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Fremdgeschäftsführung


Begriff und rechtliche Einordnung der Fremdgeschäftsführung

Die Fremdgeschäftsführung ist ein zentraler Begriff des deutschen Zivilrechts und beschreibt das eigenverantwortliche, nach außen hin erkennbare Handeln einer Person (dem Geschäftsführer) für einen anderen (den Geschäftsherrn), ohne dass dieser dazu ausdrücklich ermächtigt oder beauftragt wurde. Im Vordergrund der Fremdgeschäftsführung steht das selbstständige und bewusste Eingreifen in einen fremden Rechts- oder Interessenkreis mit der Absicht, für diesen anderen tätig zu werden. Die Fremdgeschäftsführung ist rechtlich insbesondere im Kontext des Geschäftsbesorgungsrechts (§§ 677 ff. BGB) geregelt und wird dort als sogenannte Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) bezeichnet.


Gesetzliche Grundlagen

Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Kernregelungen zur Fremdgeschäftsführung finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 677 bis 687. Die GoA stellt eine gesetzlich normierte Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass Rechtsgeschäfte grundsätzlich eine Beauftragung oder Ermächtigung benötigen. Im Sinne des § 677 BGB ist ein Geschäft „fremd“, wenn es zumindest auch im Interesse und im Pflichtenkreis eines anderen vorgenommen wird.

Abgrenzung zur sonstigen Geschäftsführung

Die Fremdgeschäftsführung ist abzugrenzen von sonstigen Rechtsverhältnissen, etwa dem Auftrag (§§ 662 ff. BGB) oder der eigenen Geschäftsführung, bei welcher das Handeln im eigenen Namen oder Interesse erfolgt. Die Abgrenzung ist insbesondere bei sogenannten „auch-fremden“ Geschäften, die sowohl Eigen- als auch Fremdinteresse verfolgen, relevant.


Arten der Fremdgeschäftsführung

Echtes und unechtes Fremdgeschäft

  • Echtes Fremdgeschäft: Hier liegt ein Geschäft ausschließlich im Interesse und für Rechnung des Geschäftsherrn. Beispielhaft ist die Reparatur des beschädigten Nachbarhauses nach einem Unwetter, um weiteren Schaden zu verhindern.
  • Auch-fremdes Geschäft: Ein solches liegt vor, wenn das Geschäft sowohl im eigenen als auch im fremden Interesse ausgeführt wird, wie etwa das Abpumpen von Wasser, das sich sowohl im eigenen als auch im Nachbargebäude befindet.
  • Geschäft für den, den es angeht: Dies betrifft Konstellationen, in denen der Handelnde nicht ausdrücklich für jemand bestimmten, aber im Interesse eines Dritten tätig wird.

Voraussetzungen der Fremdgeschäftsführung

Objektiver und subjektiver Fremdgeschäftsführungswille

Eine Fremdgeschäftsführung im Sinne des Gesetzes erfordert sowohl einen objektiv fremden Geschäftsbereich als auch den subjektiven Willen, für einen anderen zu handeln (Fremdgeschäftsführungswille). Es genügt, wenn zumindest erkennbar ist, dass das Handeln teilweise im Interesse eines Dritten erfolgt.

Kein Auftrag oder sonstige Berechtigung

Die Fremdgeschäftsführung setzt voraus, dass kein ausdrücklicher Auftrag oder eine anderweitige rechtliche Beziehung (wie etwa Vertretung oder Vollmacht) zwischen den Beteiligten besteht. Dies unterscheidet sie von der Geschäftsführung aufgrund vertraglicher oder gesetzlicher Grundlagen.


Rechtsfolgen der Fremdgeschäftsführung

Ansprüche des Geschäftsführers

Der Handelnde kann unter bestimmten Bedingungen Ersatz seiner Aufwendungen verlangen (§ 683, 670 BGB), wenn die Geschäftsführung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht und dessen Interesse dient. Im Fall der berechtigten GoA erhält der Geschäftsführer einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen, die er zur ordnungsgemäßen Ausführung des Geschäfts gemacht hat.

Haftung des Geschäftsführers

Der Geschäftsführer haftet dem Geschäftsherrn für Verschulden gemäß den Vorschriften der GoA (§ 678 BGB), falls er das Geschäft gegen den Willen des Geschäftsherrn ausführt und weiß oder wissen muss, dass dieses dem Interesse des Geschäftsherrn widerspricht. Ferner haftet er nach Maßgabe des § 280 BGB, wenn eine analog anzuwendende vertragliche Haftung besteht.

