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Freiheitsentziehung


Begriff und rechtliche Einordnung der Freiheitsentziehung

Freiheitsentziehung ist ein zentraler Begriff des deutschen Rechts und beschreibt jede Maßnahme, durch die eine Person gegen oder ohne ihren Willen daran gehindert wird, einen bestimmten Ort zu verlassen. Die Freiheitsentziehung stellt einen erheblichen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht auf Freiheit der Person dar und unterliegt deshalb strengen rechtlichen Voraussetzungen und Kontrollmechanismen.

Abgrenzung zur Freiheitsbeschränkung

Im deutschen Recht wird zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung unterschieden. Freiheitsentziehung liegt vor, wenn eine Person physisch daran gehindert wird, einen bestimmten, umschlossenen Raum zu verlassen (z.B. durch Einschließen, Fixieren oder andere unüberwindbare Barrieren). Freiheitsbeschränkung ist demgegenüber eine geringere Form der Einschränkung, bei der die allgemeine Bewegungsfreiheit beeinträchtigt wird, ohne die völlige Kontrolle über den Aufenthaltsort (z.B. durch Ausgangsbeschränkungen).

Maßgeblich für die Abgrenzung ist das Maß der tatsächlichen Eingriffsintensität. Die Rechtsprechung und Literatur betonen, dass der Übergang zur Freiheitsentziehung insbesondere dann erreicht ist, wenn eine Person für einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum an einem bestimmten Ort gegen ihren Willen festgehalten wird und jedwede Möglichkeit, diesen zu verlassen, tatsächlich ausgeschlossen ist.

Gesetzliche Grundlagen der Freiheitsentziehung

Grundrechtlicher Schutz

Das Grundgesetz schützt in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 die Freiheit der Person („Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“). Eine Freiheitsentziehung darf danach ausschließlich aufgrund eines Gesetzes und unter Einhaltung rechtsstaatlicher Garantien erfolgen.

Strafrechtliche Regelungen

Das Strafgesetzbuch (StGB) enthält in § 239 StGB den Tatbestand der Freiheitsberaubung. Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird strafrechtlich verfolgt. Der Begriff der Einsperrung umfasst das vollständige Abschließen oder unüberwindbare Hemmen der Ausgangsmöglichkeiten; der Begriff „auf andere Weise“ bezieht auch psychische Mittel ein, sofern diese so zwingend sind, dass sie physischer Gewalt gleichkommen.

Verfahrensrechtliche Vorschriften

Strafprozessordnung (StPO)

Maßnahmen wie Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO) sowie die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO) sind klassische Beispiele für verfahrensrechtlich zulässige Formen der Freiheitsentziehung im Strafverfahren. Für die Durchführung und Dauer solcher Maßnahmen ist grundsätzlich eine richterliche Entscheidung erforderlich, es sei denn, es liegen Eilfälle oder gesetzlich bestimmte Ausnahmen vor.

Zivilrecht und öffentliches Recht

Auch außerhalb des Strafverfahrens können Freiheitsentziehungen aus besonderen Gründen angeordnet werden. § 1631b BGB erlaubt beispielsweise unter engen Voraussetzungen die Unterbringung Minderjähriger durch elterliche Sorge oder das Familiengericht. Nach den Vorschriften des Gesetzes über die freiheitsentziehende Unterbringung psychisch Kranker (PsychKG) oder im Rahmen des polizeilichen Gewahrsams (§ 18 Polizei- und Ordnungsbehördengesetze der Länder) kann eine Freiheitsentziehung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erfolgen.

Voraussetzungen und Formen der Freiheitsentziehung

Erforderliche Voraussetzungen

Freiheitsentziehende Maßnahmen setzen grundsätzlich einen qualifizierten Rechtfertigungsgrund voraus. Sie müssen gesetzlich gestattet, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Dies dient dem Schutz vor willkürlichen oder unangemessenen Beschränkungen der persönlichen Freiheit.

Zu den typischen Voraussetzungen zählen insbesondere:

  • Einzelfallbezogene Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder das Wohl der betroffenen Person.
  • Ausschöpfung milderer Mittel: Freiheitsentziehung darf nur als letztes Mittel (Ultima Ratio) erfolgen.
  • Richterliche Anordnung oder unverzügliche richterliche Bestätigung der Maßnahme (Art. 104 GG).

