Legal Lexikon

Gesamtschuld

Begriff und Grundprinzip der Gesamtschuld

Gesamtschuld bedeutet, dass mehrere Personen für dieselbe Forderung so einstehen, dass die Gläubigerseite die Leistung ganz oder teilweise von jeder einzelnen Person verlangen kann. Aus Sicht der Gläubigerseite ist die Forderung nur einmal zu erfüllen. Zahlt eine Person vollständig, erlöschen die Ansprüche gegen die anderen. Dieses Modell dient dem Schutz der Gläubigerseite vor dem Risiko, dass einzelne Personen ausfallen.

Die Gesamtschuld wird häufig auch als gesamtschuldnerische Haftung bezeichnet. Sie kann vertraglich vereinbart oder kraft Gesetzes entstehen, etwa wenn mehrere gemeinsam eine Pflicht verletzen oder einen Schaden verursachen.

Entstehung und Anwendungsbereiche

Vertragliche Begründung

Mehrere Personen können durch Vereinbarung gemeinsam eine Leistung schulden. Das kann ausdrücklich formuliert sein oder sich aus der Auslegung des Vertrags ergeben, etwa wenn mehrere Besteller gemeinsam eine Werkvergütung schulden oder mehrere Verkäufer für die Mangelfreiheit einer Sache einstehen.

Gesetzliche Begründung

Unabhängig von einer Vereinbarung kann Gesamtschuld entstehen, wenn mehrere für denselben Schaden einzustehen haben oder wenn eine rechtliche Regelung eine gemeinsame Haftung vorsieht. Typisch sind Konstellationen, in denen mehrere zusammen eine Pflichtverletzung begehen oder mehrere Verursachungsbeiträge zu einem einheitlichen Schaden führen.

Misch- und Sonderformen

Die Gesamtschuld kann sich auch aus einer Kombination von Vertrag und gesetzlicher Zurechnung ergeben, etwa wenn zu einer vertraglich übernommenen Verpflichtung weitere Verantwortliche hinzutreten.

Außenverhältnis: Verhältnis zur Gläubigerseite

Wahlrecht der Gläubigerseite

Die Gläubigerseite kann frei wählen, von welcher Person sie die Leistung ganz oder teilweise verlangt. Sie muss nicht zuerst die wirtschaftlich leistungsfähigste Person in Anspruch nehmen und nicht zwischen den Personen quotal aufteilen.

Erfüllung und Befreiung

Erbringt eine Person die geschuldete Leistung vollständig, sind die übrigen Personen im gleichen Umfang befreit. Teilzahlungen einer Person mindern die Forderung gegenüber allen in entsprechendem Umfang.

Leistungsstörungen, Verzug, Zinsen und Kosten

Kommt eine Person in Verzug, können zusätzliche Forderungen wie Verzugszinsen oder notwendige Beitreibungskosten entstehen. Welche Verzugsfolgen auf die übrigen Personen durchschlagen, hängt davon ab, ob es sich um allgemeine Folgen der gemeinsamen Schuld oder um speziell der säumigen Person zuzurechnende Umstände handelt. Grundsätzlich sollen Mehrkosten, die gerade durch eine einzelne Person verursacht werden, nicht ohne Weiteres auf alle anderen verlagert werden.

Einwendungen und Einreden

Gesamtbezogene Einwendungen

Einwendungen, die die Forderung als solche betreffen (etwa Erfüllung, Erlass oder Unmöglichkeit der Leistung), wirken zugunsten aller. Steht fest, dass die Forderung nicht mehr besteht oder vermindert ist, kann sie gegenüber keiner Person weiter verlangt werden.

Persönliche Einwendungen

Einwendungen, die nur auf der Person eines einzelnen Gesamtschuldners beruhen (etwa ein nur ihm erteilter Zahlungsaufschub), wirken grundsätzlich nur für diese Person. Die Gläubigerseite kann sich dann weiterhin an die übrigen wenden.

Innenverhältnis: Ausgleich unter den Gesamtschuldnern

Grundsatz des internen Ausgleichs

Zahlt eine Person mehr als den Anteil, der ihr im Innenverhältnis zusteht, kann sie von den anderen Ausgleich verlangen. Die Verteilung richtet sich nach der internen Quote. Diese kann vereinbart sein oder sich aus Verantwortungsanteilen, Nutzenverteilung oder anderen Umständen ergeben.

Bestimmung der Quote

Fehlt eine klare Abrede, wird die Quote nach Billigkeit und Zurechnung bestimmt. Maßgeblich können Gewicht und Beitrag der einzelnen Personen zur Entstehung der Schuld, die wirtschaftlichen Vorteile aus dem zugrunde liegenden Geschäft oder eine gerechte Risikoverteilung sein. In manchen Konstellationen ist eine gleichmäßige Verteilung sachgerecht, in anderen eine nach Schwere des Beitrags abgestufte Verteilung.

Übergang von Rechten und Regress

Begleicht eine Person die Forderung, gehen in der Regel bestimmte Rechte der Gläubigerseite gegen die übrigen auf sie über. Dadurch wird der Regress erleichtert, etwa indem Sicherheiten oder vertragliche Nebenrechte mitübergehen, soweit sie dem Ausgleich dienen können.

Besondere Umstände

Haben einzelne Personen nur eingeschränkt Verantwortung getragen oder sich intern haftungsbegrenzend verabredet, kann dies die Quote beeinflussen. Ebenso kann eine interne Freistellung zwischen den Beteiligten den Ausgleich steuern, ohne die Gläubigerseite im Außenverhältnis zu binden.

