Begriff und Einordnung der Gebrauchsmusterstreitsachen
Gebrauchsmusterstreitsachen sind Fälle aus dem Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes, die Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Gebrauchsmustern zum Gegenstand haben. Sie sind als Unterkategorie der gewerblichen Schutzrechtsstreitigkeiten zu verstehen und beziehen sich auf das Recht am Gebrauchsmuster, das häufig als „kleines Patent” bezeichnet wird. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Verletzung, des Bestandes und der Rechtswirkungen des Gebrauchsmusters.
Rechtsgrundlagen der Gebrauchsmusterstreitsachen
Gesetzliche Grundlagen
Zentrale Rechtsquelle für Gebrauchsmusterstreitsachen in Deutschland ist das Gebrauchsmustergesetz (GebrMG). Ergänzend finden das Patentgesetz (PatG) in Teilen sowie die Zivilprozessordnung (ZPO) Anwendung. Wichtige Vorschriften sind:
- §§ 1-23 GebrMG: Regelung des Schutzgegenstands, der Entstehung und Wirkungen des Gebrauchsmusters
- § 24 GebrMG: Schutzbereich und Schutzumfang
- § 13, § 14 GebrMG: Ansprüche bei Verletzung und Rechtsfolge
- § 15 GebrMG: Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Gebrauchsmusterrechts
Schutzgegenstand und Eigenarten des Gebrauchsmusters
Ein Gebrauchsmuster schützt technische Erfindungen, die neu sind, auf einem erfinderischen Schritt beruhen und gewerblich anwendbar sind. Im Unterschied zum Patent ist das Erfordernis des erfinderischen Schritts weniger streng. Die Schutzdauer beträgt maximal 10 Jahre (vgl. § 23 GebrMG).
Typen von Gebrauchsmusterstreitsachen
Verletzungsstreitigkeiten
Häufiger Streitgegenstand ist die angebliche Verletzung eines eingetragenen Gebrauchsmusters, z. B. durch unerlaubte Herstellung, Verwendung oder Vermarktung des geschützten Gegenstands. In solchen Verletzungsprozessen werden Unterlassungs-, Schadensersatz- und ggf. Auskunftsansprüche (§ 24, § 24a, § 24b GebrMG i.V.m. §§ 139 ff. PatG) geltend gemacht.
Unterlassungsanspruch
Der Unterlassungsanspruch ist die zentrale Anspruchsgrundlage bei der Verletzung eines Gebrauchsmusters. Er zielt darauf ab, weitere Rechtsverletzungen zu verhindern.
Schadensersatz und Auskunft
Bei schuldhafter Verletzung kann der Inhaber des Gebrauchsmusters gemäß § 24b GebrMG Schadensersatz verlangen. Zusätzlich besteht ein Anspruch auf Auskunft zur Vorbereitung von Schadensersatzforderungen.
Bestandssachen: Löschung und Nichtigerklärung
Ein weiteres zentrales Streitfeld betrifft Bestandsstreitigkeiten. Hier wird um die Rechtsgültigkeit des Gebrauchsmusters gestritten.
- Löschungsverfahren (§ 15 GebrMG): Jeder Dritte kann gegen ein Gebrauchsmuster ein Löschungsverfahren anstrengen, typischerweise gestützt auf fehlende Neuheit oder erfinderischen Schritt.
- Feststellung der Nichtverletzung: Durch Erhebung einer negativen Feststellungsklage soll festgestellt werden, dass eine bestimmte Ausführungsform nicht vom Schutzbereich eines Gebrauchsmusters umfasst ist.
Sonstige Ansprüche
Daneben können Hilfs- und Nebenansprüche wie Rückruf-, Vernichtungs- sowie Beseitigungsansprüche geltend gemacht werden, um die Folgen einer Gebrauchsmusterverletzung zu beseitigen.
Zuständigkeit und Ablauf des Verfahrens
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Gebrauchsmusterstreitsachen gehören nach § 143 PatG i.V.m. § 27 GebrMG zu den Streitigkeiten, für die ausschließlich die ordentlichen Gerichte, speziell die Landgerichte, unabhängig vom Streitwert in erster Instanz sachlich zuständig sind. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in Verletzungsfällen nach dem Ort der Verwirklichung der streitigen Handlung oder dem Sitz des Beklagten.
