und Einordnung des Gesamtvorsatzes

Gesamtvorsatz bezeichnet eine innere Willensentscheidung, die alle rechtlich maßgeblichen Elemente eines Delikts oder einer Mehrzahl geplanter Delikte umfasst. Er liegt vor, wenn eine Person einen umfassenden Plan fasst, der entweder den gesamten Tatbestand einer einzelnen Straftat oder mehrere in einem Gesamtplan zusammengefasste Handlungen einschließt. Der Begriff dient dazu, die Reichweite des Vorsatzes im Hinblick auf Gegenstand, Ablauf, Erfolg und zeitliche Ausdehnung zu bestimmen.

Abgrenzung zu Teilvorsatz und sukzessivem Vorsatz

Teilvorsatz liegt vor, wenn sich die innere Willensrichtung nur auf einen Ausschnitt des rechtlich relevanten Geschehens bezieht, etwa auf Grundtatsachen, nicht aber auf zusätzliche Umstände oder spätere Folgeschritte. Sukzessiver Vorsatz entsteht hingegen erst im Verlauf eines bereits begonnenen Geschehens und erfasst den weiteren Verlauf, ohne bereits von Beginn an vorhanden gewesen zu sein. Ein nachträgliches „Überstülpen“ von Vorsatz auf bereits abgeschlossene Handlungen findet nicht statt.

Verhältnis zu Vorsatzformen

Gesamtvorsatz kann sich mit verschiedenen Vorsatzformen verbinden:

  • Absicht: zielgerichteter Wille zur Tatbestandsverwirklichung.
  • Direkter Vorsatz: sicheres Wissen um die Tatbestandsverwirklichung.
  • Eventualvorsatz: Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung als möglich und billigend.

Ob Gesamtvorsatz vorliegt, hängt nicht von der Art des Vorsatzes ab, sondern davon, ob der Entschluss den gesamten relevanten Geschehensablauf bzw. mehrere geplante Handlungen umfasst.

Elemente des Gesamtvorsatzes

Wissens- und Willenselement

Der Gesamtvorsatz setzt voraus, dass die handelnde Person die wesentlichen Umstände kennt oder für möglich hält (Wissenselement) und deren Verwirklichung will oder zumindest billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Hierbei müssen die für die rechtliche Einordnung maßgeblichen Faktoren erfasst sein.

Gegenstands- und Erfolgsbezug

Der Vorsatz bezieht sich auf das Objekt der Handlung, die Art der Handlung und den angestrebten oder in Kauf genommenen Erfolg. Beim Gesamtvorsatz muss dieser Bezug den gesamten geplanten Rahmen umfassen, also auch mehrere Einzeltaten, soweit sie Bestandteil eines einheitlichen Plans sind.

Zeitlicher Rahmen

Gesamtvorsatz ist ein vorausschauender Entschluss. Er kann vor Beginn oder zu Beginn eines mehraktigen Geschehens vorliegen. Wird er erst im Verlauf gefasst, erfasst er grundsätzlich nur den noch nicht abgeschlossenen Teil. Bereits abgeschlossene Handlungen fallen nicht nachträglich unter einen später gebildeten Vorsatz.

Umfang und Grenzen

Die Reichweite des Gesamtvorsatzes ist durch den vorgestellten Plan und seine wesentlichen Merkmale begrenzt. Weicht der tatsächliche Verlauf erheblich vom Plan ab, kann der Gesamtvorsatz nur eingeschränkt tragen.

Gesamtvorsatz bei mehraktigen und serienmäßigen Abläufen

Mehraktige Delikte und Dauerdelikte

Bei Delikten, die typischerweise in mehreren Schritten verwirklicht werden, muss sich der Vorsatz auf das Gesamtgeschehen erstrecken. Erfasst der Entschluss nur einzelne Schritte, liegt Teilvorsatz vor. Der Gesamtvorsatz erleichtert hier die Bewertung des gesamten Ablaufs als einheitliches Handeln.

Serienhandlungen und einheitlicher Plan

Wer mehrere gleichartige Handlungen von vornherein unter einem einheitlichen Plan zusammenfasst, kann einen Gesamtvorsatz bilden, der die Serie umfasst. Die rechtliche Einordnung der Serie als mehrere selbständige oder als in besonderer Weise verknüpfte Taten hängt nicht allein am Gesamtvorsatz; maßgeblich sind auch die tatsächlichen Verknüpfungen der Einzelakte und der Schutzbereich der betroffenen Normen.

