Gesamthandsforderung: Rechtsnatur, Entstehung und Bedeutung im deutschen Recht
Begriff und Definition der Gesamthandsforderung
Die Gesamthandsforderung ist ein zentraler Begriff des deutschen Zivilrechts, insbesondere im Gesellschaftsrecht. Sie bezeichnet eine Forderung, die einer Mehrheit von Personen gemeinschaftlich in der Form der sogenannten Gesamthand zusteht. Das Gesamthandsprinzip beschreibt dabei, dass die Forderung nicht anteilig oder individuell den einzelnen Beteiligten zusteht, sondern ungeteilt der gesamten Personenmehrheit. Charakteristisch für die Gesamthand ist damit die gesamthänderische Bindung der Rechtspositionen, die sich insbesondere von der Bruchteilsgemeinschaft unterscheidet.
Die Gesamthandsforderung ist vor allem von Bedeutung bei bestimmten Gesellschaftsformen, etwa bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der offenen Handelsgesellschaft (OHG) und der Kommanditgesellschaft (KG).
Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Verankerung
Die Gesamthandsforderung ist kein direkt im Gesetz definierter Begriff, sie ergibt sich jedoch aus verschiedenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Handelsgesetzbuches (HGB). Zentrale Vorschriften zur Gesamthandgemeinschaft finden sich insbesondere in den §§ 718 ff. BGB (GbR), §§ 105 ff. HGB (OHG und KG) sowie in Vorschriften über die Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB).
Abgrenzung zur Bruchteilsgemeinschaft
Im Gegensatz zur Bruchteilsgemeinschaft, bei der jedem Beteiligten ein festgelegter Anteil an einem gemeinsamen Recht zusteht, ist bei der Gesamthand das Recht oder die Forderung der Gemeinschaft insgesamt zugeordnet. Die Beteiligten (sog. Gesamthänder) können über ihren Anteil an der Gesamthandsforderung nicht alleine verfügen.
Entstehung und Rechtsinhaberschaft
Voraussetzungen der Gesamthandsforderung
Eine Gesamthandsforderung entsteht, wenn eine Forderung aufgrund der Gemeinschaftsbindung gemeinschaftlich von mehreren Personen geltend gemacht werden kann. Erforderlich ist das Bestehen einer Gesamthandgemeinschaft, zu deren Vermögen die Forderung gehört. Typische Fälle dafür sind:
- Forderungen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegen Dritte (z. B. gegen Vertragspartner)
- Ansprüche einer OHG oder KG aus ihrer Geschäftstätigkeit
- Forderungen der Erbengemeinschaft im Nachlassverfahren
Inhaber der Gesamthandsforderung
Gläubiger der Gesamthandsforderung ist nicht der einzelne Gesellschafter oder Miterbe, sondern die Gesamthandgemeinschaft selbst. Diese kann mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet sein (wie etwa bei der rechtsfähigen Außen-GbR oder der OHG).
Durchsetzung und Verwaltung der Gesamthandsforderung
Geltendmachung nach außen
Die Gesamthandsforderung wird im Regelfall durch die vertretungsberechtigten Personen für die Gemeinschaft geltend gemacht. Wer zur Geltendmachung befugt ist, richtet sich nach den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen oder gemeinschaftlichen Vorschriften:
- Bei der GbR: Alle Gesellschafter gemeinsam, sofern keine abweichende Regelung besteht, gemäß § 714 BGB.
- Bei der OHG/KG: Die geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter nach §§ 125, 161 HGB.
- Bei der Erbengemeinschaft: Die Miterben gemeinsam, vgl. § 2039 BGB.
Wirkung nach innen
Der Anspruch aus einer Gesamthandsforderung steht allen Teilhabern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit zu. Ein individueller Zugriff auf den Forderungsanteil ist nicht möglich. Vielmehr erfolgt eine etwaige Verwertung (etwa Auszahlung realisierter Forderungen) im Rahmen der internen Auseinandersetzung oder Gesamthandabwicklung.
Verfügungsbeschränkungen und Rechtsfolgen
Übertragbarkeit
Einzelne Mitglieder der Gesamthand sind nicht berechtigt, ihren ideellen Anteil an der Gesamthandsforderung zu veräußern oder zu belasten. Die Übertragung erfolgt nur durch die Aufgabe oder Übertragung der gesamthänderischen Beteiligung als solche (z. B. durch Ausscheiden aus der Gesellschaft oder Gesamthandgemeinschaft).
Pfändung und Zwangsvollstreckung
Eine Zwangsvollstreckung ist nicht gegen einen einzelnen Anteil an einer Gesamthandsforderung möglich. Vielmehr kann nur in das Gesamtvermögen der Gemeinschaft vollstreckt werden. Im Rahmen der Erbengemeinschaft ergeben sich hierzu gesonderte Regelungen im Zwangsvollstreckungsrecht (§ 747 ZPO in Verbindung mit §§ 2032 ff. BGB).
