Begriff und Kerngedanke der Gesamtvollmacht
Eine Gesamtvollmacht ist eine Form der Bevollmächtigung, bei der mehrere benannte Personen die vertretungsberechtigte Person (den Vollmachtgeber) nur gemeinsam vertreten dürfen. Rechtlich bedeutet dies, dass die Bevollmächtigten die erfassten Geschäfte nicht einzeln, sondern nur in gemeinsamer Mitwirkung wirksam vornehmen können. Typischerweise zeigt sich dies in der gemeinsamen Unterschrift auf Verträgen oder in gleichzeitigen Erklärungen gegenüber Dritten.
Einordnung und Grundprinzip
Die Gesamtvollmacht gehört zu den Vertretungsregeln, die den Umfang und die Art der Handlungsmacht Einzelner beschränken, um zusätzliche Kontrolle und Absicherung zu schaffen. Während eine Einzelvollmacht einer Person alleinige Handlungen erlaubt, verlangt die Gesamtvollmacht das Zusammenwirken mehrerer Personen. Sie kann so gestaltet sein, dass alle Bevollmächtigten gemeinsam handeln müssen oder dass eine bestimmte Anzahl (z. B. zwei von drei) genügt. Entscheidend ist, was in der Vollmachtsurkunde geregelt ist.
Innen- und Außenverhältnis
Zu unterscheiden ist zwischen dem Innenverhältnis (Absprachen und Pflichten zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigten) und dem Außenverhältnis (Wirkung der Vollmacht gegenüber Dritten). Die Gesamtvollmacht wirkt nach außen, indem sie Dritten anzeigt, dass nur gemeinsames Handeln die Vertretung wirksam macht. Im Innenverhältnis können zusätzliche Anweisungen bestehen, etwa wer im Zweifel die Initiative ergreift, welche Informationspflichten bestehen oder wie Konflikte gelöst werden sollen.
Arten, Umfang und Gestaltung
Typische Anwendungsbereiche
Gesamtvollmachten finden sich in privaten und unternehmerischen Zusammenhängen. Beispiele sind Vorsorgegestaltungen mit mehreren Vertrauenspersonen, die gemeinschaftlich handeln sollen, die Verwaltung von Vermögen, die Führung von Vereins- oder Stiftungsgeschäften oder die Leitung von Unternehmen, bei denen Risikokontrolle durch Mehr-Augen-Prinzip gewollt ist.
Umfang der Vertretungsmacht
Der Umfang kann allgemein (weitreichend für alle Rechtsgeschäfte) oder speziell (nur für bestimmte Aufgaben, z. B. Bankgeschäfte, Immobilienverwaltung, Personalmaßnahmen) festgelegt werden. Häufig wird bestimmt, welche Geschäfte zwingend gemeinsames Handeln erfordern und ob es Ausnahmen gibt. Möglich ist auch eine Quotenregel, nach der eine bestimmte Anzahl der Bevollmächtigten genügt (z. B. Gesamtvollmacht zu zweien).
Form und Nachweis
Eine Gesamtvollmacht kann formlos erteilt werden, soweit für das zugrunde liegende Geschäft keine besondere Form verlangt wird. Für bestimmte Geschäfte ist allerdings eine besondere Form vorgeschrieben, etwa öffentliche Beglaubigung oder notarielle Beurkundung. Im Rechtsverkehr wird die Vertretungsmacht regelmäßig durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde nachgewiesen, in der die gemeinschaftliche Vertretung ausdrücklich benannt ist und aus der sich Anzahl und Identität der Bevollmächtigten ergeben.
Wirkung gegenüber Dritten
Gemeinsame Handlungspflicht
Handeln bei einer Gesamtvollmacht nicht alle erforderlichen Bevollmächtigten gemeinsam, ist das Geschäft nach außen grundsätzlich unwirksam. Wirksamkeit tritt erst ein, wenn die nach der Vollmachtsregel vorgesehene Anzahl tatsächlich mitwirkt, in der Regel durch gemeinsame Unterzeichnung oder gleichlautende Erklärungen.
