Begriff und Bedeutung des Freiversuchs
Der Begriff Freiversuch bezeichnet im deutschen Hochschulrecht eine besondere Regelung für Studierende, die eine staatliche oder universitäre Abschlussprüfung, insbesondere die Erste Prüfung im Rahmen von Staatsexamina (z. B. im Rechtswissenschaftsstudium) oder Prüfungsleistungen in anderen Fächern, erstmals vor Ablauf einer festgelegten Regelstudienzeit absolvieren. Ziel des Freiversuchs ist es, Studierende zu ermutigen, das Studium in der Regelstudienzeit anzuschließen, indem sie die Prüfung risikolos versuchen können: Ein im Rahmen des Freiversuchs nicht bestandenes Examen gilt als „nicht unternommen” und zählt weder als Fehlversuch noch als Prüfungsteilnahme.
Rechtliche Grundlagen des Freiversuchs
Gesetzliche und Verordnungsrechtliche Regelungen
Die Regelungen zum Freiversuch sind nicht bundeseinheitlich festgelegt, sondern ergeben sich aus den jeweiligen Prüfungsordnungen der Hochschulen und, bei den staatlichen Prüfungen, aus den einschlägigen Landesgesetzen und -verordnungen. Im Bereich der Rechtswissenschaften sind insbesondere die Juristenausbildungsgesetze (z. B. § 24 JAG NRW) sowie Prüfungsordnungen maßgeblich.
In den Prüfungsordnungen anderer Fächer, etwa der Medizin gemäß Approbationsordnung oder der wirtschaftswissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge, können vergleichbare oder abweichende Freiversuchsregelungen bestehen.
Voraussetzungen für den Freiversuch
Ein Freiversuch setzt regelmäßig voraus, dass die Kandidatin oder der Kandidat die maßgebende Abschlussprüfung spätestens zu einem bestimmten, frühestens möglichen Zeitpunkt ablegt. Zumeist ist die Voraussetzung die erstmalige Teilnahme an der Prüfung innerhalb oder unmittelbar nach Ablauf der Regelstudienzeit, wie sie im jeweiligen Studiengang festgelegt ist. In Einzelfällen kann die Möglichkeit eines Freiversuchs erlöschen, wenn bestimmte Teilleistungen nicht innerhalb einer bestimmten Frist erbracht wurden.
Anwendungsbereiche des Freiversuchs
Der Freiversuch ist vor allem in den Studiengängen relevant, die mit einer staatlichen Abschlussprüfung enden. Dies betrifft insbesondere:
- Rechtswissenschaften (erste Prüfung/Staatsexamen)
- Medizin, Pharmazie, Zahnmedizin (Staatsexamen)
- Lehramtsstudiengänge
- Teilweise Wirtschafts-, Natur-, oder Ingenieurwissenschaften (je nach Landesrecht und Prüfungsordnung)
Eine Übertragbarkeit auf andere Prüfungsformate oder die Ausbildung in dualen Studiengängen ist grundsätzlich ausgeschlossen, sofern die jeweilige Prüfungsordnung dies nicht ausdrücklich vorsieht.
Rechtsfolgen des Freiversuchs
Nichtbestehen und Wiederholung
Ein zentrales Merkmal des Freiversuchs ist, dass ein Nichtbestehen der Abschlussprüfung im Freiversuch nicht als Fehlversuch gewertet wird. Die Prüfung gilt als nicht unternommen; daher bleibt die maximale Anzahl der regulär zulässigen Prüfungsversuche unberührt.
Ein Rücktritt aus anerkannten wichtigen Gründen gilt nicht als Freiversuchsteilnahme. Ein Versäumnis ohne triftigen Grund hingegen kann als Fehlversuch gewertet werden.
Bestehen und Notenverbesserung
Besteht die Kandidatin oder der Kandidat die Prüfung im Rahmen des Freiversuchs, so kann je nach Prüfungsordnung und Landesrecht eine sogenannte Notenverbesserung („Prädikatserhaltungsversuch”) zulässig sein. Für diesen Fall hat die oder der Betroffene die Möglichkeit, die Abschlussprüfung ein weiteres Mal zu absolvieren, um eine Verbesserung der Prüfungsleistung zu erreichen. Dabei bleibt es bei der besseren der beiden Bewertungen.
Die Berechtigung zu einem Notenverbesserungsversuch ist häufig an dieselben Bedingungen wie der eigentliche Freiversuch geknüpft.
Sonderregelungen und Härtefälle
Bei Krankheit, Schwangerschaft, Behinderung oder erheblichen, nicht selbst verschuldeten Verzögerungen im Studienverlauf kann ein Antrag auf Verlängerung der Freiversuchsfrist oder auf Berücksichtigung eines Härtefalls gestellt werden. Die Entscheidung obliegt jeweils den Landesprüfungsämtern oder den zuständigen Hochschulgremien. Die Einzelheiten regeln die jeweiligen Rechtsnormen sowie detaillierte Verwaltungsvorschriften.
