Begriff und rechtliche Einordnung der Gefahrerhöhung
Der Begriff Gefahrerhöhung ist im deutschen Versicherungsrecht von zentraler Bedeutung. Er beschreibt jede nachträgliche Veränderung des versicherten Risikos, durch die die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalls oder der Umfang eines möglichen Schadens gesteigert wird. Die gesetzlichen Regelungen zur Gefahrerhöhung finden sich im Wesentlichen in den §§ 23 bis 27 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Sie schützen das Interesse des Versicherers, nur die bei Vertragsabschluss vereinbarte Gefahr zu decken, und ermöglichen ihm, auf nachträgliche Risikoveränderungen adäquat zu reagieren.
Bedeutung im Versicherungsrecht
Das gesamte Versicherungsvertragsrecht baut auf dem Prinzip des Risikoausgleichs auf. Der Versicherer kalkuliert die Prämie auf Grundlage des bei Vertragsschluss bekannten Risikos. Wird dieses Risiko nachträglich durch eine Gefahrerhöhung verschärft, kann der Versicherer die ursprünglich kalkulierten Bedingungen möglicherweise nicht mehr halten.
Tatbestand der Gefahrerhöhung
Definition
Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn sich nach Abschluss des Versicherungsvertrages eine Gefahr, die mit dem versicherten Objekt oder der versicherten Tätigkeit verbunden ist, verschärft, sodass nach objektiver Betrachtung die Eintrittswahrscheinlichkeit des Versicherungsfalls oder die Höhe eines potentiellen Schadens erhöht wird.
Hierzu sind zwei wesentliche Aspekte zu beachten:
- Die Gefahrerhöhung muss eine wesentliche, mehr als unerhebliche und dauerhafte Steigerung des ursprünglichen Risikos bewirken.
- Die Gefahrerhöhung muss nach Abschluss des Vertrages eingetreten sein. Eine bereits bestehende Gefahr zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses würde als Gefahrumstand und nicht als Gefahrerhöhung eingeordnet werden.
Beispielhafte Gefahrerhöhungen
Typische Fälle von Gefahrerhöhungen im Bereich der Sachversicherung sind:
- Dauerhafter Leerstand von Gebäuden ohne Anzeige beim Versicherer
- Lagerung von brennbaren Stoffen in größeren Mengen als ursprünglich angegeben
- Einbau einer Heizungsanlage in einem zuvor unbeheizten Anbau
Im Bereich der Haftpflichtversicherung kann eine Erweiterung des betrieblichen Tätigkeitsfeldes als Gefahrerhöhung gelten, wenn hierdurch neue Haftungsrisiken entstehen.
Pflichten des Versicherungsnehmers bei Gefahrerhöhung
Anzeigepflicht gemäß § 23 Abs. 1 VVG
Sobald der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss eine Gefahrerhöhung vornimmt oder eine solche von ihm vorgenommen wird, ist er grundsätzlich verpflichtet, dem Versicherer diese Gefahrerhöhung unverzüglich anzuzeigen. Unterlässt der Versicherungsnehmer diese Anzeige oder nimmt er ohne Zustimmung des Versicherers eine Gefahrerhöhung vor, drohen schwerwiegende Rechtsfolgen.
Ausnahmen von der Anzeigepflicht
Nicht jeder Anstieg des Risikos begründet zwingend eine Gefahrerhöhung im Sinne des Gesetzes. Unerhebliche oder vorübergehende Erhöhungen sowie solche, die im allgemeinen Interesse liegen (z. B. Notmaßnahmen zur Rettung von Menschenleben), sind nicht anzeigepflichtig (§ 24 VVG).
Mit- und Zurechnungspflichten
Die Gefahrerhöhung muss nicht vom Versicherungsnehmer selbst verursacht werden. Es genügt, wenn sie „auf dessen Wissen oder Willen“ von einem Dritten vorgenommen wird oder wenn es der Versicherungsnehmer schuldhaft unterlässt, eine Gefahrerhöhung zu verhindern.
Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung
Kündigungsrecht des Versicherers (§ 26 Abs. 1 VVG)
Der Versicherer ist im Falle einer angezeigten Gefahrerhöhung berechtigt, das Versicherungsverhältnis fristgerecht zu kündigen oder eine Vertragsanpassung – etwa durch eine Prämienerhöhung – zu verlangen. Das Kündigungsrecht muss grundsätzlich binnen eines Monats ab Kenntnis der Gefahrerhöhung ausgeübt werden.
Leistungsfreiheit und Vertragsanpassung (§ 26 Abs. 2 VVG)
Hat der Versicherungsnehmer eine Gefahrerhöhung ohne Anzeige oder ohne Zustimmung des Versicherers vorgenommen, kann sich der Versicherer im Versicherungsfall auf Leistungsfreiheit oder Leistungskürzung berufen – je nach Grad des Verschuldens und Kausalität der Gefahrerhöhung für den Versicherungsfall. Im Detail gilt:
- Bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer grundsätzlich vollständig leistungsfrei.
- Bei grob fahrlässiger Gefahrerhöhung erfolgt eine anteilige Kürzung der Leistung, abhängig vom Verschulden.
- Nur bei leicht fahrlässiger oder schuldloser Gefahrerhöhung muss der Versicherer regulär leisten.
Unabhängig von der Verschuldensfrage bleibt der Versicherungsschutz erhalten, wenn die Gefahrerhöhung weder ursächlich für den Schadenseintritt noch für dessen Umfang war (§ 26 Abs. 3 VVG).
Gefahrerhöhung im Kontext einzelner Versicherungszweige
Sachversicherung
In Sachversicherungen wie der Gebäude- oder Feuerversicherung ist die Gefahrerhöhung besonders relevant. Die Versicherungsbedingungen enthalten üblicherweise detaillierte Regelungen zur Gefahrerhöhung, die das VVG konkretisieren.
Haftpflichtversicherung
Auch in der Haftpflichtversicherung müssen Tätigkeits- oder Zuständigkeitsänderungen angezeigt werden, sofern sich dadurch das versicherte Risiko verändert. Unterbleibt dies, ist der Versicherungsschutz für daraus resultierende Schäden gefährdet.
Lebensversicherung und andere Versicherungsarten
Im Bereich der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung spielt die Gefahrerhöhung eine geringere Rolle, da die versicherten Risiken (z. B. Tod, Invalidität) meist personenbezogen und seltener durch äußere Umstände beeinflusst werden.
Rechtsprechung zur Gefahrerhöhung
Die Auslegung, wann eine Gefahrerhöhung vorliegt, sowie die Beurteilung von Ausmaß, Verschulden und Kausalität sind häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Gerichte prüfen im Einzelfall die objektive Risikosteigerung, die Reichweite der Anzeigepflicht und die Mitverschuldensanteile im Leistungsfall.
Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen
Gefahrumstand
Vom Begriff der Gefahrerhöhung zu trennen ist der sogenannte Gefahrumstand. Dieser bezeichnet Risiken, die bereits bei Vertragsschluss vorliegen und deshalb vom Versicherungsnehmer nach § 19 VVG im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflicht mitgeteilt werden müssen.
Risikoausschluss und Obliegenheit
Nicht mit der Gefahrerhöhung zu verwechseln sind Risikoausschlüsse und sonstige vertragliche Obliegenheiten, die sich auf das Verhalten des Versicherungsnehmers beziehen.
Literatur und Quellen
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG), insbesondere §§ 23-27 VVG
- Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz
- BGH-Rechtsprechung zu Gefahrerhöhung und Obliegenheitsverletzung
Dieser Beitrag bietet eine umfassende und detaillierte Darstellung der Gefahrerhöhung im deutschen Versicherungsrecht. Die genaue Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und die Kenntnis der Rechtsfolgen ist für die Aufrechterhaltung eines wirksamen Versicherungsschutzes unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt eine Gefahrerhöhung im rechtlichen Sinne vor?
