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Gesamtgläubigerschaft


Begriff und Grundlagen der Gesamtgläubigerschaft

Die Gesamtgläubigerschaft ist ein Begriff aus dem deutschen Schuldrecht (§ 428 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) und bezeichnet eine besondere Form des gesetzlich geregelten Forderungsmehrs. Bei der Gesamtgläubigerschaft stehen mehreren Gläubigern eine Forderung gemeinschaftlich zu, so dass der Schuldner die Leistung an sämtliche Gläubiger leisten muss. Mit Erfüllung gegenüber einem Gläubiger wird die Forderung insgesamt erloschen. Die Gesamtgläubigerschaft ist in ihrer rechtlichen Konzeption das Gegenstück zur Gesamtschuldnerschaft auf der Gläubigerseite.

Gesetzliche Regelung

Regelung im BGB

Die Gesamtgläubigerschaft ist gesetzlich in §§ 428 bis 430 BGB normiert. Die Vorschrift des § 428 BGB lautet:

„Sind mehrere eine unteilbare Leistung in der Weise zu fordern berechtigt, dass jeder die ganze Leistung fordern kann, der Schuldner aber die Leistung nur einmal zu bewirken verpflichtet ist, so handelt es sich um eine sogenannte Gesamtgläubigerschaft. Die einzelnen Gläubiger kann der Schuldner nach seinem Belieben befriedigen.“

Abgrenzung zu anderen Forderungsmehrheiten

Es wird unterschieden zwischen:

  • Gesamtgläubigerschaft (§§ 428 ff. BGB): Jeder Gläubiger kann vom Schuldner die volle Leistung verlangen, der Schuldner muss aber nur einmal leisten.
  • Gemeinschaftliche Gläubigerschaft (§ 432 BGB): Die Gläubiger können die Leistung nur gemeinschaftlich fordern (z.B. Erbengemeinschaft).
  • Ideelle Teilgläubigerschaft: Jeder Gläubiger kann nur seinen Anteil an der Gesamtsumme geltend machen.
  • Gesamtschuldnerschaft (§§ 421 ff. BGB): Demgegenüber ist dies die Schuldnerseite, bei der mehrere Schuldner die gleiche Leistung schulden.

Entstehung der Gesamtgläubigerschaft

Gesetzliche Entstehung

Eine Gesamtgläubigerschaft entsteht nicht automatisch durch das bloße Bestehen mehrerer Gläubiger, sondern grundsätzlich nur durch Rechtsgeschäft (z.B. durch einen Vertrag) oder durch ausdrückliche Bestimmung im Gesetz.

Beispielhafte gesetzliche Fälle sind im deutschen Recht selten. Häufiger ist die Gesamtgläubigerschaft in Verträgen, insbesondere bei Bankkonten mit Gemeinschaftskonten als „Oder-Konten“ (jeder Kontoinhaber kann über den gesamten Kontostand verfügen).

Rechtsgeschäftliche Entstehung

Im Rahmen privater Absprachen kann eine Gesamtgläubigerschaft durch Auslegung des Schuldverhältnisses vereinbart werden. Voraussetzung ist der ausdrückliche oder konkludente Wille der Parteien, dass mehrere Personen berechtigt sein sollen, die unteilbare Leistung zu fordern und der Schuldner schuldbefreiend nur einmal leisten muss.

Rechtsfolgen der Gesamtgläubigerschaft

Rechte und Pflichten der Gläubiger

Jeder Gesamtgläubiger besitzt eine Einzelbefugnis zur Geltendmachung der Gesamtforderung gegenüber dem Schuldner. Die Gesamtgläubiger sind hinsichtlich der Forderung untereinander gleichberechtigt; der Schuldner kann mit schuldbefreiender Wirkung an jeden von ihnen leisten (§ 428 BGB).

Auswirkungen der Leistung

Sobald der Schuldner an einen der Gläubiger leistet, erlischt die Forderung gegenüber allen Gläubigern. Die Gläubiger haben untereinander intern einen Ausgleichsanspruch nach Maßgabe ihres Anteils an der Gesamtforderung (§ 430 BGB).