Kritik und Bedeutung im Hochschulrecht
Fördern leistungsorientierter Studienverläufe
Die Freiversuchsregelung wird insofern positiv beurteilt, als sie Studierende motiviert, das Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen, und ihnen einen unverbindlichen Anlauf zur Abschlussprüfung ermöglicht. Damit trägt sie zur Verkürzung der Studiendauer auf das vorgesehene Maß bei.
Diskussionspunkte und Gleichheitsgrundsatz
Gleichwohl stehen Freiversuchsregelungen auch in der Kritik, da sie aufgrund unterschiedlich ausgestalteter Fristen, Zugangsvoraussetzungen und Anwendungsszenarien nicht für alle Studierenden gleichermaßen gelten. Insbesondere Unterschiede zwischen Bundesländern sowie zwischen staatlichen und universitär organisierten Prüfungen können Fragen der Gleichbehandlung aufwerfen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat sich daher wiederholt mit Einzelfragen zum Anwendungsbereich und zur Auslegung der Freiversuchsregelungen auseinandergesetzt.
Missbrauchsgefahr und Steuerung des Prüfungsverhaltens
Theoretisch besteht die Gefahr, dass Studierende den Freiversuch nutzen, ohne ausreichend vorbereitet zu sein, oder dass sie gezielt den Notenverbesserungsversuch anstreben. In der Praxis ist dies jedoch durch die knappen Fristen und die intensiven Vorbereitungsanforderungen eingeschränkt. Die Regelungen sollen dazu beitragen, Studierende durch Anreize zu zügigem Studienabschluss und planvollem Prüfungsvorgehen zu motivieren.
Übersicht: Regelungen in ausgewählten Bundesländern
Beispiel Nordrhein-Westfalen (NRW)
Nach § 24 Abs. 2 Juristenausbildungsgesetz NRW (JAG NRW) gilt ein nicht bestandener Freiversuch in der ersten juristischen Prüfung als nicht unternommen. Die Möglichkeit zur Notenverbesserung besteht, sofern alle Bedingungen eingehalten werden.
Beispiel Bayern
Die Bayerische Juristenausbildungsordnung (JAPO) sieht gleichfalls den Freiversuch vor, regelt jedoch Abweichungen bei Regelstudienzeitüberschreitung und gewährt in bestimmten Fällen zusätzliche Fristen für Studierende mit Kindern oder Behinderung.
Beispiel Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg kann gemäß Juristenausbildungsgesetz ein Freiversuch unternommen werden, wenn die Prüfung spätestens im achten Semester abgelegt wird. Vergleichbare Regeln bestehen in anderen Prüfungsordnungen für Medizin und Lehramt.
Weiterführende Hinweise
Die konkrete Ausgestaltung und Anwendung des Freiversuchs ist je nach Bundesland, Studienfach und Prüfungsordnung spezifisch geregelt. Aktuelle Informationen zu den geltenden Bestimmungen sollten stets in der einschlägigen Prüfungsordnung sowie in den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen eingesehen werden.
Zusammenfassung
Der Freiversuch stellt eine prägende Regelung im deutschen Hochschulrecht dar und ermöglicht Studierenden, ihre Abschlussprüfung frühzeitig ohne Folgen für spätere Prüfungsversuche zu absolvieren. Umfang, Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Freiversuchs sind vielschichtig geregelt und tragen dazu bei, den Übergang von Studium zu Berufsausbildung oder wissenschaftlicher Laufbahn flexibler und planbarer zu gestalten. Durch diverse Detailregelungen und Ausnahmen ist eine genaue Auseinandersetzung mit den maßgebenden Rechtsnormen unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Wie beantrage ich einen Freiversuch und welche Fristen sind dabei zu beachten?
Der Antrag auf einen Freiversuch muss in der Regel bei der zuständigen Prüfungsbehörde oder dem Prüfungsamt der jeweiligen Hochschule gestellt werden. Maßgeblich für die Antragstellung sind die studiengangsspezifischen Prüfungsordnungen und die Hochschulgesetze des jeweiligen Bundeslandes, welche festlegen, bis zu welchem Zeitpunkt ein Freiversuch beantragt werden kann. Meistens wird vorausgesetzt, dass die Anmeldung zur jeweiligen Prüfung fristgerecht innerhalb der in der Prüfungsordnung vorgesehenen Regelstudienzeit erfolgt. Der Antrag ist häufig als Teil der regulären Prüfungsanmeldung zu stellen, es kann aber auch ein gesondertes Formular verlangt werden. In Einzelfällen sind zusätzlich Nachweise beizufügen, wie etwa eine Übersicht über die bisher erbrachten Studienleistungen. Versäumt man die Antragsfrist oder werden die formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, besteht in aller Regel kein Anspruch auf den Freiversuch. Es empfiehlt sich, sich frühzeitig mit dem Prüfungsamt in Verbindung zu setzen und diese Fristen gewissenhaft einzuhalten.
Welche Auswirkungen hat das Nichtbestehen einer Prüfung im Freiversuch?
