Begriff und Zweck der Fusionskontrollverordnung
Die Fusionskontrollverordnung ist eine zentrale rechtliche Regelung zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen innerhalb der Europäischen Union. Sie verfolgt das Ziel, den Wettbewerb auf den europäischen Märkten zu schützen und sicherzustellen, dass Fusionen nicht zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen. Durch das Instrument der Fusionskontrolle wird verhindert, dass marktbeherrschende Stellungen entstehen oder verstärkt werden.
Rechtsgrundlagen
Europäische Fusionskontrollverordnung
Die rechtliche Grundlage für die Fusionskontrolle auf europäischer Ebene bildet die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (kurz: Europäische Fusionskontrollverordnung, auch „FKVO” oder „EU-Fusionskontrollverordnung”). Sie ersetzt die frühere Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 und regelt die Kontrolle von Zusammenschlüssen, die unionsweite Bedeutung („gemeinschaftsweite Bedeutung”) haben.
Nationale Regelungen
Neben der europäischen Fusionskontrollverordnung bestehen in den Mitgliedstaaten ergänzende nationale Vorschriften. In Deutschland ist dies insbesondere § 35 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Anwendungsbereich
Die Fusionskontrollverordnung findet Anwendung auf Zusammenschlüsse, die eine unionsweite Bedeutung erreichen. Ein Zusammenschluss im Sinne der Verordnung liegt vor bei:
- Zusammenschluss von zwei oder mehr zuvor voneinander unabhängigen Unternehmen,
- Übernahme der Kontrolle über ein oder mehrere Unternehmen durch ein oder mehrere Unternehmen,
- Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, die auf einer dauerhaften Grundlage alle Funktionen eines selbstständigen Unternehmens ausüben.
Das Kriterium der „gemeinschaftsweiten Bedeutung” wird anhand bestimmter Umsatzschwellen ermittelt, die in Artikel 1 der Fusionskontrollverordnung definiert sind.
Verfahren der Fusionskontrolle
Anmeldepflicht und Vorprüfverfahren
Fusionen, die unter die Verordnung fallen, müssen bei der Europäischen Kommission angemeldet werden. Es gilt ein Vollzugsverbot, das heißt, der Zusammenschluss darf erst nach Freigabe durch die Kommission vollzogen werden.
Nach Anmeldung der Transaktion folgt ein zweistufiges Prüfverfahren:
Phase I: Vorprüfung
Innerhalb von 25 Arbeitstagen prüft die Kommission, ob der Zusammenschluss ernsthafte wettbewerbliche Bedenken aufwirft. Wird dies verneint, gibt sie den Zusammenschluss frei.
Phase II: Eingehende Prüfung
Bei ernsthaften wettbewerblichen Bedenken eröffnet die Kommission eine vertiefte Prüfung (Phase II), die 90 Arbeitstage dauert und in Ausnahmefällen verlängert werden kann. Hier werden die Auswirkungen detailliert untersucht.
Entscheidungsbefugnisse der Kommission
Die Kommission kann den Zusammenschluss:
- ohne Auflagen freigeben,
- unter Bedingungen und Auflagen freigeben (z. B. Veräußerung bestimmter Unternehmensteile),
- untersagen, wenn der Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist.
Ausnahmen und Verweisungsverfahren
Unter bestimmten Voraussetzungen können nationale Wettbewerbsbehörden oder die Kommission selbst ersuchen, Zuständigkeiten zu verlagern. Dies ist im sogenannten Verweisungsverfahren gem. Art. 9 und Art. 22 FKVO geregelt.
Materielle Prüfungsmaßstäbe
Erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs (SIEC-Test)
Kern der materiellen Prüfung ist der sogenannte SIEC-Test (Significant Impediment to Effective Competition). Ein Zusammenschluss wird untersagt, wenn zu erwarten ist, dass er eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben bewirkt, insbesondere durch die Schaffung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung.
Weitere Beurteilungskriterien
Die Kommission berücksichtigt insbesondere:
- Marktstruktur und Marktanteile,
- Stellung der Wettbewerber,
- Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten,
- Marktzutrittsschranken,
- Innovations- und Effizienzpotenziale.
Rechtsschutz und Rechtsmittel
Gegen Entscheidungen der Kommission steht den beteiligten Unternehmen und beteiligten Dritten das Recht zu, beim Gericht der Europäischen Union Klage zu erheben. Übergeordnete Instanz ist der Gerichtshof der Europäischen Union. Der Rechtsschutz richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Europäischen Verträge.
Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten
Die Fusionskontrollverordnung ist lex specialis gegenüber nationalen Fusionskontrollregeln, sofern die Umsatzschwellen für die unionsweite Bedeutung erreicht sind. Eine parallele Prüfung durch nationale Behörden ist ausgeschlossen (One-stop-shop-Prinzip). Zusammenschlüsse, die nicht unter die Verordnung fallen, unterliegen ausschließlich nationalen Fusionskontrollvorschriften.
Bedeutung und Auswirkungen
Die Fusionskontrollverordnung ist ein bedeutendes Element der europäischen Wettbewerbspolitik. Sie gewährleistet, dass der Wettbewerb auf europäischen Märkten auch bei großvolumigen, grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen bestehen bleibt. Ihre Anwendungspraxis wird regelmäßig an aktuelle Marktentwicklungen und wirtschaftliche Gegebenheiten angepasst.
Literatur und Weblinks
- Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (Fusionskontrollverordnung) im Wortlaut
- Website der Europäischen Kommission zur EU-Fusionskontrolle
- Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), §§ 35 ff.
Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht über die rechtlichen Grundlagen, Verfahren und wichtigsten Aspekte der Fusionskontrollverordnung innerhalb der Europäischen Union und berücksichtigt ausschließlich öffentlich zugängliche Quellen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Transaktion unter die Fusionskontrollverordnung fällt?
Damit eine Transaktion unter die Fusionskontrollverordnung (insbesondere nach der EU-Fusionskontrollverordnung, VO (EG) Nr. 139/2004) fällt, müssen mehrere kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss es sich um einen „Zusammenschluss” im Sinne des Art. 3 der Verordnung handeln. Dies umfasst Fälle eines vollständigen Zusammenschlusses, die Übernahme der Kontrolle über ein Unternehmen (entweder durch Erwerb von Anteilen oder durch vertragsrechtliche Vereinbarungen) sowie die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens (Joint Venture). Darüber hinaus müssen bestimmte Umsatzschwellen überschritten werden, die in Art. 1 der Verordnung definiert sind. Insbesondere wird ein Zusammenschluss dann von der Kommission geprüft, wenn die beteiligten Unternehmen weltweit insgesamt einen Umsatz von mehr als 5 Milliarden Euro und in der EU insgesamt mindestens zwei beteiligte Unternehmen jeweils mehr als 250 Millionen Euro erzielen, sofern sie nicht mehr als zwei Drittel ihres EU-Umsatzes jeweils in einem Mitgliedstaat erwirtschaften. Ferner dürfen keine Ausnahmen, etwa nach Art. 4 Abs. 4 (Verweisung auf nationale Behörden), greifen. Das Vorliegen der Schwellenwerte und der Zusammenschlusseigenschaft ist stets im Einzelfall nach rechtlichen und tatsächlichen Kriterien zu prüfen.
Wie läuft das Prüfverfahren der Europäischen Kommission bei angemeldeten Zusammenschlüssen ab?
Das Prüfverfahren folgt einem zweistufigen System: Nach Anmeldung prüft die Kommission zunächst in einer vorläufigen Ermittlungsphase (Phase I) binnen 25 Arbeitstagen, ob der Zusammenschluss wettbewerbsrechtlich unbedenklich ist. Stellt die Kommission keine ernsthaften Bedenken fest, ergeht eine Freigabeentscheidung. Kommen allerdings nach der vorläufigen Prüfung wettbewerbsrechtliche Bedenken auf, eröffnet die Kommission ein vertieftes Prüfverfahren (Phase II), das weitere 90 Arbeitstage (auf maximal 105 Tage verlängerbar) dauert. In dieser Phase werden vertiefte Markterhebungen, Anhörungen der beteiligten Unternehmen und dritter Parteien sowie möglicherweise das Angebot und die Bewertung von Verpflichtungszusagen (Remedies) durchgeführt. Die gesetzlich vorgegebenen Fristen garantieren ein zügiges und vorhersehbares Prüfverfahren. Die Entscheidung der Kommission ist rechtsverbindlich und kann unterschiedliche Formen annehmen: Freigabe, Untersagung oder Freigabe unter Auflagen.
Welche Folgen hat eine Durchführung eines anmeldepflichtigen Zusammenschlusses ohne Freigabe der Kommission?
Die Durchführung eines anmeldepflichtigen Zusammenschlusses ohne vorherige Freigabe („gun jumping”) stellt einen schweren Verstoß gegen die Fusionskontrollvorschriften dar und ist nach Art. 14 Abs. 2 der Verordnung mit erheblichen Sanktionen belegt. Insbesondere kann die Kommission Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens verhängen. Darüber hinaus ist die getroffene Maßnahme zivilrechtlich schwebend unwirksam, bis die Freigabe erfolgt. Im schwerwiegenden Fall kann die Kommission ebenfalls anordnen, dass bereits vollzogene Zusammenschlüsse rückabgewickelt werden müssen. Zusätzlich entsteht das Risiko von Reputationsschäden und erhöhtem Prüfungsaufwand in künftigen Verfahren. Daher ist eine rechtzeitige und vollständige Anmeldung vor Vollzug zwingend erforderlich.