Gestaltungsrechte und Einreden

Gestaltungsrechte (z.B. Kündigung, Rücktritt) können grundsätzlich auch von einem einzelnen Gesamtgläubiger ausgeübt werden, sofern sie sich auf die Forderung beziehen. Einreden, die sich gegen einen Gläubiger richten, wirken gegenüber allen Gläubigern.

Verjährung

Die Verjährung der Forderung gegen den Schuldner betrifft die gesamte Gesamtgläubigerschaft. Mit Erfüllung oder Verjährung gegen einen Gläubiger ist die Forderung insgesamt erloschen.

Pfändung und Abtretung

Die Abtretung des Anteils eines Gläubigers ist grundsätzlich möglich. Im Falle einer Pfändung durch einen Drittschuldner ist zu beachten, dass der Schuldner schuldbefreiend an den Gläubiger leisten kann, gegenüber dem die Pfändung besteht.

Rechte und Pflichten des Schuldners

Der Schuldner hat die Wahl, an welchen der Gesamtgläubiger er leistet. Nach Leistung an einen Gläubiger ist er gegenüber den übrigen Gläubigern befreit. Dem Schuldner steht es frei, Einwendungen gegen die Gesamtgläubiger unabhängig voneinander geltend zu machen, sofern sie die Gesamtforderung betreffen.

Zweck und praktische Bedeutung

Typische Anwendungsfelder

Die Gesamtgläubigerschaft ist von praktischer Bedeutung, wenn die Parteien ein besonderes Interesse an einer Flexibilisierung der Forderungsausübung haben. Häufige Anwendungsbeispiele sind Gemeinschaftskonten mit Einzelverfügungsbefugnis oder Forderungen aus gemeinsamen Vertragsverhältnissen.

Vorteile und Risiken

Vorteile:

  • Flexibilität für die Gläubiger hinsichtlich der Geltendmachung.
  • Effizienz und Vereinfachung der Forderungsdurchsetzung.

Risiken:

  • Gefahr von Mehrfachgeltendmachungen (diese kann der Schuldner durch Begleichung an einen Gläubiger vermeiden).
  • Regelungsbedarf bei interner Auseinandersetzung zwischen den Gläubigern, die durch Ausgleichsansprüche ausgeglichen werden muss.

Abgrenzung zu weiteren Mehrpersonenverhältnissen

Die Abgrenzung der Gesamtgläubigerschaft gegenüber anderen Mehrpersonenverhältnissen ist von grundlegender Bedeutung:

  • Bei einer Gemeinschaft kann nur gemeinschaftlich (§ 432 BGB) gefordert werden.
  • Im Rahmen der Teilgläubigerschaft ist jeder Gläubiger nur zur Geltendmachung seines Anteils befugt.
  • Auf Schuldnerseite besteht die parallele Konstruktion der Gesamtschuldnerschaft, die spiegelbildlich die Gesamthaftung mehrerer Schuldner gegenüber dem Gläubiger regelt.

Zusammenfassung

Die Gesamtgläubigerschaft umfasst die rechtliche Situation, in der mehrere Gläubiger gemeinschaftlich Inhaber einer unteilbaren Forderung sind, wobei jeder von ihnen die Forderung gegenüber dem Schuldner in voller Höhe geltend machen kann, der Schuldner jedoch nur einmal leisten muss. Diese Rechtsfigur dient der Flexibilisierung und Effizienz der Forderungsdurchsetzung und erfordert sorgfältige Abgrenzung zu anderen Gläubigermehrheiten. Die Gesamtgläubigerschaft ist insbesondere für Praxisfälle mit gemeinschaftlichen Interessen oder gemeinsamer Forderungsverwaltung relevant und bietet klare Regelungen zu Gläubigerrechten, internen Ausgleichsansprüchen und den Pflichten des Schuldners.

