Legal Lexikon

Freiverkehr


Begriff und Wesen des Freiverkehrs

Der Freiverkehr bezeichnet einen besonderen Marktsegment an deutschen Wertpapierbörsen, der insbesondere durch eine vereinfachte Zulassung und geringere Folgepflichten gegenüber dem regulierten Markt gekennzeichnet ist. Rechtlich betrachtet handelt es sich um einen öffentlich-rechtlich organisierten Handel, der dennoch nicht unter die engen kapitalmarktrechtlichen Regelungen des regulierten Marktes fällt. Der Freiverkehr, im englischen Sprachraum häufig als „Open Market“ bezeichnet, dient dem Handel mit Aktien, Anleihen, Zertifikaten und weiteren Wertpapieren, die nicht für den regulierten Markt oder den Prime Standard zugelassen sind.

Geschichtliche Entwicklung des Freiverkehrs

Ursprünge im Börsenwesen

Der Freiverkehr wurde in Deutschland im Jahr 1987 eingeführt, um Emittenten und Investoren eine flexiblere Alternative zum geregelten Börsenhandel zu bieten. Ziel war es, ein Segment für kleinere und mittelständische Unternehmen sowie für ausländische Emittenten zu schaffen, deren Wertpapiere nicht alle Voraussetzungen für den regulierten Markt erfüllen.

Reformen und aktuelle Ausgestaltung

Durch die Umsetzung europäischer Richtlinien – wie insbesondere der MiFID II und MAR (Marktmissbrauchsverordnung) – wurden zahlreiche Regelungslücken eingegrenzt. Dennoch blieb der Freiverkehr als Segment mit eigenen, vergleichsweise liberaleren Vorschriften erhalten und stellt bis heute einen Kernbereich des außerbörslichen Handels auf öffentlich organisierten Plattformen dar.

Rechtliche Grundlagen und Abgrenzung

Börsengesetz und Börsenordnung

Der Freiverkehr wird im Börsengesetz (BörsG) nicht explizit definiert, jedoch regelt § 48 BörsG die Zulassungsverfahren und bezieht sich dabei insbesondere auf den regulierten Markt. Die Regelungen zum Freiverkehr finden sich unmittelbar in den jeweiligen Börsenordnungen der jeweiligen Wertpapierbörsen (etwa der Frankfurter Wertpapierbörse, der Börse Berlin oder München). Organisiert wird der Freiverkehr in der Regel von der jeweils zuständigen Börsenträgerin, die die Handelsbedingungen und -voraussetzungen in einer eigenen Freiverkehrsordnung festlegt.

Abgrenzung zum regulierten Markt

Der regulierte Markt unterliegt einer strengen Prospektpflicht sowie umfangreichen Transparenzpflichten nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) und weiteren europäischen Vorschriften. Dagegen handelt es sich beim Freiverkehr formal um einen Privathandelsmarkt mit öffentlich-rechtlicher Organisation. Die Zulassungsvoraussetzungen und laufenden Pflichten im Freiverkehr sind weniger umfangreich; eine Prospektpflicht besteht nur in Ausnahmefällen.

Segmente des Freiverkehrs

Im Rahmen des Freiverkehrs haben sich verschiedene Untersegmente herausgebildet, wobei der Open Market an der Frankfurter Wertpapierbörse das bedeutendste Segment bildet. Weitere Segmente sind etwa das Mittelstandssegment Scale in Frankfurt oder das m:access an der Börse München, die besondere Zulassungs- und Folgepflichten regeln, jedoch nicht denselben Standards wie der regulierte Markt entsprechen.

Zulassung und Folgeverpflichtungen im Freiverkehr

Zulassungsvoraussetzungen

Die Zulassung zum Freiverkehr erfolgt in der Regel durch einen Antrag eines zugelassenen Handelsteilnehmers – häufig ein Kreditinstitut oder ein zugelassener Broker. Notwendig ist eine Mindestinformation über den Emittenten und das Wertpapier. Ein förmlicher Wertpapierprospekt ist nur dann vorzulegen, wenn eine öffentliche Emission zu erwarten ist und keine Ausnahme greift.