Veränderungen, Erlöschen und Verjährung

Erlass, Vergleich, Stundung

Verzichtet die Gläubigerseite gegenüber einer Person auf die Forderung oder trifft eine abweichende Zahlungsvereinbarung, wirkt dies je nach Inhalt unterschiedlich: Ein endgültiger Verzicht mindert die Gesamtschuld in der Regel nur insoweit, wie er die Gläubigerseite zufriedenstellt; ob und wie dies auf die anderen durchschlägt, hängt vom Charakter der Vereinbarung ab. Eine bloße Stundung gegenüber einer Person lässt die Möglichkeit unberührt, die Forderung von den übrigen zu verlangen.

Aufrechnung und Anrechnung

Rechnet eine Person mit einer ihr zustehenden Gegenforderung auf, kann dies die Gesamtschuld reduzieren, wenn die Gegenforderung der Art nach die gemeinsame Hauptforderung trifft. Handelt es sich um eine rein persönliche Gegenforderung, kann die Wirkung auf die übrigen begrenzt sein.

Verjährung

Die Verjährung kann für einzelne Personen unterschiedlich verlaufen, etwa wenn Hemmungs- oder Neubeginnstatbestände nur sie betreffen. Tritt Verjährung gegenüber einer Person ein, bleibt die Forderung gegenüber anderen Personen grundsätzlich bestehen, solange sie dort nicht verjährt ist. Umgekehrt kann eine verjährungshemmende Maßnahme gegen eine Person nicht in jedem Fall für alle wirken.

Abgrenzungen zu verwandten Konzepten

Teilschuld

Bei der Teilschuld schuldet jede Person nur ihren Anteil. Die Gläubigerseite kann von jeder Person nur den jeweiligen Teil verlangen. Anders als bei der Gesamtschuld besteht keine Haftung für die ganze Summe.

Bürgschaft

Die Bürgschaft ist eine Sicherung der fremden Schuld. Die bürgende Person schuldet nicht die eigene Leistung, sondern steht für die Erfüllung der Hauptschuld ein. Bei der Gesamtschuld schulden alle Personen die Hauptleistung selbst.

Mehrere Gläubiger

Mehrere Gläubiger einer Forderung sind etwas anderes als mehrere Schuldner. Während bei der Gesamtschuld mehrere auf Schuldnerseite stehen, betrifft die Mehrzahl der Gläubiger die Forderungsinhaberschaft. Die Regeln unterscheiden sich deutlich, insbesondere beim Leistungsort, bei der Erfüllung und bei der Verfügung über die Forderung.

Typische Beispiele

Gemeinsame Vertragspartner

Schließen mehrere Personen gemeinsam einen Vertrag über eine einheitliche Leistung, kann eine Gesamtschuld vorliegen, etwa bei gemeinsam beauftragten Leistungen, deren Vergütung einheitlich geschuldet wird.

Gemeinsame Verursachung eines Schadens

Verursachen mehrere Personen gemeinsam einen Schaden, können sie der geschädigten Person gesamtschuldnerisch haften. Diese kann den gesamten Schaden von einer einzelnen Person verlangen, die dann intern Ausgleich sucht.

Häufig gestellte Fragen zur Gesamtschuld

Was bedeutet Gesamtschuld in einfachen Worten?

Mehrere Personen haften für dieselbe Forderung so, dass die Gläubigerseite sich die gesamte Leistung von einer einzelnen Person holen kann. Wer zahlt, befreit die anderen in entsprechender Höhe.

Muss die Gläubigerseite jeden Gesamtschuldner gleich behandeln?

Nein. Es besteht ein Wahlrecht, die Forderung ganz oder teilweise gegen jede einzelne Person geltend zu machen. Eine gleichmäßige Verteilung der Inanspruchnahme ist nicht vorgeschrieben.

Was passiert, wenn eine Person die Gesamtschuld vollständig bezahlt?

Die Forderung ist gegenüber allen erfüllt. Die zahlende Person kann im Innenverhältnis von den anderen Ausgleich nach der maßgeblichen internen Quote verlangen.

Wie wird die interne Quote bestimmt?

Die Quote ergibt sich aus Vereinbarungen oder, wenn solche fehlen, aus einer Zurechnungs- und Billigkeitsabwägung. Berücksichtigt werden insbesondere Verantwortungsanteile, Nutzenverteilung und Risikozuweisung.

Wirken ein Erlass oder eine Stundung gegenüber einem Gesamtschuldner für alle?

Ein endgültiger Verzicht kann die Gesamtforderung reduzieren, bindet die übrigen aber nur in dem Umfang, den die Vereinbarung vorsieht. Eine reine Stundung für eine Person lässt die Inanspruchnahme der anderen grundsätzlich unberührt.

Gilt die Verjährung für alle Gesamtschuldner gleichermaßen?

Nicht zwingend. Hemmung, Neubeginn oder Ablauf der Verjährung können je nach Umständen nur einzelne Personen betreffen. Verjährt die Forderung gegenüber einer Person, kann sie gegenüber anderen weiterhin durchsetzbar sein.

Worin unterscheidet sich Gesamtschuld von Bürgschaft?

Bei der Gesamtschuld schulden alle die Hauptleistung. Bei der Bürgschaft übernimmt eine Person eine Sicherungsfunktion für die fremde Schuld und schuldet nicht die eigene Hauptleistung.

Kann Gesamtschuld vertraglich ausgeschlossen oder begrenzt werden?

Die Beteiligten können die interne Quote festlegen und im Verhältnis zueinander Haftungsteile regeln. Ob und inwieweit Vereinbarungen die Gläubigerseite im Außenverhältnis binden, hängt von der konkreten Ausgestaltung ab.