Häufig gestellte Fragen

Wie unterscheidet sich die Gesamtgläubigerschaft von der Gesamtschuldnerschaft?

Die Gesamtgläubigerschaft nach § 428 BGB unterscheidet sich wesentlich von der Gesamtschuldnerschaft: Während bei der Gesamtschuldnerschaft mehrere Schuldner verpflichtet sind, eine Leistung an den Gläubiger zu erbringen, befinden sich bei der Gesamtgläubigerschaft mehrere Gläubiger auf der Seite der Forderungsberechtigten. Jeder Gläubiger ist nach dem Gesetz berechtigt, die gesamte Leistung zu fordern, jedoch mit der Wirkung, dass der Schuldner mit der Erbringung der Leistung an einen Gläubiger gegenüber allen Gläubigern befreit wird. Im Gegensatz dazu schuldet bei der Gesamtschuldnerschaft jeder Schuldner das Ganze, und der Gläubiger kann nach seinem Belieben den gesamten Betrag von einem oder mehreren der Schuldner verlangen, bis die vollständige Befriedigung erfolgt ist. Somit liegt der zentrale Unterschied im Rechtsverhältnis: Bei der Gesamtgläubigerschaft besteht eine Forderung „auf Gläubigerseite“, bei der Gesamtschuldnerschaft eine Schuld „auf Schuldnerseite“.

Unter welchen Voraussetzungen entsteht eine Gesamtgläubigerschaft?

Eine Gesamtgläubigerschaft entsteht in der Regel nicht automatisch, sondern bedarf einer ausdrücklichen rechtlichen Grundlage. Sie kann sowohl durch gesetzliche Anordnung als auch durch Parteivereinbarung begründet werden. Gesetzlich geregelt ist die Gesamtgläubigerschaft etwa in § 432 BGB. Sie liegt vor, wenn mehrere Personen eine unteilbare Leistung zu fordern haben, oder wenn aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses hervorgeht, dass alle Gläubiger die Leistung nur gemeinsam fordern können. Häufig entsteht die Gesamtgläubigerschaft im Rahmen von Erbengemeinschaften, bei gemeinschaftlichen Gläubigern bei Immobilienkauf oder bei Gemeinschaften zur gesamten Hand (z.B. Bruchteilsgemeinschaften). Voraussetzung ist stets, dass die Gläubiger nicht nur eine Bruchteilsforderung, sondern gemeinschaftlich eine einheitliche Forderung innehaben.

Welche Rechte und Pflichten haben die einzelnen Gesamtgläubiger?

Jeder Gesamtgläubiger ist berechtigt, die gesamte geschuldete Leistung vom Schuldner zu fordern, § 428 BGB. Das bedeutet, dass der Schuldner seine Schuld durch Leistung an einen beliebigen Gläubiger mit Wirkung gegenüber allen Gläubigern erfüllen kann. Andererseits sind die Gesamtgläubiger untereinander zur sogenannten anteiligen Binnenausgleichung verpflichtet. Derjenige Gläubiger, der den Betrag erhalten hat, ist zum internen Ausgleich gegenüber den übrigen Gläubigern verpflichtet. Diese Ausgleichspflicht ergibt sich aus dem gemeinschaftlichen Charakter der Forderung und verhindert eine ungerechtfertigte Bereicherung des empfangenden Gläubigers. Außerdem können die Gesamtgläubiger nur gemeinsam über den Gegenstand ihrer Forderung verfügen, d.h. einzelne Gläubiger können allein nicht auf die Forderung verzichten, sie stunden oder anderweitig darüber verfügen.

Wie wirkt die Erfüllung der Leistung auf das Verhältnis der Gesamtgläubiger untereinander?

