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Freiverkehr

Begriff und Einordnung des Freiverkehrs

Der Freiverkehr bezeichnet einen von einer Wertpapierbörse organisierten, aber rechtlich nicht als „regulierter Markt“ eingestuften Handelsplatz für Finanzinstrumente. Er wird in Deutschland häufig auch als „Open Market“ bezeichnet und dient vor allem der Einbeziehung kleinerer oder wachstumsorientierter Emittenten sowie ausländischer Wertpapiere. Die Zulassungs- und Folgepflichten sind gegenüber dem regulierten Markt abgesenkt, der Handel findet jedoch im Rahmen der Börsenorganisation und ihrer Handels- und Geschäftsbedingungen statt.

Rechtliche Natur und Abgrenzung

Stellung im europäischen Marktgefüge

Der Freiverkehr ist kein „regulierter Markt“ im Sinne des europäischen Kapitalmarktrechts. Er entspricht in seiner Ausgestaltung einem von der Börse betriebenen multilateralen Handelssystem. Die Regeln beruhen primär auf börseninternen Ordnungen und vertraglichen Einbeziehungsbedingungen. Aufsicht und Überwachung erfolgen durch die jeweilige Börse, die zuständige Landesbörsenaufsicht sowie im Hinblick auf Marktintegrität durch die bundesweite Finanzmarktaufsicht. Die unionsrechtlichen Verbote von Insiderhandel und Marktmanipulation gelten auch für Finanzinstrumente, die im Freiverkehr gehandelt werden.

Abgrenzung zu reguliertem Markt und anderen Segmenten

Gegenüber dem regulierten Markt bestehen geringere formale Anforderungen an die Einbeziehung und an die laufende Transparenz. Innerhalb des Freiverkehrs können Börsen unterschiedliche Segmente mit abgestuften Transparenzstandards vorsehen; diese reichen von sehr grundständigen Einbeziehungen bis zu qualifizierten Wachstumssegmenten mit zusätzlichen Pflichten. Der Freiverkehr ist vom außerbörslichen Handel (OTC) abzugrenzen, da er als organisierter Börsenhandel stattfindet und der Marktüberwachung der Börse unterliegt.

Zulassung und Einbeziehung von Wertpapieren

Verfahren der Einbeziehung

Im Freiverkehr erfolgt keine „Zulassung“ im hoheitlichen Sinn, sondern eine „Einbeziehung“ auf Grundlage der Börsenordnung und der Einbeziehungsbedingungen. Antragsteller sind in der Regel Emittent, Emissionsbegleiter oder Handelsteilnehmer. In einfacheren Segmenten ist eine Einbeziehung teilweise auch ohne ausdrückliche Mitwirkung des Emittenten möglich; höherwertige Segmente verlangen typischerweise die aktive Teilnahme des Emittenten und zusätzliche Qualitätsnachweise.

Prospekt- und Dokumentationspflichten

Die Einbeziehung in den Freiverkehr allein löst kein zwingendes europäisches Prospekterfordernis aus. Ein Prospekt ist regelmäßig dann erforderlich, wenn ein öffentliches Angebot an Anleger erfolgt. Unabhängig davon können Börsen für die Einbeziehung spezifische Unterlagen (z. B. Unternehmenskurzdarstellungen oder Informationsmemoranden) verlangen. In qualifizierten Freiverkehrssegmenten bestehen häufig weitergehende Dokumentations- und Corporate-Governance-Anforderungen.

Emittentenpflichten im Freiverkehr

Die laufenden Pflichten ergeben sich aus drei Ebenen: erstens aus europäischem Marktintegritätsrecht (insbesondere zu Insiderinformationen, Insiderlisten und Meldungen von Eigengeschäften von Führungspersonen), zweitens aus europäischem Transparenz- und Prospektrecht, soweit dessen Anwendungsbereich eröffnet ist, und drittens aus den jeweiligen börsenrechtlichen Segmentregeln. Periodische Finanzberichterstattung und Stimmrechtsmitteilungen sind gesetzlich primär an eine Notierung im regulierten Markt geknüpft; im Freiverkehr können entsprechende oder ähnliche Anforderungen durch Segmentregeln angeordnet sein. Für bestimmte Pflichten ist maßgeblich, ob der Emittent die Einbeziehung beantragt oder ihr zugestimmt hat.

Handel und Aufsicht

Handelsorganisation

Der Handel im Freiverkehr findet über die technische Infrastruktur der jeweiligen Börse statt. Es gelten die börslichen Handelsregeln zu Ordertypen, Handelszeiten, Preisermittlung, Transparenz vor und nach dem Handel sowie zur Abwicklung. Häufig sind Designated Sponsors oder Market Maker eingebunden, um die fortlaufende Handelbarkeit zu unterstützen.

Aufsichtsrahmen

Die Einhaltung der Börsen- und Segmentregeln wird durch die Handelsüberwachungsstelle der Börse kontrolliert. Die staatliche Börsenaufsicht des jeweiligen Bundeslandes überwacht den ordnungsgemäßen Börsenbetrieb. Die bundesweite Finanzmarktaufsicht überwacht insbesondere Marktmissbrauchstatbestände, also Insiderhandel und Marktmanipulation. Bei Verstößen können börsenseitige Maßnahmen bis hin zur Einbeziehungsbeendigung sowie behördliche Sanktionen in Betracht kommen.

