Gegenseitiges Testament: Begriff und Grundlagen
Ein Gegenseitiges Testament ist eine besondere Form des gemeinschaftlichen Testaments, das von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern gemeinsam errichtet wird. Kennzeichnend ist, dass sich die Beteiligten wechselseitig begünstigen, oft mit der Anordnung, dass der Überlebende zunächst Alleinerbe wird und weitere Personen, meist die Kinder, erst nach dem Tod des Überlebenden erben. Durch die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen entsteht eine besondere Bindungswirkung, die insbesondere nach dem ersten Erbfall von großer Bedeutung ist.
Abgrenzung zu gemeinschaftlichem Testament und Erbvertrag
Das Gegenseitige Testament ist eine inhaltliche Ausprägung des gemeinschaftlichen Testaments. Es unterscheidet sich vom Erbvertrag dadurch, dass es einseitig errichtet werden kann und keine vertragliche Bindung mit wechselseitiger Gegenleistung voraussetzt. Typisch für das Gegenseitige Testament ist die gegenseitige Einsetzung der Partner zu Erben sowie die Bestimmung sogenannter Schlusserben für den zweiten Erbfall.
Beteiligte Personen
Errichtet wird ein Gegenseitiges Testament von zwei miteinander verheirateten Personen oder eingetragenen Lebenspartnern. Weitere Personen können als Schlusserben, Ersatzerben oder Vermächtnisnehmer bedacht werden. Häufig stehen gemeinsame Kinder im Mittelpunkt der Nachfolgeplanung, daneben kommen auch Stief- und Patchworkkonstellationen in Betracht.
Form und Errichtung
Eigenhändige Errichtung
Das gemeinschaftliche Testament kann eigenhändig errichtet werden. Dabei genügt es, wenn eine der beiden Personen den gesamten Inhalt handschriftlich niederlegt und beide eigenhändig unterschreiben. Aus dem Text sollte erkennbar sein, dass es sich um gemeinsame Verfügungen handelt und zu welchem Zeitpunkt diese erfolgt sind.
Notarielle Errichtung
Alternativ kann ein notarielles Testament errichtet werden. Dies bietet in der Regel eine klare Formulierung und erleichtert die spätere Auslegung. Zudem wird das Original amtlich verwahrt und die Eröffnung nach dem Todesfall gewährleistet.
Aufbewahrung und Eröffnung
Eigenhändige Testamente können privat aufbewahrt oder in amtliche Verwahrung gegeben werden. Nach dem Erbfall wird das Testament eröffnet, sodass die Erbberechtigten und weitere Beteiligte über den Inhalt informiert werden. Die Eröffnung dient der Rechtssicherheit und der geordneten Abwicklung des Nachlasses.
Inhaltliche Gestaltung
Wechselbezügliche Verfügungen
Wechselbezügliche Verfügungen sind Bestimmungen, die in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängen. Typisch ist die Abhängigkeit von der gegenseitigen Erbeinsetzung und der Einsetzung gemeinsamer Schlusserben. Diese Verknüpfung begründet die spätere Bindungswirkung: Mit dem Tod des Erstversterbenden können solche Verfügungen vom Überlebenden in der Regel nicht mehr einseitig geändert werden, sofern keine Abänderungsbefugnis vereinbart ist.
Schlusserbeneinsetzung und Ersatzerben
Im Gegenseitigen Testament werden häufig Schlusserben für den zweiten Erbfall bestimmt, beispielsweise Kinder. Für den Fall, dass ein vorgesehener Schlusserbe vorverstorben ist oder ausschlägt, können Ersatzerben benannt werden. Dies erhöht die Klarheit und mindert das Risiko ungeklärter Erbfolgen.
Typische Klauseln
Pflichtteilsstrafklausel
Eine Pflichtteilsstrafklausel soll verhindern, dass Abkömmlinge nach dem ersten Erbfall ihren Pflichtteil geltend machen und so den überlebenden Partner wirtschaftlich belasten. Die Klausel ordnet für diesen Fall regelmäßig an, dass der Pflichtteilsfordernde beim zweiten Erbfall ebenfalls nur den Pflichtteil erhält.
Abänderungs- und Wiederverheiratungsklausel
Abänderungsklauseln können dem Überlebenden unter bestimmten, im Testament festgelegten Voraussetzungen Anpassungsmöglichkeiten einräumen. Wiederverheiratungsklauseln regeln, welche Folgen eine neue Ehe oder Lebenspartnerschaft des Überlebenden für die Erbfolge haben soll.
