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Gesamtgläubigerschaft

Gesamtgläubigerschaft: Begriff und Grundprinzip

Einfache Erklärung

Bei der Gesamtgläubigerschaft stehen mehrere Personen gemeinsam auf der Seite der Forderungsinhaber. Der Schuldner schuldet die Leistung jedoch nur einmal. Jede der beteiligten Personen darf die gesamte Leistung verlangen, und der Schuldner kann an jede von ihnen mit befreiender Wirkung leisten. Sobald also eine Person die Leistung erhält, gilt die Forderung gegenüber allen als erfüllt. Die Beteiligten teilen die erhaltene Leistung im Innenverhältnis nach ihrer Vereinbarung oder nach gesetzlichen Leitlinien untereinander auf.

Rechtliche Einordnung und Praxisbeispiele

Die Gesamtgläubigerschaft ist eine Form der Mehrpersonenkonstellation auf der Gläubigerseite. Sie dient der Vereinfachung im Außenverhältnis: Der Schuldner muss sich nicht mit mehreren Anspruchsinhabern abstimmen, sondern kann eine Person auswählen. Typische Beispiele sind das „Oder-Konto” mehrerer Kontoinhaber gegenüber dem Kreditinstitut, Mietforderungen mehrerer Vermieter gegenüber dem Mieter oder gemeinschaftliche Bezugsrechte aus einem Versicherungsvertrag.

Entstehung und Vereinbarung

Vertragliche Begründung

In der Praxis entsteht Gesamtgläubigerschaft häufig durch Vereinbarung. Parteien können festlegen, dass ein Schuldner an mehrere Berechtigte leistet, wobei jede dieser Personen die volle Leistung verlangen kann. Wichtig ist eine klare Regelung, wer im Außenverhältnis empfangsberechtigt ist und wie im Innenverhältnis verteilt wird.

Gesetzliche Entstehungsfälle

Neben vertraglichen Abreden kann Gesamtgläubigerschaft auch unmittelbar kraft Gesetzes auftreten, etwa wenn der Zweck einer Gemeinschaft fordert, dass mehrere Personen zusammen Inhaber eines einheitlichen Anspruchs sind, der nur einmal zu erfüllen ist.

Abgrenzung zu anderen Mehrpersonenlagen

Teilgläubigerschaft

Bei der Teilgläubigerschaft hat jede berechtigte Person nur einen Anteil am Anspruch. Der Schuldner muss jeden Anteil gesondert erfüllen. Anders bei der Gesamtgläubigerschaft: Dort kann jede berechtigte Person die ganze Leistung fordern, und eine Leistung befreit gegenüber allen.

Gesamthandsgemeinschaft

Bei der gemeinschaftlichen Forderung einer Gesamthandsgemeinschaft (zum Beispiel im Verband einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft) können die Beteiligten regelmäßig nur gemeinsam verfügen. Die Gesamtgläubigerschaft unterscheidet sich dadurch, dass jeder Berechtigte allein die Leistung verlangen und entgegennehmen darf.

Gesamtschuldnerschaft

Die Gesamtschuldnerschaft betrifft die Schuldnerseite: Mehrere Schuldner schulden eine Leistung so, dass der Gläubiger sie im Ganzen von jedem einzelnen verlangen kann. Die Gesamtgläubigerschaft spiegelt dieses Prinzip auf der Gläubigerseite wider: Mehrere Berechtigte können die ganze Leistung fordern, der Schuldner muss aber nur einmal leisten.

Rechtsfolgen im Außenverhältnis (Schuldner – Gesamtgläubiger)

Geltendmachung, Erfüllung und Erlöschen

Jeder Gesamtgläubiger darf den Anspruch in voller Höhe geltend machen. Der Schuldner kann frei wählen, an wen er leistet. Leistung an einen Gesamtgläubiger wirkt gegenüber allen befreiend; die Forderung erlischt insgesamt. Gleiches gilt für andere Erfüllungssurrogate wie Hinterlegung oder Aufrechnung, soweit die Voraussetzungen vorliegen.

