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Geiselnahme


Begriff und Definition der Geiselnahme

Die Geiselnahme ist ein schwerwiegendes Delikt, das eine erhebliche Bedrohung für die individuelle Freiheit und Sicherheit darstellt und in vielen Staaten strafrechtlich ausdrücklich geregelt ist. Als Geiselnahme wird grundsätzlich das Ergreifen oder Festhalten einer Person bezeichnet, um sie als Druckmittel gegenüber Dritten einzusetzen. Ziel ist es häufig, die Durchsetzung eigener Forderungen – etwa gegenüber Behörden oder Privatpersonen – zu erzwingen. Im deutschen Recht ist die Geiselnahme insbesondere in § 239b des Strafgesetzbuches (StGB) verankert.


Tatbestand der Geiselnahme nach deutschem Strafrecht

Voraussetzungen

Gemäß § 239b Abs. 1 StGB begeht eine Geiselnahme,

„wer einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um ihn als Geisel zu gebrauchen, um einen Dritten zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen.“

Damit sind die wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen:

  • Entführen oder Bemächtigen einer Person (Opfer)
  • Gebrauch der Person als Geisel
  • Zweck: Nötigung eines Dritten (Handlung, Duldung oder Unterlassung)

1. Entführen oder Bemächtigen

Das Entführen setzt die Verbringung des Opfers unter Ausschluss der freien Willensentschließung und -betätigung an einen anderen, für das Opfer unbekannten oder unerreichbaren Ort voraus.
Das Bemächtigen hingegen bedeutet, dass der Täter das Opfer in seine Gewalt bringt, ohne dieses notwendigerweise zu bewegen.

2. Verwendung als Geisel

Als Geisel wird das Opfer genutzt, um Druck auf einen Dritten auszuüben. Entscheidend ist die Verbindung zwischen der Freiheitsentziehung und einem Zwang zum Verhalten des Dritten.

3. Nötigungsabsicht

Die Geiselnahme verlangt die Absicht des Täters, einen Dritten mittels der Geiselsituation zu einer bestimmten Reaktion zu bewegen. Der Dritte kann jede beliebige Person, Unternehmen oder auch der Staat sein.

Rechtsgut

Die Geiselnahme schützt primär die persönliche Freiheit des Opfers und sekundär das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Unversehrtheit von Personen.


Strafrahmen und Strafzumessung

Strafandrohung

Die Strafandrohung für Geiselnahme nach deutschem Recht ist hoch, um dem schweren Unrecht der Tat zu begegnen. Nach § 239b Abs. 1 StGB liegt der Strafrahmen bei einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. In minder schweren Fällen kann gemäß Absatz 2 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren verhängt werden.

Besonders schwere Fälle

Tritt im Zusammenhang mit der Geiselnahme eine schwere Folge wie Tod oder erhebliche Verletzung des Opfers auf, kann sich dies als besonders schwerer Fall qualifizieren. In diesen Fällen kann nach § 239b Abs. 3 StGB auch eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden.

Tätige Reue

Ein Rücktritt vom Versuch einer Geiselnahme ist nach § 239b Abs. 4 StGB möglich, wenn der Täter freiwillig und ernsthaft verhindert, dass die Geiselnahme vollendet wird oder die Geisel freigelassen wird, bevor das angestrebte Ziel erreicht wurde. Dies kann zu einer Strafmilderung oder sogar zum Absehen von Strafe führen.


Abgrenzung zu anderen Delikten

Erpressung und Menschenraub

Die Geiselnahme weist Überschneidungen mit anderen Delikten auf, wie der Erpressung (§ 253 StGB) und dem Menschenraub (§ 239a StGB). Während die Erpressung jede Nötigung mit Bereicherungsabsicht umfasst, setzt der Menschenraub bereits vor der Nötigungsabsicht an und verlangt die Verschleppung zum Zweck der Erpressung, der Erwirkung einer Leistung oder sonstigen Zwecken. Die Geiselnahme unterscheidet sich insbesondere dadurch, dass das Opfer als Druckmittel gegenüber Dritten eingesetzt wird.

Freiheitsberaubung

Die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) erfasst das grundlose oder nicht zur Erpressung gedachte Einsperren oder Festhalten einer Person. Die Geiselnahme geht jedoch über die bloße Freiheitsberaubung hinaus, da sie eine zusätzliche Nötigungsabsicht gegenüber einem Dritten voraussetzt.


