Gemeingefährliche Straftaten – Definition und Grundlagen
Gemeingefährliche Straftaten sind ein zentraler Begriff im deutschen Strafrecht und umfassen solche Delikte, durch die die Allgemeinheit in besonderer Weise gefährdet wird. Es handelt sich um Straftatbestände, bei denen die Handlung eines Täters potentielle Gefahren für eine unbegrenzte Anzahl von Personen, Sachen oder bedeutende Rechtsgüter begründet. Der Gesetzgeber trägt der potenziell unübersehbaren Schadenauswirkung dieser Taten durch eine strenge Sanktionierung Rechnung.
Im Strafgesetzbuch (StGB) sind gemeingefährliche Straftaten insbesondere in den §§ 306 bis 323c StGB geregelt. Sie zählen zu den sogenannten „Delikten gegen die öffentliche Sicherheit“.
Rechtsdogmatischer Hintergrund
Gemeingefahr als Zentrales Tatbestandsmerkmal
Das Begriffsmerkmal der Gemeingefahr ist essenziell für die Einordnung und Abgrenzung gemeingefährlicher Straftaten von sonstigen Delikten. Unter Gemeingefahr wird eine Situation verstanden, in der durch die Tat eine unbestimmte Vielzahl von Personen oder Sachen durch ein schwer beherrschbares Geschehen bedroht wird.
Der zentrale Gedanke ist, dass die Auswirkungen der Tat nicht nur auf Einzelpersonen oder Einzelobjekte begrenzt sind, sondern weite Kreise ziehen können. Charakteristisch ist ferner die fehlende Steuerbarkeit des Schadens sowie die Unmöglichkeit, die Gefährdung auf bestimmte Opfer einzugrenzen.
Schutzgüter gemeingefährlicher Straftaten
Diese Delikte dienen dem Schutz fundamentaler Rechtsgüter:
- Leben und körperliche Unversehrtheit
- Gesundheit
- Freiheit
- Eigentum
- Sicherheit bedeutender Sachwerte (z. B. Infrastruktur, Versorgungsanlagen)
- Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen
Einteilung und Systematik gemeingefährlicher Straftaten
Übersicht über einschlägige Straftatbestände im StGB
Im siebten Abschnitt („Gemeingefährliche Straftaten“) des StGB sind folgende bedeutende Deliktgruppen erfasst:
- Brandstiftungsdelikte (§§ 306 bis 306f StGB)
– Einfache und besonders schwere Brandstiftung, Herbeiführung einer Brandgefahr, Brandstiftung mit Todesfolge
- Gefährdung durch Sprengstoff und radioaktive Strahlung (§§ 307 bis 310 StGB)
– Herbeiführung einer Explosion durch Sprengstoffe, Freisetzen ionisierender Strahlen, Missbrauch von Kernenergie
- Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315 bis 316a StGB)
– Straßenverkehrsgefährdung, Gefährliche Eingriffe in den Straßen- und Bahnverkehr, Trunkenheit im Verkehr, Angriff auf Kraftfahrer
- Vergiftung und Kontamination (§§ 311 bis 314 StGB)
– Vergiftung von Wasser, Herbeiführung einer Überschwemmung
- Weitere Delikte der gemeinen Gefahr (§§ 318 bis 323c StGB)
– Baugefährdung, Betriebsgefährdung, Unterlassene Hilfeleistung, Missbrauch von Notrufen
Abgrenzung zu Individualrechtsgutsdelikten
Im Unterschied zu Individualdelikten (z. B. Körperverletzung, Diebstahl), bei denen konkrete einzelne Personen oder Gegenstände verletzt werden, steht bei gemeingefährlichen Straftaten die potenzielle Masse an Opfer im Vordergrund. Kennzeichnend ist der unüberschaubare Kreis von Gefährdeten und das unbeherrschbare Ausmaß eines möglichen Schadens.
Tatbestandsmerkmale gemeingefährlicher Straftaten
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand beinhaltet die Schaffung einer Lage, in der die Gefährdung einer Vielzahl von Menschen oder bedeutenden Sachwerten nicht mehr beherrscht werden kann. Die genaue Ausgestaltung der Tatbestandselemente ist je nach Straftat unterschiedlich, beispielsweise:
- Beim Inbrandsetzen genügt es meist, wenn ein Objekt in Brand gerät und die Möglichkeit besteht, dass das Feuer auf weitere Objekte übergeht.
- Bei Sprengstoffdelikten wird eine schwere Explosionsgefahr für Unbeteiligte geschaffen.
Subjektiver Tatbestand
Der subjektive Tatbestand umfasst Vorsatz und in bestimmten Fällen auch Fahrlässigkeit. Manche gemeingefährlichen Straftaten können nicht nur vorsätzlich, sondern auch fahrlässig begangen werden (z. B. fahrlässige Brandstiftung, § 306d StGB).