Eine Gefahrerhöhung liegt im rechtlichen Kontext vor, wenn sich nach Abschluss eines Versicherungsvertrages die bei Vertragsschluss objektiv vorhandenen und für die Risikobewertung maßgeblichen Umstände so verändern, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Versicherungsfalles oder das Ausmaß des möglichen Schadens deutlich zunimmt (§ 23 Abs. 1 VVG – Versicherungsvertragsgesetz). Maßgeblich ist dabei ausschließlich, ob sich das versicherte Risiko über den ursprünglich vereinbarten Zustand hinaus erhöht. Unerheblich ist, ob die Gefahrerhöhung vorsätzlich, fahrlässig oder ohne Wissen des Versicherungsnehmers eingetreten ist. Typische Praxisbeispiele sind das Einbringen entzündlicher Stoffe in ein versichertes Gebäude oder die Änderung der Nutzung eines versicherten Fahrzeugs, die das Schadensrisiko signifikant verändern. Das Versicherungsvertragsrecht fordert in solchen Fällen zwingend eine Anzeige der Gefahrerhöhung beim Versicherer, um diesem die Möglichkeit zu geben, den Versicherungsschutz an das neue Risiko anzupassen oder den Vertrag gegebenenfalls zu kündigen. Entscheidend für die rechtliche Beurteilung ist stets, ob der Zustand nach Eintritt der Veränderung das versicherte Risiko erhöht, unabhängig von subjektiven Einschätzungen oder der Erkennbarkeit des Risikos.
Welche Anzeige- und Mitwirkungspflichten treffen den Versicherungsnehmer bei Gefahrerhöhung?
Trifft den Versicherungsnehmer nach § 23 Abs. 2 VVG die Pflicht, eine Gefahrerhöhung dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen, sobald er von dieser Kenntnis erlangt. Die Anzeige muss so präzise sein, dass der Versicherer das Ausmaß und die Art der Gefahrerhöhung vollständig nachvollziehen kann. Kommt der Versicherungsnehmer dieser Pflicht nicht oder nicht rechtzeitig nach, drohen empfindliche Rechtsfolgen: Der Versicherer kann zum Rücktritt, zur Kündigung oder zur Anpassung des Vertrages – insbesondere durch eine Prämienerhöhung oder Risikobegrenzung – berechtigt sein (§ 24 bis § 27 VVG). Die Anzeigeverpflichtung besteht unabhängig davon, ob die Gefahrerhöhung auf einem eigenen Verhalten des Versicherungsnehmers, einer dritten Person oder externen Umständen beruht. In Fällen besonders erheblicher Gefahrerhöhung gilt die Anzeige sogar dann, wenn der Versicherungsnehmer sie billigend in Kauf genommen hat. In jedem Fall sollte die Mitteilung schriftlich erfolgen, um im Streitfall einen Nachweis führen zu können.
Welche Rechte stehen dem Versicherer im Falle einer Gefahrerhöhung zu?
Der Versicherer erhält bei nachträglicher Gefahrerhöhung diverse Rechte, deren Ausgestaltung stark von der Art der Erhöhung und dem Verschulden des Versicherungsnehmers abhängt. Grundsätzlich stehen dem Versicherer gemäß §§ 24 und 25 VVG die Optionen auf fristlose Kündigung oder Vertragsänderung zu. Die Kündigungsfrist beträgt, sofern nicht Gefahr im Verzug ist, in der Regel einen Monat ab Kenntnis der Gefahrerhöhung. Alternativ kann der Versicherer eine Vertragsänderung, insbesondere eine Prämienanpassung verlangen, um das gestiegene Risiko zu berücksichtigen. Im Leistungsfall kann der Versicherer je nach Schwere der Pflichtverletzung und Zusammenhang zwischen Gefahrerhöhung und Schadenseintritt seine Leistung vollständig oder anteilig verweigern. Die Rechte sind jedoch ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahrerhöhung weder zu vertreten hat noch sie ihm zuzurechnen ist oder der Versicherer der Gefahrerhöhung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (§ 26 Abs. 1 VVG).
Welche Ausnahmen gelten bei der rechtlichen Bewertung einer Gefahrerhöhung?