Erklärungen und Verfügungen eines Gesamtgläubigers

Erklärungen eines Gesamtgläubigers, die den Anspruch betreffen, wirken grundsätzlich für und gegen alle. Dazu zählen beispielsweise die Annahme von Leistungen, Stundungsvereinbarungen, Vergleiche, Anerkenntnisse sowie – im Grundsatz – auch rechtsgestaltende Erklärungen, die den Anspruch verändern oder zum Erlöschen bringen können. Die Rechtsfolgen betreffen stets die gesamte Forderung; die Ausgleichsfragen werden im Innenverhältnis geregelt.

Einreden und Einwendungen des Schuldners

Der Schuldner kann dem Anspruch Einreden und Einwendungen entgegenhalten, die ihm gegen den Anspruch oder gegen einzelne Gesamtgläubiger zustehen. Rechtsnachteile oder -vorteile, die gegenüber einem Gesamtgläubiger entstehen, erfassen regelmäßig den einheitlichen Anspruch und wirken deshalb gegenüber allen Beteiligten. Dazu gehören etwa die Aufrechnung, die Verjährungseinrede oder ein Verzichtstatbestand, soweit die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Verzug, Zinsen und Leistungsstörungen

Für den Eintritt des Schuldnerverzugs genügt die Mahnung eines Gesamtgläubigers. Verzugszinsen und weitere Verzugsfolgen betreffen den einheitlichen Anspruch und können entsprechend von jedem Gesamtgläubiger geltend gemacht werden. Kommt es zu Leistungsstörungen wie Unmöglichkeit oder Annahmeverzug, wirken entsprechende Erklärungen und Tatsachen im Regelfall gegenüber allen Gesamtgläubigern. Teilleistungen an einen Gesamtgläubiger mindern den Gesamtanspruch in gleicher Weise.

Sicherheiten und Nebenrechte

Mit der Forderung verbundene Sicherheiten und Nebenrechte folgen grundsätzlich dem Schicksal des Hauptanspruchs. Wird der Anspruch durch Leistung an einen Gesamtgläubiger erfüllt, erlöschen akzessorische Sicherheiten entsprechend. Rechte wie Zinsen, Vertragsstrafen oder Schadensersatzansprüche werden einheitlich behandelt und können von jedem Gesamtgläubiger geltend gemacht werden, soweit sie mit dem Anspruch verknüpft sind.

Innenverhältnis der Gesamtgläubiger

Beteiligungsquoten und Ausgleich

Im Innenverhältnis richtet sich die Verteilung der empfangenen Leistung nach der Vereinbarung der Gesamtgläubiger. Fehlt eine ausdrückliche Regelung, wird häufig eine gleichmäßige Beteiligung zugrunde gelegt. Derjenige, der die Leistung erhalten hat, ist gegenüber den anderen zur Herausgabe nach der vereinbarten Quote verpflichtet. Gleiches gilt, wenn der Anspruch durch Handlungen eines Gesamtgläubigers gemindert oder aufgehoben wurde; der Ausgleich erfolgt durch interne Erstattungs- und Freistellungsansprüche.

Verwaltung, Information und Abrechnung

Zwischen den Gesamtgläubigern bestehen Treue- und Informationspflichten. Wer die Leistung entgegennimmt oder über den Anspruch verfügt, muss abrechnen und Informationen bereitstellen, damit die Verteilung ordnungsgemäß vorgenommen werden kann. Die interne Verwaltung des Anspruchs zielt darauf ab, widersprüchliche Geltendmachungen zu vermeiden und eine klare Zuordnung der vereinnahmten Beträge sicherzustellen.

Abtretung der Stellung als Gesamtgläubiger und Rechtsnachfolge

Die Stellung eines Gesamtgläubigers kann auf Dritte übergehen, etwa durch Abtretung der Berechtigung oder im Wege der Gesamtrechts- oder Einzelrechtsnachfolge (zum Beispiel im Erbfall). Der Kreis der Gesamtgläubiger verändert sich dann entsprechend. Der Anspruch bleibt einheitlich; die neue Person tritt an die Stelle des bisherigen Beteiligten und ist im Außenverhältnis empfangs- und verfügungsbefugt.

