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Friedensrecht


Begriff und Bedeutung des Friedensrechts

Das Friedensrecht ist ein normatives Teilgebiet des Völkerrechts, das die rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen für die Wahrung, Wiederherstellung und Sicherung des Friedens zwischen den Staaten regelt. Es umfasst Regelungen zur Verhütung von Kriegen und bewaffneten Konflikten, zur Begrenzung von Gewaltanwendung und zur internationalen Zusammenarbeit zur Sicherung des Friedens. Das Friedensrecht setzt sich aus einer Vielzahl internationaler Vertragswerke, völkerrechtlicher Grundsätze und gewohnheitsrechtlicher Normen zusammen.

Historische Entwicklung des Friedensrechts

Anfänge bis 19. Jahrhundert

Bereits in der Antike und im Mittelalter existierten Ansätze für Regeln zur Begrenzung kriegerischer Auseinandersetzungen, etwa durch das Konzept des „gerechten Krieges” (bellum iustum). Einen ersten Höhepunkt erlebte die Entwicklung mit dem Westfälischen Frieden von 1648, der das Prinzip staatlicher Souveränität etablierte und damit die Grundlage für zwischenstaatliche Friedensordnung schuf.

Im 19. Jahrhundert trugen die Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) wesentlich zur Kodifizierung von Regeln zur Kriegsverhütung und zum Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt bei.

20. Jahrhundert und die Gründung der Vereinten Nationen

Mit der Charta des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg entstand erstmals ein internationales Abkommen, das die friedliche Beilegung von Streitigkeiten und die kollektive Friedenssicherung als Ziel normierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg markiert die Gründung der Vereinten Nationen (UN) und die Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen von 1945 einen Wendepunkt: Fortan galten der Gewaltverzicht und die friedliche Lösung internationaler Streitigkeiten als zentrale Prinzipien des internationalen Systems.

Zentrale Rechtsquellen des Friedensrechts

Die Charta der Vereinten Nationen

Die Charta der Vereinten Nationen bildet mit ihren Artikeln 1, 2, 33 ff., 39 ff. den Kern des modernen Friedensrechts. Insbesondere verbietet Artikel 2 Absatz 4 weitgehend die Androhung oder Anwendung von Gewalt zwischen Staaten mit wenigen, eng auszulegenden Ausnahmen.

Weitere völkerrechtliche Abkommen

  • Die Genfer Abkommen und Zusatzprotokolle
  • Die Haager Konventionen
  • Regionale Übereinkommen wie der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen oder EU-spezifische Verträge (z. B. Vertrag über die Europäische Union, Art. 42 EUV)

Gewohnheitsrechtliche und allgemein anerkannte Grundsätze

Viele Regeln des Friedensrechts, etwa das Gewaltverbot und das Interventionsverbot, haben auch den Rang von Völkergewohnheitsrecht oder gehören zu den zwingenden Grundprinzipien (ius cogens).

Grundprinzipien des Friedensrechts

Gewaltverbot

Das umfassende Gewaltverbot ist das zentrale Gebot des Friedensrechts. Gemäß Artikel 2 Absatz 4 UN-Charta ist es Staaten grundsätzlich untersagt, in ihren internationalen Beziehungen Gewalt anzuwenden oder damit zu drohen. Hiervon gibt es lediglich folgende anerkannte Ausnahmen:

Kollektive Sicherheitsmaßnahmen

Aufgrund von Kapitel VII der UN-Charta kann der Sicherheitsrat im Falle einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens Zwangsmaßnahmen beschließen, die auch Maßnahmen mit Waffengewalt umfassen können.

Selbstverteidigungsrecht

Artikel 51 der UN-Charta erkennt das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht an, sofern ein bewaffneter Angriff vorliegt, bis der Sicherheitsrat Maßnahmen ergreift.

Weitere Ausnahmen und Kontroversen

Humanitäre Interventionen und Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) sind umstrittene, durch die Staatengemeinschaft nicht einheitlich anerkannte Ausnahmetatbestände.

Friedliche Streitbeilegung

Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung basiert auf Artikel 2 Absatz 3 und Kapitel VI der UN-Charta. Vorzugsweise sollen internationale Differenzen durch Verhandlung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsverfahren oder internationale Gerichte gelöst werden.

Interventionsverbot und Souveränität

Ein weiteres zentrales Element ist das Interventionsverbot (Artikel 2 Absatz 7 UN-Charta): Die innere und äußere Souveränität eines Staates darf nicht durch andere Staaten oder Organisationen missachtet werden. Lediglich Eingriffe auf Grundlage eines Sicherheitsratsbeschlusses oder auf Einladung des betroffenen Staates sind rechtlich zulässig.

Verbot der Androhung von Gewalt

Nicht nur die Anwendung, auch die Androhung von Gewalt gegenüber der territorialen Integrität oder der politischen Unabhängigkeit eines Staates ist untersagt.