Strafzumessung und Rechtsfolgen
Strafrahmen
Gemeingefährliche Straftaten unterliegen in der Regel hohen Strafandrohungen. So reicht das Strafmaß in vielen Fällen von Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe, insbesondere im Rahmen besonders schwerer Fälle oder bei der Verursachung von Todesfällen (vgl. §§ 306a, 306c, 307 Abs. 3 StGB).
Mögliche Nebenfolgen
Zusätzlich zur Hauptstrafe können Nebenfolgen wie die Einziehung von Tatmitteln, Fahrverbote, Berufsverbote oder weitere Maßnahmen nach dem Nebenstrafrecht (z. B. Entziehung der Fahrerlaubnis) verhängt werden.
Versuch, Vorbereitung und Vollendung
Versuchsstrafbarkeit
Der Versuch gemeingefährlicher Straftaten ist regelmäßig strafbar (§ 23 StGB), sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur unmittelbaren Ausführung angesetzt hat, auch wenn kein Schaden eingetreten ist.
Vorbereitungshandlungen
Nach § 310 StGB sowie in einzelnen anderen Delikten sind auch bestimmte Vorbereitungshandlungen strafbar. Dies betrifft etwa das Herstellen oder Verschaffen von Sprengmitteln zur Brandstiftung.
Gemeingefährliche Straftaten im internationalen Vergleich
Auch in anderen Rechtsordnungen existieren vergleichbare Tatbestände zur Bekämpfung gemeingefährlicher Delikte, mit zum Teil abweichenden Systematisierungen und Sanktionsmechanismen.
Bedeutung und Praxisrelevanz
Gemeingefährliche Straftaten treten oft im Zusammenhang mit Großschadensereignissen, Katastrophen, Anschlägen oder Unglücksfällen auf. Ihre Aufklärung und Prävention stehen im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen. Die Bedeutung für die Allgemeinheit, der Schutz vor Massenunglücken, sowie die hohe öffentliche Aufmerksamkeit geben diesen Delikten eine herausgehobene Stellung im Strafrecht.
Literatur und weiterführende Informationen
Für detaillierte Informationen bieten sich Kommentare zum StGB, Lehrbücher zum Strafrecht sowie einschlägige Fachzeitschriften an. Statistiken und aktuelle Entwicklungen zu gemeingefährlichen Straftaten werden auch regelmäßig von Institutionen der Kriminalprävention und inneren Sicherheit veröffentlicht.
Zusammenfassung:
Gemeingefährliche Straftaten stellen einen besonders schwerwiegenden Typ von Delikten im deutschen Strafrecht dar, bei denen potenziell beliebig viele Menschen und bedeutende Sachwerte bedroht sind. Sie sind streng geregelt, umfassen eine Vielzahl von Straftatbeständen und unterliegen entsprechend hohen Strafen. Ihre Prävention und Ahndung dient dem Schutz der Allgemeinheit und der öffentlichen Sicherheit.
Häufig gestellte Fragen
Welche Straftaten fallen unter den Begriff der gemeingefährlichen Straftaten nach deutschem Recht?
Unter gemeingefährlichen Straftaten versteht man im deutschen Strafrecht solche Delikte, die nicht nur einzelne Personen oder Sachen, sondern eine Vielzahl von Menschen oder bedeutende Rechtsgüter der Allgemeinheit in Gefahr bringen. Diese Taten sind im Strafgesetzbuch (StGB) vor allem in den §§ 306 bis 323c StGB geregelt. Beispiele hierfür sind insbesondere Brandstiftung (§§ 306 ff. StGB), Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 StGB), Umgang mit Sprengstoffen (§ 308 StGB), Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB), Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§§ 315-316c StGB), sowie Verursachen einer Überschwemmung (§ 313 StGB) oder Freisetzen von Giften (§ 314 StGB). Die gemeinsame Klammer bildet das Merkmal, dass durch die jeweilige Handlung eine unüberschaubare Zahl von Menschen, Tieren oder Sachen gefährdet wird – es handelt sich um abstrakte oder konkrete Gemeingefahr.
Wie werden gemeingefährliche Straftaten im Verhältnis zur Individualgefahr bewertet?
Gemeingefährliche Straftaten unterscheiden sich von Delikten, die eine Individualgefahr darstellen, dadurch, dass sie typischerweise geeignet sind, eine Vielzahl von Rechtsgütern unabhängig von deren individueller Zuordnung zu gefährden. Während Individualdelikte – wie etwa Körperverletzung oder Diebstahl – gezielt einzelne Rechtsgüter betreffen, entfalten gemeingefährliche Delikte ihre Gefährdungswirkung regelmäßig unabhängig vom Willen des Täters und einem unmittelbaren Bezug zum Opfer. Der Gesetzgeber bewertet diese potenzielle und oftmals schwer kontrollierbare Gefahr als besonders schutzwürdig, weshalb gemeingefährliche Straftaten mit teilweise deutlich höheren Strafrahmen bedacht sind.