Scheinvollmacht, Anschein und Duldung
Handelt nur eine Person ohne die erforderliche Mitwirkung der übrigen, können ausnahmsweise dennoch Rechtswirkungen entstehen, wenn der Eindruck einer ausreichenden Bevollmächtigung durch Verhalten des Vollmachtgebers gesetzt oder geduldet wurde. Solche Fälle betreffen das Vertrauen Dritter auf den Bestand einer Vertretungsmacht. Die Anforderungen daran sind hoch und hängen vom konkreten Geschehensablauf ab.
Schutz Dritter und Gutglauben
Für Dritte ist entscheidend, ob die erforderlichen Bevollmächtigten erkennbar gemeinsam auftreten und die Vollmacht inhaltlich den erbrachten Handlungen entspricht. Abweichungen zwischen Urkunde und Auftreten (z. B. fehlende Mitunterschrift) sprechen gegen eine wirksame Vertretung.
Registereintragungen und Geschäftspapiere
In unternehmensbezogenen Fällen kann die gemeinschaftliche Vertretung auf öffentlichen Registern und Geschäftspapieren vermerkt sein. Dies erleichtert die Einordnung, ersetzt jedoch nicht die Prüfung des konkreten Vollmachtnachweises, insbesondere wenn neben Organvertretung auch private Vollmachten genutzt werden.
Entstehung, Dauer und Beendigung
Erteilung und Annahme
Die Gesamtvollmacht entsteht durch Erklärung des Vollmachtgebers gegenüber den Bevollmächtigten oder gegenüber Dritten. Die Annahme durch die Bevollmächtigten ist regelmäßig erforderlich, kann aber auch konkludent erfolgen, etwa durch Aufnahme der Tätigkeit.
Befristung, Bedingung, Widerruf
Gesamtvollmachten können befristet oder an Bedingungen geknüpft werden (z. B. Eintritt eines bestimmten Ereignisses). Ein Widerruf ist grundsätzlich möglich und wirkt ab Zugang. In der Praxis wird die Wirkung durch Einziehung oder Widerrufsvermerk auf der Urkunde nach außen dokumentiert.
Tod, Geschäftsunfähigkeit, Organwechsel
Die Wirkung der Vollmacht kann durch Tod oder Wegfall der Handlungsfähigkeit des Vollmachtgebers enden. Es sind jedoch Gestaltungen verbreitet, die die Wirksamkeit über den Tod hinaus anordnen. Wechselt bei Organisationen das Organ oder treten neue Personen an die Stelle der bisherigen Bevollmächtigten, richtet sich die Fortgeltung nach der Vollmachtsregelung und den Organisationsvorschriften.
Insolvenz, Auflösung, Wegfall des Interesses
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, die Auflösung eines Rechtsträgers oder der Wegfall des mit der Vollmacht verfolgten Zwecks können die Beendigung der Gesamtvollmacht nach sich ziehen. Maßgeblich sind die getroffenen Regelungen und der Charakter des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses.
Abgrenzungen und verwandte Institute
Einzelvollmacht
Bei der Einzelvollmacht kann eine Person allein handeln; Kontrolle erfolgt allenfalls im Innenverhältnis. Die Gesamtvollmacht verlangt demgegenüber gemeinsames Handeln und schafft damit eine zusätzliche Hürde gegen Fehlentscheidungen oder Missbrauch.
Gesamtvertretung bei Organen
In Unternehmen und Vereinen kann vorgesehen sein, dass Organe (etwa mehrere Geschäftsleiter) nur gemeinsam vertreten. Diese Gesamtvertretung ist eine organschaftliche Regelung und von der privatrechtlichen Gesamtvollmacht zu unterscheiden, wenngleich beide nach außen ähnlich wirken.
Gesamtprokura
Die Gesamtprokura ist eine besondere, im Handelsverkehr verbreitete Form der Vertretungsmacht, bei der Prokuristinnen und Prokuristen nur gemeinsam handeln dürfen. Sie ist an spezifische handelsrechtliche Rahmenbedingungen gebunden und unterscheidet sich in Entstehung und Umfang von der frei gestaltbaren Gesamtvollmacht.
