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Genitalverstümmelung


Begriff und Definition der Genitalverstümmelung

Genitalverstümmelung, auch Genitalverstümmelung weiblicher oder männlicher Personen (umgangssprachlich auch „Beschneidung“ im weiteren Sinne), bezeichnet eine Vielzahl von Eingriffen, bei denen die äußeren männlichen oder weiblichen Geschlechtsorgane ganz oder teilweise entfernt oder auf andere Weise dauerhaft verletzt werden, ohne dass hierfür medizinische Notwendigkeit besteht. Die weibliche Genitalverstümmelung wird im internationalen Kontext häufig mit der Abkürzung FGM (Female Genital Mutilation) bezeichnet.

Diese Eingriffe werden häufig aus kulturellen, religiösen oder sozialen Gründen durchgeführt und stellen einen gravierenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen dar. Im rechtlichen Sinne ist Genitalverstümmelung eine schwere Körperverletzung und in den meisten Rechtsordnungen ausdrücklich unter Strafe gestellt.


Rechtslage in Deutschland

Strafrechtliche Bewertung

In Deutschland ist die Genitalverstümmelung durch das Strafgesetzbuch (StGB) erfasst. Nach § 226a StGB („Verstümmelung weiblicher Genitalien“) ist die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien explizit als Straftatbestand normiert. Der Gesetzgeber hat diesen eigenständigen Straftatbestand im Jahr 2013 eingeführt, um der besonderen Schutzbedürftigkeit von Mädchen und Frauen Rechnung zu tragen.

Zusätzlich sind auch weitere einschlägige Straftatbestände wie die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) oder die schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), auch bei männlicher Genitalverstümmelung, anwendbar.

Strafmaß und Verfolgung

Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren geahndet. Der Versuch ist ebenfalls strafbar. Die Tat wird unabhängig von der Einwilligung des Opfers verfolgt, Einwilligung ist unbeachtlich. Darüber hinaus ist § 226a StGB ein Offizialdelikt, das heißt, die Strafverfolgung erfolgt von Amts wegen.

Auslandstaten

Gemäß § 5 Nr. 9 StGB unterliegt auch eine im Ausland begangene Genitalverstümmelung der deutschen Strafgewalt, sofern das Opfer zur Tatzeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte oder der Täter Deutscher ist.


Völkerrechtliche und europarechtliche Vorgaben

Internationale Übereinkommen

Genitalverstümmelung stellt nach mehreren völkerrechtlichen Abkommen eine schwere Menschenrechtsverletzung dar. Bedeutende Übereinkommen sind u. a.:

  • Die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 19, 24),
  • Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW),
  • Die Istanbul-Konvention des Europarats, welche ausdrücklich Schutzmaßnahmen und Strafvorschriften gegen Gewalt an Frauen und insbesondere Genitalverstümmelung fordert.

Europarechtliche Vorgaben

Innerhalb der Europäischen Union wird auf Grundlage der EU-Grundrechtecharta und entsprechender Rahmenbeschlüsse ein umfassender Schutz vor Genitalverstümmelung garantiert. In der Praxis ist die Umsetzung national unterschiedlich geregelt, wobei in verschiedenen Mitgliedstaaten ebenfalls spezielle Straftatbestände eingeführt wurden.


Rechtliche Aspekte der Prävention und Opferhilfe

Schutz vor Gefährdung und Präventionsmaßnahmen

Das Familienrecht und das Kinder- und Jugendschutzrecht in Deutschland bieten weitergehende Maßnahmen, um potenziell gefährdete Kinder und Jugendliche vor drohender Genitalverstümmelung zu schützen. So kann das Familiengericht auf Antrag des Jugendamts oder anderer Beteiligter Anordnungen nach §§ 1666, 1666a BGB treffen, um das Kindeswohl auch vor drohender Beschneidung oder Verstümmelung zu sichern.

Auch im Sozialrecht werden Schutzinstrumente, etwa zur Beratung durch Jugendämter (§ 8a SGB VIII), sowie interdisziplinäre Netzwerke eingesetzt, um gefährdete Kinder rechtzeitig vor Verletzungen zu schützen.

