Definition und rechtliche Grundlagen des Fremdbesitzes
Der Begriff Fremdbesitz nimmt im deutschen Sachenrecht eine zentrale Rolle ein. Unter Fremdbesitz wird der Umstand verstanden, dass eine Person eine Sache besitzt, jedoch nicht mit dem Willen, diese als eigene zu besitzen, sondern im Auftrag oder Interesse eines anderen. Der Fremdbesitz stellt somit das Gegenstück zum Eigenbesitz dar und ist für zahlreiche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Besitzschutz, Herausgabeansprüchen sowie der Gutglaubensproblematik von signifikanter Bedeutung.
Besitz im Sinne des BGB
Rechtsgrundlage
Besitz ist im deutschen Recht ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über eine Sache (§ 854 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Hierbei wird zwischen dem Eigenbesitz (§ 872 BGB) und dem Fremdbesitz unterschieden. Während Eigenbesitzer die Sache mit dem Willen besitzen, sie als die „eigene“ zu behalten, handelt ein Fremdbesitzer ausdrücklich im Bewusstsein, lediglich als Besitzmittler für einen anderen tätig zu sein.
Begriff und Abgrenzung des Fremdbesitzes
Fremdbesitz liegt also dann vor, wenn der Besitzende (Besitzer) die tatsächliche Sachherrschaft nicht für sich selbst, sondern für eine andere Person (Eigenbesitzer) ausübt. Deutlich wird dies beispielsweise beim Mieter, beim Entleiher oder beim Verwahrer, der das fremde Eigentum nur vorübergehend innehat und dies auch anerkennt.
Erscheinungsformen des Fremdbesitzes im Sachenrecht
Unmittelbarer und mittelbarer Fremdbesitz
Unmittelbarer Fremdbesitz
Ein unmittelbarer Fremdbesitzer hält die Sache tatsächlich in Händen (z.B. der Mieter einer Wohnung), erkennt dabei aber das Eigentum eines anderen an und besitzt nicht im Eigeninteresse.
Mittelbarer Fremdbesitz
Beim sogenannten mittelbaren Fremdbesitz wird das Besitzrecht durch eine Besitzmittlungsverhältnis (§ 868 BGB), wie zum Beispiel Leihe oder Verwahrung, organisiert. Die tatsächliche Sachherrschaft übt der Besitzmittler aus, doch der mittelbare Besitzer bleibt berechtigt, die Sache herauszuverlangen.
Beispiele für Fremdbesitzverhältnisse
- Mieter: Der Mieter besitzt die Mietsache als Fremdbesitz, da das Eigentum beim Vermieter verbleibt.
- Leihnehmer: Ein entliehener Gegenstand wird im Rahmen des Leihvertrages fremdbesessen.
- Verwahrer und Pächter: Auch hier wird der Besitz an einer fremden Sache ausgeübt; der Besitzer erkennt das Eigentum und Besitzrecht des eigentlichen Eigentümers an.
Rechtliche Auswirkungen und Bedeutung des Fremdbesitzes
Besitzschutz und Herausgabeansprüche
Herausgabeanspruch des Eigentümers
Nach § 985 BGB kann der Eigentümer von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen, sofern kein Recht zum Besitz vorliegt. Im Fall des Fremdbesitzes ist entscheidend, dass der Besitzer den Besitz nicht für sich, sondern für einen anderen ausübt und damit im Regelfall zur Herausgabe verpflichtet ist, sofern kein Besitzrecht besteht.
Schutz bei Besitzentziehung und -störung
Der Schutz des Besitzes (§§ 858 ff. BGB) umfasst auch den Fremdbesitz. Ein Fremdbesitzer kann daher bei verbotener Eigenmacht (z.B. gewaltsamer Wegnahme) Schutz beanspruchen, unabhängig davon, ob er auch gleichzeitig Eigentümer der Sache ist.
Gutgläubiger Erwerb und Redlichkeit
Bedeutung für den gutgläubigen Erwerb
Im Rahmen der §§ 932 ff. BGB (gutgläubiger Erwerb beweglicher Sachen) ist der Besitz der veräußerten Sache maßgebend. Für die Beurteilung, ob eine Person zum Eigentumserwerb berechtigt ist, wird unterschieden, ob der Besitz eigen- oder fremdnützig ausgeübt wird.
Unterscheidung zur Besitzdienerschaft
Von besonderer Relevanz ist die Abgrenzung zur Besitzdienerschaft (§ 855 BGB), bei der der Besitzdiener faktisch keinen eigenen Besitz, sondern lediglich tatsächliche Gewalt als Hilfsperson eines Besitzers ausübt.
Fremdbesitz im Verhältnis zu Dritten
Besitzmittlungsverhältnis und Besitzkonstitut
Besitzmittlungsverhältnis
Das gesetzlich geregelte Besitzmittlungsverhältnis (§ 868 BGB) beschreibt das Rechtsverhältnis, in dessen Rahmen der Fremdbesitzer Besitz ausübt. Der Besitzmittler ist gegen Weisungen des mittelbaren Besitzers gebunden und zur Herausgabe verpflichtet.