Anlegerschutz und Transparenz

Informationsstandards

Gegenüber dem regulierten Markt sind die gesetzlichen Mindeststandards für Prospekte, laufende Finanzberichterstattung und Stimmrechtsmitteilungen im Freiverkehr nicht in gleicher Breite angeordnet. Die Börsen gleichen dies teilweise durch segmentbezogene Informationspflichten aus, etwa durch verpflichtende Unternehmensprofile, regelmäßige Berichte, Research-Formate oder die Benennung eines qualifizierten Begleiters.

Risiken und Besonderheiten

Aufgrund des geringeren Regulierungsniveaus und der häufig kleineren Emittentenstruktur können Liquidität, Informationsdichte und Kursstabilität stärker schwanken. Spreads können höher ausfallen, und es kann seltener zu fortlaufenden Umsätzen kommen. Gleichwohl unterliegen Handel und Preisermittlung den börslichen Überwachungsmechanismen sowie den unionsrechtlichen Integritätsanforderungen.

Internationale Bezüge und Terminologie

Der deutsche Freiverkehr entspricht im Kern einem von der Börse betriebenen multilateralen Handelssystem. Terminologisch wird er häufig als „Open Market“ bezeichnet. Er ist nicht gleichzusetzen mit dem außerbörslichen OTC-Handel, der außerhalb organisierter Märkte stattfindet. Viele europäische Handelsplätze unterhalten vergleichbare Segmente mit abgesenkten Einbeziehungs- und Transparenzanforderungen.

Historische Entwicklung

Der Freiverkehr hat sich aus dem früher sogenannten „unofficial market“ entwickelt. Mit der europäischen Marktstrukturreform wurde er rechtlich den von Börsen betriebenen multilateralen Systemen zugeordnet. Deutsche Börsen haben den Freiverkehr seither in Segmente mit unterschiedlichen Transparenzniveaus ausdifferenziert, um Wachstumsunternehmen und Auslandswertpapiere einen organisierten Zugang zum Börsenhandel zu eröffnen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Freiverkehr

Ist der Freiverkehr ein regulierter Markt?

Nein. Der Freiverkehr ist ein von der Börse organisiertes Segment außerhalb des regulierten Marktes. Er unterliegt eigenen Börsen- und Segmentregeln sowie der Marktüberwachung, jedoch nicht den umfassenden gesetzlichen Zulassungs- und Transparenzvorgaben des regulierten Marktes.

Gelten im Freiverkehr die Verbote von Insiderhandel und Marktmanipulation?

Ja. Die unionsrechtlichen Vorgaben zur Marktintegrität gelten auch für im Freiverkehr gehandelte Finanzinstrumente. Dies betrifft sowohl die Verbote von Insiderhandel und Marktmanipulation als auch bestimmte Veröffentlichungspflichten, sofern der Emittent die Einbeziehung beantragt oder ihr zugestimmt hat.

Ist für die Einbeziehung in den Freiverkehr ein Prospekt erforderlich?

Die Einbeziehung allein löst kein zwingendes Prospekterfordernis aus. Ein Prospekt kann jedoch erforderlich sein, wenn ein öffentliches Angebot an Anleger erfolgt. Unabhängig davon können Börsen für die Einbeziehung spezifische Informationsunterlagen verlangen.

Wie unterscheidet sich der Freiverkehr vom außerbörslichen (OTC-)Handel?

Der Freiverkehr ist Teil des organisierten Börsenhandels mit festgelegten Marktregeln und Überwachung. OTC-Geschäfte werden demgegenüber außerhalb der Börse bilateral vereinbart und unterliegen nicht den spezifischen Börsenordnungen.

Welche laufenden Pflichten treffen Emittenten im Freiverkehr?

Emittenten unterliegen insbesondere den marktintegritätsbezogenen Veröffentlichungs- und Organisationspflichten, soweit sie die Einbeziehung beantragt oder ihr zugestimmt haben. Periodische Finanzberichte und Stimmrechtsmitteilungen sind gesetzlich primär an eine Notierung im regulierten Markt geknüpft; im Freiverkehr können entsprechende Pflichten durch die Segmentregeln vorgesehen sein.

Kann eine Einbeziehung ohne Zustimmung des Emittenten erfolgen?

In einfacheren Freiverkehrssegmenten ist eine Einbeziehung teils ohne unmittelbare Mitwirkung des Emittenten möglich. In qualifizierten Segmenten wird regelmäßig die aktive Antragstellung und Mitwirkung des Emittenten verlangt, oft verbunden mit zusätzlichen Transparenzanforderungen.

Wer überwacht den Handel im Freiverkehr?

Die Handelsüberwachungsstelle der jeweiligen Börse überwacht den Handel und die Einhaltung der Börsenregeln. Die Landesbörsenaufsicht führt die staatliche Aufsicht über den Börsenbetrieb, während die bundesweite Finanzmarktaufsicht die Einhaltung der Vorgaben zur Marktintegrität überwacht.