Welche Rolle spielt das Gefährdungs- beziehungsweise Erfolgsdelikt im Bereich der gemeingefährlichen Straftaten?
Im Bereich der gemeingefährlichen Straftaten unterscheidet das Strafrecht zwischen sogenannten Gefährdungsdelikten und Erfolgsdelikten. Gefährdungsdelikte setzen bereits die bloße Gefährdung eines bestimmten Guts oder einer Person voraus, ohne dass es zu einem tatsächlichen Schaden kommen muss. Viele gemeingefährliche Straftaten sind typische Gefährdungsdelikte, da schon das Herbeiführen einer abstrakten Gefahr für die Allgemeinheit unter Strafe gestellt werden soll (z.B. Brandstiftung oder das Herbeiführen einer Explosion). Daneben gibt es auch Erfolgsdelikte, bei denen ein konkreter Schaden eintreten muss, wie etwa die schwere Brandstiftung mit Todesfolge. Die Einordnung als Gefährdungs- oder Erfolgsdelikt ist wesentlich für den erforderlichen Nachweis im Strafverfahren und die Ausgestaltung der jeweiligen Strafbarkeit.
Wie ist der Versuch bei gemeingefährlichen Straftaten strafbar?
Der Versuch gemeingefährlicher Straftaten ist in den meisten Fällen strafbar, sofern das Gesetz dies vorsieht. Insbesondere bei Delikten, die schon die abstrakte Gefahr pönalisieren, wie etwa die versuchte Brandstiftung, ist der Versuch genauso zu bestrafen wie die vollendete Tat, soweit eine bestimmte Schwelle der Gefährdung überschritten und der Täter bereits zur Ausführung angesetzt hat (§ 23 Abs. 1 StGB i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB). Der Hintergrund liegt darin, dass schon der Versuch erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit begründet und der Schutz des öffentlichen Rechtsguts nicht tatsächlich eintretenden Schaden voraussetzt.
Welche Bedeutung hat das subjektive Tatbestandsmerkmal bei gemeingefährlichen Straftaten?
Bei den meisten gemeingefährlichen Straftaten ist Vorsatz erforderlich, das heißt, dem Täter muss bewusst sein, dass sein Verhalten zu einer unbestimmbaren Gefährdung der Allgemeinheit führen kann. Allerdings gibt es auch gemeingefährliche Delikte, welche fahrlässiges Handeln unter Strafe stellen, wie etwa fahrlässige Brandstiftung (§ 306d StGB) oder fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung (§ 313 Abs. 5 StGB). Somit variieren die Anforderungen an das subjektive Tatbestandsmerkmal je nach Delikt. Das Gesetz differenziert hier streng zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen gemeingefährlichen Handlungen, wobei die Strafrahmen für vorsätzliche Verwirklichung regelmäßig höher sind.
Welche strafrechtlichen Nebenfolgen können bei der Verurteilung wegen gemeingefährlicher Straftaten eintreten?
Neben der eigentlichen Freiheitsstrafe oder Geldstrafe können bei gemeingefährlichen Straftaten zahlreiche strafrechtliche Nebenfolgen angeordnet werden. Möglich sind etwa die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) – z. B. bei Verkehrsgefährdungsdelikten -, Berufsverbote (§ 70 StGB), die Einziehung von Tatmitteln oder Tatobjekten (§§ 73 ff. StGB) sowie unter Umständen die Anordnung von Sicherheitsverwahrung, falls der Täter eine entsprechende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit aufweist. Darüber hinaus können auch besondere Maßnahmen wie die Verpflichtung zum Schadensersatz oder Schmerzensgeld im zivilrechtlichen Kontext hinzukommen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen den einzelnen gemeingefährlichen Straftaten in Bezug auf den Strafrahmen?
Der Strafrahmen bei gemeingefährlichen Straftaten variiert erheblich, abhängig von der Schwere der jeweiligen Tat und dem Gefährdungspotenzial. So ist die einfache Brandstiftung (§ 306 StGB) mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht, während besonders schwere Fälle wie die schwere Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden können. Geringere Strafandrohungen gelten bei fahrlässigen gemeingefährlichen Delikten (z. B. bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe bei fahrlässiger Brandstiftung nach § 306d StGB). Der Gesetzgeber berücksichtigt bei der Festlegung des Strafmaßes neben dem Eintritt eines Schadens insbesondere das Maß der gesellschaftlichen Gefährdung, das von der jeweiligen Handlung ausgeht.