Besitzkonstitut
Das Besitzkonstitut (§ 930 BGB) ermöglicht es, durch ein Rechtsgeschäft den Besitz an einer beweglichen Sache zu übertragen, ohne dass diese übergeben werden muss. Der Veräußerer bleibt in diesem Fall Fremdbesitzer der Sache.
Rechtsfolgen und praktische Anwendungsbeispiele
Typische Rechtsfolgen
- Eigentumserwerb und Besitzschutz: Der Fremdbesitz beeinflusst die rechtliche Bewertung beim Eigentumserwerb und genießt denselben Besitzschutz wie der Eigenbesitz.
- Verjährung: Die Besitzart hat Bedeutung bei der Ersitzung von Eigentum nach § 937 BGB. Der Fremdbesitz schließt in der Regel die Ersitzung aus, da dieser regelmäßig im Bewusstsein der Fremdnützigkeit ausgeübt wird.
Anwendungsbeispiele aus der Praxis
- Leihe eines Fahrzeugs: Überlässt eine Person einem anderen ihr Fahrzeug zur Nutzung, bleibt sie Eigentümerin, während der Entleiher Fremdbesitzer wird.
- Verwahrung von Wertgegenständen: Gibt jemand einen Wertgegenstand zur Aufbewahrung, besitzt der Verwahrer die Sache im Sinne des Fremdbesitzes.
- Vermietung von Wohnraum: Hier nimmt der Mieter die Rolle des Fremdbesitzers ein, da der Vermieter weiterhin das Eigentum an der Wohnung hält.
Literaturhinweise und weiterführende Quellen
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentierungen zu §§ 854 ff. BGB
MüKoBGB, Münchener Kommentar zum BGB, Band zu §§ 854-872 BGB
Brox/Walker, Sachenrecht
Dieser Überblick stellt die rechtlichen Aspekte und die Bedeutung des Fremdbesitzes im deutschen Zivilrecht umfassend dar, berücksichtigt sämtliche praxisrelevanten Besonderheiten und grenzt den Begriff sorgfältig gegenüber verwandten Rechtsinstitutionen ab.
Häufig gestellte Fragen
Wie erfolgt der Besitzübergang bei Fremdbesitz rechtlich?
Im deutschen Zivilrecht wird der Besitzübergang – etwa bei Miet- oder Leihverhältnissen – durch die Übergabe der tatsächlichen Sachherrschaft erreicht (§ 854 Abs. 1 BGB). Bei Fremdbesitz kommt hinzu, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache zwar ausübt, dies jedoch ausdrücklich oder erkennbar für einen anderen (den mittelbaren Besitzer oder Eigentümer) tut. Im Regelfall erfolgt der Besitzverschaffungsakt durch eine Vereinbarung zwischen mittelbarem Besitzer (z.B. Vermieter oder Verleiher) und dem unmittelbaren Fremdbesitzer (z.B. Mieter oder Entleiher), flankiert von der Übergabe der Sache. Die rechtliche Grundlage bildet regelmäßig ein Besitzmittlungsverhältnis (z. B. Miet-, Leih-, oder Verwahrungsvertrag), dessen wirksamer Abschluss Voraussetzung für die Anerkennung des Fremdbesitzes ist. Im Rahmen eines solchen Besitzmittlungsverhältnisses bleibt der mittelbare Besitzer trotz Übergabe der Sache an den Fremdbesitzer selbst weiterhin im Besitz, vermittelt durch das rechtliche Band des Besitzmittlungsverhältnisses, sein mittelbarer Besitz.
Welche typischen Rechtsverhältnisse begründen einen Fremdbesitz?
Fremdbesitz entsteht zumeist im Rahmen von schuldrechtlichen Verträgen wie Miete, Leihe, Verwahrung oder Pacht. In solchen Konstellationen erhält der unmittelbare Besitzer (z. B. Mieter, Entleiher, Verwahrer) die Sache vom mittelbaren Besitzer (z. B. Vermieter, Verleiher, Hinterleger) stets mit dem Bewusstsein, dass er die Sache nicht als Eigentümer, sondern aufgrund eines vertraglichen Rechtstitels für den mittelbaren Besitzer innehat. Das zugrundeliegende Rechtsverhältnis – oftmals ein Miet- oder Leihvertrag – regelt dabei die Modalitäten der Nutzung und Rückgabe. Typisch für Fremdbesitz sind weiterhin Baurechtsformen (z. B. Nießbrauch, § 1030 BGB), in denen eine Person die Nutzungen einer Sache zieht, ohne deren Eigentümer zu sein. Auch Arbeitnehmer, die Arbeitsgeräte für ihren Arbeitgeber benutzen, können sich in einem Verhältnis des Fremdbesitzes befinden.
Welche rechtlichen Unterschiede bestehen zwischen Fremdbesitz und Eigenbesitz?