Änderung und Beendigung der Gesamtgläubigerschaft

Umwandlung, Erlöschen, Konfusion

Die Gesamtgläubigerschaft kann durch Vereinbarung der Beteiligten in eine Teilgläubigerschaft umgewandelt werden, sodass jeder nur noch einen Anteil fordern kann. Sie endet, wenn der Anspruch erfüllt oder aus anderen Gründen erloschen ist. Vereinen sich sämtliche Gläubigerrechte und die Schuldnerstellung in einer Person, erlischt der Anspruch durch Vereinigung (Konfusion).

Auswirkungen von Insolvenz eines Gesamtgläubigers

Die Insolvenz eines Gesamtgläubigers berührt den einheitlichen Anspruch im Außenverhältnis grundsätzlich nicht; der Schuldner kann weiterhin an einen der Gesamtgläubiger mit befreiender Wirkung leisten. Im Innenverhältnis werden Ausgleichsansprüche gegen den insolventen Beteiligten als Insolvenzforderungen behandelt und nach den dort geltenden Regeln abgewickelt.

Häufig gestellte Fragen

Worin unterscheidet sich die Gesamtgläubigerschaft von der Teilgläubigerschaft?

Bei der Gesamtgläubigerschaft kann jeder Berechtigte die gesamte Leistung verlangen, und Leistung an einen befreit gegenüber allen. Bei der Teilgläubigerschaft hat jeder Berechtigte nur einen eigenen Anteil; der Schuldner muss jeden Anteil gesondert erfüllen.

Darf der Schuldner frei entscheiden, an welchen Gesamtgläubiger er leistet?

Grundsätzlich ja. Der Schuldner kann die Leistung an einen der Gesamtgläubiger bewirken und wird dadurch gegenüber allen frei. Abweichende Abreden zwischen den Gesamtgläubigern können das Innenverhältnis regeln, ändern aber die befreiende Wirkung im Außenverhältnis nicht.

Kann ein einzelner Gesamtgläubiger den Anspruch herabsetzen oder erlassen?

Erklärungen eines einzelnen Gesamtgläubigers, die den Anspruch betreffen, wirken im Regelfall für und gegen alle. Dazu können auch Vereinbarungen gehören, die den Anspruch ändern oder zum Erlöschen bringen. Die Folgen werden im Innenverhältnis durch Ausgleichsansprüche abgefedert.

Wie werden Zahlungen, die ein Gesamtgläubiger erhält, verteilt?

Die Verteilung richtet sich nach der internen Abrede der Gesamtgläubiger. Fehlt eine Regelung, wird häufig eine gleichmäßige Aufteilung zugrunde gelegt. Der empfangsberechtigte Gesamtgläubiger ist zur Abrechnung und Herausgabe nach der vereinbarten Quote verpflichtet.

Welche Einreden kann der Schuldner gegenüber Gesamtgläubigern geltend machen?

Der Schuldner kann Einreden und Einwendungen geltend machen, die dem einheitlichen Anspruch entgegenstehen. Er kann sich auch auf Umstände berufen, die gegenüber einem Gesamtgläubiger bestehen, wenn sie den Anspruch insgesamt betreffen, etwa Aufrechnung oder Verjährung, sofern die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Wie wirkt sich eine Mahnung auf den Verzug aus?

Die Mahnung eines einzelnen Gesamtgläubigers kann den Schuldner in Verzug setzen. Verzugsfolgen wie Zinsen treffen den einheitlichen Anspruch und können von jedem Gesamtgläubiger geltend gemacht werden.

Was geschieht bei Rechtsnachfolge eines Gesamtgläubigers?

Geht die Stellung eines Gesamtgläubigers auf eine andere Person über, tritt diese in die Rechtsposition ein. Der Anspruch bleibt einheitlich; die neue Person ist im Außenverhältnis berechtigt, die Leistung zu fordern und entgegenzunehmen.