Publizitäts- und Folgeverpflichtungen

Anders als im regulierten Markt existieren im Freiverkehr weniger strenge Informationspflichten. Emittenten müssen eine Mindestinformation zum Unternehmen, zur Gesellschaftsstruktur und über das Wertpapier zur Verfügung stellen. Berichte zu Geschäftszahlen, Beteiligungen oder sonstigen Insiderinformationen sind nur in den gehobenen Segmenten gefordert (beispielsweise Scale, m:access).

Es greift grundsätzlich keine Aufnahme in geregelte Finanzmarktregister. Zudem bestehen keine zwingenden Pflichten zu Ad-hoc-Mitteilungen nach § 15 WpHG, es sei denn, die Aufnahme ins Börsensegment erfolgt freiwillig mit solchen Folgeverpflichtungen.

Besonderheiten bei Anleihen und anderen Wertpapieren

Für Nicht-Aktienwerte wie Unternehmensanleihen, strukturierte Produkte oder Zertifikate gelten eigene Zulassungsvorschriften, die in der jeweiligen Handelsordnung nachgelesen werden können. Hier sind insbesondere die Bonitätsbeurteilungen und die Tragfähigkeit der Emission zu prüfen, jedoch ohne Anschluss an die europäischen Prospektpflichten des regulierten Marktes.

Bedeutung des Freiverkehrs im Wertpapierhandel

Der Freiverkehr erfüllt eine Brückenfunktion zwischen dem geregelten Börsenhandel und dem völlig außerbörslichen OTC-Handel. Er ermöglicht insbesondere mittelständischen und ausländischen Emittenten den Zugang zu Börsenplätzen ohne hohen regulatorischen Aufwand und fördert so Wachstum und Vielfalt der gelisteten Wertpapiere am Kapitalmarkt.

Die rechtlichen Anforderungen sind auf eine Balance aus Anlegerschutz und Zugänglichkeit des Kapitalmarktes ausgerichtet. Investoren müssen sich im Klaren sein, dass der Anlegerschutz nicht dem Niveau des regulierten Marktes entspricht. Die Rechte der Anleger richten sich im Streitfall nach allgemeinen kapitalmarktrechtlichen, zivilrechtlichen und ggf. schadenersatzrechtlichen Grundsätzen.

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsreformen

Durch die stetige Fortentwicklung des europäischen Kapitalmarktrechts steht auch die Ausgestaltung des Freiverkehrs unter Beobachtung. Eine weitergehende Anpassung nationaler Vorschriften an EU-Regeln ist mittelfristig zu erwarten, wenngleich der Freiverkehr als flexibles Marktsegment weiterhin eine wichtige Rolle im deutschen Börsenwesen spielen dürfte.

Zusammenfassung

Der Freiverkehr stellt ein flexibles, rechtlich weniger stark reglementiertes Marktsegment an deutschen Wertpapierbörsen dar und erfüllt eine wichtige Funktion im Handelsgeschehen. Die rechtlichen Anforderungen sind in den Börsenordnungen geregelt und zielen auf eine Anmeldung unter vereinfachten Bedingungen – unter Abstrich von Prospektpflicht und fortlaufender Transparenzvorschriften. Seine Bedeutung als Zugangsmöglichkeit für kleine und mittlere Emittenten sowie internationale Wertpapiere bleibt auch unter sich wandelnden rechtlichen Rahmenbedingungen erhalten.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln den Freiverkehr in Deutschland?

