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Gefahrstoffe (gefährliche Stoffe)


Begriff und rechtlicher Rahmen von Gefahrstoffen (gefährlichen Stoffen)

Unter dem Begriff Gefahrstoffe (auch: gefährliche Stoffe) werden im europäischen und deutschen Recht physikalisch-chemische Substanzen und Gemische verstanden, die aufgrund ihrer chemischen, physikalischen oder biologischen Eigenschaften ein Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt darstellen. Die rechtlichen Anforderungen an Gefahrstoffe sind in mehreren nationalen und europäischen Gesetzen sowie in zahlreichen Verordnungen und technischen Regeln umfassend geregelt. Ziel der Regelungen ist der Schutz von Beschäftigten, der Öffentlichkeit und der Umwelt vor nachteiligen Auswirkungen durch den Umgang mit diesen Stoffen.

Trotz einer Vielzahl weiterer Begriffsbestimmungen – z. B. im Umweltrecht oder internationalen Abkommen – fußt die praktische Anwendung insbesondere auf arbeitsschutz- und abfallrechtlichen Vorschriften sowie auf Vorschriften zur Chemikaliensicherheit.


Begriffsbestimmung und Abgrenzung

Definition nach deutschem Recht

Die maßgebliche Definition von Gefahrstoffen findet sich im deutschen Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen und Zubereitungen (Chemikaliengesetz – ChemG) sowie insbesondere in der nachgeordneten Gefahrstoffverordnung (GefStoffV). Nach § 3 GefStoffV sind Gefahrstoffe insbesondere:

  • Stoffe und Gemische, die nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung) als gefährlich eingestuft sind – darunter fallen Gefahrenklassen wie explosiv, entzündlich, oxidierend, gasförmig unter Druck, akut toxisch, ätzend, reizend, gesundheitsschädlich, krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend.
  • Stoffe, Gemische und Erzeugnisse, denen ein Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) zugewiesen wurde.
  • Sensibilisierende Stoffe, Stoffe mit spezifisch toxischer Wirkung auf bestimmte Organe und atemwegssensibilisierende Stoffe.
  • Stoffe, Gemische und Erzeugnisse, die aus biologischen Quellen stammen, soweit sie aufgrund ihrer Zusammensetzung oder ihrer Eigenschaften gefährlich sind.

Ein Gefahrstoff liegt somit nicht nur dann vor, wenn explizit eine Gefahrenkennzeichnung vorliegt, sondern auch dann, wenn die Stoffeigenschaft eine Gefährdung – etwa durch Freisetzung bei der Verwendung – bewirkt.

Abgrenzung zu anderen Stoffen

Zu unterscheiden ist der Gefahrstoffbegriff von beispielsweise dem Gefahrgutbegriff. Gefahrgut bezeichnet Stoffe, deren Beförderung aufgrund ihrer Eigenschaften besondere Maßnahmen und Regelungen erfordert. Im Umweltrecht ist zudem zwischen Gefahrstoffen und umweltgefährlichen Stoffen (z.B. im Wasserrecht) zu differenzieren. Die sich überschneidenden Rechtskreise werden oftmals durch Querverweise und Referenzen koordiniert.


Europarechtliche Grundlagen

CLP-Verordnung und REACH

Die bedeutendsten unionsrechtlichen Regelwerke für die Einstufung und das Management gefährlicher Stoffe sind:

  • Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung): Regelt Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen auf dem europäischen Markt. Ziel ist die Harmonisierung der Einstufung und Kommunikation von Gefahren.
  • Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH): Legt umfangreiche Pflichten für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien fest, um den Schutz von Mensch und Umwelt sicherzustellen.

Die CLP-Vorgaben geben ein europaweit einheitliches System zur Bewertung und Kennzeichnung von chemischen Gefahren vor und definieren verbindliche Gefahr- und Sicherheitshinweise (H- und P-Sätze) sowie Piktogramme.


Nationale Vorschriften im Überblick

Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)

Die zentrale nationale Regelung ist die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV), welche die Anforderungen für den Umgang mit Gefahrstoffen in Betrieben und die Pflichten von Arbeitgebern und Herstellern konkretisiert. Die Vorschriften gelten für Produktion, Lagerung, Transport, Entsorgung und Rückführung von Gefahrstoffen.

Kerninhalte der Gefahrstoffverordnung:

  • Notwendigkeit einer Gefährdungsbeurteilung (§ 6 GefStoffV)
  • Grundpflichten beim Schutz von Beschäftigten und Dritten (§§ 7-11 GefStoffV)
  • Substitution gefährlicher Stoffe (§ 7 Abs. 3 GefStoffV)
  • Vorschriften zu Information und Unterweisung (§ 14 GefStoffV)
  • Regelungen zur Kennzeichnung (§ 8 GefStoffV) und Bereitstellung von Sicherheitsdatenblättern (§ 5 GefStoffV)

Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)

Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) geben den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeits-wissenschaftliche Erkenntnisse zur Umsetzung der GefStoffV wieder. Sie konkretisieren Regelungen zu Lagerung, Handhabung und innerbetrieblichen Schutzmaßnahmen und bieten Orientierung für die praktische Durchführung der gesetzlichen Pflichten.