Internationale rechtliche Aspekte der Geiselnahme

Völkerrechtliche Regelungen

Auch das Völkerrecht thematisiert die Geiselnahme aufgrund ihrer internationalen Bedeutung. Die UN-Geiselnahmekonvention („International Convention Against the Taking of Hostages“, 1979) verpflichtet die Vertragsstaaten, Geiselnahmen als Straftat zu verfolgen und schwere Strafen vorzusehen. Sie regelt unter anderem die Strafverfolgung bei grenzüberschreitenden Fällen und den Schutz von Geiseln durch internationale Zusammenarbeit.

Geiselnahme im bewaffneten Konflikt

Im internationalen humanitären Recht ist die Geiselnahme durch die Genfer Konventionen verboten. Nach Art. 34 der Vierten Genfer Konvention sind Geiselnahmen im Kriegsfall strikt untersagt. Verstöße können als Kriegsverbrechen verfolgt werden.


Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Ermittlungsverfahren

Im Rahmen von Ermittlungen wegen Geiselnahme stehen der Strafverfolgungsbehörde besondere Maßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung, Observation und verdeckte Ermittlungen zur Verfügung. Aufgrund des besonderen Schutzinteresses der Opfer werden oftmals spezielle Einheiten und Krisenstäbe eingesetzt.

Opferschutz und Nebenklage

Opfern von Geiselnahmen steht ein umfassender Opferschutz zu. Dies schließt psychosoziale Betreuung, anwaltlichen Beistand und die Möglichkeit der Nebenklage im Strafverfahren ein, um ihre Rechte bestmöglich zu wahren.


Strafrechtliche Bewertung und Tathandlungen

Versuch und Vollendung

Bereits das Versuchsstadium der Geiselnahme ist strafbar. Das Delikt gilt als beendet, sobald die Geisel in Besitz des Täters ist und die Nötigungsabsicht erkennbar wird, unabhängig davon, ob die Forderung tatsächlich durchgesetzt wird.

Mittäterschaft und Teilnahme

Nicht nur Haupttäter, sondern auch Mittäter und Gehilfen können nach § 239b StGB strafrechtlich verfolgt werden. Dazu zählen Personen, die etwa logistische Unterstützung leisten oder als Kommunikationsverbindung zwischen Täter und Drittem agieren.


Bedeutung in der Praxis

Die Geiselnahme gehört zu den schwersten strafbaren Handlungen im Bereich des individuellen und kollektiven Schutzes der Freiheit. Sie ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz, da sie regelmäßig nicht nur das unmittelbare Opfer, sondern auch die Öffentlichkeit berührt. In der Praxis werden entsprechende Straftaten streng verfolgt, um Prävention und Abschreckung zu gewährleisten.


Zusammenfassung

Die Geiselnahme stellt ein komplexes und vielschichtiges Delikt im Strafrecht dar, das sowohl individuelle als auch kollektive Rechtsgüter schützt. Sie ist durch hohe Strafandrohung, umfassenden Opferschutz und weitreichende internationale Regelungen gekennzeichnet. Die genaue Abgrenzung zu verwandten Tatbeständen, die spezifischen Voraussetzungen und die strafprozessualen Besonderheiten machen die Geiselnahme zu einem der gründlich normierten und praxisrelevanten Straftatbestände des deutschen und internationalen Rechts.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird eine Geiselnahme im deutschen Strafrecht strafrechtlich behandelt?

Die Geiselnahme ist in Deutschland als eigenständiger Straftatbestand in § 239b Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung mit erheblicher Gefahr für Leib oder Leben in seine Gewalt bringt, um von einem Dritten eine bestimmte Handlung, Duldung oder Unterlassung zu erzwingen. Es handelt sich um ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren geahndet wird, wodurch deutlich wird, dass der Gesetzgeber Geiselnahmen als besonders schwerwiegende Delikte einstuft. In besonders schweren Fällen, etwa wenn der Geiselnehmer die Geisel tötet, kann sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Der Versuch ist ebenfalls strafbar. Auch Mitwirkungshandlungen, wie Beihilfe oder Anstiftung, sind nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen nach §§ 26, 27 StGB verfolgt.

Welche Besonderheiten gelten für den minder schweren Fall der Geiselnahme?