Bestandsstreitigkeiten, insbesondere Löschungsverfahren, werden vor dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführt.
Ablauf einer Gebrauchsmusterstreitsache
- Einreichung der Klage: Der Anspruchsteller reicht beim zuständigen Landgericht Klage ein.
- Schriftliches Vorverfahren: Austausch von Eingaben zwischen Kläger und Beklagtem, ggf. Erhebung von Einreden wie Nichtigkeit oder Vorbenutzung.
- Haupttermin: Mündliche Verhandlung, bei der Beweise erhoben und Sachverständigengutachten eingeholt werden können.
- Urteilsverkündung: Entscheidung über Unterlassung, Schadensersatz usw.
- Rechtsmittel: Gegen Urteile des Landgerichts ist die Berufung zum zuständigen Oberlandesgericht möglich; Revision kann zum Bundesgerichtshof eingelegt werden.
Besonderheiten gegenüber Patentstreitsachen
Gebrauchsmustersachen unterscheiden sich u. a. dadurch, dass die Eintragung des Gebrauchsmusters keiner materiellen Prüfung durch das DPMA unterliegt, weshalb die Bestandskraft geringer ist. Die Einrede der Löschungsreife kann daher im Verletzungsprozess mit besonderer Bedeutung vorgetragen werden.
Streitwert und Kosten
Der Streitwert richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse an der Klärung der Streitfrage und ist regelmäßig niedriger als bei Patenten, entspricht jedoch im Grundsatz den Streitwerten anderer gewerblicher Rechtsschutzprozesse. Die Kostenfolgen bestimmen sich nach den allgemeinen Regelungen der Zivilprozessordnung und dem Gerichtskostengesetz.
Internationale Aspekte der Gebrauchsmusterstreitsachen
Da der Schutz von Gebrauchsmustern grundsätzlich territorial begrenzt ist, finden grenzüberschreitende Streitigkeiten vor allem im Rahmen paralleler Schutzrechte in verschiedenen Ländern statt. Die Verfahren orientieren sich jeweils am nationalen Recht, internationale Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregeln (z. B. Brüssel Ia-VO innerhalb der EU) sind ebenfalls zu beachten.
Bedeutung in der Praxis
Gebrauchsmusterstreitsachen nehmen eine wichtige Stellung im Gewerblichen Rechtsschutz ein, insbesondere für Unternehmen, die schnelle Eintragung technischer Schutzrechte benötigen, oder für kleine und mittlere Unternehmen zur schnellen und kostengünstigen Erlangung eines Schutzrechts. Die Hauptvorteile liegen in der schnellen Rechtserlangung und der vergleichsweise einfachen Durchsetzung durch spezialisierte Zivilgerichte.
Literatur und weiterführende Quellen
- Gebrauchsmustergesetz (GebrMG)
- Patentgesetz (PatG)
- Zivilprozessordnung (ZPO)
- Benkard, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz
- Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz
- Deutsche Gerichtsurteile zu Gebrauchsmusterstreitsachen (z. B. BGH GRUR)
- Website des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA)
Zusammenfassung:
Gebrauchsmusterstreitsachen betreffen alle Streitigkeiten rund um den Bestand und die Verletzung von Gebrauchsmustern. Sie unterliegen speziellen materiellen und prozessualen Regelungen, sind in der Praxis vielseitig und weisen im Vergleich zu Patentstreitigkeiten charakteristische Besonderheiten auf. Sie bieten insbesondere durch die schnelle Eintragung und Geltendmachung umfassenden Rechtsschutz für technische Erfindungen im Mittelstand wie in größeren Unternehmen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen zur Verfügung, um gegen die Verletzung eines Gebrauchsmusters vorzugehen?