Sammelvollmacht und Kollektivregelungen
Eine Sammelvollmacht fasst mehrere Einzelvollmachten zusammen, ohne gemeinsames Handeln zu verlangen. Kollektivregelungen können hybride Formen schaffen, etwa die Vertretung durch zwei von mehreren benannten Personen. Ob es sich rechtlich um eine Gesamtvollmacht oder um parallel bestehende Einzelvollmachten handelt, ergibt sich aus dem Wortlaut der Urkunde.
Risiken, Kontrolle und interne Organisation
Missbrauchsgefahren und Kontrollmechanismen
Die Gesamtvollmacht dient der Risikobegrenzung, indem sie Einzeldispositionen verhindert. Risiken bestehen, wenn interne Abstimmungen fehlen, wenn Unklarheit über die Anzahl der erforderlichen Mitwirkenden herrscht oder wenn Urkunden missverständlich formuliert sind.
Dokumentation und Klarheit der Vollmachtsurkunde
Für die rechtssichere Handhabung ist eine klare Beschreibung von Umfang, Anzahl der Mitwirkenden, etwaigen Quoren, etwaigen Ausnahmen und der Geltungsdauer erforderlich. Eindeutige Bezeichnungen der Bevollmächtigten und eine konsistente Sprache vermeiden Auslegungskonflikte.
Sonderfälle: Selbstkontrahieren und Mehrfachrollen
Handelt ein Bevollmächtigter auf beiden Seiten eines Geschäfts oder ist zugleich an dem Geschäft persönlich beteiligt, gelten besondere Beschränkungen. Eine ausdrückliche Gestattung kann erforderlich sein, um solche Konstellationen zu ermöglichen. Bei Gesamtvollmacht ist zusätzlich zu beachten, ob alle Mitwirkenden trotz möglicher Interessenkollision gemeinsam handlungsfähig sind.
Häufig gestellte Fragen zur Gesamtvollmacht
Was bedeutet Gesamtvollmacht konkret?
Gesamtvollmacht bedeutet, dass mehrere benannte Bevollmächtigte nur gemeinsam wirksam handeln dürfen. Rechtsfolgen treten erst ein, wenn die nach der Vollmacht erforderliche Anzahl gemeinsam erklärt, unterschreibt oder sonst wirksam mitwirkt.
Worin liegt der Unterschied zur Einzelvollmacht?
Bei der Einzelvollmacht kann eine Person jedes erfasste Geschäft allein vornehmen. Die Gesamtvollmacht verlangt gemeinsames Handeln mehrerer Personen, häufig als Teil eines Mehr-Augen-Prinzips zur zusätzlichen Kontrolle.
Darf bei drei Bevollmächtigten auch „zwei von drei“ handeln?
Das ist möglich, wenn die Vollmacht dies ausdrücklich vorsieht. Ohne eine solche Quorenregel gilt der Grundsatz, dass alle benannten Personen gemeinsam handeln müssen.
Was passiert, wenn nur eine Person unterschreibt?
Fehlt die erforderliche Mitwirkung der übrigen, ist das Geschäft nach außen grundsätzlich unwirksam. Eine spätere Genehmigung kann die Wirksamkeit herstellen; ohne diese bleibt es beim Fehlen der Vertretungsmacht.
Gilt eine Gesamtvollmacht auch über den Tod hinaus?
Das hängt von der Ausgestaltung ab. Es gibt Gestaltungen, die die Wirksamkeit ausdrücklich über den Tod hinaus anordnen. Fehlt eine solche Anordnung, kann die Vollmacht mit dem Tod enden.
Welche Form ist für eine Gesamtvollmacht erforderlich?
Grundsätzlich ist keine besondere Form vorgeschrieben. Für bestimmte Geschäfte ist jedoch eine besondere Form notwendig, etwa öffentliche Beglaubigung oder notarielle Beurkundung. Der Nachweis gegenüber Dritten erfolgt üblicherweise durch Vorlage einer klar formulierten Urkunde.
Wie unterscheidet sich die Gesamtvollmacht von der Gesamtprokura?
Die Gesamtprokura ist eine spezielle, an den Handelsverkehr gebundene Vertretungsmacht mit eigenen Regeln und Eintragungen. Die Gesamtvollmacht ist frei gestaltbar und nicht auf den Handelsverkehr beschränkt.