Das Gesetz kennt auch minder schwere Fälle der Geiselnahme, welche nach Absatz 2 von § 239b StGB gesondert geregelt sind. Ein minder schwerer Fall liegt vor, wenn die Tat zwar objektiv den Tatbestand erfüllt, jedoch im Lichte aller Umstände, wie zum Beispiel die Dauer der Geiselnahme, die Behandlung der Geisel oder die Motivation des Täters, als weniger gravierend zu bewerten ist. In solchen Fällen kann das Gericht eine Freiheitsstrafe zwischen einem und fünf Jahren verhängen. Ausschlaggebend ist hierbei eine sorgfältige Abwägung der Tatumstände.

Welche Rolle spielt das Tatmotiv bei der juristischen Bewertung einer Geiselnahme?

Das Tatmotiv kann für die Strafzumessung bedeutsam sein, etwa wenn besondere persönliche oder soziale Gründe vorliegen. Das Vorliegen eines sogenannten persönlichen Strafaufhebungsgrundes – beispielsweise Handeln in einer extremen Notlage – kann mildernd berücksichtigt werden. Gleichwohl bleibt das Verbrechen der Geiselnahme auch dann strafbar, wobei das Motiv in der Regel erst auf der Rechtsfolgenseite (Strafzumessung) ins Gewicht fällt. Die Hauptfunktion des Tatmotivs besteht darin, die individuelle Schuld des Täters genauer zu bemessen und gegebenenfalls als minder schweren Fall zu qualifizieren.

Welche Abgrenzung gibt es zwischen Geiselnahme und anderen Freiheitsdelikten wie Freiheitsberaubung oder Erpressung?

Die Geiselnahme unterscheidet sich von der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) und der Erpressung (§ 253 StGB) insbesondere durch das qualifizierte Nötigungsmittel (Gewalt oder ernsthafte Drohung gegen Leib oder Leben) sowie durch das Ziel, eine dritte Person zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen. Während bei der Freiheitsberaubung lediglich das körperliche Festhalten oder Einsperren im Vordergrund steht, kennzeichnet die Geiselnahme die zusätzliche Eskalationsstufe durch das Erpressungselement und die erhöhte Gefährlichkeit für das Opfer. Im Verhältnis zur Erpressung ist die Geiselnahme regelmäßig das schwerer wiegende Delikt und geht der Erpressung im Wege der Gesetzeskonkurrenz vor.

Welche Rechte und Schutzmaßnahmen stehen Opfern einer Geiselnahme zu?

Opfer einer Geiselnahme genießen besondere Rechte und Schutzmechanismen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) sowie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ihnen steht grundsätzlich ein Anspruch auf Schutzmaßnahmen zu, etwa im Hinblick auf Zeugenschutzprogramme oder psychosoziale Prozessbegleitung. Außerdem können Opfer zivilrechtliche Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen den Täter geltend machen. Im Strafprozess haben sie das Recht, als Nebenkläger aufzutreten und damit aktiv an der Strafverfolgung mitzuwirken.

Wie verhält es sich mit der Strafbarkeit bei Rücktritt und freiwilliger Aufgabe der Tat?

Der Täter kann unter bestimmten Voraussetzungen gem. § 239b Abs. 3 StGB strafbefreiend vom Versuch der Geiselnahme zurücktreten, wenn er freiwillig aufgibt, bevor die beabsichtigte Nötigungshandlung gegenüber dem Dritten erfolgt ist – beispielsweise wenn er die Geisel ohne Schadenseintritt freilässt. Dieser sogenannte Rücktritt belohnt die Aufgabe der kriminellen Handlung mit Straffreiheit, sofern kein anderer Straftatbestand vorliegt, etwa Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Geisel. Bedingung ist, dass der Rücktritt freiwillig und ohne äußeren Zwang erfolgt.

Inwiefern können Mitwirker oder Gehilfen einer Geiselnahme zur Verantwortung gezogen werden?

Nicht nur der unmittelbare Täter, sondern auch Gehilfen und Mittäter können nach den allgemeinen Regelungen des Strafrechts für eine Geiselnahme strafrechtlich haftbar gemacht werden. Nach § 25 StGB ist sowohl derjenige, der das strafbare Verhalten selbst verwirklicht, als auch derjenige, der es gemeinsam mit anderen begeht oder einen Beitrag dazu leistet, für die Tat verantwortlich. Zudem können Unterstützungshandlungen auch als Beihilfe (§ 27 StGB) oder Anstiftung (§ 26 StGB) strafbar sein, wobei die Höchststrafe bei Gehilfen regelmäßig geringer ist. Eine genaue rechtliche Wertung hängt vom Grad der Beteiligung und der individuellen Tatbeiträge ab.