Wird ein eingetragenes Gebrauchsmuster verletzt, stehen dem Schutzrechtsinhaber verschiedene gerichtliche und außergerichtliche Instrumente zur Verfügung. Zunächst kann der Inhaber den mutmaßlichen Verletzer abmahnen, um außergerichtlich eine Unterlassungserklärung sowie ggf. Auskunft und Schadensersatz zu verlangen. Kommt keine Einigung zustande, kann beim zuständigen Landgericht eine Unterlassungsklage eingereicht werden. Zusätzlich können Ansprüche auf Beseitigung, Auskunft über Herkunft und Vertriebswege sowie Schadensersatz geltend gemacht werden. Das Gericht prüft, ob eine Schutzrechtsverletzung vorliegt und entscheidet über die begehrten Maßnahmen. Parallel oder im Anschluss kann auch das Löschungsverfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) gegen das streitige Gebrauchsmuster initiiert werden, um dessen Schutzfähigkeit anzugreifen. Auch einstweilige Verfügungen sind bei besonderen Dringlichkeitslagen möglich, etwa zum schnellen Stopp von rechtsverletzenden Handlungen.
Vor welchem Gericht werden Gebrauchsmusterstreitsachen in Deutschland geführt?
Gebrauchsmusterstreitsachen werden in Deutschland ausschließlich vor den Zivilgerichten und dort in erster Instanz vor den Landgerichten verhandelt, unabhängig vom Streitwert. Diese Streitigkeiten sind den Landgerichten zugewiesen, die gem. § 143 PatG i.V.m. § 27 GebrMG ausschließlich und sachlich zuständig sind. In der Regel sind spezielle Kammern für Patent- und Gebrauchsmusterstreitigkeiten eingerichtet, die über die notwendige fachliche Expertise verfügen. Berufungen gegen Urteile der Landgerichte werden vor den Oberlandesgerichten (OLG) verhandelt. Für die gerichtsinterne Zuständigkeit sind bestimmte Landgerichte als sogenannte „Patentstreitkammern” zentral für bestimmte Bezirke zuständig.
Inwiefern unterscheidet sich die Rechtsdurchsetzung bei Gebrauchsmustern von der bei Patenten?
Die Rechtsdurchsetzung in Gebrauchsmusterstreitsachen unterscheidet sich im juristischen Ablauf nur unwesentlich von der Durchsetzung von Patenten. Beide Schutzrechte berechtigen ihre Inhaber zu Abmahnung, einstweiliger Verfügung und Klage auf Unterlassung sowie Schadensersatz. Allerdings wird bei Gebrauchsmustern – im Gegensatz zu Patenten – die Schutzfähigkeit (Neuheit, Erfindungshöhe etc.) nicht im Eintragungsverfahren, sondern erst im Streitfall überprüft. Die durch das materielle Prüfungsdefizit entstehende Unsicherheit führt dazu, dass in vielen Gebrauchsmusterstreitigkeiten zusätzlich Löschungsverfahren angestrengt werden, um die Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters gerichtlich oder durch das DPMA klären zu lassen. Die Verfahrensdauer kann sich dadurch verlängern.
Welche Verteidigungsmöglichkeiten bestehen für den Beklagten in einer Gebrauchsmusterstreitsache?
Der Beklagte kann sich in einer Gebrauchsmusterstreitsache mit verschiedenen Argumenten und Verfahren verteidigen. Neben der substantiellen Bestreitung der angeblichen Verletzung steht ihm insbesondere die sogenannte Einrede der mangelnden Schutzfähigkeit gemäß § 15 GebrMG i.V.m. § 21 PatG offen. Hiermit kann geltend gemacht werden, dass das Gebrauchsmuster gar nicht schutzfähig ist, weil zum Beispiel keine Neuheit oder kein erfinderischer Schritt vorliegt oder der Schutzgegenstand nicht dem Gebrauchsmusterschutz zugänglich ist. Gleichzeitig kann der Beklagte ein Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt beantragen, welches häufig im Parallelverfahren geführt wird. In diesem Zusammenhang kann beim Prozessgericht auch die Aussetzung des Verletzungsverfahrens bis zur Entscheidung über die Löschung beantragt werden. Weiterhin kann sich der Beklagte auf Nichtbenutzungseinreden, Vorbenutzungsrechte oder den Erschöpfungsgrundsatz berufen.