Historische Einordnung und heutige Betrachtung

Der Begriff Gesamtvorsatz wurde traditionell verwendet, um Serientaten unter einem übergreifenden Plan zusammenzufassen. Heute wird der Begriff vor allem zur inhaltlichen Beschreibung der Vorsatzreichweite herangezogen. Für die rechtliche Zusammenfassung mehrerer Handlungen sind neben dem Gesamtvorsatz zusätzliche Kriterien erforderlich, etwa die natürliche oder bewertungsrechtliche Einheitlichkeit des Geschehens.

Bedeutung in zentralen Anwendungsbereichen

Konkurrenzlehre: Verhältnis mehrerer Handlungen

Der Gesamtvorsatz kann ein Indiz dafür sein, dass mehrere Handlungen einem einheitlichen Plan folgen. Ob mehrere Handlungen rechtlich als eine oder mehrere Taten bewertet werden, richtet sich jedoch nach weiteren Gesichtspunkten wie zeitlich-räumlichem Zusammenhang, funktioneller Verknüpfung und Schutzrichtung der betroffenen Normen. Der Gesamtvorsatz ist somit ein wichtiges, aber nicht alleiniges Kriterium.

Versuch

Die Reichweite des Gesamtvorsatzes bestimmt, welche Handlungen als Schritte zur Umsetzung des Plans erscheinen. Umfasst der Entschluss mehrere Handlungen, kann das Annähern an einen Teil des Plans auch für die Beurteilung anderer geplante Schritte Bedeutung haben. Maßgeblich bleibt, dass sich die Handlung nach dem Plan unmittelbar auf die Tatbestandsverwirklichung bezieht.

Rücktritt

Bei einem Rücktritt von einem Versuch ist der zugrunde liegende Plan relevant. Umfasst der Gesamtvorsatz mehrere Handlungen, kann ein Rücktritt einzelne Teile betreffen. Ob ein Rücktritt in einem komplexen Plan vorliegt, hängt von der konkreten Lösung vom Tatplan und deren Tragweite ab.

Teilnahme (Anstiftung und Beihilfe)

Für die Beteiligung einer weiteren Person ist bedeutsam, ob deren innerer Entschluss die wesentlichen Merkmale der Haupttat erfasst. Ein Gesamtvorsatz, der mehrere Handlungen umfasst, kann die Zurechnung ausweiten. Bleibt der Vorsatz des Beteiligten auf einzelne Elemente begrenzt, wirkt sich dies auf den Umfang der Beteiligung aus.

Irrtümer und Abweichungen im Kausalverlauf

Fehlt die Vorstellung eines wesentlichen Tatbestandsmerkmals, liegt kein Gesamtvorsatz vor. Geringfügige Abweichungen zwischen Plan und tatsächlichem Ablauf berühren den Vorsatz nicht zwingend, sofern sie sich im Rahmen des Erwartbaren bewegen. Erhebliche Abweichungen können den Gesamtvorsatz durchkreuzen.

Qualifikationen und besondere Merkmale

Erfordern Tatvarianten zusätzliche Umstände, muss der Vorsatz diese erfassen, damit sie vom Gesamtvorsatz gedeckt sind. Bleiben zusätzliche Merkmale außerhalb des Entschlusses, liegt insoweit kein Gesamtvorsatz vor, was die rechtliche Einordnung beeinflussen kann.

Abgrenzungsfragen und typische Fallkonstellationen

Einheitlicher Plan vs. spontane Einzelakte

Ein Gesamtvorsatz setzt einen im Voraus gefassten oder zu Beginn bestehenden Plan voraus. Spontane Entscheidungen ohne übergreifendes Konzept sprechen gegen einen Gesamtvorsatz über mehrere Handlungen.

Wechselnde Tatobjekte

Wird ein Plan auf unterschiedliche Objekte oder Personen angewandt, kann ein Gesamtvorsatz vorliegen, wenn die Gleichartigkeit und die Einbindung in den Plan erhalten bleiben. Weicht das Zielobjekt unvorhergesehen ab, kommt es darauf an, ob der Plan solche Abweichungen mitumfasste.