Der Freiverkehr ist in Deutschland kein gesetzlich geregeltes Marktsegment im klassischen Sinne, sondern vielmehr ein von den Wertpapierbörsen selbst organisierter Handelsbereich. Rechtlich maßgeblich ist das Börsengesetz (BörsG), insbesondere die Vorschriften zur Organisation und Überwachung der Börse sowie zur Zulassung von Wertpapieren zum Handel (§ 48 BörsG ff.). Darüber hinaus regelt die jeweilige Börsenordnung der Börsenplätze die konkreten Anforderungen für den Handel im Freiverkehr. Im Unterschied zu den regulierten Märkten wie dem regulierten Markt (§ 32 BörsG) oder dem Prime Standard, die strengen gesetzlichen Vorgaben unterliegen, basiert der Freiverkehr im Wesentlichen auf privatrechtlichen Regelungen der Börsenbetreiber. Daneben finden zahlreiche zivilrechtliche und aufsichtsrechtliche Vorschriften Anwendung, etwa zum Anlegerschutz, zur Markttransparenz und zur Verhinderung von Insiderhandel oder Marktmanipulation. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt im Freiverkehr grundsätzlich eine weniger ausgeprägte Überwachungsfunktion als bei regulierten Märkten wahr, jedoch bleiben zentrale Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) sowie der Prospektpflichten weiterhin einschlägig, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind.

Welche Pflichten bestehen für Emittenten im Freiverkehr hinsichtlich Publizität und Transparenz?

Im Freiverkehr gelten im Vergleich zu den regulierten Märkten reduzierte Publizitäts- und Transparenzpflichten. Emittenten unterliegen insbesondere nicht den strengen, börsengesetzlich verankerten Ad-hoc-Publizitäts- (§ 33 ff. WpHG) und Berichterstattungspflichten. Einige Börsen wie die Frankfurter Wertpapierbörse verlangen dennoch im Freiverkehr bestimmte Basisverpflichtungen, etwa die Hinterlegung von Unternehmensdaten und Jahresabschlüssen. Prospektpflichten können im Rahmen des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) anwendbar sein, insbesondere wenn Angebote an die Öffentlichkeit erfolgen, es existieren jedoch verschiedene Ausnahmen. Die Mitteilungspflichten nach der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) und Meldepflichten im Zusammenhang mit Directors‘ Dealings oder Voting Rights können im Einzelfall ebenfalls einschlägig sein. Zusammenfassend gelten im Freiverkehr weniger strenge, jedoch keineswegs gänzlich entfallende Transparenzregelungen; insbesondere bei öffentlichen Angeboten oder Überschreiten von Schwellenwerten greifen weiterhin einige gesetzliche Vorgaben.

Welche Rolle spielt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Freiverkehr?

Die BaFin spielt im Freiverkehr eine eher untergeordnete Rolle im Vergleich zum regulierten Markt. Während sie im regulierten Markt zahlreiche Überwachungs- und Prüfungsbefugnisse innehat, ist ihre Zuständigkeit im Freiverkehr auf die Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Kernvorschriften beschränkt. Dazu zählen die Bekämpfung von Insidergeschäften, Marktmanipulation (gemäß Marktmissbrauchsverordnung) sowie die Überwachung von Prospektpflichten (nach WpPG), sofern ein Wertpapierprospekt notwendig ist. Die Zulassung von Wertpapieren und die Durchsetzung der handelsplatzspezifischen Regeln obliegen den jeweiligen Börsenbetreibern und deren Handelsüberwachungsstellen. Die BaFin kann bei schwerwiegenden Rechtsverstößen jedoch jederzeit einschreiten und Sanktionen verhängen. In der Praxis ist der Spielraum der BaFin im Freiverkehr deswegen begrenzt, insbesondere gegenüber den originär von der Börse organisierten Kontrollen und Sanktionsmechanismen.

Welche Anforderungen bestehen an den Wertpapierprospekt im Freiverkehr?

Für Wertpapiere, die lediglich im Freiverkehr zum Handel zugelassen werden, besteht grundsätzlich keine generelle Prospektpflicht. Ein Prospekt ist jedoch erforderlich, wenn ein öffentliches Angebot an Anleger im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) vorgenommen wird und keine Ausnahmeregelung greift (§ 3 WpPG). Die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung eines Prospekts muss nach den Vorgaben des europäischen Rechts (Prospektverordnung) und des nationalen Rechts erfolgen. Die Anforderungen an den Inhalt, die Form und die Veröffentlichung des Prospekts gelten für den Freiverkehr in gleicher Weise wie für regulierte Märkte, sofern ein Prospekt notwendig wird. In der Praxis machen Emittenten häufig von den Prospektausnahmen Gebrauch, etwa bei Privatplatzierungen oder bei Angeboten nur an qualifizierte Investoren, sodass im Freiverkehr vergleichsweise wenige Prospekte erstellt werden.