Vor- und Nacherbschaft
Neben der Einsetzung des Überlebenden als Vollerben ist auch die Anordnung von Vor- und Nacherbschaft möglich. Dabei wird der Überlebende Vorerbe und die benannten Schlusserben Nacherben. Dies erlaubt eine stärkere Bindung des Nachlasses an die Anordnungen des Erstversterbenden, geht aber mit Verfügungsbeschränkungen einher.
Testamentsvollstreckung
Eine Testamentsvollstreckung kann für den ersten oder zweiten Erbfall vorgesehen werden. Der Testamentsvollstrecker überwacht die Umsetzung der Anordnungen, verwaltet den Nachlass und sorgt für die Verteilung nach Maßgabe des Testaments.
Rechtswirkungen und Bindung
Bindungswirkung vor und nach dem ersten Erbfall
Vor dem ersten Todesfall können wechselbezügliche Verfügungen grundsätzlich gemeinsam geändert oder widerrufen werden. Tritt der erste Erbfall ein, werden die wechselseitigen Verfügungen regelmäßig bindend. Der Überlebende ist dann an diese Anordnungen gebunden, soweit im Testament nicht ausdrücklich Änderungsrechte vorbehalten wurden.
Verfügungen zu Lebzeiten des Überlebenden
Die Bindungswirkung betrifft in erster Linie die testamentarische Erbfolge. Verfügungen unter Lebenden, etwa Schenkungen, bleiben möglich, können jedoch in bestimmten Konstellationen zu Konflikten mit den Erwartungen der Schlusserben führen, insbesondere bei einer erheblichen Aushöhlung des Nachlasses. Die Grenzen ergeben sich aus den im Testament getroffenen Anordnungen und den allgemeinen Regeln zum Schutz der Erben.
Steuerliche Grundzüge
Beim Gegenseitigen Testament erfolgt die Vermögensübertragung regelmäßig in zwei Stufen: zunächst auf den überlebenden Partner, anschließend auf die Schlusserben. Dies kann sich auf Freibeträge und die steuerliche Gesamtbelastung auswirken. Die Auswirkungen hängen von Verwandtschaftsverhältnissen, Vermögensstruktur und zeitlichem Abstand der Erbfälle ab.
Änderung, Widerruf und Anfechtung
Widerruf zu Lebzeiten beider Partner
Solange beide Partner leben, können wechselbezügliche Verfügungen gemeinsam aufgehoben oder geändert werden. Ein einseitiger Widerruf ist möglich, wenn er der anderen Person zugeht; dadurch werden die wechselbezüglichen Verfügungen in der Regel gegenstandslos.
Bindung nach dem ersten Todesfall
Mit dem Tod des Erstversterbenden tritt die Bindungswirkung ein. Einseitige Änderungen durch den Überlebenden sind dann grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, es wurde ein Abänderungsrecht vorbehalten. Eine Lösung ist nur in engen Ausnahmefällen möglich, etwa durch Anfechtung oder unter mitbestimmten Bedingungen, die das Testament vorsieht.
Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung
Auch ein Gegenseitiges Testament kann angefochten werden, wenn es unter relevanten Willensmängeln zustande kam. Die Anfechtung ist an Fristen gebunden und setzt voraus, dass der Anfechtungsgrund besteht und die Anfechtung formgerecht erklärt wird.
Auswirkungen von Trennung und Scheidung
Trennung und Scheidung können sich auf die Wirksamkeit eines Gegenseitigen Testaments auswirken. In vielen Fällen fallen die gegenseitigen Begünstigungen mit der Auflösung der Beziehung weg. Maßgeblich sind der Zeitpunkt und der Stand des Verfahrens sowie die im Testament getroffenen Regelungen.
Grenzen der Gestaltung
Pflichtteilsrechte naher Angehöriger
Nahen Angehörigen steht ein Pflichtteil zu, der durch ein Testament nicht vollständig entzogen werden kann, sofern kein Entziehungsgrund vorliegt. Gegenseitige Testamente müssen diese Rechte berücksichtigen. Pflichtteilsstrafklauseln können die Geltendmachung beeinflussen, aber die rechtlich geschützten Mindestansprüche nicht vollständig ausschließen.