Arbeitgeberpflichten und Schutzmaßnahmen

Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation

Vor Aufnahme einer Tätigkeit mit Gefahrstoffen sind Arbeitgeber verpflichtet, eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchzuführen (§ 6 GefStoffV). Diese muss Art und Umfang der Gefahr erfassen und dokumentieren sowie im weiteren Verlauf fortgeschrieben werden. Entsprechend sind Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten festzulegen und zu überwachen.

Hierarchie der Schutzmaßnahmen

Die GefStoffV etabliert einen Maßnahmenhierarchie:

  1. Substitution: Gefährliche Stoffe und Verfahren sind vorrangig durch weniger gefährliche zu ersetzen.
  2. Technische Schutzmaßnahmen: Einschließlich Umluftabsaugung, geschlossene Systeme etc.
  3. Organisatorische Maßnahmen: Einschränkung der Exposition, sichere Arbeitsverfahren.
  4. Persönliche Schutzausrüstung (PSA): Letztmögliche Maßnahme, wenn die Gefährdung anders nicht ausgeschlossen werden kann.

Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblatt

Alle Gefahrstoffe müssen entsprechend der CLP-Verordnung gekennzeichnet und mit einem aktuellen Sicherheitsdatenblatt ausgeliefert werden. Das Sicherheitsdatenblatt informiert umfassend über Eigenschaften, Gefahren, Lagerung, Entsorgung und Maßnahmen bei Notfällen.


Sonstige relevante Rechtsvorschriften

Umweltrechtliche Regelungen

Im Immissionsschutzrecht, Wasserrecht und Abfallrecht bestehen weitere Pflichten im Umgang mit gefährlichen Stoffen:

  • Immissionsschutz: Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) verweist auf die Begriffsbestimmung und sieht besondere Anzeige- und Genehmigungspflichten für Anlagen mit zum Teil erheblichen Mengen an Gefahrstoffen vor.
  • Wasserrecht: Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) untersagt die Einleitung wassergefährdender Stoffe in Gewässer und verlangt für den Umgang mit wassergefährdenden Stoffen besondere technische und organisatorische Schutzmaßnahmen.
  • Abfallrecht: Die Abfallrahmenrichtlinie sowie das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) regeln die Entsorgung von mit Gefahrstoffen kontaminierten Abfällen.

Straf- und Bußgeldvorschriften

Verstöße gegen geltende Vorschriften im Umgang mit Gefahrstoffen sind bußgeld- oder strafbewährt. Die Gefahrstoffverordnung, das Chemikaliengesetz sowie umweltrechtliche Vorschriften sehen abgestufte Sanktionen für fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln vor, insbesondere wenn dadurch Menschen oder Umwelt gefährdet werden.


Internationale Übereinkommen und Normierung

Weltweit gelten zusätzliche Abkommen und Standards, z. B. das GHS (Globally Harmonized System of Classification and Labelling of Chemicals), das eine harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe auf internationaler Ebene fördert.


Literatur und Weblinks

  • Gesetzestexte und Regelsammlungen: www.gesetze-im-internet.de
  • ECHA – Europäische Chemikalienagentur: https://echa.europa.eu
  • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): https://www.baua.de
  • Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS): https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Arbeitsstoffe-und-Gefahrstoffe/Arbeitsstoffrecht/TRGS/TRGS_node.html

Diese Übersicht behandelt die wichtigsten rechtlichen Aspekte des Umgangs mit Gefahrstoffen. Aufgrund der Komplexität der Materie ist insbesondere bei chemikalienrechtlichen Fragen und bei Unsicherheiten hinsichtlich Einstufung und Umgang stets die konsistente Abstimmung mit den jeweils einschlägigen Vorschriften erforderlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsvorschriften regeln den Umgang mit Gefahrstoffen in Deutschland?

Der Umgang mit Gefahrstoffen in Deutschland unterliegt einem strengen rechtlichen Rahmen. Die zentrale Vorschrift ist die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV), die auf Grundlage des deutschen Chemikaliengesetzes (ChemG) steht. Daneben gelten europäische Regelungen wie die CLP-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen) sowie die REACH-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 über die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe). Ergänzend sind das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und verschiedene technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) sowie die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) zu beachten. Diese Vorschriften regeln unter anderem die Einstufung, Kennzeichnung, sichere Verwendung, die Informationsweitergabe entlang der Lieferkette und Pflichten im Arbeits- und Umweltschutz.

Wer trägt die Verantwortung für den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen im Betrieb?