Inwieweit ist die Stellung von Dritten im Verfahren nach der Fusionskontrollverordnung gewahrt?
Dritte, insbesondere Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten der beteiligten Unternehmen, können im Verfahren nach der Fusionskontrollverordnung eine bedeutende Rolle spielen. Die Kommission ist verpflichtet, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn sie individuell betroffen sind oder spezifische Informationen beisteuern können. Im Verlauf insbesondere der Phase II werden Marktteilnehmer regelhaft durch Fragebögen, Anhörungen oder öffentliche Konsultationen in die Untersuchungen einbezogen. Dritte haben aber kein Klagerecht gegen die Konzentrationsfreigabe selbst, sondern können allenfalls Rechtsmittel über nationale Gerichte oder durch eine Beschwerde wegen Verfahrensfehlern einlegen. Wichtig ist, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Informationen umfassend zu beachten ist, weshalb den Dritten häufig nur ein beschränkter Zugang zu den Verfahrensakten gewährt wird.
Welche Rolle spielen Verpflichtungszusagen (Remedies) im Verfahren und wie sind diese ausgestaltet?
Verpflichtungszusagen, auch als „Remedies” bezeichnet, sind ein wichtiges Instrument, um wettbewerbsrechtliche Bedenken der Kommission auszuräumen und eine Untersagung des Zusammenschlusses zu vermeiden. Sie können sowohl in Phase I (dann meist struktureller Natur, wie Verkäufe von Unternehmensteilen) als auch in Phase II (auch Verhaltenszusagen) angeboten werden. Die Zusagen müssen geeignet sein, die festgestellten wettbewerblichen Beeinträchtigungen wirksam und dauerhaft zu beseitigen. Die Kommission prüft die Praktikabilität, Umsetzbarkeit und Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen und kann deren Umsetzung mit einem Treuhänder überwachen lassen. Typische Remedies sind Veräußerungen (Divestments), Zugangspflichten zu Infrastrukturen oder Lizenzen, aber auch die Verpflichtung zum Abschluss bestimmter Verträge. Die Annahme und Wirksamkeit der Remedies erfolgt durch eine entsprechende Bindung in der Freigabeentscheidung.
Wie erfolgt die Koordinierung zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden?
Die Koordinierung erfolgt über ein ausgefeiltes Verweisungs- und Konsultationssystem. Grundsätzlich ist für die Prüfung solcher Zusammenschlüsse, die die EU-Umsatzschwellen überschreiten, die Kommission ausschließlich zuständig (sogenanntes „One-Stop-Shop”-Prinzip). Es besteht jedoch die Möglichkeit einer Verweisung nach Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 (Abgabe an nationale Behörden auf Antrag eines Mitgliedstaates oder des anmeldenden Unternehmens, sofern Auswirkungen primär in einem Land zu erwarten sind) bzw. nach Art. 22 (Aufgreifen eines Falls durch die Kommission auf Antrag nationaler Behörden). Die Kommission und die Mitgliedstaaten stehen während des Prüfverfahrens in engem Informations- und Konsultationsaustausch und können einander Daten und Einschätzungen übermitteln. Dies gewährleistet eine kohärente Anwendung der fusionskontrollrechtlichen Vorschriften und verhindert widersprüchliche Entscheidungen.
Welche Rechtsbehelfe stehen Unternehmen gegen Entscheidungen der Kommission im Zusammenhang mit der Fusionskontrollverordnung zur Verfügung?
Gegen Entscheidungen der Kommission, insbesondere Untersagungs- oder Auflagenentscheidungen, steht das Rechtsmittel der Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) zur Verfügung (Art. 263 AEUV). Das Gericht prüft formelle und materielle Fehler der Kommissionsentscheidung, wobei der Prüfungsmaßstab hinsichtlich komplexer ökonomischer Sachverhalte auf Vertretbarkeitskontrolle beschränkt ist. Das Urteil des Gerichts kann wiederum mit der Rechtsmittelinstanz zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefochten werden. Während des Klageverfahrens hat die Einlegung der Klage grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung; allerdings kann im Einzelfall ein Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt werden. Unternehmen sollten beachten, dass die Frist für die Klageerhebung lediglich zwei Monate ab Bekanntgabe der Kommissionsentscheidung beträgt.