Ansprüche des Geschäftsherrn

Dem Geschäftsherrn stehen Rückgabeansprüche und insbesondere Schadensersatzansprüche (§§ 681, 678 BGB) zu, falls die Geschäftsführung gegen seinen Willen oder außerhalb seines Interesses erfolgt. Im Falle einer unberechtigten GoA haftet der Geschäftsführer auf Ersatz des daraus entstehenden Schadens.


Unterscheidung: Berechtigte und unberechtigte GoA

Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag

Die sogenannte berechtigte Fremdgeschäftsführung (§ 683 BGB) liegt vor, wenn das Geschäft im wirklichen oder mutmaßlichen Interesse und Willen des Geschäftsherrn erledigt wurde. Hieraus erwachsen dem Geschäftsführer Ersatz- und Aufwendungsansprüche.

Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag

Eine unberechtigte GoA liegt vor, wenn der Geschäftsführer das Geschäft gegen den wirklichen oder erkennbaren Willen des Geschäftsherrn geführt hat (§ 679 BGB). In diesen Fällen besteht in der Regel kein Aufwendungsersatzanspruch und der Geschäftsführer kann zum Schadensersatz verpflichtet werden.


Praktische Anwendungsbereiche der Fremdgeschäftsführung

Notgeschäftsführung

Ein praxisnahes Beispiel stellt die Notgeschäftsführung dar: Hierbei handelt der Geschäftsführer, um Gefahr oder Schaden vom Geschäftsherrn abzuwenden (etwa das Löschen eines fremden Hauses bei Feuer). Solche Maßnahmen weist das Gesetz regelmäßig als berechtigt aus und sichern dem Geschäftsführer entsprechende Ersatzansprüche.

Alltägliche Konstellationen

Häufige Anwendungsfälle sind neben Notlagen auch Situationen, in denen ein Dritter in die Verwaltung von Fundsachen eingreift (§§ 965 ff. BGB) oder in Konfliktfällen zwischen Nachbarn einschreitet.


Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten

Differenzierung zur Stellvertretung, Auftrag und Gefälligkeitsverhältnis

Die Fremdgeschäftsführung ist sorgfältig von der unentgeltlichen Gefälligkeit, von vertraglichen Verpflichtungen oder von der Vertretung mit Vollmacht abzugrenzen. Die genaue Trennlinie ergibt sich aus dem Vorliegen eines Rechtsbindungswillens und der konkreten Interessenlage.


Internationales Privatrecht und Fremdgeschäftsführung

Auch im internationalen Zusammenhang können sich Fragen der Fremdgeschäftsführung stellen. Nach Art. 12 EGBGB findet grundsätzlich deutsches Recht Anwendung, wenn der Schwerpunkt des Geschäfts in Deutschland liegt, was vor allem bei unionsrechtlichen oder grenzüberschreitenden Sachverhalten relevant ist.


Literatur und weitere Rechtsquellen

Für die Vertiefung der Fremdgeschäftsführung bieten sich einschlägige Kommentare zum BGB, wissenschaftliche Handbücher zum Schuldrecht sowie bedeutsame Gerichtsentscheidungen an. Neben dem BGB sind vereinzelt auch Nebengesetze betroffen.


Zusammenfassung

Die Fremdgeschäftsführung (§§ 677 ff. BGB) ist ein bedeutendes Rechtsinstitut des deutschen Zivilrechts, das eigenständige und unaufgeforderte Eingriffe in den Interessenkreis eines anderen rechtlich bewertbar macht. Sie schützt Interessen und berechtigt sowie verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen sowohl den Handelnden als auch den Geschäftsherrn. Die umfassende Kenntnis der Voraussetzungen, Arten und Rechtsfolgen ist für dessen Anwendung im Rechtsalltag von zentraler Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Pflichten treffen einen Fremdgeschäftsführer im Rahmen seiner Tätigkeit?

Ein Fremdgeschäftsführer unterliegt den gleichen gesetzlichen Pflichten wie ein Gesellschafter-Geschäftsführer. Zu seinen Hauptpflichten gehören die Sorgfaltspflicht gemäß § 43 GmbHG (Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) und die Loyalitätspflicht gegenüber der Gesellschaft. Der Fremdgeschäftsführer muss die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anwenden, darf keine Geschäftschancen zum eigenen Vorteil nutzen und muss stets im besten Interesse der Gesellschaft handeln. Er ist zudem verpflichtet, die Gesellschafterversammlung ordnungsgemäß zu unterrichten und alle relevanten Informationen bereitzustellen. Die Überwachung der finanziellen Lage der Gesellschaft und die rechtzeitige Einleitung eines Insolvenzverfahrens bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zählen ebenfalls zu seinen Kernpflichten. Ferner unterliegt er verschiedenen gesetzlichen Offenlegungs-, Buchführungs- und Steuerpflichten, deren Wahrnehmung er persönlich zu verantworten hat.

Welche Haftungsrisiken bestehen für Fremdgeschäftsführer?