Institutionen zur Friedenssicherung

Vereinte Nationen

Der Sicherheitsrat ist das zentrale Entscheidungsorgan bei Friedensbedrohungen. Er kann verbindliche Maßnahmen beschließen, um den Weltfrieden zu sichern und wiederherzustellen.

Internationaler Gerichtshof

Der Internationale Gerichtshof entscheidet in völkerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Staaten, auch im Bereich des Friedensrechts.

Regionale Organisationen

Organisationen wie die Europäische Union, die Afrikanische Union oder die Organisation Amerikanischer Staaten verfügen über spezifische Mechanismen der Konfliktprävention und -beilegung.

Friedensrecht und nationales Recht

Viele Staaten haben die völkerrechtlichen Normen des Friedensrechts in ihre Verfassungen und Gesetze übernommen. In Deutschland etwa ist der Primat des Friedens im Grundgesetz (z. B. Artikel 26 GG und Wehrverfassung) festgeschrieben.

Friedensrecht im Verhältnis zum humanitären Völkerrecht

Das Friedensrecht ist eng mit dem humanitären Völkerrecht, den sogenannten Kriegsvölkerrechtsnormen, verbunden. Während das Friedensrecht den rechtmäßigen Umgang mit Friedensstörungen sowie die Voraussetzungen für die Anwendung von Gewalt regelt, bestimmen die Normen des humanitären Völkerrechts, wie geschützte Personen im Falle eines bewaffneten Konflikts zu behandeln sind.

Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen

Trotz seines hohen Regelungsniveau sieht sich das Friedensrecht aktuellen Herausforderungen ausgesetzt, etwa durch asymmetrische Konflikte, den internationalen Terrorismus, Cyber-Angriffe oder den Einsatz autonomer Waffensysteme. Hier besteht zum Teil erheblicher Anpassungsbedarf an die geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen.

Bedeutung des Friedensrechts für den internationalen Rechtsfrieden

Das Friedensrecht bildet die Grundlage für den internationalen Rechtsfrieden und ist damit Voraussetzung für Stabilität, Sicherheit und Entwicklung in der Völkerrechtsgemeinschaft. Es legt verbindliche Verhaltensmaßstäbe fest, deren Einhaltung dauerhafte friedliche Beziehungen zwischen Staaten ermöglichen soll.


Literaturhinweis:

  • Bruno Simma (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen – Kommentar.
  • Knut Ipsen: Völkerrecht.
  • Wolff Heintschel von Heinegg: Das Gewaltverbot der UN-Charta.
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Friedensrecht.

Weiterführende Rechtsquellen:

  • UN-Charta (https://www.un.org/en/about-us/un-charter)
  • Haager Konventionen (https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/vwTreatiesByCountry.xsp?xp_countrySelected=NL)
  • Genfer Abkommen (https://www.icrc.org/de/document/genfer-abkommen-von-1949-zu-kriegsopfern-und-eine-liste-der-vertragspartnerstaaten)
  • Artikel 26 und Artikel 87a-c Grundgesetz (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html)

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln das Friedensrecht im internationalen Kontext?

Das Friedensrecht im internationalen Kontext stützt sich vor allem auf die Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) von 1945, insbesondere auf das Gewaltverbot in Artikel 2 Absatz 4, der die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen untersagt. Hiervon gibt es nur wenige Ausnahmen: Das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta sowie Maßnahmen, die im Rahmen eines Mandats des Sicherheitsrats erfolgen (Kapitel VII der UN-Charta). Weitere zentrale Instrumente sind völkerrechtliche Verträge wie der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, die Genfer Konventionen, sowie spezifische Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge (z. B. NVV, Chemiewaffenübereinkommen). Das Friedensrecht ist zudem eng verknüpft mit dem humanitären Völkerrecht (Kriegsvölkerrecht), das im Kriegsfall Schutzbestimmungen für Zivilisten und Kombattanten festlegt. Nationale Verfassungen, wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, statten das Friedensrecht mit eigenen Vorschriften aus, etwa in Art. 26 GG (Verbot von Angriffskriegen). All diese Bestimmungen sind darauf ausgerichtet, die friedliche Beilegung von internationalen Streitigkeiten zu sichern und kollektive Sicherheit zu gewährleisten.

Wie erfolgt die Durchsetzung des Gewaltverbots gemäß dem Friedensrecht?

Die Durchsetzung des Gewaltverbots obliegt in erster Linie internationalen Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen. Der UN-Sicherheitsrat besitzt als Exekutivorgan nach Kapitel VII der UN-Charta die Kompetenz, bei Bedrohungen oder Brüchen des Friedens verbindliche Maßnahmen zu verhängen, die friedliche Mittel ausschöpfen (z. B. Sanktionen) oder als ultima ratio zu militärischen Maßnahmen autorisieren können. Völkerrechtlich ist für Staaten das Gewaltverbot unmittelbar bindend. Auf nationaler Ebene können bestimmte völkerrechtliche Normen direkt in das nationale Recht inkorporiert werden und dort zivil- wie strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, etwa das nationale Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Auf individueller Ebene ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) befugt, über völkerstrafrechtliche Verstöße im Zusammenhang mit Friedensbruch zu urteilen, unter anderem bei Kriegsverbrechen oder dem Verbrechen der Aggression. Die Durchsetzung hängt jedoch wesentlich von der Kooperation und dem politischen Willen der Staaten ab und weist deshalb oftmals praktische Defizite auf.