Nahezu zentrale Bedeutung hat die Regelung, dass die Erfüllung der Leistung gegenüber jedem einzelnen Gesamtgläubiger mit Wirkung für und gegen alle Gläubiger erfolgt (§ 428 BGB). Erhält ein Gesamtgläubiger die Leistung, so erlischt die Forderung gegenüber dem Schuldner insgesamt. Intern sind jedoch die erhaltenen Mittel unter den Gesamtgläubigern entsprechend ihrem Anteil auszugleichen (Binnenausgleich). Dabei richtet sich die Höhe des Ausgleichsanspruchs nach dem Verhältnis, das entweder vertraglich bestimmt oder mangels einer solchen Regelung gesetzlich als gleichteilig angenommen wird. Bis zur endgültigen Verteilung bleibt der empfangsberechtigte Gläubiger zur Herausgabe bzw. Teilung verpflichtet, andernfalls könnten die übrigen Gläubiger Schadenersatz verlangen.

Welche Rechte hat der Schuldner im Hinblick auf die Auswahl des Gläubigers?

Der Schuldner kann nach Belieben an jeden einzelnen Gesamtgläubiger mit schuldbefreiender Wirkung leisten. Er muss dabei keine Rücksicht auf etwaige interne Verabredungen oder Verteilungen unter den Gläubigern nehmen. Allerdings kann der Schuldner nicht an einen Nichtgläubiger leisten, selbst wenn dieser vorgibt, berechtigt zu sein. Im Übrigen kann der Schuldner sich etwa durch Hinterlegung oder gerichtliche Hinterlegung befreien, wenn Unsicherheit hinsichtlich des Berechtigten besteht. Es besteht für den Schuldner aber kein Anspruch darauf, dass alle Gläubiger auftreten oder gemeinsam Leistung verlangen; eine Leistungspflicht an alle besteht nicht. Der Schuldner hat jedoch die Folgen einer Doppelzahlung zu tragen, falls er trotz Leistung an einen Gläubiger auch an einen anderen zahlt, weil er etwa von der Zahlung nichts wusste.

Wie verhält es sich mit Einwendungen und Einreden des Schuldners gegenüber einzelnen Gesamtgläubigern?

Dem Schuldner stehen gegenüber einem Gesamtgläubiger sämtliche Einreden und Einwendungen zur Verfügung, die sich aus dem Verhältnis zum gesamten Gläubigerkreis oder aus dem persönlichen Verhältnis zu einem bestimmten Gläubiger ergeben (§ 429 BGB). Einwendungen wie Erfüllung, Verjährung, Notwehr oder eine Aufrechnung können gegenüber jedem Gesamtgläubiger geltend gemacht werden. Ist etwa die Forderung bereits durch Leistung an einen Gläubiger erfüllt worden, so kann der Schuldner dies jedem weiteren Gläubiger entgegenhalten. Persönliche Einreden – beispielsweise eine Einrede der Anfechtung nur gegenüber einem bestimmten Gläubiger – wirken dann nur gegenüber diesem individuellen Gläubiger, lassen jedoch die Forderung der übrigen bestehen, soweit keine Gesamteinrede vorliegt.

Welche Bedeutung hat die Gesamtgläubigerschaft in der Praxis, etwa im Erbrecht oder bei gemeinschaftlichen Rechtsgeschäften?

In der Praxis ist die Gesamtgläubigerschaft insbesondere im Erbrecht von zentraler Bedeutung, etwa dann, wenn mehrere Erben gemeinsam eine Forderung des Nachlasses geltend machen. Hier können alle Miterben die gesamte Forderung geltend machen, die Leistung des Schuldners an einen Erben wirkt mit schuldbefreiender Wirkung gegenüber allen. Auch bei gemeinschaftlichen Rechtsgeschäften, wie dem Kauf von Immobilien durch mehrere Parteien als Gesamtgläubiger, kommt der Begriff zur Anwendung. Im Wirtschaftsrecht finden sich Anwendungsfälle bei syndizierten Darlehen, wenn mehrere Kreditgeber als Gesamtgläubiger auftreten. Die korrekte Rechtsanwendung ist im praktischen Geschäftsverkehr essenziell, um sicherzustellen, dass Forderungen ordnungsgemäß beglichen und intern ausgeglichen werden sowie keine Zahlungsverpflichtungen doppelt erfüllt werden müssen.