Der wesentliche rechtliche Unterschied liegt im Besitzwillen: Während der Eigenbesitzer die Sache als eigene besitzen will (animus domini), erkennt der Fremdbesitzer an, dass er die Sache für einen anderen besitzt (animus rem alteri habendi). Daraus folgen erhebliche Unterschiede in Bezug auf Besitzschutzrechte, insbesondere beim Besitzschutz gemäß §§ 858 ff. BGB: Der Eigenbesitzer kann umfassend Besitzschutzrechte für sich selbst geltend machen, während der Fremdbesitzer regelmäßig im Namen des mittelbaren Besitzers zur Sicherung der Sache handelt. Auch bei gutgläubigem Erwerb (§ 932 BGB) ist der Eigenbesitz Voraussetzung für die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben; der Fremdbesitz schließt dies in aller Regel aus. Zudem ist die Herausgabepflicht des Fremdbesitzers gegenüber dem mittelbaren Besitzer bzw. Eigentümer nach Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses rechtlich akzentuiert (§ 985 BGB).
Welche Ansprüche kann der mittelbare Besitzer gegen den Fremdbesitzer bei Pflichtverletzungen geltend machen?
Kommt es zu Pflichtverletzungen durch den Fremdbesitzer (z. B. Beschädigung, Zerstörung, nicht rechtzeitige oder verweigerte Rückgabe der Sache), so stehen dem mittelbaren Besitzer eine Vielzahl von Ansprüchen zu. Primär ist hier der Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) zu nennen, der insbesondere nach Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses zum Tragen kommt. Verletzt der Fremdbesitzer seine Obhuts- oder Sorgfaltspflichten, so haftet er je nach Verhältnis als Schadensersatzschuldner nach vertraglichen (§§ 280 ff. BGB) oder deliktischen Vorschriften (§§ 823 ff. BGB). Auch Rückgriffsansprüche bei Besitzkehr (§ 861 BGB) oder Herausgabe von Nutzungen und Surrogaten (§§ 987, 990 BGB) können bestehen. Besonders relevant werden diese Ansprüche oft bei unberechtigter Weiternutzung, Untervermietung oder Unterverleihung der Sache ohne Zustimmung des mittelbaren Besitzers.
Wie kann Fremdbesitz im Streitfall bewiesen werden?
Für den Nachweis des Fremdbesitzes ist in der Regel der Abschluss eines Besitzmittlungsverhältnisses, wie etwa ein Mietvertrag oder Leihvertrag, sowie der tatsächliche Besitz an der Sache zu belegen. Im Gerichtsverfahren werden hierzu Schriftstücke (Verträge, Übergabeprotokolle, Empfangsbestätigungen), Zeugenberichte und etwaige Indizien für die Willensrichtung des Besitzers herangezogen. Insbesondere wird geprüft, ob der Besitzwille (animus rem alteri habendi) vorhanden war, also der Fremdbesitzer gerade nicht als Eigentümer, sondern für einen anderen in Besitz ist. Die Beweislast für den bestehenden Fremdbesitz und seine Modalitäten obliegt regelmäßig demjenigen, der sich auf den Besitzmittlungsvertrag oder die Besitzüberlassung beruft.
Welche Rechtsfolgen entstehen bei Ende des Besitzmittlungsverhältnisses für den Fremdbesitzer?
Beendet sich das dem Fremdbesitz zugrunde liegende Besitzmittlungsverhältnis (zum Beispiel durch Kündigung des Mietvertrages, Zeitablauf beim Leihvertrag), ist der Fremdbesitzer verpflichtet, die Sache an den mittelbaren Besitzer herauszugeben (§ 546 BGB bei Mietverträgen, § 604 BGB bei Leihverträgen). Kommt der Fremdbesitzer dieser Verpflichtung nicht nach, befindet er sich im sogenannten unrechtmäßigen Besitz, was neben dem Herausgabeanspruch auch Ansprüche auf Nutzungsentschädigung oder Schadensersatz nach sich ziehen kann. Der vormals mittelbare Besitzer kann dann die Sache herausverlangen und ggf. gerichtlich durchsetzen; eine eigenmächtige Besitzkehr ist jedoch im Regelfall nur unter engen Voraussetzungen möglich (§ 859 BGB).
Wie unterscheidet sich Fremdbesitz von Besitzdienerschaft aus rechtlicher Sicht?
Der Fremdbesitzer übt den Besitz selbstständig aufgrund eines Besitzmittlungsverhältnisses aus und trägt eigenständig Verantwortung für die Sache. Im Gegensatz dazu handelt der Besitzdiener nach § 855 BGB (z. B. Arbeitnehmer, Hausangestellte) im Rahmen eines Weisungsverhältnisses rein im Interesse und auf Anordnung des Besitzherrn, wodurch rechtlich ausschließlich der Besitzherr (also derjenige, dem die Dienste geleistet werden) als unmittelbarer Besitzer gilt. Der Besitzdiener selbst hat keine unabhängigen Besitzschutzrechte und tritt nach außen nicht als Besitzer auf; jegliche Rechtspositionen beziehen sich ausschließlich auf den Geschäftsherrn. Die Differenzierung ist oft für Besitzschutzklagen, Haftungsfragen und die Qualifikation von Herausgabeansprüchen entscheidend.