Opferhilfe und Entschädigungsrecht

Für Betroffene bestehen Ansprüche auf Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), welches auch nachhaltig physische und psychische Folgen von Genitalverstümmelungen abdeckt. Darüber hinaus greifen Angebote psychosozialer Prozessbegleitung sowie Möglichkeiten des Zeugenschutzes im Strafverfahren.


Genitalverstümmelung bei männlichen Personen

Rechtslage und Abgrenzung

Die Beschneidung minderjähriger männlicher Personen (Zirkumzision) ist in Deutschland grundsätzlich nach § 1631d BGB bei Einwilligung der Sorgeberechtigten zulässig, sofern sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Ziel dieser Regelung war unter anderem, religiös bedingte Beschneidungen im Einklang mit dem Elternrecht zu regeln.

Eine strafbare Genitalverstümmelung bei männlichen Personen ist gegeben, wenn der Eingriff gegen den Willen oder ohne wirksame Einwilligung vorgenommen wurde oder er über eine bloße Zirkumzision hinausgeht und zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen Integrität führt.


Zivilrechtliche Konsequenzen

Schadensersatz und Schmerzensgeld

Betroffene von Genitalverstümmelung können zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß § 823 Abs. 1 BGB („Schadensersatzpflicht“) gegen die Täter sowie eventuell mitverantwortliche Personen oder Institutionen geltend machen. Dies umfasst sowohl die materiellen Folgeschäden als auch die immateriellen Schäden (z. B. langfristige psychische Beeinträchtigungen).


Medizinrechtliche Besonderheiten

Einwilligungsfähigkeit und Aufklärung

Bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen an den Genitalien ist die Einwilligung nur wirksam, sofern das betroffene Kind selbst einwilligungsfähig ist oder die Sorgeberechtigten im Sinne des Kindeswohls entscheiden. Eine mangelhafte oder unzureichende Aufklärung kann für die durchführenden Personen haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

In Deutschland herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Grenzen der elterlichen Sorge bei Eingriffen überschritten werden, welche das Kindeswohl gefährden oder zu irreversiblen Schädigungen führen.


Aktuelle Herausforderungen und Ausblick

Genitalverstümmelung bleibt trotz umfassender strafrechtlicher, zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Regelungen eine gesellschaftliche und rechtliche Herausforderung. Neben der konsequenten Strafverfolgung sind Prävention, Aufklärung und internationale Kooperationen entscheidend, um betroffene Kinder und Frauen nachhaltig zu schützen. Die fortlaufende Sensibilisierung der Justiz, medizinischer Berufsgruppen und im Bildungsbereich ist ebenso bedeutsam, um Diskriminierung und Wiederholungsgefahren wirksam zu begegnen.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Bundesministerium der Justiz: § 226a StGB
  • Istanbul-Konvention (Europarat)
  • Opferentschädigungsgesetz (OEG)
  • Deutsches Institut für Menschenrechte – Themenschwerpunkt Genitalverstümmelung

Hinweis: Diese Ausführungen beleuchten umfassend die rechtlichen Aspekte des Begriffs Genitalverstümmelung in Deutschland und dem europäischen sowie völkerrechtlichen Kontext und bieten einen tiefgehenden Einblick in die aktuellen Entwicklungen des Schutzes vor dieser gravierenden Menschenrechtsverletzung.

Häufig gestellte Fragen

Ist Genitalverstümmelung in Deutschland strafbar?

Ja, Genitalverstümmelung (insbesondere die weibliche Genitalverstümmelung, FGM/C – Female Genital Mutilation/Cutting) ist in Deutschland ausdrücklich strafbar. Nach § 226a des Strafgesetzbuches (StGB) steht die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe. Das Gesetz sieht hierfür Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren vor, abhängig von der Schwere der Tat und den Folgen für die betroffene Person. Die Strafbarkeit gilt insbesondere dann, wenn die Tat von Personen verübt wird, die im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Das Gesetz sieht zudem vor, dass die Tat auch dann verfolgt werden kann, wenn sie im Ausland begangen wurde. Damit unterstreicht der deutsche Gesetzgeber die eindeutige Unzulässigkeit der Genitalverstümmelung und setzt sich für einen umfassenden Opferschutz ein.

Können auch Eltern oder Erziehungsberechtigte für Genitalverstümmelung strafrechtlich belangt werden?