Das Nichtbestehen einer Prüfung im Freiversuch hat grundsätzlich zur Folge, dass das Fehlversuchsverzeichnis unbelastet bleibt und der Prüfungsversuch als nicht unternommen gilt. Das bedeutet, dass sowohl das Nichtbestehen als auch ein erzieltes negatives Ergebnis nicht in das Prüfungsprotokoll aufgenommen werden. Lediglich der Freiversuch selbst wird vermerkt. Die Studierenden erhalten somit die Möglichkeit, die entsprechende Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt erneut und ohne Nachteil zu absolvieren. Eine Ausnahme bilden jedoch Täuschungsversuche, wie etwa das Verwenden unerlaubter Hilfsmittel, bei denen der Freiversuch in der Regel als verbraucht gilt und der Prüfungsversuch als nicht bestanden gewertet werden kann. Gleiches gilt bei einem (grundlosen) Rücktritt oder Versäumnis. Die genaue Handhabung ergibt sich aus der jeweiligen Prüfungsordnung.
Welche Einschränkungen gibt es bezüglich der Prüfungen, die im Freiversuch absolviert werden können?
Nicht alle Prüfungen eines Studiums sind grundsätzlich freiversuchsfähig. Die Voraussetzungen und Einschränkungen werden im Detail durch die jeweilige Prüfungsordnung und die landesrechtlichen Vorgaben geregelt. In der Regel sind Freiversuche auf Erstversuche beschränkt, das heißt, sie können nur im ersten regulären Antritt genutzt werden. Häufig werden Freiversuche nur innerhalb der Mindest- oder Regelstudienzeit gewährt, mitunter sind bestimmte Prüfungsformen, wie etwa Abschlussprüfungen oder mündliche Prüfungen, von vornherein ausgenommen. Ebenso existieren oft Einschränkungen in Bezug auf die Anzahl der Freiversuche – so kann etwa pro Modul, Fach oder Studienabschnitt nur einmalig ein Freiversuch in Anspruch genommen werden. Einige Hochschulen verlangen zudem, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits eine festgelegte Anzahl von Leistungspunkten erbracht sein muss, bevor ein Freiversuch gewährt wird.
Kann die im Freiversuch erzielte Note angenommen oder verbessert werden?
Wird eine Prüfung im Rahmen eines Freiversuchs bestanden, steht es dem Prüfling in den meisten Prüfungsordnungen frei, die erzielte Note zu akzeptieren oder die Prüfung zur Notenverbesserung zu wiederholen. Entscheidet sich der Studierende für die Wiederholungsprüfung, gilt das bessere Ergebnis, wobei das schlechtere Ergebnis in der Regel nicht zählt. Es ist jedoch zwingend erforderlich, die Absicht zur Wiederholung bzw. Notenverbesserung fristgemäß beim Prüfungsamt zu erklären. Die jeweiligen Fristen für diese Erklärung und die Möglichkeit, die Prüfung erneut abzulegen, sind in den Prüfungsordnungen festgelegt. In einigen Bundesländern oder Hochschulen kann die wiederholte Inanspruchnahme eines Freiversuchs oder die Nutzung zur Notenverbesserung auf bestimmte Fächer beschränkt sein.
Welche rechtlichen Folgen hat ein Täuschungsversuch während einer Freiversuchsprüfung?
Ein während einer als Freiversuch unternommenen Prüfung begangener Täuschungsversuch hat schwerwiegende Konsequenzen. Nach überwiegender Meinung in der Rechtsprechung und in den Prüfungsordnungen gilt der Prüfungsversuch im Fall eines Täuschungsversuchs als ordentlich unternommen und nicht als nicht erfolgt. Das bedeutet, der Freiversuch ist verbraucht, und der Prüfungsversuch wird als nicht bestanden gewertet. Je nach Schwere des Täuschungsversuchs können weitere Sanktionen hinzukommen, zum Beispiel der Ausschluss von weiteren Prüfungen, zeitweilige Exmatrikulation oder sogar ein endgültiger Prüfungsversagensbescheid. Die Rechtsmittel gegen derartige Entscheidungen, wie Widerspruch oder Klage, sind innerhalb der gesetzlichen Fristen einzulegen, wobei im Einzelfall spezialisiertes anwaltliches Vorgehen ratsam sein kann.
Welche gesetzlichen Grundlagen finden auf den Freiversuch Anwendung?
Die gesetzlichen Grundlagen des Freiversuchs finden sich vor allem in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen (z.B. dem Hochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen oder dem Bayerischen Hochschulgesetz) und werden konkretisiert durch die Prüfungsordnungen der jeweiligen Universitäten und Fachbereiche. In vielen Fällen beruht die Möglichkeit eines Freiversuchs auf fakultäts- bzw. universitätsspezifischen Regelungen, etwa der Juristenausbildungsordnung, der Approbationsordnung für Ärzte oder spezifischen Bachelor- und Masterprüfungsordnungen. Weiterhin sind allgemeine Grundsätze des Prüfungsrechts, wie Gleichbehandlungsgrundsatz, Grundsatz der Chancengleichheit und das Gebot der Transparenz, auch auf die Handhabung des Freiversuchs anzuwenden. Die genaue Ausgestaltung und die jeweils geltenden Anforderungen sind daher stets unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsnormen des jeweiligen Bundeslandes sowie der aktuell gültigen Studien- und Prüfungsordnung zu prüfen.