Nach deutschem Recht, insbesondere dem Arbeitsschutzgesetz und der Gefahrstoffverordnung, trägt der Arbeitgeber die Gesamtverantwortung für den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen. Hierzu zählt die Verpflichtung, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten und Dritter zu ergreifen, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, Unterweisungen zu organisieren und geeignete Schutzmaßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, Gefahrstoffverzeichnisse zu führen, die korrekte Kennzeichnung im Betrieb sicherzustellen und die notwendigen arbeitsmedizinischen Vorsorgemaßnahmen anzubieten. Beschäftigte sind verpflichtet, die Schutzmaßnahmen einzuhalten und den Arbeitgeber bei der Umsetzung der Schutzmaßnahmen zu unterstützen.

Welche Informationspflichten bestehen gegenüber den Mitarbeitenden?

Mitarbeitende müssen nach § 14 GefStoffV ausreichend und verständlich über die bei ihrer Tätigkeit auftretenden Gefahrstoffe, deren Gefährdungen sowie die zu treffenden Schutzmaßnahmen informiert und unterwiesen werden. Dies beinhaltet Informationen zur Kennzeichnung, zu den Gefährdungspotenzialen und zu den betrieblichen Schutzmaßnahmen anhand des Sicherheitsdatenblatts sowie praktischen Hinweisen im Umgang mit Gefahrstoffen. Die Unterweisung muss vor Aufnahme der Tätigkeit sowie wiederkehrend (mindestens jährlich) erfolgen und dokumentiert werden. Besonderes Augenmerk gilt hierbei besonderen Personengruppen wie jugendlichen oder schwangeren Mitarbeitern.

Wie müssen Gefahrstoffe rechtlich korrekt gekennzeichnet werden?

Die Kennzeichnung von Gefahrstoffen hat gemäß der CLP-Verordnung zu erfolgen. Dies bedeutet, dass Gebinde und Umverpackungen mit eindeutig erkennbaren Gefahrensymbolen/Piktogrammen, Signalwörtern (z.B. Gefahr, Achtung), Gefahrenhinweisen (H-Sätze), Sicherheitshinweisen (P-Sätze), dem Namen des Gefahrstoffs sowie den Kontaktdaten des Herstellers oder Lieferanten versehen sein müssen. In innerbetrieblichen Behältnissen muss eine eindeutige Zuordnung zum enthaltenen Gefahrstoff gewährleistet sein. Zudem sind betriebliche Arbeitsbereiche mit Gefahrstofflagerung oder -nutzung entsprechend zu kennzeichnen, etwa durch Warnschilder und Hinweise auf erforderliche Schutzausrüstung.

Welche Pflichten bestehen im Hinblick auf die Dokumentation von Gefahrstoffen?

Nach § 6 GefStoffV sind Arbeitgeber verpflichtet, ein Gefahrstoffverzeichnis zu führen, das alle im Betrieb verwendeten oder gelagerten Gefahrstoffe einschließlich Bezeichnung, Einstufung, Verwendungsbereich und jeweiliger Mengenangaben aufführt. Zudem müssen für alle Gefahrstoffe aktuelle Sicherheitsdatenblätter vorliegen und zugänglich sein. Die Dokumentation dient als Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung, Notfallmaßnahmen und behördliche Kontrollen. Änderungen, Ersatzstoffe sowie Entsorgungsvorgänge müssen ebenfalls nachvollziehbar dokumentiert und archiviert werden.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen Gefahrstoffvorschriften?

Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften zum Umgang mit Gefahrstoffen können sowohl bußgeld- als auch strafrechtliche Folgen haben. Mögliche Sanktionen umfassen Ordnungswidrigkeiten nach dem Chemikaliengesetz bzw. der Gefahrstoffverordnung mit Bußgeldern von bis zu mehreren zehntausend Euro. In besonders schweren Fällen, beispielsweise bei vorsätzlicher Gefährdung von Leben oder Gesundheit, kann auch eine strafrechtliche Verfolgung drohen, die Freiheitsstrafen nach sich ziehen kann. Zudem können arbeitsrechtliche Konsequenzen für verantwortliche Personen (z.B. Entlassung aufgrund Pflichtverletzung) sowie zivilrechtliche Haftungsansprüche von Geschädigten entstehen.

Welche Anforderungen stellt das Recht an die Entsorgung von Gefahrstoffen?

Die Entsorgung von Gefahrstoffen ist durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), das Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) sowie spezielle Vorschriften (wie das Wasserhaushaltsgesetz und das Chemikaliengesetz) geregelt. Gefährliche Abfälle müssen getrennt von Restabfällen gesammelt, eindeutig gekennzeichnet und entsprechend den Bestimmungen als „Gefahrgut“ transportiert werden. Es gelten Nachweispflichten über die Entsorgung sowie besondere Anforderungen an die Auswahl und Dokumentation von Entsorgungsunternehmen, die über die erforderlichen Genehmigungen verfügen müssen. Das Ziel ist es, Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen durch unsachgemäße Entsorgung auszuschließen.