Eltern oder Erziehungsberechtigte, die sich an einer Genitalverstümmelung beteiligen, diese veranlassen oder ermöglichen, machen sich in Deutschland nach § 226a StGB strafbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie die Handlung selbst ausführen oder andere damit beauftragen. Die Mitwirkung, das Dulden oder das Ermöglichen der Tat zieht ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen nach sich. Auch versuchen Eltern, das Kind für den Eingriff ins Ausland zu bringen, bleibt dies in Deutschland strafbar, da nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip (§ 5 Nr. 9a StGB) eine Strafverfolgung auch bei Taten im Ausland erfolgt, sofern die Täter oder das Opfer ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Wie verhält es sich mit Genitalverstümmelung, die im Ausland vorgenommen wird?

Die Strafbarkeit der Genitalverstümmelung nach deutschem Recht greift nicht nur bei in Deutschland begangenen Taten, sondern auch bei solchen, die im Ausland erfolgen, sofern das Opfer oder der Täter zum Tatzeitpunkt einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Das ergibt sich aus den §§ 5 und 7 StGB (Ausdehnung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten). Dies ist besonders bedeutsam, da Genitalverstümmelung häufig im Rahmen von Auslandsaufenthalten, z.B. während Urlaubsreisen im Herkunftsland, vorgenommen wird. In solchen Konstellationen kann die deutsche Justiz die Verantwortlichen in Deutschland vor Gericht stellen.

Welche weiteren rechtlichen Schutzmaßnahmen gibt es in Deutschland für Betroffene?

Neben der Strafverfolgung bietet das deutsche Recht verschiedene Schutzmechanismen für potenziell gefährdete Kinder und Jugendliche. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) sind Jugendämter verpflichtet, in Verdachtsfällen tätig zu werden und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn eine Gefahr für das Kindeswohl besteht. Dazu gehört auch das Einschreiten bei drohender Genitalverstümmelung. Die Familiengerichte können darüber hinaus kinder- und jugendschutzrechtliche Maßnahmen anordnen, etwa das Aufenthaltsbestimmungsrecht regeln oder bei drohender Ausreise ins Ausland einen Ausreise- und Passentzug anordnen, um eine geplante Genitalverstümmelung zu verhindern.

Welche Verjährungsfristen gelten bei der Strafverfolgung von Genitalverstümmelung?

Die Verjährungsfrist für Genitalverstümmelung richtet sich in Deutschland nach § 78 Absatz 3 StGB und beträgt in der Regel zwanzig Jahre. Die Frist beginnt jedoch nicht bei der Tatbegehung, sondern erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Opfers (§ 78b Absatz 1 Nr. 1 StGB). Dadurch wird sichergestellt, dass die Betroffenen auch viele Jahre nach dem eigentlichen Eingriff noch die Möglichkeit haben, die Tat zur Anzeige zu bringen und eine strafrechtliche Verfolgung einzuleiten.

Kann auch die Werbung oder Anstiftung zu Genitalverstümmelung strafbar sein?

Nicht nur die unmittelbare Durchführung der Genitalverstümmelung ist strafbar, sondern auch die Anstiftung oder Beihilfe hierzu (§§ 26, 27 StGB). Wer also andere dazu verleitet oder dazu beiträgt, eine Genitalverstümmelung vorzunehmen, macht sich ebenfalls strafbar. Auch das öffentliche Gutheißen, Bewerben oder Rechtfertigen von Genitalverstümmelungen kann unter bestimmten Umständen – etwa als öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) – strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Welche Rechte stehen Betroffenen vor Gericht zu?

Opfer von Genitalverstümmelung haben in Deutschland umfangreiche Rechte im Strafverfahren. Sie können beispielsweise als Nebenklägerinnen auftreten, was ihnen besondere Mitwirkungsrechte im Strafprozess einräumt. Außerdem haben sie einen Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung (§ 406g StPO), auf anwaltliche Vertretung sowie auf staatliche Opferentschädigung und Schutzmaßnahmen, wie das Zeugenschutzprogramm oder den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Gerichtsverhandlung, falls dies erforderlich ist, um eine Retraumatisierung zu vermeiden.