Formen der Freiheitsentziehung

Zu den wichtigsten Formen zählen:

  • Untersuchungshaft und Strafhaft
  • Polizeigewahrsam (z.B. zur Gefahrenabwehr)
  • Vorführung vor den Richter
  • Geschlossene Unterbringung psychisch Kranker
  • Unterbringung Minderjähriger

Auch die Fixierung in medizinischen Einrichtungen ist unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen als Freiheitsentziehung einzuordnen.

Rechtsschutz und Kontrollmechanismen

Richtervorbehalt

Nach Artikel 104 Abs. 2 des Grundgesetzes darf eine Freiheitsentziehung nur aufgrund richterlicher Entscheidung und unter Wahrung strikter Verfahrensgarantien erfolgen. Erfolgt eine Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung, muss unverzüglich eine richterliche Entscheidung nachträglich eingeholt werden.

Verfahrensrechtliche Kontrolle

Betroffene können gegen die Freiheitsentziehung Rechtsmittel einlegen, insbesondere durch das Verfahren der Haftprüfung, das Beschwerdeverfahren oder im Zivilrecht mittels Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 23 EGGVG). Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Rechtsprechung die Anforderungen an die Transparenz, Dokumentation und Kontrolle solcher Maßnahmen stetig präzisiert.

Anspruch auf Entschädigung

War eine Freiheitsentziehung rechtswidrig, besteht ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz (StrEG).

Internationale Rechtsgrundlagen

Neben dem Grundgesetz enthält auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Artikel 5 ein Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person. Sie sieht spezifische Anforderungen für jede Form der Freiheitsentziehung vor, insbesondere das Recht auf zügige richterliche Prüfung und das Recht auf effektiven Rechtsschutz.

Abgrenzungen und Sonderfälle

Freiheitsentziehung bei Kindern und Jugendlichen

Bei Minderjährigen ist insbesondere § 1631b BGB maßgeblich. Die Unterbringung zum Zweck der Erziehung oder Abwendung erheblicher Gefahren für das Kind darf nur mit gerichtlicher Genehmigung erfolgen.

Zwangsmaßnahmen im Gesundheitsbereich

Maßnahmen wie die Fixierung oder geschlossene Unterbringung bedürfen stets einer spezifischen gesetzlichen Grundlage und strenger richterlicher Kontrolle. Die Rechtsprechung fordert eine ausführliche Abwägung zwischen dem Wohl und Schutz der Person einerseits und dem Eingriff in die Freiheitsrechte andererseits.

Literatur und weiterführende Hinweise

Freiheitsentziehung ist ein komplexes Thema, das an der Schnittstelle von Grundrechten, Verfahrensrecht, Strafrecht, öffentlichem Recht und Zivilrecht steht. Die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleisten, dass die Wahrung der persönlichen Freiheit höchste Priorität besitzt und Einschränkungen nur unter engsten Voraussetzungen zulässig sind.


Dieser Artikel informiert über die rechtlichen Grundlagen, Anforderungen und Kontrollmechanismen der Freiheitsentziehung im deutschen Recht und eignet sich zur Einordnung und zum Verständnis der verschiedenen gesetzlichen Konstellationen und praktischen Anwendungsbereiche.

Häufig gestellte Fragen

Wer darf eine Freiheitsentziehung anordnen?

Eine Freiheitsentziehung darf grundsätzlich nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung angeordnet werden, da sie einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG darstellt. Die Ausnahme sind sogenannte vorläufige Freiheitsentziehungen im Rahmen polizeilicher Maßnahmen, etwa bei einer vorläufigen Festnahme nach § 127 StPO (Strafprozessordnung) oder einer polizeilichen Ingewahrsamnahme nach den jeweiligen Landesgesetzen. In diesen Fällen ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Für länger andauernde Maßnahmen, wie beispielsweise die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung oder einer Erziehungsanstalt, schreibt § 163b StPO beziehungsweise das Unterbringungsgesetz zwingend eine richterliche Anordnung vor. Die richterliche Kontrolle dient dem Schutz vor Missbrauch und stellt sicher, dass die Freiheitsentziehung verhältnismäßig und rechtmäßig erfolgt.

In welchen Situationen ist eine Freiheitsentziehung rechtlich zulässig?

Eine Freiheitsentziehung ist nur zulässig, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich vorsieht und die Maßnahme verhältnismäßig ist. Typische Anwendungsfälle sind die Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO), die Strafhaft nach Verurteilung, die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) sowie die vorbeugende Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern (§ 63 StGB) oder nach Landesrechten zur Gefahrenabwehr (Polizeigesetze, PsychKG). Weitere legitime Fälle betreffen die zwangsweise Durchsetzung von Abschiebungen (§ 62 AufenthG) oder das Festhalten Minderjähriger im Rahmen von Jugendarrest. Für all diese Maßnahmen ist eine gesetzliche Grundlage genauso zwingend wie die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, und es darf kein milderes Mittel zur Verfügung stehen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

Welche Rechte hat eine betroffene Person während einer Freiheitsentziehung?