Ausgenommen von den strengen Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung sind insbesondere solche Fälle, in denen dem Versicherungsnehmer weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann oder wenn die Gefahrerhöhung keinen Einfluss auf den Schadenseintritt hatte. Auch gesetzlich angeordnete oder behördlich verpflichtende Maßnahmen, die zu einer Gefahrerhöhung führen – etwa durch neue Bauvorschriften oder Sicherheitsauflagen – unterliegen grundsätzlich nicht den nachteiligen Rechtsfolgen für den Versicherungsnehmer, sofern dieser die Maßnahme nicht beeinflussen konnte (§ 27 VVG). Weiterhin entfällt eine Haftung für den Versicherungsnehmer, wenn der Versicherer der Gefahrerhöhung zugestimmt hat oder sie bereits bei Vertragsschluss bekannt war. Die Regelungen dienen dem Schutz des Versicherungsnehmers vor unverhältnismäßigen Sanktionen in Fällen unvermeidbarer oder genehmigter Gefahrerhöhungen.
Wie wird der Zusammenhang zwischen Gefahrerhöhung und Schadenseintritt rechtlich bewertet?
Im Rahmen der Kausalitätsprüfung wird analysiert, ob und inwieweit die Gefahrerhöhung tatsächlich ursächlich für den eingetretenen Schaden war. Ist zwischen der festgestellten Gefahrerhöhung und dem Schadensfall ein kausaler Zusammenhang zu bejahen, kann der Versicherer die Leistung entweder ganz oder – im Fall leicht fahrlässigen Verhaltens – anteilig kürzen (§ 26 Abs. 2 VVG). Besteht keine Kausalität, also ist der Schaden auch bei unverändertem Risiko eingetreten, sind die Rechte des Versicherers regelmäßig eingeschränkt und der Versicherungsnehmer behält seinen vollen Anspruch. Die Kausalität ist insbesondere für die Abwägung von Leistungsfreiheit oder Teilleistung entscheidend und wird regelmäßig durch Sachverständigengutachten oder Beweisaufnahme geklärt.
Welche Rechtsfolgen drohen bei einer vorsätzlich verschwiegenen Gefahrerhöhung?
Wird eine Gefahrerhöhung vorsätzlich nicht angezeigt, kann der Versicherer nach § 26 Abs. 1 VVG im Regelfall vom Vertrag zurücktreten und die Leistungsfreiheit geltend machen. Darüber hinaus kann der Versicherer bereits gezahlte Leistungen gegebenenfalls zurückfordern. Die vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers setzt voraus, dass die unterlassene Anzeige kausal für den Schaden war. Allerdings trifft den Versicherungsnehmer die Beweislast für das Ausbleiben eines Kausalzusammenhangs, sofern der Versicherer eine Pflichtverletzung dargelegt hat. Neben zivilrechtlichen Sanktionen sind auch strafrechtliche Konsequenzen (wie Versicherungsbetrug) denkbar, sofern der Versicherungsnehmer arglistig handelt und einen Schadensfall herbeiführt oder vortäuscht.
Welche Verjährungs- und Fristenregelungen gelten im Zusammenhang mit einer Gefahrerhöhung?
Für Ansprüche des Versicherers aus einer Gefahrerhöhung gelten grundsätzlich die allgemeinen Verjährungsregeln des Versicherungsvertragsrechts gemäß §§ 195 ff. BGB bzw. § 15 VVG. Die Frist für die Ausübung des Kündigungsrechtes durch den Versicherer nach Kenntnis von der Gefahrerhöhung beträgt einen Monat (§ 24 Abs. 2 VVG). Will der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, muss er dies ebenfalls innerhalb eines Monats erklären, nachdem er von der Gefahrerhöhung und deren Umstände Kenntnis erlangt hat. Die Frist beginnt in dem Moment zu laufen, in dem der Versicherer die nötigen Informationen zur rechtlichen Bewertung der Gefahrerhöhung erhalten hat. Ansprüche des Versicherungsnehmers auf Leistungen aus dem Versicherungsfall unterliegen der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren. Eine eventuelle Leistungsfreiheit wegen einer nicht angezeigten Gefahrerhöhung kann der Versicherer jedoch auch noch nach Ablauf dieser Fristen geltend machen, sofern der Anspruch des Versicherungsnehmers noch nicht verjährt ist.