Welche Rolle spielen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats im Rahmen des Friedensrechts?

Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sind von zentraler Bedeutung für das Friedensrecht, insbesondere wenn sie auf der Grundlage von Kapitel VII UN-Charta gefasst werden. Sie verpflichten die UN-Mitgliedstaaten in der Regel völkerrechtlich, da sie vorrangig gegenüber anderen Verpflichtungen sind (Art. 103 UN-Charta). Solche Resolutionen können wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen verfügen, Vermittlungen oder Untersuchungen anordnen oder sogar den Einsatz militärischer Gewalt legitimieren. Der Sicherheitsrat kann dabei sehr konkrete Vorgaben machen, etwa Waffenstillstände, Truppenabzüge oder internationale Beobachtermissionen anordnen. Allerdings hängt die Wirksamkeit dieser Resolutionen vom politischen Konsens im Sicherheitsrat ab, insbesondere von der Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder (Vetorecht). Die Bindungswirkung und der Durchsetzungsmechanismus machen die Resolutionen zu einem effektiven, wenn auch nicht immer konsistent angewandten Instrument zur Wahrung des Friedens und Einhaltung des Friedensrechts.

Wann und wie kann das Recht auf Selbstverteidigung nach dem Friedensrecht ausgeübt werden?

Das Recht auf Selbstverteidigung ist in Artikel 51 der UN-Charta geregelt und stellt eine der wenigen Ausnahmen vom allgemeinen Gewaltverbot dar. Dieses Recht kann im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen einen Mitgliedstaat ausgeübt werden, wobei der Angriff tatsächlich eingetreten sein muss (präventive Selbstverteidigung ist rechtlich sehr umstritten und wird vom überwiegenden Teil der Rechtswissenschaft und Staatengemeinschaft abgelehnt). Die Ausübung der Selbstverteidigung muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit beachten und ist dem Sicherheitsrat unverzüglich anzuzeigen. Das Selbstverteidigungsrecht gilt sowohl individuell als auch kollektiv, d. h. auch Drittstaaten können im Rahmen von Beistandsabkommen einem angegriffenen Staat verteidigend zur Seite stehen. Das Selbstverteidigungsrecht erlischt, sobald der Sicherheitsrat Maßnahmen zur Wahrung des Friedens ergreift. Missbrauch und eine Ausdehnung auf sogenannte präventive Kriege werden vom Friedensrecht untersagt.

Welche Bedeutung haben regionale Bündnisse und Abkommen im Kontext des Friedensrechts?

Neben den universellen Regelungen des Völkerrechts spielen regionale Bündnisse wie die NATO, die Afrikanische Union oder auch die Europäische Union eine wichtige Rolle im Friedensrecht. Diese Organisationen dienen häufig der kollektiven Sicherheit und erlauben es ihren Mitgliedern, auf militärische Bedrohungen gemeinsam zu reagieren. Allerdings dürfen ihre Statuten und Maßnahmen nicht im Widerspruch zum Friedensrecht und dem Gewaltverbot der UN-Charta stehen. Einsätze im Rahmen kollektiver Verteidigung sind daher grundsätzlich nur legitim, wenn sie im Einklang mit Artikel 51 oder aufgrund eines Mandats des UN-Sicherheitsrats erfolgen. Regionale Abkommen können Bestimmungen zur Streitbeilegung, Vermittlung oder Friedenssicherung enthalten, wodurch sie eine präventive und stabilisierende Funktion innerhalb ihres geografischen Wirkungsbereichs haben.

Wie unterscheidet sich das Friedensrecht vom klassischen Kriegsrecht?

Das Friedensrecht (ius contra bellum) betrifft die rechtlichen Regelungen zur Verhinderung, Beschränkung oder Beendigung bewaffneter Konflikte zwischen Staaten und stellt das Verbot der Gewaltanwendung in den Vordergrund. Demgegenüber befasst sich das klassische Kriegsrecht beziehungsweise das humanitäre Völkerrecht (ius in bello) mit den Regeln, die im Falle eines bereits bestehenden bewaffneten Konflikts für die Kriegführenden und den Schutz von Zivilisten und Kombattanten gelten. Während das Friedensrecht die Schwelle zum Konflikt und dessen Zulässigkeit reguliert, normiert das Kriegsrecht die Handlungsweisen während der Kampfhandlungen. Beide Rechtsbereiche sind jedoch miteinander verzahnt, da Verstöße gegen das Friedensrecht häufig auch schwerwiegende Verletzungen des Kriegsrechts nach sich ziehen.