Betroffene Personen haben während der Freiheitsentziehung umfassende Rechte, die vor staatlicher Willkür schützen sollen. Unverzüglich nach Beginn der Freiheitsentziehung ist die betreffende Person über die Gründe zu informieren (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG, § 114a StPO). Sie hat ein Recht auf unverzügliche richterliche Anhörung sowie auf anwaltlichen Beistand gemäß § 140 StPO (notwendige Verteidigung). Der Kontakt zu einem Rechtsanwalt darf ihr nicht verweigert werden. Ferner hat sie das Recht, eine Vertrauensperson zu benachrichtigen und medizinische Versorgung zu erhalten. Misshandlungen, erniedrigende oder menschenunwürdige Behandlung sind nach Art. 3 EMRK sowie GG strikt untersagt. Auch sind Freiheitsentziehungen zu dokumentieren und der Aufenthalt der Person festzuhalten, damit jederzeit die Rechtmäßigkeit überprüft werden kann.

Wie unterscheiden sich Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung rechtlich voneinander?

Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung unterscheiden sich durch den Grad der Eingriffsintensität. Freiheitsentziehung liegt vor, wenn eine Person gegen oder ohne ihren Willen an einem eng umgrenzten Ort festgehalten wird, sodass sie diesen ohne Zustimmung der verantwortlichen Personen nicht verlassen kann. Beispiele sind Untersuchungshaft, Polizeigewahrsam oder Zwangsunterbringung. Dagegen ist eine Freiheitsbeschränkung weniger intensiv, etwa das vorübergehende Festhalten an einem bestimmten Ort zur Identitätsfeststellung oder das Verlassen des Raumes in Begleitung. Für die rechtliche Qualifikation sind daher die tatsächlichen Umstände entscheidend: Ob jemand objektiv daran gehindert ist, seinen Aufenthaltsort zu bestimmen, ist maßgeblich für die Annahme einer Freiheitsentziehung. Die Abgrenzung ist insbesondere relevant, da nur für die Freiheitsentziehung die besonderen verfassungsrechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen (richterliche Anordnung, unverzügliche Anhörung) gelten.

Welche rechtlichen Möglichkeiten hat eine Person gegen eine Freiheitsentziehung vorzugehen?

Eine betroffene Person kann verschiedene Rechtsbehelfe ergreifen. Gegen eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung ist die sofortige Beschwerde gemäß § 304 StPO oder nach spezialgesetzlichen Vorschriften möglich. Wird die Maßnahme zunächst ohne richterlichen Beschluss vollzogen (zum Beispiel durch die Polizei), hat der Betroffene das Recht, unverzüglich einen Richter anzurufen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn Grundrechte – etwa aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG – verletzt wurden (Art. 93 GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 BVerfGG). Im Falle rechtswidriger Freiheitsentziehung kann außerdem Schadensersatz nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) verlangt werden. Auf europäischer Ebene kann eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgen, wenn die Rechte aus Art. 5 EMRK verletzt wurden.

Welche besonderen Vorschriften gelten für Minderjährige bei einer Freiheitsentziehung?

Für Minderjährige gelten besondere Schutzvorschriften. Nach § 1631b BGB ist jede freiheitsentziehende Maßnahme gegenüber Minderjährigen – etwa Unterbringung in psychiatrischen Einrichtungen oder geschlossenen Heimen – nur mit richterlicher Genehmigung zulässig. Die Genehmigung ist zeitlich befristet und regelmäßig zu überprüfen. Das Familiengericht muss prüfen, ob die Maßnahme verhältnismäßig und zum Wohl des Kindes notwendig ist. Minderjährige sind in besonderem Maße über ihre Rechte aufzuklären, und ihnen ist der Zugang zu einem Anwalt und Vertrauenspersonen zu ermöglichen. Zudem sind das Jugendamt und gegebenenfalls das Vormundschaftsgericht einzubeziehen. Nationale und internationale Regelungen, etwa die UN-Kinderrechtskonvention, verlangen eine kindgerechte Ausgestaltung der Verfahren und gewährleisten besonderen Schutz vor Missbrauch und unrechtmäßiger Freiheitsentziehung.