Planänderungen und Teilabbrüche

Änderungen des Plans können den ursprünglichen Gesamtvorsatz einschränken oder beenden. Für die rechtliche Bewertung ist entscheidend, ob die Abweichung den Kern des ursprünglichen Plans betrifft oder lediglich Randaspekte.

Zeitliche Zäsuren und Unterbrechungen

Längere Unterbrechungen, neue Entschlüsse oder wesentliche äußere Veränderungen können den inneren Zusammenhang lösen. Der Gesamtvorsatz kann dadurch enden; spätere Handlungen sind dann eigenständig zu beurteilen.

Rechtsfolgen und praktische Bedeutung

Auswirkung auf die rechtliche Bewertung mehrerer Handlungen

Ob mehrere Handlungen als einheitlich oder getrennt zu bewerten sind, beeinflusst die Anzahl der zu berücksichtigenden Taten. Der Gesamtvorsatz dient als Orientierung für den inneren Zusammenhang, ersetzt aber nicht die umfassende Betrachtung des tatsächlichen Geschehens und seiner rechtlichen Struktur.

Strafzumessung und weitere Folgen

Die Einordnung eines Geschehens als einheitlich oder mehrteilig wirkt sich auf den Strafrahmen und die Gewichtung aus. Auch zeitliche Fragen, etwa der Beginn relevanter Fristen, können durch die strukturelle Bewertung des Geschehens beeinflusst werden. Der Gesamtvorsatz liefert hierfür Anhaltspunkte, ohne die Entscheidung allein vorzugeben.

Häufig gestellte Fragen zum Gesamtvorsatz

Was bedeutet Gesamtvorsatz einfach erklärt?

Gesamtvorsatz ist ein Entschluss, der den gesamten Ablauf einer Straftat oder mehrere in einem Plan zusammengefasste Handlungen umfasst. Er zeigt, dass eine Person nicht nur einzelne Schritte, sondern das Ganze vor Augen hat.

Worin liegt der Unterschied zwischen Gesamtvorsatz und Teilvorsatz?

Beim Gesamtvorsatz erfasst der Entschluss alle wesentlichen Elemente des Geschehens. Beim Teilvorsatz reicht die innere Willensrichtung nur auf bestimmte Teile oder Umstände, nicht aber auf das gesamte geplante Geschehen.

Kann Gesamtvorsatz mehrere Straftaten zugleich umfassen?

Ja. Umfasst der Plan von vornherein mehrere Handlungen, kann der Vorsatz diese als Serie einschließen. Ob diese Serie rechtlich zusammengefasst oder getrennt bewertet wird, hängt zusätzlich von tatsächlichen und normativen Verknüpfungen ab.

Spielt Gesamtvorsatz bei der Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit eine Rolle?

Er ist ein wichtiges Indiz für den inneren Zusammenhang, entscheidet aber nicht allein. Für die Abgrenzung sind weitere Faktoren wie zeitlich-räumlicher Zusammenhang, funktionale Einheit und der Schutzbereich der Norm maßgeblich.

Kann Gesamtvorsatz nachträglich entstehen und frühere Handlungen „abdecken“?

Nein. Ein später gebildeter Vorsatz erfasst grundsätzlich nicht rückwirkend bereits abgeschlossene Handlungen. Er kann nur den noch offenen Verlauf eines Geschehens betreffen.

Welche Rolle spielt Gesamtvorsatz bei Anstiftung und Beihilfe?

Bei Beteiligungspersonen kommt es darauf an, ob deren Entschluss die wesentlichen Merkmale der Haupttat erfasst. Deckt der Vorsatz mehrere Handlungen, kann dies den Umfang der Zurechnung beeinflussen; beschränkt er sich auf Teile, ist die Zurechnung entsprechend begrenzt.

Wie wirkt sich eine Planänderung auf den Gesamtvorsatz aus?

Eine wesentliche Planänderung kann den ursprünglichen Gesamtvorsatz beenden oder einschränken. Handlungen nach einer solchen Zäsur werden eigenständiger beurteilt als solche im Rahmen des ursprünglichen Plans.

Ist Gesamtvorsatz bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant?

Nein. Gesamtvorsatz setzt eine willentliche Entscheidung voraus und gehört damit in den Bereich vorsätzlichen Handelns. Fahrlässigkeit beruht nicht auf Vorsatz, sondern auf Sorgfaltspflichtverletzung ohne entsprechenden Willensentschluss.