Fremdgeschäftsführer haften sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber Dritten für Pflichtverletzungen in Ausübung ihrer Tätigkeit. Die persönliche Haftung greift insbesondere bei Verstößen gegen gesetzliche und vertragliche Pflichten, wie beispielsweise verspätete Insolvenzanmeldung nach § 15a InsO oder fehlerhafte Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Dabei kann der Fremdgeschäftsführer auch zivilrechtlich (z.B. Schadensersatz nach § 43 Abs. 2 GmbHG) und strafrechtlich (z.B. wegen Steuerhinterziehung oder Insolvenzverschleppung) belangt werden. Anders als der Gesellschafter-Geschäftsführer kann der Fremdgeschäftsführer in der Regel nicht auf Entlastung durch Gesellschafterbeschluss hoffen, wenn es zu Verstößen oder Pflichtverletzungen kommt.

Kann der Fremdgeschäftsführer für Altlasten aus der Zeit vor seiner Bestellung haftbar gemacht werden?

Grundsätzlich haftet der Fremdgeschäftsführer nicht für Pflichtverletzungen, die vor seiner Bestellung begangen wurden. Nach ständiger Rechtsprechung trifft ihn jedoch eine Prüfungs- und Überwachungspflicht: Er muss nach Amtsübernahme die wirtschaftliche und rechtliche Situation des Unternehmens sorgfältig prüfen und Maßnahmen ergreifen, um bestehende Missstände, etwa Verstöße gegen Buchführungs- und Steuerpflichten oder insolvenzrelevante Risiken, gegebenenfalls auszuräumen. Versäumt er diese Prüfung oder unterlässt er gebotene Maßnahmen, kann ihn eine eigene Haftung für Folgeschäden treffen, die auf das Fortwirken der Altlasten zurückzuführen sind.

Inwiefern ist der Fremdgeschäftsführer an Weisungen der Gesellschafter gebunden?

Ein Fremdgeschäftsführer ist an die verbindlichen Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden, sofern diese gesetzeskonform und im Rahmen des Gesellschaftsvertrags erteilt werden. Er ist jedoch verpflichtet, Weisungen, die gegen Gesetz oder Gesellschaftsvertrag verstoßen, nicht zu befolgen. Ignoriert ein Fremdgeschäftsführer berechtigte, ordnungsgemäß gefasste Gesellschafterbeschlüsse, riskiert er eine Abberufung sowie Schadensersatzforderungen. Befolgt er hingegen gesetzwidrige Weisungen, können daraus eigene Haftungsrisiken gegenüber der Gesellschaft, Behörden und Dritten entstehen.

Muss ein Dienstvertrag mit einem Fremdgeschäftsführer besondere rechtliche Anforderungen erfüllen?

Der Anstellungsvertrag eines Fremdgeschäftsführers unterliegt zwingenden gesetzlichen Anforderungen, insbesondere in Bezug auf den Umfang der Vertretungsmacht, Vergütung, Vertragslaufzeit, Kündigungsfristen sowie Geheimhaltungs- und Wettbewerbsverbote. Aus arbeitsrechtlicher Sicht handelt es sich in der Regel nicht um ein klassisches Arbeitsverhältnis, sondern um ein Dienstverhältnis besonderer Art nach § 611 BGB. Das bedeutet, dass viele arbeitsrechtliche Vorschriften, wie etwa Kündigungsschutz und Mutterschutz, nicht automatisch Anwendung finden. Allerdings sind etwa sozialversicherungsrechtliche Einordnungen, steuerrechtliche Aspekte und ggf. Mitbestimmungsrechte zu beachten. Der Vertrag sollte zudem klare Regelungen zu Haftung, D&O-Versicherung und Freistellung im Konfliktfall enthalten.

Welche Besonderheiten gelten im Hinblick auf das Wettbewerbsverbot für einen Fremdgeschäftsführer?

Nach § 88 AktG analog und häufig durch vertragliche Vereinbarung, unterliegt ein Fremdgeschäftsführer während seiner Amtszeit einem umfassenden Wettbewerbsverbot. Ihm ist es untersagt, ohne ausdrückliche Zustimmung der Gesellschafter in Konkurrenz zur Gesellschaft zu treten, sei es durch Gründung eines Konkurrenzunternehmens, Beteiligung an einem Wettbewerber oder durch die Förderung fremder Wettbewerberinteressen. Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot berechtigen die Gesellschaft zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages sowie zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und Herausgabe des gezogenen Nutzens. Oftmals erstreckt sich das Wettbewerbsverbot durch sog. nachvertragliche Wettbewerbsverbote auch über die Beendigung des Dienstverhältnisses hinaus, was eine explizite Entschädigungsregelung erfordert.