Gesamthandsforderung im Gesellschaftsrecht
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
Für die GbR ergibt sich aus der gesamthänderischen Bindung (§ 718 BGB), dass Forderungen aus dem Gesellschaftsvermögen stets Gesamthandsforderungen sind. Außenstehende Schuldner können eine Zahlung nur mit Wirkung für die gesamte Gesellschaft leisten.
Offene Handelsgesellschaft (OHG) und Kommanditgesellschaft (KG)
Auch im Recht der Personengesellschaften sind Forderungen der Gesellschaft jeweils Gesamthandsforderungen, die nur durch die Gesellschaft insgesamt oder nach Maßgabe der vertretungsberechtigten Gesellschafter geltend gemacht werden können.
Erbengemeinschaft
Bei der Erbengemeinschaft nach §§ 2032 ff. BGB steht der Nachlass bis zur Teilung allen Miterben als Gesamthandsvermögen zu. Forderungen des Nachlasses sind Gesamthandsforderungen der Miterben als Erbengemeinschaft.
Auflösung der Gesamthandsforderung und Auseinandersetzung
Mit der Auflösung der Gesamthand (z. B. durch Beendigung der Gesellschaft, Abschluss der Erbauseinandersetzung) werden die Gesamthandsforderungen regelmäßig fällig und im Rahmen der abschließenden Verteilung auf die Einzelberechtigten übertragen oder unter diesen verteilt.
Bedeutung und praktische Relevanz
Die Gesamthandsforderung dient dem Schutz der gemeinschaftlichen Interessen innerhalb der Gesamthand und verhindert eine Zersplitterung von Vermögenspositionen. Sie spielt eine herausgehobene Rolle insbesondere bei der Verwaltung und Abwicklung von Personengesellschaften sowie im Erbrecht.
Literatur und weiterführende Hinweise
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Handelsgesetzbuch (HGB)
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage
- Münchener Kommentar zum BGB, aktuelle Auflage
Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Gesamthandsforderung im deutschen Recht sowie deren rechtliche Einordnung, Entstehung, Verwaltung und Bedeutung für verschiedene Rechtsformen.
Häufig gestellte Fragen
Wie entsteht eine Gesamthandsforderung im rechtlichen Kontext?
Eine Gesamthandsforderung entsteht insbesondere dann, wenn mehrere Personen gemeinsam Inhaber einer Forderung sind, die nicht einzelnen quotenmäßig zugeordnet werden kann, sondern der Gemeinschaft insgesamt zusteht. Typische Fälle finden sich im Gesellschaftsrecht, insbesondere bei der GbR (§ 705 ff. BGB), der OHG (§ 105 ff. HGB) sowie im Rahmen der Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Die Forderung geht auf die Gesamtberechtigten über, sodass kein Miteigentum nach Bruchteilen besteht, sondern vielmehr eine gesamthänderische Bindung: Über die Forderung können die Teilhaber nur gemeinsam verfügen. Die Entstehung der Gesamthandsforderung ist eng verknüpft mit der jeweiligen Rechtsgrundlage, die diese Form der gemeinschaftlichen Berechtigung vorsieht (z.B. Gesellschaftsvertrag, Erbfall). Daneben muss die Forderung tatsächlich eine solche sein, die sich auf ein teilbares Recht bezieht. Forderungen aus unerlaubter Handlung oder Forderungen aus höchstpersönlichen Ansprüchen scheiden regelmäßig aus.
Wie wird eine Gesamthandsforderung geltend gemacht und wer ist zur Geltendmachung berechtigt?
Die Geltendmachung einer Gesamthandsforderung erfolgt grundsätzlich nur durch alle Teilhaber gemeinsam, also durch die Gesamthandsgemeinschaft. Kein Gesellschafter oder Mitglied der Gemeinschaft kann die Forderung allein, ohne Mitwirkung der anderen, individuell durchsetzen. Lediglich die Gesamthand kann wirksam im Rechtsverkehr auftreten, was sich insbesondere im Prozessrecht durch die sog. notwendige Streitgenossenschaft niederschlägt (§ 62 ZPO). In der Praxis bedeutet dies, dass alle Mitglieder gemeinsam klagen oder klageweise in Anspruch genommen werden müssen. Eine Ausnahme kann sich ergeben, wenn die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Geschäftsführung bestimmte Gesellschafter zur alleinigen Vertretung bevollmächtigt hat, was im Gesellschafts- oder Erbengemeinschaftsvertrag geregelt sein kann.
Welche Wirkungen hat die Gesamthandsforderung gegenüber dem Schuldner?
Der Schuldner einer Gesamthandsforderung ist verpflichtet, die Leistung ausschließlich an alle Mitglieder der Gesamthandsgemeinschaft oder an einen von ihnen bevollmächtigten Vertreter zu erbringen. Eine Leistung an nur einen Teilhaber befreit ihn grundsätzlich nicht von seiner Schuld, es sei denn, dieser Teilhaber war durch die Gemeinschaft zur Entgegennahme ermächtigt. Zahlungen oder Erfüllungshandlungen an einzelne Teilhaber ohne entsprechenden Nachweis oder Ermächtigung bergen das Risiko einer doppelten Inanspruchnahme für den Schuldner, da die Forderung weiterhin der Gesamthand zusteht. Eine Dispositionsbefugnis über die Forderung besteht nach außen also nur gemeinschaftlich.