Können Gebrauchsmusterstreitsachen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geklärt werden?
Ja, Gebrauchsmusterstreitsachen können, insbesondere bei Eilbedürftigkeit, auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes behandelt werden. Für die Erlangung einer einstweiligen Verfügung muss der Antragsteller allerdings sowohl die Dringlichkeit als auch den Ausgangsanspruch schlüssig und glaubhaft darlegen. Besonderheiten bestehen darin, dass wegen des fehlenden Prüfungsverfahrens bei Gebrauchsmustern die Gerichte eine besondere Glaubhaftmachung sowohl der Verletzung als auch der Schutzfähigkeit fordern, wobei die bestehende Rechtsunsicherheit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu einer gewissen Zurückhaltung bei den Gerichten führen kann. In der Praxis werden einstweilige Verfügungen zu Gebrauchsmustern aus diesem Grund mitunter seltener als bei Patenten erlassen.
Welche Rolle spielt das Löschungsverfahren im Rahmen von Gebrauchsmusterstreitigkeiten?
Das Löschungsverfahren ist ein zentrales Mittel für die Beklagtenseite, um die Rechtsbeständigkeit eines angegriffenen Gebrauchsmusters zu bekämpfen. Da bei der Eintragung die materielle Prüfung beim DPMA entfällt, besteht bei Streitigkeiten häufig Unsicherheit über die Schutzfähigkeit. Mit dem Löschungsantrag wird nicht nur die mangelnde Neuheit oder der fehlende erfinderische Schritt gerügt, sondern teilweise auch die fehlende Eignung als Gebrauchsmuster. Das Verletzungsgericht kann das Verfahren aussetzen, bis das Löschungsverfahren abgeschlossen ist, sofern ernsthafte Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters bestehen. Wird das Gebrauchsmuster gelöscht, entfällt rückwirkend die Grundlage für sämtliche aus dem Gebrauchsmuster abgeleiteten Ansprüche.
Wie gestaltet sich der typische Ablauf eines gerichtlichen Gebrauchsmusterverletzungsverfahrens?
Das gerichtliche Verfahren beginnt in der Regel mit der Klageerhebung durch den Inhaber des Gebrauchsmusters. Nach Prüfung der Zuständigkeit wird der Beklagte zu einer ausführlichen Klageerwiderung aufgefordert, in der er insbesondere Verletzung und Schutzfähigkeit bestreiten kann. Das Gericht beraumt daraufhin einen Termin zur mündlichen Verhandlung an, um beide Parteien anzuhören und ggf. Sachverständige zu bestellen. Parallel kann ein Löschungsverfahren eingeleitet werden – das Gericht prüft dann ggf. die Voraussetzungen einer Aussetzung. Am Ende steht ein Urteil, das sich zur Frage der Verletzung, zur Schutzfähigkeit sowie zu etwaigen Unterlassungs-, Schadensersatz- und Auskunftsansprüchen äußert. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte können gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.
Welche Besonderheiten gelten für den Schadensersatz in Gebrauchsmusterstreitsachen?
Der Schadensersatzanspruch bei Gebrauchsmusterverletzungen orientiert sich an den zum Patentrecht entwickelten Grundsätzen. Für die Schadensberechnung kommen drei Methoden zur Anwendung: der konkrete Schaden des Schutzrechtsinhabers, die Herausgabe des Verletzergewinns oder die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr (Lizenzanalogie). Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist grundsätzlich ein Verschulden des Verletzers. Weiterhin ist regelmäßig eine genaue Auskunft über Umfang und Art der Verletzungshandlungen zur Vorbereitung des Schadensersatzes notwendig, welche im Streite ebenfalls eingeklagt werden kann. Besondere Beachtung verdient, dass aus einem Gebrauchsmuster resultierende Schadensersatzansprüche nur ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung und nach erfolgter Abmahnung oder Klageerhebung durchsetzbar sind.