Sittenwidrigkeit und Unwirksamkeit
Ein Gegenseitiges Testament ist unwirksam, wenn es gegen grundlegende Wertungen verstößt, unter unzulässigem Druck zustande kam oder formwidrig errichtet wurde. Unklare Formulierungen können zu teilweiser Unwirksamkeit führen; in solchen Fällen bleibt der wirksame Teil bestehen, wenn dies dem erkennbaren Willen der Beteiligten entspricht.
Auslegung unklarer Klauseln
Bei auslegungsbedürftigen Formulierungen wird der wirkliche Wille der Beteiligten zum Zeitpunkt der Errichtung ermittelt. Bedeutung haben Wortlaut, Gesamtzusammenhang und die erkennbaren Ziele, etwa die Versorgung des überlebenden Partners und die spätere Gleichbehandlung der Kinder.
Abwicklung im Erbfall
Annahme der Erbschaft und Ausschlagung
Erben können die Erbschaft annehmen oder ausschlagen. Die Ausschlagung ist fristgebunden und kann Auswirkungen auf die Reihenfolge der Erbfolge und auf Pflichtteilsrechte haben.
Nachlassverwaltung und Haftung
Mit dem Erbfall geht das Vermögen einschließlich der Verbindlichkeiten auf die Erben über. Die Haftung kann unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden. Die Verwaltung des Nachlasses richtet sich nach den testamentarischen Anordnungen und den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Rolle des Nachlassgerichts
Das Nachlassgericht eröffnet das Testament, erteilt auf Antrag Erbnachweise und trifft verfahrensleitende Entscheidungen. Es überwacht die formale Abwicklung, greift aber nicht gestaltend in die inhaltlichen Anordnungen ein.
Häufig gestellte Fragen
Ist ein Gegenseitiges Testament nur für Ehegatten möglich?
Ein Gegenseitiges Testament kann von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern errichtet werden. Andere Personen können ein gemeinschaftliches Testament in dieser Form nicht wirksam errichten.
Was bedeutet die Bindungswirkung nach dem ersten Todesfall?
Nach dem Tod des Erstversterbenden sind die wechselbezüglichen Verfügungen in der Regel bindend. Der überlebende Partner kann die festgelegte Erbfolge dann nicht mehr einseitig verändern, sofern kein ausdrückliches Abänderungsrecht vorgesehen ist.
Können Kinder nach dem ersten Erbfall den Pflichtteil verlangen?
Kindern steht grundsätzlich ein Pflichtteil zu. Wird dieser nach dem ersten Erbfall geltend gemacht, können im Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklauseln dazu führen, dass die betreffenden Personen auch beim zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhalten.
Was unterscheidet das Gegenseitige Testament vom Erbvertrag?
Der Erbvertrag ist ein Vertrag mit besonderer Bindung, der typischerweise notariell geschlossen wird und wechselseitige Verpflichtungen enthalten kann. Das Gegenseitige Testament ist eine gemeinsame letztwillige Verfügung von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern, die bei Eintritt des ersten Erbfalls Bindungswirkung entfalten kann.
Kann ein Gegenseitiges Testament nach der Scheidung noch wirken?
Mit der Scheidung entfallen gegenseitige Begünstigungen regelmäßig. Ob und in welchem Umfang Anordnungen fortgelten, hängt vom Zeitpunkt der Trennung, dem Stand des Verfahrens und den Formulierungen im Testament ab.
Welche Rolle spielt die Pflichtteilsstrafklausel?
Sie soll verhindern, dass Abkömmlinge den Pflichtteil bereits nach dem ersten Erbfall verlangen und dadurch den überlebenden Partner finanziell belasten. Die Klausel sanktioniert die Pflichtteilsforderung durch eine spätere Beschränkung auf den Pflichtteil.
Ist eine lebzeitige Schenkung durch den überlebenden Partner trotz Bindung möglich?
Verfügungen unter Lebenden bleiben grundsätzlich möglich. Sie dürfen jedoch die Rechte der Schlusserben nicht in unzulässiger Weise unterlaufen. Die Zulässigkeit hängt von der konkreten Gestaltung und den Umständen ab.
Kann ein Gegenseitiges Testament einseitig widerrufen werden?
Zu Lebzeiten beider Partner ist ein einseitiger Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen möglich, wenn er der anderen Person zugeht. Nach dem ersten Todesfall greift regelmäßig die Bindungswirkung, die einen einseitigen Widerruf ausschließt.