Welche Rechtsfolgen haben Verstöße gegen Freiverkehrs-Regularien?

Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem Freiverkehr können sowohl börsenrechtliche, zivilrechtliche als auch aufsichtsrechtliche Sanktionen auslösen. Auf Ebene der Börsen ist die Handelsüberwachungsstelle befugt, Verstöße gegen die Börsenordnung oder gegen Zulassungsbedingungen zu ahnden und Sanktionen wie Handelsausschluss, Verwarnungen oder Geldbußen zu verhängen. Zivilrechtlich können fehlerhafte oder fehlende Informationen zu Schadensersatzansprüchen seitens der Anleger führen, insbesondere wenn aufgrund unrichtiger Prospektangaben Vermögensschäden entstanden sind (z.B. § 21 WpPG). Aufsichtsrechtlich kann die BaFin Maßnahmen der Marktaufsicht ergreifen, Bußgelder verhängen oder im Falle schwerer Verstöße sogar ein Handelsverbot erlassen. Auch strafrechtliche Konsequenzen sind möglich, etwa bei Fällen von Marktmanipulation oder Insiderhandel.

Wie unterscheiden sich die Zulassungsvoraussetzungen im Freiverkehr vom regulierten Markt?

Anders als im regulierten Markt, in dem gesetzliche und börsenseitige Anforderungen hinsichtlich Unternehmensgröße, Historie, Mindestkapitalisierung, Streubesitz und Publizitätspflichten bestehen, sind die Voraussetzungen zur Zulassung im Freiverkehr wesentlich niedriger. Während im regulierten Markt häufig ein von der Börse zugelassener Antragsteller (Emittent oder ein zugelassener Sponsor) erforderlich ist sowie umfassende Dokumentations- und Offenlegungspflichten bestehen, genügt im Freiverkehr in der Regel eine Minimalinformation über den Emittenten und das Wertpapier. Die genaue Ausgestaltung bestimmt sich nach der jeweiligen Börsenordnung; meist sind ein formloser Zulassungsantrag, Nachweise über das Bestehen der Gesellschaft sowie Basisinformationen zum Wertpapier erforderlich. Prüfvoraussetzungen wie geprüfte Jahresabschlüsse oder ein Mindestnennbetrag entfallen oftmals. Dies erleichtert den Zugang zum Kapitalmarkt, bringt jedoch auch erhöhte Risiken für Anleger mit sich.

Inwieweit sind Anleger im Freiverkehr rechtlich geschützt?

Anleger sind im Freiverkehr grundsätzlich dem gesetzlichen Rahmen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) und weiteren Kapitalmarktgesetzen unterstellt. Im Unterschied zu regulierten Märkten profitieren Anleger jedoch von reduziertem Anlegerschutz: Es bestehen geringere Publizitätsvorschriften, weniger laufende Berichtspflichten seitens der Emittenten und weniger aufwendige Zulassungsprüfungen. Somit ist das Risiko für fehlerhafte, verspätete oder fehlende Informationen im Freiverkehr höher. Lediglich der grundlegende Schutz vor Marktmissbrauch, Manipulation und Insiderhandel greift unvermindert. Anleger müssen sich folglich eigenverantwortlich und umfassend über das Anlageobjekt informieren; Ansprüche gegen Emittenten oder Vermittler bestehen nur bei konkretem schuldhaften Fehlverhalten, insbesondere bei Täuschung oder Prospektmängeln. Die zivilrechtlichen Ansprüche (z.B. aus § 823 BGB oder wegen Prospekthaftung) stehen auch im Freiverkehr zur Verfügung.