Welche Unterschiede bestehen zur Bruchteilsgemeinschaft hinsichtlich der Forderungsinhaberschaft?
Die Gesamthandsforderung unterscheidet sich wesentlich von der Forderung im Rahmen einer Bruchteilsgemeinschaft (§ 741 BGB). Bei der Gesamthand steht die Forderung der Gemeinschaft als solcher zu und ist nicht nach Bruchteilen aufgeteilt; die einzelnen Mitglieder haben keine quotenmäßige Zuordnung an der Forderung. Bei der Bruchteilsgemeinschaft hingegen ist jeder Miteigentümer mit einem abstrakten Anteil an der Forderung beteiligt und kann über diesen Anteil auch selbstständig verfügen (z.B. abtreten, verpfänden). Dispositionen und Geltendmachung der Forderung erfolgen in der Bruchteilsgemeinschaft grundsätzlich teilbar, während bei der Gesamthand ein gemeinschaftliches Handeln erforderlich ist.
Wie erfolgt die Verwaltung und Verfügung über eine Gesamthandsforderung?
Die Verwaltung und Verfügung über eine Gesamthandsforderung liegt grundsätzlich in den Händen der Gesamthandsgemeinschaft, also aller Teilhaber gemeinschaftlich. Rechtliche Grundlage sind hierbei die Bestimmungen des jeweiligen Gemeinschaftsverhältnisses (z.B. § 718 BGB für die GbR, § 743 BGB für die OHG, §§ 2038, 2039 BGB für die Erbengemeinschaft). Grundsätzlich dürfen Einzelne über die Forderung nicht allein verfügen oder diese einfordern. Für bestimmte Geschäfte kann eine entsprechende Mehrheitsentscheidung oder – im Rahmen des Gesellschaftsvertrags – eine Einzelvertretungsbefugnis vorgesehen sein. Dispositionen wie Abtretung, Verpfändung oder Erlass der Forderung sind allerdings ohne Mitwirkung aller gesamthänderisch Berechtigten grundsätzlich nicht wirksam.
Welche Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Zwangsvollstreckung in eine Gesamthandsforderung?
Die Zwangsvollstreckung in eine Gesamthandsforderung richtet sich nach den Vorschriften der ZPO (§§ 749, 866, 857 ZPO). Ein Gläubiger eines einzelnen Teilhabers kann nicht unmittelbar auf die Gesamthandsforderung zugreifen, da sie ausschließlich der Gemeinschaft als solcher zusteht. Für die Zwangsvollstreckung ist förmlich festzustellen, dass die Forderung Gemeinschaftsvermögen ist, und der Zugriff kann nur unter Beachtung der gemeinschaftlichen Bindung erfolgen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass zunächst gegebenenfalls eine Auseinandersetzung der Gemeinschaft herbeigeführt werden muss, bevor der Gläubiger des einzelnen Mitglieds Zugriff nehmen kann. Auch insoweit unterscheiden sich Gesamthandsforderung und Bruchteilsgemeinschaft maßgeblich.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich beim Untergang oder bei der Übertragung einer Gesamthandsforderung?
Der Untergang einer Gesamthandsforderung, beispielsweise durch Erfüllung, Erlass oder Unmöglichkeit der Leistung, betrifft immer die gesamte Gemeinschaft und wirkt sich auf jedes Mitglied gleichermaßen aus. Eine Übertragung der Gesamthandsforderung auf Außenstehende (z.B. durch Abtretung) ist grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Gesamthänder möglich, es sei denn, das Rechtsverhältnis sieht eine andere Regelung vor. Im Falle der Auflösung der Gemeinschaft (z.B. durch Auseinandersetzung, Tod eines Gesellschafters) wird die Forderung häufig in Bruchteile aufgeteilt und den jeweiligen Mitgliedern entsprechend ihrem Anteil zugeordnet, sodass sie dann als reguläre Miteigentümer nach Bruchteilen auftreten.
Welche Rolle spielt die Gesamthandsforderung in der Insolvenz der Gemeinschaft?
Im Falle der Insolvenz der Gesamthandsgemeinschaft (z.B. Gesellschaftsinsolvenz, Nachlassinsolvenz) gehört die Gesamthandsforderung zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und unterliegt der Verwaltung des Insolvenzverwalters. Ansprüche Dritter gegen die Gemeinschaft werden dann im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht. Eine Einzelinsolvenz eines Teilhabers hat demgegenüber keinen unmittelbaren Zugriff auf die Gesamthandsforderung zur Folge, da diese nicht zum Vermögen des Einzelnen, sondern der gesamten Gemeinschaft gehört. In solchen Fällen bleibt zunächst eine gesamthänderische Bindung bestehen, bis die Gemeinschaft gegebenenfalls auseinandergesetzt oder aufgelöst wird.